Leitsatz (amtlich)

Für die Beantwortung der Frage nach der Gemeinnützigkeit einer bestimmten Tätigkeit kommt es auf die Resonanz, die diese Tätigkeit bei den durch sie angesprochenen, betroffenen oder an ihr interessierten Personen findet, nicht an.

 

Normenkette

KStG § 4 Abs. 1 Nr. 6; StAnpG § 17

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtiger) gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 6 KStG gemeinnützigen Zwecken dient und deshalb von der Körperschaftsteuer befreit ist.

Der Steuerpflichtige, ein eingetragener Verein, erstrebt nach seiner Satzung "ausschließlich und unmittelbar die Förderung der Allgemeinheit durch Verbreitung der folgenden geistig-seelischen Werte:

Inneren Frieden,

Lösung von Spannungen,

Entwicklung geistiger Fähigkeiten,

Harmonie im Alltag,

Bewußtseinsentfaltung.

Diese Ziele sollen erreicht werden mit Hilfe der einfachen Technik der tiefen Meditation des ... Yogi ...

Mit der Vertiefung dieser geistig-seelischen Werte erstrebt der Verein die Verbreitung aller äußeren Werte wie Frieden auf jeder Ebene, z. B. auf der persönlichen, sozialen, nationalen und internationalen, sowie die Verständigung aller Völker auf Erden."

Zur Erreichung dieses Zweckes finden Zusammenkünfte statt, werden Kongresse und Kurse abgehalten und Reisen des ... Yogi sowie ausgebildeter Meditationsleiter in alle Länder der Erde veranstaltet.

Der Revisionskläger (das FA) hat den Steuerpflichtigen - nach vorübergehender Anerkennung seiner Gemeinnützigkeit - entsprechend einem Beschluß der Körperschaftsteuer-Referenten der obersten Finanzbehörden der Länder - für das Streitjahr (1967) nicht (mehr) als gemeinnützig anerkannt. Die wegen des (die Körperschaftsteuer auf 0 DM festsetzenden) Körperschaftsteuerbescheids 1967 unmittelbar zum FG erhobene Klage führte zur Anerkennung der Gemeinnützigkeit des Steuerpflichtigen und zu seiner Freistellung von der Steuerpflicht. Die Entscheidung des FG ist in den EFG 1970, 358 veröffentlicht. Gegen seine Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des FA mit dem Antrag, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen. Zur Begründung trägt das FA vor:

Im Streitfalle komme es angesichts der Untrennbarkeit von Mittel (Meditation) und Zweck (Förderung geistigseelischer Werte) letztlich allein darauf an, ob die Meditation selbst förderungswürdig sei. Da ihr unstreitig nicht nur ein persönlichkeitsfördernder, sondern - anerkanntermaßen - auch ein therapeutischer Wert zukomme, sei zu fragen, von welchen weiteren Voraussetzungen die Anerkennung der Gemeinnützigkeit abhängig zu machen sei. Der BFH habe im Urteil I 122/62 U vom 31. Oktober 1963 (BFH 78, 212, BStBl III 1964, 83) die Verneinung der Gemeinnützigkeit der Freikörperkultur auf ihre Ablehnung durch weite Kreise der Bevölkerung und ihre staatliche Duldung bei Ausschluß der Öffentlichchkeit gestützt. Daraus sei zu folgern, daß es für die Feststellung der Förderung der Allgemeinheit - da eine größere Verbreitung der Bewegung in der Bevölkerung die sittliche Wertigkeit der Freikörperkultur nicht verändert haben könne - nicht so sehr auf die Wertung einer Bewegung durch die Öffentlichkeit als auf ihre Verbreitung in der Öffentlichkeit ankomme. Damit hafte dem Begriff der Förderung der Allgemeinheit auch ein quantitatives Moment an. Wolle man (mit Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, Anm. 47 zu § 4 KStG) die Auffassung vertreten, daß auch eine kleine Gruppe entwicklungsfähig und damit als gemeinnützig anzuerkennen sei, so wäre die Finanzverwaltung wiederum gezwungen, Werturteile zu fällen. Ob eine Tätigkeit dem allgemeinen Besten nutze, sei - als Voraussetzung ihrer Anerkennung als gemeinnützig - dergestalt zu ermitteln, daß nach der Verbreitung, Resonanz oder Reaktion oder vergleichbaren Kriterien gesucht werde, die Schlüsse auf einen tatsächlichen Förderungserfolg für die Allgemeinheit zuließen. Im Streitfall könne die Frage so gestellt werden, ob die Verbreitung der Meditation bereits so weit fortgeschritten sei, daß sie als eine Förderung der Allgemeinheit bejaht werden könne. Der Steuerpflichtige habe 80 Mitglieder; in der BRD habe es im Streitjahr 6000 aktive Meditierende, in der Welt 90 000 aktive Meditierende gegeben. Diese Zahl reiche nicht aus, einen tatsächlichen Nutzen für die Allgemeinheit zu bejahen.

Der Steuerpflichtige hat keine Anträge gestellt.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

1. Die Zulässigkeit der Klage, die auch im Revisionsverfahren als allgemeine Prozeßvoraussetzung zu prüfen ist, ist trotz der Festsetzung der Steuer auf 0 DM gegeben. Der Senat nimmt insoweit auf die Begründung seines Beschlusses I B 34/69 vom 20. November 1969 (BFH 97, 281, BStBl II 1970, 133) Bezug.

2. Wie der BFH bereits mit Urteil III 91/53 vom 11. August 1961 (StRK, Steueranpassungsgesetz, § 17, Rechtsspruch 11) ausgesprochen hat, ist die Anerkennung der Gemeinnützigkeit ein deklaratorischer Akt, der grundsätzlich für jede Steuerart und für jeden Steuerabschnitt (Veranlagungszeitraum) oder Stichtag neu zu überprüfen ist.

Gemeinnützig sind nach § 17 Abs. 1 StAnpG solche Zwecke, durch deren Erfüllung ausschließlich und unmittelbar die Allgemeinheit gefördert wird. Eine solche Förderung der Allgemeinheit liegt nach § 17 Abs. 2 StAnpG nur dann vor, wenn die Tätigkeit des Steuerpflichtigen dem allgemeinen Besten auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet nutzt.

Entgegen der Auffassung des FG ist das FA der Ansicht, daß eine bestimmte, auf Erfüllung eines satzungsmäßig bestimmten Zweckes gerichtete Tätigkeit, die der Steuerpflichtige als eine Förderung der Allgemeinheit angesehen wissen will, nur dann gemeinnützig (dem allgemeinen Besten nutzend) sei, wenn im Hinblick auf diese Tätigkeit des Steuerpflichtigen (auch) das Vorliegen eines quantitativen Moments festgestellt werden könne, d. h. wenn diese Tätigkeit in der Bevölkerung oder auch nur in dem (noch) als Allgemeinheit anzusehenden Kreis der durch sie angesprochenen, betroffenen oder an ihr interessierten Personen Resonanz findet.

Auf das BFH-Urteil I 122/62 U (a. a. O.) kann sich das FA für diese seine Ansicht indes nicht berufen. Der BFH hat in diesem Urteil die Anerkennung der Tätigkeit des Steuerpflichtigen (Freikörperkultur) als gemeinnützig deshalb verneint, weil es das besondere Anliegen des Steuerpflichtigen war, daß die Benutzer seiner (insoweit der Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege sowie der körperlichen Ertüchtigung des Volkes durch Leibesübungen dienenden) Einrichtungen, die Teilnehmer an seinen Veranstaltungen als Ausdruck einer bestimmten Lebenshaltung keinerlei Kleidung tragen; allein aus diesem Grund fand die Tätigkeit des Steuerpflichtigen zu der der üblichen Turn- und Sportvereine keine Parallele. Der BFH stellte in der Begründung seiner Entscheidung darauf ab, daß im gegenwärtigen Zeitpunkt - und das gilt auch für den Zeitpunkt des Beschlusses I B 34/69 (a. a. O.) - bestimmte Bestrebungen (wie die der Freikörperkultur) von weiten Kreisen der Bevölkerung abgelehnt würden und eine ihrer Verwirklichung dienende Betätigung vom Staate zwar toleriert, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen unter Ausschluß der Öffentlichkeit zugelassen werde; darum sei nicht anzunehmen, daß sie nach der Volksanschauung als dem allgemeinen Besten auf geistigem oder sittlichem Gebiet nützlich anzusehen seien. Dieser Gedanke läßt sich auf den vorliegenden Streitfall nicht übertragen.

Anders als dem Gedanken der Freikörperkultur steht Gedanken wie denen, die der Steuerpflichtige nach seiner Satzung durch seine Tätigkeit fördert, ein großer Teil der von ihm angesprochenen Personen wohl indifferent, nicht aber ablehnend gegenüber, so daß sowohl vom Zwecke her als auch von der Zahl und dem (als Indiz für die Beurteilung gewerteten) Verhalten der angesprochenen Personen her der Nutzen dieser Tätigkeit für das allgemeine Beste nicht verneint werden kann.

Der Senat ist in der Tat der Meinung, daß - was Herrmann-Heuer (a. a. O.) kritisierend anmerken - sich die Rechtsprechung "jeweils mit einer Änderung der Meinung der Mehrheit des Volkes" ändern könne, sofern man unter der Mehrheit des Volkes hier den Kreis der von einer als gemeinnützig oder nicht gemeinnützig zu beurteilenden Tätigkeit angesprochenen Personen versteht. Wenngleich es auf die "kaum zu ermittelnde Ansicht der Mehrheit des Volkes" für die Entscheidung nicht ankommen kann (BFH-Urteil I 122/62 U, a. a. O.), so kann sie doch als Indiz für die Frage nach einem möglichen Nutzen einer Tätigkeit für das allgemeine Beste herangezogen werden, wenn sie offensichtlich, d. h. allgemeinkundig ist.

Anders als die Verkehrsauffassung, deren Feststellung - falls nicht gerichtsbekannt - gegebenenfalls der Beweiserhebung (bis zur Meinungsumfrage) bedarf (vgl. Urteil des BGH I ZR 43/61 vom 13. Juli 1962, DB 1962, 1433; BFH-Urteil V 147/62 U und 248/63 U vom 16. Dezember 1965, BFH 85, 346, BStBl III 1966, 334, bedürfen allgemeinkundige Tatsachen keines Beweises (§ 291 ZPO, § 155 FGO). Allgemeinkundig in diesem Sinne sind nicht nur anerkannte wissenschaftliche Wahrheiten, sondern auch widerspruchslos veröffentlichte, auch dem besonnen Wägenden glaubhafte Mitteilungen und Ergebnisse von Repräsentativbefragungen. So verstanden können allgemeinkundige Tatsachen dem Gericht als Indiz für sein Urteil darüber dienen, ob eine Tätigkeit nach Ansicht des von ihr angesprochenen, betroffenen oder an ihr interessierten Personenkreises dem allgemeinen Besten nutzt oder nicht.

Der erkennende Senat konnte deshalb, ohne auf die "kaum zu ermittelnde Ansicht der Mehrheit des Volkes" abzuheben, im Urteil I 122/62 U (a. a. O.) und im Beschluß I B 34/69 (a. a. O.) auf Grund der allgemeinkundigen Tatsache, daß der Gedanke der Freikörperkultur (noch) in weiten Kreisen der Bevölkerung abgelehnt wird, die auf die Förderung der Freikörperkultur gerichtete Tätigkeit des Steuerpflichtigen als dem allgemeinen Besten nicht nutzend beurteilen, ohne daß daraus der Schluß gezogen werden dürfte, dem Begriff der Förderung der Allgemeinheit sei auch ein quantitatives Moment (gemessen an der Resonanz der in Rede stehenden Tätigkeit des Steuerpflichtigen) wesenseigen.

3. Im Streitfall bieten weder der durch die Tätigkeit des Steuerpflichtigen geförderte Zweck noch das zu seiner Verwirklichung eingesetzte Mittel der Meditation noch die Verknüpfung von Zweck und Mittel miteinander Anlaß zu einer Beanstandung der angefochtenen Entscheidung des FG. Auf das vom FA angeführte Moment der quantitativen Resonanz kommt es nicht an. Die Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfüllt danach die Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413110

BStBl II 1972, 440

BFHE 1972, 534

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