Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorgreiflichkeit der Gewinnfeststellung im Verfahren der Einkommensteuerfestsetzung

 

Leitsatz (NV)

1. Macht ein Stpfl. im Verfahren gegen die Festsetzung der Einkommensteuer zu Recht geltend, bestimmte Einkünfte müßten im Verfahren der einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977) festgestellt werden, so muß das FG regelmäßig den Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids nach § 74 FGO aussetzen, um den Ausgang eines herbeizuführenden Gewinnfeststellungsverfahrens abzuwarten.

2. Entscheidet das FG unter Mißachtung der Vorgreiflichkeit des Feststellungsverfahrens über Fragen, deren Prüfung dem Verfahren der einheitlichen und gesonderten Feststellung des Gewinns vorbehalten ist, so liegt ein ohne Rüge zu beachtender Verfahrensmangel vor, der im Revisionsverfahren zur Aufhebung des FG-Urteils führt.

 

Normenkette

AO 1977 § 180 Abs. 1 Nr. 2a; FGO § 74

 

Verfahrensgang

FG München

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die den Güterstand der Gütergemeinschaft vereinbart haben. Sie betreiben einen zum Gesamtgut gehörenden . . . betrieb auf einem Grundstück in . . . Dieses Grundstück ist mit einem Wohnhaus, mit einem Werkstattanbau und einer freistehenden Werkstatt bebaut. Es wurde seit Erstellung der Eröffnungsbilanz zum 1. Januar 1964 im vollen Umfang als Betriebsvermögen bilanziert. Anläßlich einer Betriebsprüfung im Jahre 1982, die die Veranlagungszeiträume 1978 bis 1980 betraf, stellte der Prüfer fest, daß auf einem Teil des Grundstücks im Jahre 1981 zusätzlich ein Einfamilienhaus erstellt und der anteilige Grund und Boden ins Privatvermögen überführt worden sei. Er machte einen entsprechenden Prüfungsvermerk.

Gegen die aufgrund der Prüfungsfeststellungen geänderten Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1978 bis 1980 legten die Kläger, die zur Einkommensteuer zusammenveranlagt worden waren, Einspruch ein. Sie begehrten die Berichtigung der für die Streitjahre maßgeblichen Bilanzen; der mit dem Einfamilienhaus im Jahre 1981 bebaute Grundstücksteil sei erfolgsneutral auszubuchen, da er irrtümlich dem betrieblichen Grundstück zugerechnet worden sei. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) lehnte dies ab.

Mit der Klage beantragten die Kläger zunächst, das FA zur Zustimmung zu der begehrten Bilanzänderung zu verpflichten. Der im Laufe des Klageverfahrens neu bestellte Prozeßbevollmächtigte machte geltend, bezüglich der Einkünfte der Kläger aus Gewerbebetrieb sei im Hinblick auf die Zugehörigkeit des Gewerbebetriebs zum Gesamtgut eine Feststellung des Gewinns nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a der Abgabenordnung (AO 1977) erforderlich und die Sache deswegen an das FA zurückzugeben. Dem Hinweis des Finanzgerichts (FG), es werde das Klageverfahren nach § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aussetzen, um dem FA Gelegenheit zur einheitlichen und gesonderten Feststellung des Gewinns aus Gewerbebetrieb zu geben, widersprach das FA; es sei im Streitfall ein Fall von geringerer Bedeutung i. S. des § 180 Abs. 3 AO 1977 gegeben. Daraufhin ließen die Kläger ihre bisherigen Sachanträge fallen und stellten in mündlicher Verhandlung den Antrag, die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1978, 1979 und 1980 in Gestalt der Einspruchsentscheidungen vom 5. Dezember 1983 in der Weise zu ändern, daß die Einkünfte aus Gewerbebetrieb außer Ansatz bleiben.

Das FG gab diesem Klagebegehren statt. Zur Begründung seiner Entscheidung führt es aus, das FA hätte bezüglich der Einkünfte aus Gewerbebetrieb eine Gewinnfeststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 durchführen müssen, da ein Fall von geringerer Bedeutung i. S. des § 180 Abs. 3 AO 1977 nicht gegeben sei.

Aufgrund der Nichtbeachtung dieser Grundordnung des Verfahrensrechts müßten die Einkünfte aus Gewerbebetrieb außer Ansatz bleiben. Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO komme nicht in Betracht, da sich das FA geweigert habe, eine Gewinnfeststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 durchzuführen.

Mit der vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision macht das FA eine Verletzung des § 180 Abs. 3 AO 1977 geltend; es sei entgegen der Auffassung des FG ein Fall von geringerer Bedeutung gegeben.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß für das Klagebegehren, die Einkünfte aus Gewerbebetrieb wegen verfahrensmäßiger Fehler bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen außer Ansatz zu lassen, ein Rechtsschutzbedürfnis bestehe.

1. a) Grundsätzlich wird die Einkommensteuer auf der Grundlage eines einheitlichen Besteuerungsverfahrens durch Steuerbescheid festgesetzt. In Abweichung von § 157 Abs. 2 AO 1977 werden jedoch bestimmte Besteuerungsgrundlagen durch einen Feststellungsbescheid gesondert festgestellt (§ 179 Abs. 1 AO 1977). Hiervon erfaßt werden auch Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die mehrere Personen gemeinschaftlich erzielen (§ 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977), es sei denn, daß hiervon nach Maßgabe des § 180 Abs. 3 AO 1977 abgesehen werden kann. Die verfahrensmäßige Trennung zwischen der Veranlagung zur Einkommensteuer in einem einheitlichen, auf den Erlaß eines Steuerbescheides hinführenden Verfahren einerseits und der Aufspaltung des Besteuerungsverfahrens in die gesonderte Feststellung gemeinschaftlicher Einkünfte, die als Grundlagenbescheid i. S. des § 171 Abs. 10 AO 1977 in die eigentliche Steuerfestsetzung (den Folgebescheid) Eingang finden, gehört zu der Grundordnung des materiellen Verfahrensrechts der Steuerfestsetzung (vgl. BFH-Urteile vom 3. Februar 1976 VIII R 29/71, BFHE 118, 135, BStBl II 1976, 396 zu § 215 der Reichsabgabenordnung - AO -, und vom 8. Oktober 1986 I R 58/83, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1987, 67).

b) Macht der Steuerpflichtige im Verfahren gegen die Steuerfestsetzung geltend, bestimmte Einkünfte müßten im besonderen Gewinnfeststellungsverfahren festgestellt werden und besteht dieses Vorbringen aus der Sicht des entscheidenden Gerichts zu Recht, so muß es regelmäßig den Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids (welcher nach dem Vorbringen des Steuerpflichtigen einen Folgebescheid darstellt) nach § 74 FGO aussetzen, um den Ausgang eines herbeizuführenden Verfahrens der gesonderten Feststellung der Einkünfte (also den Erlaß eines Grundlagenbescheids) abzuwarten (BFH-Urteile vom 24. April 1979 VIII R 57/76, BFHE 128, 136, BStBl II 1979, 678; vom 26. Juli 1983 VIII R 28/79, BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290; vom 14. Februar 1984 VIII R 126/82, BFHE 141, 124, BStBl II 1984, 580; vom 9. Mai 1984 I R 25/81, BFHE 141, 252, BStBl II 1984, 726; vom 26. Juli 1984 IV R 13/84, BFHE 142, 96, BStBl II 1985, 3 und vom 9. November 1988 I R 191/84, BFHE 155, 454, BStBl II 1989, 343). Das Gericht hat bei seiner Ermessensentscheidung den Grundsatz der Vorgreiflichkeit des Feststellungsverfahrens zu beachten, der gewährleisten soll, daß die Besteuerungsgrundlagen in dem für sie gesetzlich vorgesehenen Verfahren ermittelt und festgestellt werden. Die Einhaltung des zutreffenden Verfahrens soll auf die materiell-rechtliche Entscheidung der Steuerfestsetzung hinführen und zu ihrer inhaltlichen Richtigkeit maßgeblich beitragen. Der Streit über das zutreffende Verfahren hat jedoch die materiell-rechtliche Entscheidung der Steuerfestsetzung nicht zum Gegenstand; er ist für diese die verfahrensmäßige Vorbedingung.

Hieraus folgt, daß ein ohne Rüge zu beachtender Verfahrensmangel vorliegt, wenn das FG unter Mißachtung der Vorgreiflichkeit des Feststellungsverfahrens über Fragen entscheidet, deren Prüfung dem Verfahren der einheitlichen und gesonderten Feststellung des Gewinns vorbehalten ist (BFH in BFHE 141, 124, BStBl II 1984, 580, unter Hinweis auf BFHE 139, 335, BStBl II 1984, 290).

c) Diese Sachlage ist im Streitfall gegeben. Das FG ist von der rechtlichen Beurteilung ausgegangen, daß im Streitfall die gemeinschaftlichen Einkünfte der Kläger im Verfahren nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 festzustellen seien. Aus verfahrensrechtlicher Sicht konnte damit im anhängigen Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerfestsetzungen der Jahre 1978 bis 1980 nicht abschließend entschieden werden. Auf die Durchführung eines Feststellungsverfahrens nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 war hinzuwirken, wozu die Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO das geeignete Mittel bot. Das FG hat sich jedoch nicht auf diese verfahrensrechtliche Weichenstellung beschränkt, sondern eine materiell-rechtliche Entscheidung getroffen, indem es (wenngleich dem Klageantrag entsprechend; vgl. dazu Abschn. 2 der Entscheidungsgründe) die Einkommensteuer der Jahre 1978 mit 1980 unter Nichtansatz der von den Klägern erklärten Gewinneinkünfte aus Gewerbebetrieb endgültig festgesetzt hat. Mit dieser Festsetzung der Einkommensteuer widersprach das FG grundsätzlich seiner eigenen Rechtsauffassung, daß nämlich bei der Steuerfestsetzung die gewerblichen Einkünfte der Kläger zu berücksichtigen seien, denn in bezug auf diese Einkünfte wurde in den Urteilsgründen eingehend dargelegt, daß sie in einem der Steuerfestsetzung vorgreiflichen Verfahren nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 festzustellen seien.

Bei Zugrundelegung des eigenen Rechtsstandpunktes hätte das FG eigentlich nicht zu einer abschließenden materiell-rechtlichen Entscheidung durch Festsetzung der für die Streitjahre geschuldeten Einkommensteuer kommen dürfen. Es sieht sich jedoch zu einer abschließenden Entscheidung in der Sache deshalb gerechtfertigt, weil das FA in diesem Verfahren als Beteiligter den Rechtsstandpunkt verfochten hat, es liege ein Fall geringerer Bedeutung i. S. des § 180 Abs. 3 AO 1977 vor. Das FG verkennt, daß diese Meinungsäußerung des FA nicht einem im förmlichen Verfahren zu erlassenden negativen Feststellungsbescheid gleichzuerachten ist, also ein Verfahren zur Frage der Gewinnfeststellung nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 nicht eingeleitet, geschweige denn abgeschlossen ist. Für eine Entscheidung, wie sie das FG getroffen hat, fehlen damit die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen. Wegen Nichtbeachtung des Grundsatzes der Vorgreiflichkeit des Feststellungsverfahrens, die sich erst in einer förmlichen Entscheidung des FA über die Frage einer einheitlichen und gesonderten Feststellung der Einkünfte der Kläger aus Gewerbebetrieb manifestiert hätte, kann die Entscheidung des FG keinen Bestand haben; sie war deswegen aufzuheben.

2. Die Sache ist spruchreif. Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, daß der Steuerpflichtige beschwert ist, wenn sich die Ermittlung der ihn betreffenden Besteuerungsgrundlagen nicht im gesetzlich vorgesehenen Verfahren vollzieht. Er kann also im Falle der Mißachtung des § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 darauf hinwirken, daß dem Gesetz durch Einleitung eines Gewinnfeststellungsverfahrens Genüge getan wird. Entweder hat er mit diesem Begehren Erfolg oder er ist zur gerichtlichen Überprüfung eines negativen Feststellungsbescheides des FA gezwungen. Jedenfalls bedarf es im Falle unterschiedlicher Rechtsauffassungen des Steuerpflichtigen und des FA zur Frage der Notwendigkeit eines Gewinnfeststellungsverfahrens einer förmlichen Entscheidung (also im Regelfall der Gerichte). Erst mit dieser Entscheidung ist die Frage der Vorgreiflichkeit eines Gewinnfeststellungsverfahrens für die eigentliche Steuerfestsetzung geklärt. Der Klärung dieser für die endgültige Steuerfestsetzung maßgeblichen ,,Vor"-Frage kann der Steuerpflichtige nicht dadurch ausweichen, daß er im Hinblick auf die negative Haltung des FA zur Frage eines vorgreiflichen Gewinnfeststellungsverfahrens fordert, daß wegen dieses Streits über die Art und Weise der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen die strittigen Einkünfte schlechthin bei der Steuerfestsetzung außer Ansatz bleiben. Das Rechtsschutzbedürfnis des Steuerpflichtigen findet seine Berechtigung und Grenzen in der Bestimmung des Verfahrens, in dem die Besteuerungsgrundlagen bestimmter Einkünfte zu ermitteln sind. Keinesfalls kann er aus einer abweichenden rechtlichen Vorstellung des FA über dieses Verfahren ableiten, deswegen müßten die verfahrensrechtlich strittigen Einkünfte bei der Steuerfestsetzung gänzlich außer Ansatz bleiben. Dem Steuerpflichtigen bleibt zwar somit das Recht, das gesetzlich vorgesehene Verfahren zur Feststellung seiner Besteuerungsgrundlagen zu betreiben; jedoch obliegt die eigentliche Feststellung der zutreffenden Besteuerungsgrundlagen dem zuvor festgelegten Verfahren. Aus alledem folgt, daß den Klägern für ihr Klagebegehren eines Nichtansatzes ihrer gewerblichen Einkünfte bei der Steuerfestsetzung allein aus Gründen unterschiedlicher Rechtsauffassungen über die Notwendigkeit eines Gewinnfeststellungsverfahrens i. S. des § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 ein Rechtsschutzbedürfnis i. S. des § 40 Abs. 2 FGO nicht zugebilligt werden kann. Die Klage war deshalb als unzulässig abzuweisen.

3. Zwar ist mit dieser Entscheidung das von den Klägern angestrengte Verfahren abgeschlossen. Sie sind jedoch nicht daran gehindert, beim FA zu beantragen, ihre gewerblichen Einkünfte einem Gewinnfeststellungsverfahren nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 zu unterwerfen. Für den Fall, daß bei einer vom FA vorgenommenen Gewinnfeststellung der Gewinn aus Gewerbebetrieb in derselben Höhe wie in den Steuerbescheiden der Jahre 1978 mit 1980 festgestellt werden sollte, ist auf das Urteil des BFH in BFHE 142, 96, BStBl II 1985, 3 hinzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 417242

BFH/NV 1991, 649

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