Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Rechtsbehelfsbelehrung, wenn das FA als Revisionskläger einen Änderungsbescheid erläßt

 

Leitsatz (NV)

Hat der Kläger vor dem FG obsiegt und erläßt das FA als Revisionskläger im Verlaufe des Verfahrens einen Änderungsbescheid, so ist eine diesem beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung irreführend, wenn ausgeführt wird, daß "Ihre Revision" unzulässig wird, wenn weder Einspruch eingelegt noch der Antrag nach §68 FGO gestellt wird.

 

Normenkette

FGO §§ 68, 55 Abs. 2, § 127

 

Tatbestand

Mit Bescheid vom 11. März 1992 wurde für die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) für 1990 Einkommensteuer in Höhe von ... DM festgesetzt. Der Bescheid erging u. a. zum Grundfreibetrag gemäß §165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) vorläufig. Den Einspruch vom 16. März 1992, mit dem sich die Kläger gegen die ihrer Ansicht nach verfassungswidrige Besteuerung des Existenzminimums wandten, wies der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) mit Entscheidung vom 10. Juni 1992 zurück.

Mit der Klage beantragten die Kläger, die Einspruchsentscheidung ersatzlos aufzuheben, da sie nicht hinreichend bestimmt sei. Für den Fall, daß dem nicht entsprochen würde, stellten sie verschiedene Hilfsanträge. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit der Begründung statt, daß die Einspruchsentscheidung nicht den Bestimmtheitsanforderungen des §119 AO 1977 entsprochen habe.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von §119 AO 1977.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Das FA hat im Verlaufe des Revisionsverfahrens den Änderungsbescheid vom 28. Februar 1995 erlassen, in welchem bei unveränderter Steuerschuld im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden andere Punkte für vorläufig erklärt wurden. Dem Bescheid war eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt, in der zunächst die Möglichkeit, Einspruch einzulegen, erörtert und sodann ausgeführt wird: "Sie können innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieses Bescheids beim BFH beantragen (§68 der Finanzgerichtsordnung), diesen Bescheid zum Gegenstand des anhängigen Revisionsverfahrens zu machen; ein Einspruch erübrigt sich dann. Wird weder Einspruch eingelegt noch der Antrag nach §68 FGO gestellt, wird mit Ablauf der Rechtsbehelfsfrist Ihre Revision unzulässig."

Mit Schriftsatz vom 9. Juni 1995, eingegangen am 12. Juni 1995, beantragten die Kläger, den geänderten Einkommensteuerbescheid 1990 vom 28. Februar 1995 zum Gegenstand des Verfahrens zu machen und weiterhin, die Revision zurückzuweisen.

Wegen der eingetretenen Rechtsunsicherheit sei festzustellen, daß das durch das Einspruchsschreiben vom 16. März 1992 in Gang gesetzte Einspruchsverfahren durch den Änderungsbescheid vom 28. Februar 1995 abgeschlossen worden sei. Für den Fall, daß die Revision nicht zurückzuweisen sei, werde hilfsweise beantragt festzustellen, daß mit dem Änderungsbescheid vom 28. Februar 1995 die Einspruchsentscheidung vom 10. Juni 1992 insoweit geändert/aufgehoben worden sei.

Die Kläger gehen davon aus, daß die Monatsfrist wegen Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung nicht in Gang gesetzt worden sei. Ein Einspruch ist nicht eingelegt worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§127 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

1. Der Änderungsbescheid vom 28. Februar 1995 ist auf Antrag der Kläger gemäß §68 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden. Zwar ist die Monatsfrist des §68 Satz 2 FGO nicht eingehalten worden. Dies ist jedoch unerheblich, weil die Belehrung irreführend war und der Antrag innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe des neuen Bescheides gestellt worden ist (Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 24. Januar 1995 IX R 22/94, BFHE 176, 315, BStBl II 1995, 328; vom 26. Oktober 1995 XI R 26/94, BFH/NV 1996, 444, und vom 17. April 1996 X R 98/95, BFH/NV 1996, 900).

Die in §68 Satz 3 FGO vorgeschriebene Belehrung über die Frist des §68 Satz 2 FGO verfolgt wie die Regelung des §55 Abs. 2 Satz 1 FGO den Zweck, den Betroffenen bei unterbliebener oder unrichtiger Belehrung zu schützen. Deshalb wendet die Rechtsprechung §55 Abs. 2 Satz 1 FGO auf §68 Satz 3 FGO entsprechend an (BFHE 176, 315, BStBl II 1995, 328). Eine Rechtsmittelbelehrung ist auch dann i. S. von §55 Abs. 2 FGO unrichtig, wenn zwar die einzuhaltende Frist als solche zutreffend angegeben ist, die Belehrung aber einen irreführenden Zusatz enthält, der auf eine Erschwerung der Einlegung des Rechtsmittels hinausläuft.

So verhält es sich im Streitfall. Durch den Zusatz, daß "Ihre Revision unzulässig (wird)", wenn innerhalb der Monatsfrist weder Einspruch eingelegt noch der Antrag nach §68 FGO gestellt werde, konnte bei den Klägern der irreführende (dazu unten) Eindruck erweckt werden, sie könnten untätig bleiben, ohne Rechtsnachteile befürchten zu müssen. Da die Kläger nicht Revisionsführer waren, konnten sie den Hinweis auf "Ihre Revision" nur dahingehend verstehen, daß die Revision, an der sie als Revisionsbeklagte Verfahrensbeteiligte sind, unzulässig würde, was zur Folge gehabt hätte, daß das Urteil des FG, in welchem sie obsiegt hatten, Bestand haben würde. Die durch den Zusatz möglicherweise hervorgerufene Auffassung, ein vor dem FG erfolgreicher Kläger brauche bei einer Revision des FA auf einen Änderungsbescheid nicht zu reagieren, ist deswegen irrig, weil für den Fall, daß weder Einspruch eingelegt, noch ein Antrag nach §68 FGO gestellt wird, auf die Revision des FA die Klage als unzulässig abzweisen ist (BFH- Urteil vom 9. August 1991 III R 41/88, BFHE 166, 1, BStBl II 1992, 219; vgl. auch BFH-Urteil vom 17. Oktober 1990 I R 36/88, BFH/NV 1991, 835).

2. Da der Änderungsbescheid vom 28. Februar 1995 Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden ist, kann über den bisherigen Verfahrensgegenstand -- den geänderten Bescheid vom 11. März 1992 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. Juni 1992 -- nicht mehr entschieden werden; dessen Wirkungen sind durch den Änderungsbescheid überdeckt worden (BFH-Beschluß vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231; BFH-Urteil vom 27. Oktober 1992 VIII R 41/89, BFHE 170, 1, BStBl II 1993, 569, 572 re. Sp. unten). Das hierzu ergangene Urteil ist gegenstandslos geworden (BFH-Urteil vom 24. November 1988 V R 30/83, BFHE 155, 210, BStBl II 1989, 210). Nachdem Gegenstand des Revisionsverfahrens nur noch der Änderungsbescheid ist, besteht für eine Überprüfung des geänderten Bescheides bzw. der ihn bestätigenden Einspruchsentscheidung auch kein Rechtsschutzinteresse mehr. Die Sache wird gemäß §127 FGO an das FG zurückverwiesen, damit die Kläger Gelegenheit erhalten darzulegen, inwiefern sie der Änderungsbescheid vom 28. Februar 1995 in ihren Rechten verletzt (§40 Abs. 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 66986

BFH/NV 1998, 592

DStRE 1998, 374

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