Leitsatz (amtlich)

Die nach § 3 Abs. 4 BefStG 1955 ausgesprochene Ausnahme (Freistellung) eines nichtbundeseigenen Eisenbahnunternehmens von der Verpflichtung, die Beförderungsteuer zu Lasten des Steuerschuldners (Fahrgastes) zu entrichten, begründet bei dem Unternehmen unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Bezüge aus öffentlichen Mitteln im Sinne von § 3 Nr. 11 EStG.

 

Normenkette

KStG § 6 Abs. 1 S. 1; EStG § 3 Nr. 11; GewStG § 7; StAnpG § 18; BefStG 1955 § 3 Abs. 4, §§ 7-8

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte ist die Rechtsnachfolgerin der auf sie umgewandelten AG gleichen Namens. Sie betreibt als private Eisenbahngesellschaft mehrere Nebenbahnen. Der BdF hat sie durch Erlaß vom 25. März 1958 mit Wirkung vom 1. Juni 1955 von der Verpflichtung ausgenommen, für die Personen- und Güterbeförderung im Schienenbahnverkehr Beförderungsteuer abzuführen. Für diese Maßnahme war entscheidend gewesen, daß der Klägerin seit Jahren Landesmittel gewährt wurden, um ihre Liquidität und Betriebssicherheit zu erhalten, und daß an der Erhaltung der Bahn ein öffentliches Interesse bestand, da sie in hohem Maße Berufsverkehr abzuwickeln hatte. Infolge dieser Maßnahme brauchte die Klägerin für die Jahre 1955 bis 1960 insgesamt 586 060 DM vereinnahmte Beförderungsteuerbeträge nicht abzuführen.

In ihrer Gewerbesteuererklärung für das Jahr 1960 setzte die Klägerin die von ihr im Jahre 1960 nicht abzuführende Beförderungsteuer (103 740 DM) vom Gewerbeertrag ab. Außerdem verminderte sie den so gekürzten Gewerbeertrag um die in den vorausgegangenen Jahren erlittenen Verluste aus Gewerbebetrieb. In ihrer Gewerbesteuererklärung ist (wie bereits seit dem Jahre 1956) das Ergebnis der gleichfirmierenden Kraftverkehrsgesellschaft mbH, die eine Organgesellschaft der Klägerin ist, enthalten.

Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) vertrat zunächst den Standpunkt, daß die der Klägerin verbliebenen Beförderungsteuerbeträge zwar nach § 6 Abs. 1 Satz 1 KStG in Verbindung mit § 3 Nr. 11 EStG von der Körperschaftsteuer und damit nach § 7 GewStG auch von der Gewerbesteuer befreit seien, daß jedoch die von der Klägerin in früheren Jahren erlittenen Verluste aus Gewerbebetrieb um die steuerfreien Einnahmen zu mindern seien. Im Verfahren über die nach erfolglosem Einspruch zum FG erhobene Klage stützte sich das FA sodann in erster Linie auf das Urteil des BFH I 168/63 vom 1. März 1966 (BFH 85, 316, BStBl III 1966, 324), nach dem bei Freistellung einer nichtbundeseigenen Eisenbahn von der Verpflichtung, die Beförderungsteuer zu Lasten des Steuerschuldners zu entrichten, steuerfreie Bezüge aus öffentlichen Mitteln im Sinne von § 3 Nr. 11 EStG nicht vorliegen.

Das FG setzte den Steuermeßbetrag nach dem Gewerbeertrag auf 0 DM herab. Seine Entscheidung ist in EFG 1970, 395 veröffentlicht.

Gegen die Entscheidung des FG richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des FA mit dem Antrag, unter Aufhebung der Vorentscheidung den einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrag auf 28 688 DM festzusetzen. Zur Begründung trägt das FA vor:

Der Begriff der Bedürftigkeit sei - auch als Hilfsbedürftigkeit verstanden - in § 18 StAnpG abschließend allgemein in einem die juristische Person ausschließenden Sinne geregelt worden. Darüber hinaus zeige die Begründung zu der bis heute geltenden Regelung (Änderung des § 3 EStG 1949 durch das Gesetz zur Änderung des EStG und des KStG vom 29. April 1950, BGBl I 1950 S. 95: "In Ziff. 10 - jetzt 11 - sind § 3 Ziff. 3 und 7 EStG 1949 zusammengefaßt; dabei wurde der Rechtszustand des EStG 1939 wiederhergestellt, jedoch im Interesse der Klarheit die Fassung des § 6 Ziff. 10 der LStDB 1939 zugrunde gelegt.") die Tendenz des Gesetzes eindeutig auf. Es fehle aber auch an einem Bezug aus öffentlichen Mitteln. Wenngleich der BFH es im Urteil I 168/63 (a. a. O.) dahingestellt gelassen habe, ob die Vorschrift des § 3 Abs. 4 BefStG 1955 Befreiungs- oder Erlaßcharakter habe, so sei es doch widersprüchlich, sie einerseits als Befreiungsvorschrift einzuordnen, andererseits aber an der Fiktion festzuhalten, daß die Steuer gezahlt und alsdann wieder erstattet worden sei. Schließlich sei der Begriff der Hilfsbedürftigkeit in § 3 Nr. 11 EStG enger als der dem BdF in § 3 Abs. 4 BefStG 1955 gezogene Rahmen, der lediglich die Unbilligkeit der Entrichtung der Steuer für den Verzicht auf ihre Entrichtung fordere.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Zur Begründung läßt sie vortragen:

Das Vorgehen der Klägerin (Gewinn- und Gewerbeertrag mindernde Behandlung der nicht zu entrichtenden Beförderungsteuer 1960) entspreche der langjährigen Beurteilung der Rechtslage auch durch das FA, so daß zunächst nur die Frage streitig gewesen sei, ob und in welcher Höhe die Verluste früherer Jahre aus Gewerbebetrieb durch die steuerfreien Zuwendungen nach § 3 Nr. 11 EStG als verbraucht angesehen werden müßten. Erst nach Aufgabe der die Auffassung des FA stützenden Rechtsprechung durch den Beschluß des BFH Gr. S. 2/67 vom 15. Juli 1968 (BFH 93, 75, BStBl II 1968, 666) habe das FA seine Rechtsauffassung zu § 3 Nr. 11 EStG geändert. Indes vermöchten weder der Zweck des Gesetzes noch seine Entstehungsgeschichte die Nichtanwendbarkeit der Vorschrift auf juristische Personen zu belegen. Weder Zweck noch Systemzusammenhang ließen insoweit eine Unterscheidung zwischen natürlichen und juristischen Personen begründet erscheinen. Gerade der Hinweis in der Begründung zum Gesetz vom 29. April 1950, daß mit der Änderung des § 3 EStG 1949 der Rechtszustand vom Jahre 1939 habe wiederhergestellt werden sollen, zeige, daß - nach damals allgemeiner Rechtsansicht - der Begriff der Hilfsbedürftigkeit nicht auf natürliche Personen beschränkt sein solle.

Was die Frage nach den Bezügen aus öffentlichen Mitteln betreffe, so stehe die vom Fahrgast mit dem Fahrpreis entrichtete Beförderungsteuer der öffentlichen Hand zu. Verzichte diese auf die Entrichtung der von der Klägerin vereinnahmten Steuerbeträge, so liege darin weder eine Befreiung der von der Klägerin erbrachten Beförderungsleistungen von der Beförderungsteuer noch ein Steuererlaß, sei die Ausnahme von der Entrichtung der vereinnahmten Steuer vielmehr als eine Leistung aus öffentlichen Mitteln zu verstehen. Dies erhelle auch daraus, daß die Klägerin nach dem Außerkrafttreten des BefStG und dem Inkrafttreten des Umsatzsteuergesetzes - Mehrwertsteuer - 1967 (UStG 1967) wegen ihrer (geprüften) Hilfsbedürftigkeit Übergangshilfen in gleicher Höhe erhalte.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Der Klägerin ist darin zuzustimmen, daß die Vorschrift des § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 KStG und § 15 KStDV (1958) grundsätzlich auch im Bereich des Körperschaftsteuerrechts Anwendung findet. Der Senat kann die Frage ihrer Anwendbarkeit im Streitfalle jedoch dahingestellt lassen, da die angefochtene Entscheidung bereits aus anderen Gründen der Aufhebung unterliegt. Denn der Senat kann dem FG nicht darin folgen, daß der Verzicht auf die Entrichtung der vom Steuerschuldner (Fahrgast) im Fahrpreis entrichteten Beförderungsteuer durch die Klägerin nicht anders als eine Zuwendung - oder von der Klägerin her gesehen: als ein Bezung - aus öffentlichen Mitteln verstanden werden könne.

2. Wie immer man auch die Vorschrift des § 3 Abs. 4 BefStG 1955 auffaßt, so ist doch - ausgehend von der Entscheidung des BFH I 168/63 (a. a. O.) - weder im Falle der Annahme eines Steuererlasses noch im Falle der Annahme einer sachlichen Steuerbefreiung im finanziellen Ergebnis bei der Klägerin ein steuerfreier Bezug aus öffentlichen Mitteln im Sinne von § 3 Nr. 11 EStG gegeben.

a) Sieht man die Vorschrift des § 3 Abs. 4 BefStG 1955 als eine Steuererlaßvorschrift an, so entspricht sie der allgemeinen Erlaßvorschrift des § 131 Abs. 1 Satz 1 AO; sie könnte als eine gesetzliche Richtlinie der in § 131 Abs. 2 AO angesprochenen Art verstanden werden. Der Erlaß geschuldeter Steuerbeträge ist aber einem Bezug aus öffentlichen Mitteln nicht gleichzuachten. Das gilt auch dann, wenn - wie hier - der Erlaß nicht gegenüber dem Steuerschuldner (der gemäß § 7 BefStG 1955 der Fahrgast ist), sondern gegenüber dem Haftenden (dem Beförderungsunternehmer) ausgesprochen wird. Denn da die Beförderungsteuer in den tariflichen Beförderungspreis einzurechnen ist (§ 8 BefStG 1955), dieser aber nach den tatsächlichen Feststellungen des FG von der Klägerin nicht aufgrund ihrer Ausnahme von der Verpflichtung zur Abführung der Steuer ermäßigt wurde und der Vorteil so an den Fahrgast weitergereicht worden ist, steht die Klägerin als Haftende hier einem Steuerschuldner gleich.

b) Sieht man die Vorschrift des § 3 Abs. 4 BefStG 1955 dagegen als eine sachliche Steuerbefreiungsvorschrift an, die in Fällen wie dem vorliegenden zu keiner Änderung des die Steuer einschließenden Tarifs aufgrund der Ausnahme des Unternehmers von der Abführungsverpflichtung und die damit im Ergebnis nicht den Steuerschuldner, sondern den Beförderungsunternehmer begünstigt und begünstigen soll, so wäre auf Grund der sachlichen Befreiung der Beförderungsleistungen der Klägerin von der Beförderungsteuer für die Zeit nach dem Erlaß der diese Vorschrift anwendenden Verfügung eine Beförderungsteuer nicht zur Entstehung gelangt. Damit wäre aber auch begrifflich die Ausnahme der Klägerin von der Steuerpflicht nicht als ein Bezug aus öffentlichen Mitteln zu verstehen.

3. Entscheidend schien dem Senat indes der Umstand zu sein, daß Bezüge aus öffentlichen Mitteln eine haushaltsmäßige Erfassung dieser Mittel und die öffentliche Kontrolle ihrer Verwendung voraussetzen. Öffentliche Mittel (lt. Brockhaus, Enzyklopädie: "Gelder, die aus einem öffentlichen Haushalt stammen") sind insbesondere solche des Bundes, der Länder oder der Gemeinden, unbeschadet der Herkunft dieser Mittel. Soweit sie sich aus Steuereinnahmen herleiten, sind sie erst mit der Vereinnahmung der Steuergelder zu öffentlichen Mitteln geworden, über die nunmehr nach Maßgabe der Gesetze unter Beachtung der haushaltsrechtlichen Vorschriften verfügt werden kann. Bezüge aus öffentlichen Mitteln setzen mithin das Vorhandensein solcher Mittel in der öffentlichen Hand voraus. Die gesetzlich für den Einzelfall vorgesehene Ausnahme von der Verpflichtung, die mit dem Fahrpreis vereinnahmten Beförderungsteuerbeträge an den Steuergläubiger abzuführen, erweist sich danach nicht als ein Bezug aus öffentlichen Mitteln. Wirtschaftlichen Überlegungen, die nach Art einer Verrechnung die vorherige Vereinnahmung der als Zuschuß zu verausgabenden Mittel verzichtbar erscheinen lassen können, ist der begriff der öffentlichen Mittel nicht zugänglich.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413260

BFHE 1972, 438

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