Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Steuerpflichtiger kann sich darauf, daß das Finanzamt bei Unterlassung von Ermittlungen nach Treu und Glauben eine Tatsache als bekannt gegen sich gelten lassen muß, nur berufen, wenn er zuvor seiner Pflicht nachgekommen ist, im Rahmen des Zumutbaren dem Finanzamt die wesentlichen Tatsachen darzulegen. Der Senat tritt der Entscheidung des VI. Senats VI 296/57 S vom 5. Dezember 1958 (BStBl 1959 III S. 86) bei.

Zum Umfang der Darlegungspflicht der Steuerpflichtigen.

 

Normenkette

AO § 222 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerin (Bfin.), eine OHG, hatte ein Gebäude, das teilweise für ihren Betrieb und teilweise für Wohnzwecke der Gesellschafter genutzt wurde, in ihren Bilanzen stets als Betriebsvermögen ausgewiesen. In der Bilanz vom 31. Dezember 1952 verminderte sie den bisherigen Buchansatz um einen "Privatanteil" von 40 v. H. des Buchwerts. Bei der Betriebsprüfung im September 1954 wurde festgestellt, daß das Grundstück durch notariellen Vertrag vom 23. Mai 1953 der Stadt B. übertragen worden war. Im Vertrag vom 13. Juni 1953 war eine Entschädigung von 320.000 DM vereinbart worden. Das Finanzamt nahm an, der Grundstücksanteil von 40 v. H. habe zum 31. Dezember 1952 nicht zum Buchwert entnommen werden dürfen. Es errechnete einen Entnahmegewinn und erhöhte den Gewinn für 1952 von 27.137 DM durch einen berichtigten Feststellungsbescheid auf 128.547 DM. Der Einspruch blieb erfolglos. Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück. Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) wird unter anderem geltend gemacht, es hätten keine neuen Tatsachen im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) vorgelegen, so daß die Berichtigung des früheren Feststellungsbescheids unzulässig gewesen sei. Die Entnahme des Grundstücksanteils zum Buchwert habe das Finanzamt aus der eingereichten Bilanz vom 31. Dezember 1952 erkennen können. Es sei über diesen Punkt vor der Veranlagung auch mit dem Sachbearbeiter gesprochen worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. ist nicht begründet.

Ohne Rechtsverstoß konnten die Vorinstanzen annehmen, daß die Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO für die Berichtigung es Feststellungsbescheids für 1952 erfüllt waren. In der Bilanz der Bfin. vom 31. Dezember 1952, die der Gewinnerklärung der Bfin. für 1952 beigefügt war, waren zwar je 40 v. H. vom Gebäude und Grundstück als "Privatanteil" abgeschrieben. Neu im Sinne des § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO ist eine Tatsache nur, wenn sie den für die Veranlagung zuständigen Beamten bei der Veranlagung nicht bekannt war (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 143/56 U vom 10. Juli 1958, BStBl 1958 III S. 365, Slg. Bd. 67 S. 239). Aus der Tatsache, daß die Bfin. die erwähnte Angabe in ihrer Bilanz gemacht hat, kann aber keineswegs geschlossen werden, daß die maßgebenden Beamten des Finanzamts bei der einheitlichen Gewinnfeststellung für 1952 (ß 215 AO) tatsächlich erkannt haben, daß ein Teil des Betriebsgrundstücks zum Buchwert in das Privatvermögen der Gesellschafter überführt worden war und daß der Teilwert des Grundstücks ein Vielfaches des Buchwerts betrug, mit anderen Worten, daß sie in voller Kenntnis der tatsächlichen Vorgänge eine rechtliche Fehlentscheidung getroffen haben. Es ist unwahrscheinlich, daß einem erfahrenen Finanzbeamten Rechtsfehler dieser Art unterlaufen. Die auf Erfahrung gestützte Vermutung spricht vielmehr im allgemeinen dafür, daß den Beamten bei der Veranlagung das tatsächliche Geschehen überhaupt nicht ins Bewußtsein getreten ist. Im Streitfall wird diese Vermutung dadurch gestützt, daß nach dem Aktenvermerk vom 6. April 1954 eine Besprechung des Sachgebietsleiters mit dem Gesellschafter Ernst K. und seinem Steuerberater stattgefunden hat. Bei dieser Besprechung hat der Beamte die Erschienenen darauf hingewiesen, daß für die Berechnung des Entnahmegewinns der Teilwert maßgebend sei und bei der Gewinnfeststellung für 1952 das von der Stadt zu zahlende Entgelt nicht bekannt gewesen sei. Damals sind offenbar alle Beteiligten davon ausgegangen, daß den Finanzbeamten die wirklichen Vorgänge bisher nicht bekannt waren.

Die Bfin. nimmt an, das Finanzamt müsse es sich nach Treu und Glauben entgegenhalten lassen, wenn es durch Unterlassung von Ermittlungen vor der Veranlagung den Sachverhalt nicht aufgeklärt habe, obgleich bei dem Hinweis in der Bilanz ein ausreichender Anlaß zur Vornahme von Ermittlungen bestanden habe. Es kann im Streitfall dahingestellt bleiben, unter welchen Voraussetzungen das Kennenmüssen einer Tatsache dem Kennen der Tatsache gleichsteht und das Finanzamt durch Berufung auf das Nichtkennen den Grundsatz von Treu und Glauben verletzt. Denn auf Treu und Glauben kann sich nur berufen, wer selbst in jeder Hinsicht diesem Grundsatz gemäß gehandelt hat. Deshalb kann ein Steuerpflichtiger unzureichende Ermittlungen des Finanzamts nicht rügen, wenn er selbst seiner Erklärungspflicht nicht in zumutbarem Umfang nachgekommen ist. Diesen Gedanken hat der VI. Senat des Bundesfinanzhofs in seiner Entscheidung VI 296/57 S vom 5. Dezember 1958 (BStBl 1959 III S. 86) unter Darstellung der Rechtsprechung auch anderer Senate des Bundesfinanzhofs betont. Der erkennende Senat tritt den Rechtsgrundsätzen der Entscheidung VI 296/57 S, a. a. O., bei.

Im Streitfall hat die Bfin. bei der Gewinnerklärung für 1952, die am 4. Dezember 1953 dem Finanzamt eingereicht wurde, weder die Tatsache des Grundstücksverkaufs noch die Höhe des Entgelts angegeben, obgleich diese Vorgänge damals längst abgeschlossen waren. Angaben darüber konnten von der Bfin. billigerweise erwartet werden, wenn sie das Finanzamt verbindlich in der Frage der steuerlichen Beurteilung des Entnahmevorgangs festlegen wollte. Dem kann die Bfin. nicht mit dem Einwand begegnen, die Veräußerung falle erst in das Jahr 1953. Die Entnahmebuchung ist zweifellos gemacht worden, weil die Veräußerung bei Aufstellung der Bilanz für 1952 bereits stattgefunden hatte und ein Teil des Veräußerungsgewinns der Einkommensbesteuerung entzogen werden sollte. Unter diesen Umständen entsprach es nicht der zumutbaren Aufklärung, wenn die Bfin. in ihren Erklärungen mehr oder weniger verschleiert die Privatentnahme andeutete, um nachher dem Finanzamt entgegenhalten zu können, es hätte Zweifel bekommen und dann aufklären müssen. Unter den obwaltenden Umständen konnte von der Bfin. eine klare Sachdarstellung erwartet werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409282

BStBl III 1959, 221

BFHE 1959, 581

BFHE 68, 581

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