Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtigkeit des Verwaltungsakts bei nicht bestimmbarem Inhaltsadressaten

 

Leitsatz (NV)

Lässt sich der Inhaltsadressat eines Verwaltungsakts auch durch Auslegung anhand der dem Betroffenen bekannten Umstände nicht hinreichend sicher bestimmen, ist der Verwaltungsakt nichtig.

 

Normenkette

AO 1977 § 119 Abs. 1, § 125 Abs. 1

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) bzw. deren Rechtsvorgänger waren im Streitjahr 1980 Kommanditisten der I-KG. Gegenstand dieser Gesellschaft, deren alleinige persönlich haftende Gesellschafterin die I-GmbH war, sollte insbesondere der Erwerb von Grundstücken sowie deren Bebauung und anschließende Vermietung sein. Nach dem Gesellschaftsvertrag sollte jedes Grundstück der I-KG mit den dazugehörigen Bauvorhaben ein Sondervermögen innerhalb der Gesellschaft bilden. Ein Kommanditist mußte sich entscheiden, zu welchem Sondervermögen seine Beteiligung gehören sollte. Die einem Sondervermögen zugehörigen Kommanditisten sollten eine Innengesellschaft in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) bilden, der im Innenverhältnis aller Gesellschafter der KG das jeweilige Grundstück mit allen Rechten und Pflichten zugerechnet werden sollte.

Im März 1980 schloß die I-KG mit der S-Immobilienfonds GmbH (S) einen notariellen sogenannten Treuhand-Vertrag. Die S war Eigentümerin des Grundstücks E-Straße 1, dessen Modernisierung und Instandsetzung ausweislich des Vertrags in der Weise geplant war, daß die S als Treuhänder für die I-KG die Sanierungsarbeiten durchführen und das Grundstück verwalten sollte. Mit dem Vertrag übertrug die S zu diesem Zweck ausdrücklich das wirtschaftliche Eigentum an dem Grundstück auf die I-KG und erklärte, die Eigentumsrechte künftig nur noch als Treuhänder auszuüben und die I-KG als Treugeber so zu stellen, als wäre diese Grundstückseigentümer. Der S waren dafür die Erwerbskosten des Grundstücks zu erstatten. Das Treuhandverhältnis sollte mit der "steuerlichen Fertigstellung der Baumaßnahmen" enden. Die I-KG konnte in diesem Zeitpunkt die Übertragung des Eigentums an dem Grundstück gegen Freistellung von der persönlichen Haftung für die Grundstücksbelastungen verlangen. Zur Sicherung dieses Anspruchs bewilligte die S die Eintragung einer Auflassungsvormerkung, die zunächst auch eingetragen, später aber durch rechtskräftiges Urteil gelöscht wurde. Die Finanzierung des mit insgesamt ca. 4,7 Mio. DM kalkulierten Vorhabens sollte zum Teil aus Eigenmitteln der I-KG, im übrigen mit von der S zu beschaffenden Krediten erfolgen. Der S stand ein Honorar für die Treuhandtätigkeit bis zum Zeitpunkt der Bezugsfähigkeit von 1 v.H. der vorgesehenen Baukosten (ca. 3 Mio. DM) zu. Bei einer vorzeitigen Kündigung des Treuhandverhältnisses aus wichtigem Grund sollte ein Honorar von 5 v.H. des Verkehrswerts des Grundstücks am Tag der Kündigung zu zahlen sein. Die I-KG sollte berechtigt sein, der S Weisungen hinsichtlich des Bauvorhabens zu erteilen, mußte dann aber zugleich etwaige Mehrkosten tragen.

In der Zeit von März bis Juni 1980 traten die Kläger unter Beteiligung an dem Sondervermögen E-Straße 1 als Kommanditisten in die I-KG ein. Im Dezember 1980 schlossen die in bezug auf dieses Sondervermögen in Form der Innen-GbR verbundenen Kommanditisten einen weiteren notariellen Vertrag, in dem die Gründung einer GbR als Außengesellschaft und der gemeinschaftliche Austritt aus der I-KG unter Übernahme der Rechte aus dem Treuhandvertrag vereinbart wurden. Am 22. Dezember 1980 wurde durch privatschriftliche Vereinbarung mit der I-KG dieser Austritt vollzogen. Eine Offenlegung des Treugeberwechsels gegenüber der S sollte erst mit Auflösung des Treuhandvertrags erfolgen.

Nachdem im Jahr 1982 Gewinnfeststellungserklärungen abgegeben worden waren, erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) am 12. August 1982 einen alle Sondervermögen der I-KG einschließenden und allen Beteiligten bekanntgegebenen Gewinnfeststellungsbescheid (vorläufig gemäß § 165 der AbgabenordnungAO 1977―), der später wegen einer Änderung bei der Zurechnung am 3. Februar 1983 geändert wurde. Von dem gesamten festgestellten Verlust aus Gewerbebetrieb für das Streitjahr 1980 entfielen 1 134 323,55 DM auf das Sondervermögen E-Straße 1.

Nach einer im November 1985 begonnenen Außenprüfung vertrat das FA die Auffassung, die I-KG habe hinsichtlich des Grundstücks E-Straße 1 keine Einkunftsquelle erworben. Am 10. Juli 1990 erging ein geänderter Gewinnfeststellungsbescheid an die Kläger sowie die Beteiligte zu 1. "als ehem. Gesellschafter" für deren "Beteiligung an der I-KG" "E-Straße 1". Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb wurden in diesem Bescheid auf 0 DM festgesetzt und den Beteiligten mit jeweils 0 DM zugerechnet, wobei auf den Prüfungsbericht Bezug genommen wurde. Außerdem wurde darauf hingewiesen, daß dieser Bescheid den Bescheid vom 12. August 1982 gemäß § 165 Abs. 2 AO 1977 ändere.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen aus, Feststellungsverjährung sei nicht eingetreten. Der Bescheid sei hinreichend bestimmt und wirksam bekanntgegeben. In der Sache sei das FA zu Recht davon ausgegangen, daß die Treugeber das Treuhandverhältnis nicht beherrscht hätten. Die S hätte deshalb den Klägern keine Einkünfte vermittelt.

Mit der Revision rügen die Kläger eine Verletzung der §§ 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, 181 Abs. 1, 157 Abs. 1 Satz 2, 119 Abs. 1, 171 AO 1977 sowie §§ 15, 2 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes.

Die Kläger beantragen, den Feststellungsbescheid 1980 vom 10. Juli 1990 in Gestalt der Einspruchsentscheidung sowie das FG-Urteil aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und des angefochtenen Bescheids vom 10. Juli 1990 in Gestalt der Einspruchsentscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

1. Der angefochtene Bescheid ist nichtig. Nach § 125 Abs. 1 AO 1977 ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Verwaltungsakt inhaltlich nicht so bestimmt ist (§ 119 Abs. 1 AO 1977), daß ihm hinreichend sicher entnommen werden kann, was von wem verlangt wird (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 25. September 1990 IX R 84/88, BFHE 162, 4, BStBl II 1991, 120). Dem angefochtenen Feststellungsbescheid fehlt unter zwei Gesichtspunkten die danach erforderliche Bestimmtheit.

a) In erster Linie ist der Inhaltsadressat des Bescheids nicht genügend bestimmt. Die Angabe des Inhaltsadressaten ist konstituierender Bestandteil jedes Verwaltungsakts, denn es muß angegeben werden, wem gegenüber der Einzelfall geregelt werden soll (BFH in BFHE 162, 4, BStBl II 1991, 120). Es reicht dabei aus, wenn der Inhaltsadressat durch Auslegung anhand der dem Betroffenen bekannten Umstände hinreichend sicher bestimmt werden kann. Zur Auslegung ist auch das Revisionsgericht befugt, wenn ―wie hier― die tatsächlichen Feststellungen des FG dafür ausreichen (BFH-Urteile vom 30. September 1988 III R 218/84, BFH/NV 1989, 749 und in BFHE 162, 4, BStBl II 1991, 120).

Auch unter Berücksichtigung der den Klägern bekannten Umstände, insbesondere des Betriebsprüfungsberichts vom 19. Oktober 1988, konnten diese nicht erkennen, an wen sich der Feststellungsbescheid inhaltlich richten sollte. Einerseits war in dem zur Angabe des Inhaltsadressaten vorgesehenen Feld des Bescheidvordrucks eingetragen "Beteiligung an der I-KG". Unterhalb dieses Felds befand sich der Text "E-Straße 1". Dies konnte so verstanden werden, daß Adressat die in der Innengesellschaft für das Objekt E-Straße 1 verbundenen Gesellschafter der I-KG sein sollten. Dafür sprach auch die Anlage zum Bescheid, die nur Angaben zu den betreffenden Kommanditisten enthielt. Andererseits trug der Bescheid die Steuernummer der (Gesamt-)I-KG und wies in seinem Erläuterungsteil darauf hin, daß der Bescheid vom 12. August 1982 nach § 165 Abs. 2 AO 1977 geändert werde. Da der Bescheid aus dem Jahr 1982 die gesamte KG betraf, sprach das dafür, daß wie der Erstbescheid auch dieser Bescheid alle Gesellschafter der KG betreffen sollte. Allerdings hätten nach den Angaben im Betriebsprüfungsbericht die gesamten Einkünfte nicht 0 DM betragen.

Diese Widersprüche lassen sich nicht aufklären. Sollte der Bescheid ein erstmaliger Bescheid für die Innengesellschaft sein, hätte es zugleich einer Änderung des dann ja noch geltenden Bescheids vom 12. August 1982 bedurft. Ein solcher Bescheid lag aber nicht vor. Es stand auch nach dem Ablauf des Feststellungsverfahrens nicht zu erwarten, daß ein Bescheid für die Innengesellschaft ergehen würde, denn das FA hatte entgegen den eingereichten Einzel-Feststellungserklärungen darauf bestanden, daß eine Feststellung für die gesamte KG getroffen wurde. So wies auch der Betriebsprüfungsbericht einen Gesamtbetrag der festzustellenden Einkünfte aus.

b) Wenn man gleichwohl von einer hinreichenden Bestimmung des Inhaltsadressaten ausgehen würde, wären zumindest die Höhe und die Verteilung der festgestellten Einkünfte nicht hinreichend bestimmt. Denn dem Bescheid ist nicht sicher zu entnehmen, ob die Einkünfte der gesamten KG 0 DM betragen sollten oder nur die der Innengesellschaft E-Straße 1. Für die erstgenannte Annahme spricht der Hinweis darauf, daß es sich um eine Änderung des Bescheids vom 12. August 1982 handeln sollte, mit dem die gesamten Einkünfte festgestellt worden waren. Für die Feststellung des Gewinns der Innengesellschaft spricht die beigefügte Anlage.

Soweit das FG mit dem FA der Annahme ist, da die Gewinnänderungen in bezug auf eine der Innengesellschaften nicht die Gewinnanteile der anderen Gesellschafter berührten, müsse in einem Änderungsbescheid keine Gesamt-Gewinnfeststellung erfolgen, ist dies unzutreffend. Denn durch die Änderung eines Teilgewinns der KG ändert sich auch der Gesamtgewinn, der notwendiger Bestandteil jedes Gewinnfeststellungsbescheids ist.

2. Der nichtige Bescheid äußert keine Rechtswirkungen. Zur Beseitigung des Rechtsscheins kann er aber nach ständiger Rechtsprechung des BFH mit der Anfechtungsklage angegriffen und vom Gericht ausdrücklich aufgehoben werden (vgl. BFH-Urteile vom 7. August 1985 I R 309/82, BFHE 145, 7, BStBl II 1986, 42, und vom 27. Februar 1997 IV R 38/96, BFH/NV 1997, 388).

 

Fundstellen

Haufe-Index 515015

BFH/NV 2001, 409

DStRE 2001, 431

HFR 2001, 404

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