Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgabenfreie Lieferung an die sowjetischen Streitkräfte; Absehen von der Nacherhebung von Eingangsabgaben

 

Leitsatz (NV)

1. Wird im Rahmen einer abgabenfreien Warenlieferung an die sowjetischen Streitkräfte ein Abwicklungsschein vorgelegt, in dem der zugrundeliegende schriftliche Liefervertrag nicht angegeben ist, so fehlt es i. d. R. an der für die Gewährung der Abgabenfreiheit erforderlichen Bestätigung, daß die Waren in Übereinstimmung mit den festgelegten Voraussetzungen geliefert und von dem dazu befugten Handelsunternehmen übernommen worden sind. Dies führt zur Entstehung der Zollschuld.

2. Hat das HZA entschieden, daß die Voraussetzungen für das Absehen von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung der Zollschuld nicht vorliegen, so kann das Finanzgericht über die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung urteilen, ohne zuvor eine Entscheidung der Kommission der EG in dieser Sache abwarten zu müssen.

3. Zu den Voraussetzungen, unter denen von einer nachträglichen buchmäßigen Erfassung der Zollschuld abzusehen ist.

4. Der Antrag, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, hindert den BFH nicht daran, in einer spruchreifen Sache durchzuerkennen.

 

Normenkette

EWGV 1697/79 Art. 5 Abs. 2; EWGV 2164/91 Art. 4; ZK Art. 220 Abs. 2 Buchst. b; ZKDV Art. 871; EWGV 2144/87 Art. 2 Abs. 1 Buchst. d; FGO § 126 Abs. 3 Nr. 1; AnO §§ 2, 3 Abs. 2-3

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) beantragte im September 1991 mit drei Zollanmeldungen die Abfertigung von insgesamt ... Stück Zigaretten zum Verteilerverwendungsverkehr. Die Zigaretten waren für die Streitkräfte der Sowjetunion in Deutschland bestimmt; als Empfänger war in den Zollpapieren das sowjetische Handelsunternehmen B der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland angegeben. Die Waren wurden antragsgemäß abgefertigt. Die entsprechenden Bewilligungsverfügungen, mit denen die bleibenden Zoll- und Einfuhrumsatzsteuergutverwendungen bewilligt wurden, nahmen auf §1 der Truppenzollordnung (TruZO) Bezug, wobei in zwei Fällen handschriftlich hinzugefügt war: "i. V. m. Art. 16 des Einigungsvertrages" (gemeint war wohl Art. 16 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Bedingungen des befristeten Aufenthalts und die Modalitäten des planmäßigen Abzugs der sowjetischen Truppen aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland -- Abzugsvertrag --, BGBl II 1991, 258). Außerdem wurde die Auflage erteilt, die Übergabe an die ausländischen Streitkräfte durch Vorlage des Abwicklungsscheins innerhalb einer jeweils bestimmten Frist nachzuweisen. Soweit von seiten der Klägerin Sicherheiten geleistet worden waren, wurden diese freigegeben, nachdem sie die entsprechenden Abwicklungsscheine vorgelegt hatte.

Als Grundlage für die Lieferungen legte die Klägerin später einen Vertrag Nr. X vor, den sie mit dem übergeordneten, zentral für die Einkäufe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland zuständigen Handelsunternehmen A abgeschlossen hatte. In diesem Vertrag waren als Liefergegenstand Zigaretten verschiedener Marken in unbestimmter Menge und als Warenempfänger verschiedene Handelsunternehmen der sowjetischen Truppen, darunter das Handelsunternehmen B, vereinbart. Die Bestellungen des Handelsunternehmens B im Einzelfall erfolgten telefonisch aufgrund von Angebotslisten der Klägerin über einen eingeschalteten Vermittler. Dieser gab die Bestellungen an die Klägerin weiter und begleitete die mit LKW beförderte Ware zur Kaserne. Er meldete jeweils die Lieferung beim Wachtposten an, woraufhin dieser telefonisch das auf dem Kasernengelände befindliche Handelsunternehmen B benachrichtigte und anfragte, ob eine Lieferung erwartet werde. Anschließend wurden Waren und Begleiter eingelassen und zum Lager des Handelsunternehmens geführt. Dort wurden die Waren dann unter Aufsicht eines sowjetischen Offiziers abgeladen und eingelagert. Danach begab sich der Vermittler in das Büro des Handelsunternehmens und ließ dort die Abwicklungsscheine unterzeichnen und stempeln. Bei der Lieferung mit dem Zollbeleg (a) war der zuständige Offizier nicht erreichbar, weshalb der Vermittler veranlaßte, daß der Abwicklungsschein mit einem Boten zum übergeordneten Handelsunternehmen A nach ... gebracht und dort nach Rücksprache für dieses Handelsunternehmen unterzeichnet und gestempelt wurde. Die an das Handelsunternehmen B gerichteten Warenrechnungen wurden jeweils wenige Tage später durch Einzahlung auf ein Konto der Klägerin bei der X- Bank beglichen.

In dem Bericht vom ... Dezember 1991 über die bei der Klägerin durchgeführte Außenprüfung, deren Gegenstand u. a. auch die genannten drei Zigarettenlieferungen an die sowjetischen Truppen waren, heißt es insoweit, es gebe keine Hinweise, daß die direkt gelieferten Zigaretten nicht ordnungsgemäß von der Truppe übernommen worden seien.

Nachdem der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt -- HZA --) aufgrund einer Mitteilung vom ... September 1992 an den Bundesminister der Finanzen (BMF), die im Rahmen eines Nachprüfungsersuchens des HZA über den BMF an die sowjetischen Streitkräfte ergangen war, erfahren hatte, daß die Einfuhren nicht vom Handels- und Dienstleistungsunternehmen B übernommen worden seien, setzte das HZA nach Anhörung der Klägerin für die genannten Warensendungen mit drei Steuerbescheiden Eingangsabgaben (Zoll-EURO, Tabaksteuer, Einfuhrumsatzsteuer) in Höhe von insgesamt ... DM fest. Der hiergegen erhobene Einspruch blieb erfolglos.

Dagegen hatte die Klage Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, es sei zwar zweifelhaft, ob die mit den angefochtenen Bescheiden festgesetzte Abgabenschuld entstanden sei. Darüber brauche aber nicht abschließend entschieden zu werden, weil das HZA die etwa nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung (EWG) Nr. 2144/87 (ZollschuldVO) des Rates vom 13. Juli 1987 über die Zollschuld (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -- ABlEG -- Nr. L 201/15) entstandenen Abgaben, für die die Klägerin Abgabenschuldnerin geworden wäre, nicht hätte nacherheben dürfen.

Weil, wie das FG im einzelnen ausgeführt hat, feststehe, daß die Klägerin die Zigaretten an die sowjetischen Streitkräfte geliefert habe, komme im Streitfall die Enstehung der Abgabenschuld nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. d ZollschuldVO nur in Betracht, wenn

-- Voraussetzung für die Abgabenbefreiung für Warenlieferungen an die sowjetischen Truppen das Vorliegen eines schriftlichen Vertrags mit einer amtlichen Beschaffungsstelle über jede Einzellieferung sei und das Vorliegen eines Rahmenvertrags insoweit nicht ausreichend oder -- sollte ein Rahmenvertrag genügen -- der Vertrag der Klägerin mit dem Handelsunternehmen A vom ... 1991 wegen eines falschen Dienstsiegels unwirksam sei

-- Voraussetzung für die Abgabenbefreiung für Warenlieferungen an die sowjetischen Truppen die Beachtung des Barzahlungsverbots nach §3 Abs. 2 der Anordnung zur Zoll- und Verbrauchsteuerentlastung von Waren, die an die Westgruppe der Streitkräfte der UdSSR geliefert werden (AnO) vom 29. August 1990 (Gesetzblatt der DDR -- GBl DDR -- Teil I 1990, 1608) sei

-- (nur hinsichtlich der Lieferung mit dem Zollbeleg (a)) die Empfangsbestätigung vom ... 1991 auf dem Abwicklungsschein ein falsches Dienstsiegel trage.

Da das HZA die streitigen Abgaben zunächst nicht erhoben sowie die geleisteten Sicherheiten freigegeben und die Abgaben erst mit den angefochtenen Steuerbescheiden festgesetzt habe, handele es sich um eine sog. Nacherhebung i. S. des Art. 220 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex -- ZK --) des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften vom 12. Oktober 1992 (ABlEG Nr. L 302/1), der für die Einfuhrumsatzsteuer und für die Tabaksteuer sinngemäß gelte (§21 Abs. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1991 -- UStG --, §10 Abs. 1 und 2 des Tabaksteuergesetzes 1980 -- TabStG --). Die Nacherhebung sei aber ausgeschlsosen, weil die Voraussetzungen des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK, wie das FG im einzelnen ausführt, erfüllt seien.

Mit der vom FG zugelassenen Revision macht das HZA u. a. geltend, das FG habe die Kompetenz der EG-Kommission verletzt, gemäß Art. 871 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 (Zollkodex-Durchführungsverordnung -- ZKDVO --) der Kommission mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften vom 2. Juli 1993 (ABlEG Nr. L 253/1) über das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Absehen von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung zu entscheiden. Außerdem trügen die Feststellungen des FG dessen Entscheidung nicht, daß die Voraussetzungen für ein Absehen von der Nacherhebung vorlägen. Das FG hätte die Frage, ob und ggf. welche Pflichtverletzungen der Klägerin vorzuwerfen seien, klären müssen, bevor es sich mit der Frage habe auseinandersetzen dürfen, ob die Voraussetzungen des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK vorlägen. Im übrigen lägen auch die Voraussetzungen des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK im Streitfall nicht vor.

Im übrigen rügt das HZA die Verletzung von Art. 16 Abs. 1 und 2 Abzugsvertrag und von §§2 und 3 AnO.

Das HZA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und den Rechtsstreit zur Entscheidung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) an das FG zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision des HZA zurückzuweisen.

Das Vorbringen des HZA sei nicht geeignet, das Urteil des FG in Zweifel zu ziehen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des HZA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und, weil die Sache spruchreif ist, zur Abweisung der Klage (§126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

1. Rechtsfehlerfrei hat das FG erkannt, daß Art. 2 Abs. 1 Buchst. d ZollschuldVO die maßgebende Vorschrift für die Entstehung der Zollschuld im Zeitpunkt der Lieferung der Zigaretten durch die Klägerin war, und diese Vorschrift sinngemäß auch für die Einfuhrumsatzsteuer und die Tabaksteuer gilt (§21 Abs. 2 Satz 1 UStG und §10 Abs. 1 und 2 TabStG jeweils in der 1991 geltenden Fassung). Danach entsteht die Einfuhrzollschuld, wenn eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei eingangsabgabenpflichtigen Waren aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens ergeben, in das die Waren übergeführt worden sind.

Richtig ist auch, daß sich im Streitfall die Pflichten der Klägerin, auf deren Antrag die Waren zur Lieferung an die ausländischen Streitkräfte abgefertigt wurden, aus der AnO ergaben. Zwar hat die Zollstelle in der Bewilligung des Verteilerverwendungsverkehrs auf §1 TruZO verwiesen. Da aber sowohl die TruZO wie auch das ihr zugrundeliegende Truppenzollgesetz auf die sowjetischen Streitkräfte nicht anwendbar sind (vgl. Senatsbeschluß vom 31. August 1993 VII B 80/93, BFH/NV 1994, 210), hat das FG richtig erkannt, daß sich das Verfahren im Streitfall (im folgenden ebenfalls als Verteilerverwendungsverkehr bezeichnet) ausschließlich nach der AnO richtet, weil die Lieferung an die sowjetischen Streitkräfte von einem Gebiet aus erfolgt ist, daß außerhalb des Aufenthaltsgebiets dieser Streitkräfte in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) lag (vgl. Senatsbeschluß in BFH/NV 1994, 210).

2. Aufgrund der von der Vorinstanz getroffenen Feststellungen (Abschn. 1 Buchst. a und b der Entscheidungsgründe), gegen die das HZA keine Verfahrensrügen erhoben hat und die den Senat daher gemäß §118 Abs. 2 FGO binden, steht ferner fest, daß die Zigaretten in allen drei Fällen an das Handelsunternehmen B der sowjetischen Streitkräfte ausgeliefert wurden.

Anders als das FG meint, steht damit aber nicht fest, daß die Zigaretten in die Truppenverwendung nach §3 Abs. 3 AnO übergegangen sind. Dazu war erforderlich, daß die an das Handelsunternehmen übergebenen Zigaretten aufgrund eines entsprechenden Auftrages der Streitkräfte für den Gebrauch oder Verbrauch durch die Streitkräfte, die ihnen angehörenden Personen oder deren Angehörige geliefert wurden (§2 Satz 1 AnO) und dies nach §2 Satz 2 AnO durch einen Abwicklungsschein entsprechend dem in der Anlage zur AnO vorgeschriebenen Muster bestätigt wurde (vgl. Senatsurteil vom 16. Juli 1996 VII R 97/94, BFH/NV 1997, 79 unter Nr. 3). Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so ist nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. d ZollschuldVO die Zollschuld entstanden, weil die Klägerin ihre Pflichten aus dem ihr im Rahmen der AnO bewilligten Zollverfahren nicht vollständig erfüllt hat. Ob dies der Fall ist, kann im Gegensatz zur Auffassung des FG nicht dahingestellt bleiben, weil die Voraussetzungen des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK für ein Absehen von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung nicht vorliegen (s. dazu unten unter 4.).

3. In den hier streitigen drei Fällen ist die Zollschuld entstanden, weil die von der Klägerin vorgelegten Abwicklungsscheine mangels Bezugnahme auf einen mit den Streitkräften abgeschlossenen schriftlichen Liefervertrag nicht bestätigen, daß die Zigaretten in Übereinstimmung mit den in §2 Satz 1 AnO festgelegten Voraussetzungen geliefert und von dem betreffenden Handelsunternehmen übernommen worden sind.

a) Der Senat hat bereits entschieden, daß nach §2 Satz 1 AnO eine der Voraussetzungen für die abgabenbegünstigte Lieferung an die Streitkräfte das Vorhandensein eines schriftlichen Vertrages mit einer amtlichen Beschaffungsstelle oder einem Handelsunternehmen der sowjetischen Streitkräfte ist (vgl. Senatsurteile in BFH/NV 1997, 79, und vom 4. Juni 1996 VII R 92/95, BFH/NV 1996, 942). Er hat dies dem Muster des Abwicklungsscheins entnommen, der Bestandteil der AnO als Rechtsnorm ist und dessen mit "Lieferschein" überschriebenen 1. Teil "Datum und Nr. des Vertrags" anzugeben sind. Diesem Muster entsprechend muß auf den schriftlichen Vertrag in dem Abwicklungsschein Bezug genommen werden, um damit die Verbindung zwischen Vertrag und tatsächlicher Lieferung herzustellen. Zweck der Regelung ist es, den möglichen Mißbrauch der den sowjetischen Streitkräften eingeräumten Abgabenvergünstigung durch fingierte Lieferungen an die Streitkräfte oder durch Lieferungen an den für deren Kontrolle zuständigen Stellen vorbei zu verhindern.

b) Da die Angabe eines schriftlichen Vertrages in den von der Klägerin zur Bestätigung ihrer Lieferungen vorgelegten drei Abwicklungsscheinen fehlt, sind diese unzureichend und nicht geeignet, die ordnungsgemäße Lieferung an die sowjetischen Streitkräfte zu bestätigen. Der Senat hat zwar die Meinung vertreten, daß kleinere Mängel des Abwicklungsscheins unschädlich sein können, wenn sich im Einzelfall ergibt, daß die begünstigte Verwendung der Lieferungen nicht in Zweifel zu ziehen ist (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 1996, 942). Bei der fehlenden Angabe über den der Lieferung zugrundeliegenden Vertrag handelt es sich jedoch nicht um einen solchen zu vernachlässigenden Mangel, sondern um einen schwerwiegenden Fehler. Denn ohne die Angabe des der Lieferung zugrundeliegenden schriftlichen Vertrages kann der Abwicklungsschein seinen Zweck nicht erfüllen zu bestätigen, daß die Ware aufgrund eines bestimmten schriftlichen Vertrages geliefert und von der zuständigen Stelle der Streitkräfte in Empfang genommen worden ist.

c) Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß sich die Erfüllung der in §2 Satz 1 AnO festgelegten Voraussetzungen auf andere Weise nachweisen läßt. Das Nachprüfungsersuchen des BMF ist nach den Feststellungen des FG negativ verlaufen. Nach den unwidersprochen gebliebenen Feststellungen des FG enthält der schriftliche Rahmenvertrag Nr. X mit dem Handelsunternehmen A keine Vereinbarung über die zu liefernden Mengen an Zigaretten. Die Einzelaufträge für die jeweiligen Lieferungen sind nicht schriftlich, sondern mündlich durch den Vermittler erteilt worden, so daß sich keine Verbindung der jeweiligen Lieferungen zu dem Rahmenvertrag durch die Vorlage schriftlicher, von dem Handelsunternehmen erteilter Einzelaufträge herstellen läßt. Weiterhin ist das Barzahlungsverbot (§3 Abs. 2 AnO) nicht beachtet worden, so daß sich auch aus einer Rückverfolgung des Zahlungsvorgangs (z. B. Zahlung durch eine zuständige Stelle der Streitkräfte) keine Anhaltspunkte dafür ergeben können, daß die Zigaretten aufgrund eines mit den Streitkräften geschlossenen Vertrages zur Verwendung durch die Streitkräfte oder durch begünstigte Personen geliefert worden sind. Der Senat braucht daher nicht zu entscheiden, ob der Nachweis, daß die Lieferung aufgrund eines schriftlichen Vertrages mit den Streitkräften erfolgte, ausnahmsweise auch anders als durch einen insoweit ordnungsgemäß ausgefüllten Abwicklungsschein hätte geführt werden dürfen.

Das Fehlen eines anderen Nachweises für die ordnungsgemäße Durchführung des Verteilerverwendungsverkehrs (Lieferung der Waren aufgrund eines schriftlichen Liefervertrages) durch die Klägerin führt schließlich auch dazu, daß die Ausnahmeregelung des Art. 2 Abs. 1 Buchst. d letzter Halbsatz ZollschuldVO (" ... , es sei denn, ... ") -- anders als das FG meint -- nicht zum Zuge kommen kann.

4. Die Vorinstanz hat rechtsfehlerhaft das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Absehen von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung bejaht.

a) Etwaigen Zweifeln darüber, ob im Streitfall insoweit noch Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 (NacherhebungsVO) des Rates vom 24. Juli 1979 betreffend die Nacherhebung (ABlEG Nr. L 197/1) anzuwenden ist, weil die Zollstelle die Zigaretten bereits im Jahre 1991 abgabenfrei belassen hat, oder das im wesentlichen seit dem 1. Januar 1994 geltende Zollkodexrecht anzuwenden ist, weil die nachträgliche buchmäßige Erfassung erst im Zusammenhang mit dem angefochtenen Steuerbescheid vom 14. Juli 1994 stattgefunden hat (vgl. zum maßgebenden Recht Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung -- VSF -- N 12 94 Nr. 74), braucht der Senat nicht weiter nachzugehen. Denn die für den Streitfall maßgebenden Vorschriften sind jeweils inhaltlich gleichlautend. Der Senat legt deshalb, wie das FG, seinen weiteren Ausführungen Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK zugrunde, der sinngemäß auch für die Einfuhrumsatzsteuer und die Tabaksteuer gilt (§21 Abs. 2 UStG 1993, §21 TabStG 1992).

b) Allerdings greifen die Bedenken des HZA dagegen, daß sich das FG überhaupt nicht mit der Frage befaßt hat, ob von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung abzusehen ist, weil es damit in die alleinige Entscheidungskompetenz der Kommission der Europäischen Gemeinschaften (KEG) eingegriffen habe, nicht durch.

Der Senat hat bereits zu Art. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 2164/91 (NacherhebungsDVO) der Kommission vom 23. Juli 1991 zur Durchführung des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates betreffend die Nacherhebung (ABlEG Nr. L 201/16), der dem inhaltlich gleichlautenden Art. 871 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften vom 2. Juli 1993 (ABlEG Nr. L 253/1) voranging, entschieden, daß diese Vorschrift das FG nicht an einem Urteil darüber hindert, ob die Voraussetzungen für das Absehen von einer nachträglichen buchmäßigen Erfassung vorliegen, wenn das HZA zuvor ihr Vorliegen ohne Einschaltung der KEG verneint hat (Senatsurteil vom 2. Mai 1991 VII R 117/89, BFH/NV 1992, 420; Beschluß vom 25. November 1997 VIII B 57/97, BFH/NV 1998, 670). Diese Rechtsprechung steht in Übereinstimmung mit der des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften -- EuGH -- (vgl. Urteile vom 26. Juni 1990 C-64/89, EuGHE I 1990, 2535, und vom 14. Mai 1996 C-153/94 und C-204/94, EuGHE I 1996, 2465). Die Ausführungen der Revision geben daher keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.

c) Das FG hat zutreffend einen "aktiven" Irrtum der Zollstelle i. S. des Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK in bezug auf das Erfordernis eines schriftlichen Vertrages und die Notwendigkeit darauf im Teil 1 des Abwicklungsscheins (Lieferschein) Bezug zu nehmen, bejaht.

Ein solcher nach der Rechtsprechung als eine Voraussetzung für das Absehen von einer nachträglichen buchmäßigen Erfassung erforderlicher aktiver Irrtum der Zollstelle liegt vor, wenn der Irrtum auf einem eigenen Handeln der Zollstelle beruht, nicht dagegen, wenn diese ihm nur unterlegen ist (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 1992, 420; EuGH-Urteil vom 27. Juni 1991 C-348/89, EuGHE I 1991, 3277).

Im Streitfall hat die Klägerin, wie das FG festgestellt hat, keine unzutreffenden Angaben über einen Vertrag in den Abwicklungsscheinen gemacht; vielmehr fehlten entsprechende Angaben in den Abwicklungsscheinen ganz. Die Zollstelle muß daher, wenn sie -- wie vom FG angenommen -- die Ordnungsmäßigkeit der Abwicklungsscheine geprüft und nicht beanstandet hat, davon ausgegangen sein, daß überhaupt kein schriftlicher Vertrag oder zumindest nicht dessen Inbezugnahme in den Abwicklungsscheinen als Voraussetzung für die ordnungsgemäße Abwicklung des Verwendungsverkehrs durch die Klägerin erforderlich gewesen ist. Da insoweit keine Verfahrensrügen erhoben worden sind, ist die aus der den Senat insoweit bindenden Feststellung des FG (§118 Abs. 2 FGO) gezogene Schlußfolgerung nicht zu beanstanden, daß sich die Zollstelle aktiv über das Vorliegen einer Voraussetzung für die Abgabenfreiheit der an die sowjetischen Streitkräfte gelieferten Zigaretten geirrt hat.

d) Dieser Irrtum der Zollstelle konnte jedoch keinen Vertrauensschutz zugunsten der Klägerin mit der Folge begründen, daß in den drei Fällen von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung der Abgaben gemäß Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK abzusehen war. Denn ein Irrtum der Zollstelle kann nur dann zu einem Vertrauensschutz für den Beteiligten führen, wenn dieser den Irrtum der Zollstelle unter Berücksichtigung der Art des Irrtums, seiner Erfahrung und der von ihm aufzuwendenden Sorgfalt nicht erkennen konnte (vgl. Senatsurteile vom 7. September 1993 VII R 128/92, BFH/NV 1994, 672, und in BFHE 172, 561; EuGH- Urteile vom 12. Dezember 1996 Rsn. C-47/95 usw., EuGHE I 1996, 6579; vom 1. April 1993 C-250/91, EuGHE I 1993, 1819; vom 16. Juli 1992 C-187/91, EuGHE I 1992, 4937; vom 26. Juni 1990 C-64/89, EuGHE I 1990, 2535, und vom 12. Juli 1989 161/88, EuGHE 1989, 2415).

Diese Voraussetzung ist im Streitfall -- anders als das FG meint -- nicht erfüllt. Aus §2 AnO in Verbindung mit dem in der Anlage zur AnO vorgeschriebenen Muster des Abwicklungsscheins war vielmehr zu entnehmen, daß ein schriftlicher Auftrag (Vertrag), auf den im Abwicklungsschein Bezug genommen werden mußte, für die abgabenfreie Lieferung der betreffenden Waren an die sowjetischen Streitkräfte erforderlich war. Nur so kann die in dem Abwicklungsschein Teil 1 (Lieferschein) verlangte Angabe von Datum und Nummer des Vertrages verstanden werden (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 1996, 942). Zu dieser Erkenntnis bedurfte es nicht höchstrichterlicher Entscheidungen; sie drängt sich vielmehr bei der Lektüre des Wortlauts der AnO, insbesondere des Musters des Abwicklungsscheins, ohne weiteres auf. Selbst wenn die Klägerin, wie das FG ausgeführt hat, mit den Direktlieferungen an die Gruppe gerade erst begonnen hatte, muß doch von ihr verlangt werden, daß sie sich vorher mit dem Inhalt der maßgebenden Vorschriften vertraut macht und auf deren Einhaltung selbst achtet. Auf den Umstand, daß sich die Zollstelle und selbst die Prüfer, die bei der Klägerin später die Abwicklung der Lieferungen überprüft haben, in dieser Hinsicht geirrt haben, kann sich die Klägerin angesichts dessen, daß sich das Erfordernis eines schriftlichen Vertrages und die Notwendigkeit seiner Inbezugnahme in den Abwicklungsscheinen deutlich aus der maßgebenden Rechtsvorschrift (AnO) ergibt, nicht berufen (vgl. EuGH in EuGHE I 1990, 2535).

Auch der Umstand, daß die Zollstelle die Klägerin auf §1 TruZO und in zwei Fällen sogar auf den völlig abwegigen Art. 16 des Einigungsvertrages verwiesen hat, vermag einen Vertrauensschutz nicht zu begründen, weil sich die Klägerin nicht darauf verlassen darf, daß solche in den Abfertigungspapieren gegebenen Hinweise richtig sind. Sie muß sich vielmehr selbst über die einschlägigen Rechtsnormen informieren. Unabhängig davon hätten der Klägerin schon aufgrund der Fassung der von ihr selbst verwendeten Abwicklungsscheine, die den durch die AnO vorgeschriebenen entsprachen, Zweifel kommen müssen, ob nicht doch Voraussetzung für die abgabenbegünstigte Lieferung ein schriftlicher Vertrag sei, auf den im Abwicklungsschein jeweils Bezug zu nehmen gewesen wäre. Diesen Zweifeln hätte die Klägerin, gerade wenn sie neu im Geschäft war, nachgehen und insoweit um sachkundige Auskunft bemüht sein müssen.

Im übrigen handelt es sich bei diesen Regeln auch nicht um wesentlich neue. Vielmehr gab es entsprechende bereits für die abgabenbegünstigte Lieferung an die nach dem NATO-Truppenstatut in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte (Art. 65 Abs. 1 Buchst. b des Zusatzabkommens zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik stationierten ausländischen Truppen, BGBl II 1961, 1218). Auch in diesem Fall war für die notwendige Empfangsbestätigung der Streitkräfte grundsätzlich ein Abwicklungsschein zu verwenden, dessen vorgeschriebenes Muster inhaltlich im wesentlichen dem durch die AnO vorgeschriebenen gleicht (vgl. VSF Z 63 05 Abs. 2, 10; VSF Z 64 95 Abs. 2). Lieferungen sind auch insoweit nur dann abgabenbegünstigt, wenn sie aufgrund von Verträgen erfolgen, die eine amtliche Beschaffungsstelle u. a. der Truppe geschlossen hat, und auf den jeweiligen Vertrag/Auftrag in dem Abwicklungsschein Bezug genommen wird, mit dem die Übernahme des Zollguts in die Truppenverwendung bestätigt wird (§2 TruZO).

5. Die Sache ist auch spruchreif, deshalb ist der Senat verpflichtet, über die Sache abschließend zu entscheiden.

Wie der Senat oben unter 3. ausgeführt hat, ist die Abgabenschuld nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. d ZollschuldVO entstanden und die Klägerin demgemäß nach Art. 5 der VO (EWG) Nr. 1031/88 (ZollschuldnerVO) des Rates vom 18. April 1988 über die zur Erfüllung der Zollschuld verpflichteten Personen (ABlEG Nr. L 102/5) Zollschuldnerin geworden. Ein Absehen von der buchmäßigen Erfassung kommt aus den vorgenannten Gründen (oben unter 4.) nicht in Betracht. Einwendungen gegen die Höhe der Abgabenschuld sind nicht geltend gemacht worden, so daß sich Feststellungen dazu erübrigen.

Das HZA hat zwar nur die Aufhebung der Vorentscheidung und die Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung beantragt. Dies hindert aber den Senat nicht daran, in der spruchreifen Sache durchzuerkennen (BFH-Urteile vom 27. September 1988 VIII R 98/87, BFHE 155, 91, BStBl II 1989, 229, und vom 18. Dezember 1970 VI R 313/68, BFHE 102, 202, BStBl II 1971, 591).

 

Fundstellen

Haufe-Index 67574

BFH/NV 1998, 1137

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