Entscheidungsstichwort (Thema)

Sonstiges Gewerbesteuer

 

Leitsatz (amtlich)

über die Frage, ob der Gewerbeertrag eines Vermieters nach § 9 Ziff. 4 GewStG zu kürzen ist, muß im Gewerbesteuerverfahren des Vermieters selbständig entschieden werden. Die Entscheidung im Gewerbesteuerverfahren des Mieters, daß die Zurechnung gemäß § 8 Ziff. 8 Satz 2 GewStG unterbleibe, ist für den Vermieter nicht verbindlich.

 

Normenkette

GG Art. 103/1; GewStG § 8 Ziff. 8 S. 2, § 8/7/2, § 9 Ziff. 4

 

Tatbestand

Die beschwerdeführende AG vermietet Eisenbahnkesselwagen an ölfirmen im Bundesgebiet. Sie hat Betriebstätten in mehreren Städten. Das Finanzamt zog die Beschwerdeführerin (Bfin.) zur Gewerbesteuer heran. Die Bfin. beantragte, den Gewerbeertrag gemäß § 9 Ziff. 4 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) um die Hälfte der im Jahre 1954 von den ölfirmen gezahlten Kesselwagenmieten (je über 250.000 DM) zu kürzen. Das Finanzamt lehnte den Antrag ab, nachdem die für die ölfirmen zuständigen Finanzämter erklärt hatten, sie rechneten die Kesselwagenmieten nicht gemäß § 8 Ziff. 8 Satz 2 GewStG dem Gewerbeertrag der Mieter zu. Der Einspruch der Bfin. blieb erfolglos.

Das Finanzgericht wies die Berufung als unbegründet zurück. Es führte im wesentlichen aus: Die Vorschrift des § 9 Ziff. 4 GewStG sei die Gegenvorschrift zu § 8 Ziff. 8 Satz 2 GewStG, die durch das Gesetz zur änderung des Gewerbesteuerrechts vom 27. Dezember 1951 (BGBl 1951 I S. 996, BStBl 1952 I S. 2) in das GewStG eingefügt worden sei. Sie begünstige die Gemeinden, in deren Bezirk die fremden Wirtschaftsgüter im Betrieb des mietenden Unternehmens genutzt würden. Wenn der Jahresbetrag der Miete, die an einen Vermieter gezahlt werde, 250.000 DM übersteige, werde er beim Mieter zugerechnet, gleichviel, ob der Vermieter Gewerbetreibender sei oder nicht. Dadurch kämen die Gemeinden in den Genuß der Gewerbesteuer, in denen Betriebe mit einem großen Bestand gemieteter beweglicher Anlagegegenstände arbeiteten. Die Kürzung nach § 9 Ziff. 4 GewStG sei aber nur möglich, wenn zuvor die Mieten dem Gewinn des mietenden Unternehmens gemäß § 8 Ziff. 8 Satz 2 GewStG zugerechnet worden seien. Die Vorentscheidung über die Zurechnung obliege allein den für die Mieter zuständigen Finanzämtern; das für den Vermieter zuständige Finanzamt sei daran gebunden. Da die Finanzämter der ölfirmen die Mieten nicht zugerechnet hätten, könne also die Bfin. die beantragte Kürzung nicht vornehmen. Bei dieser Beurteilung werde die Bfin. nicht schlechter gestellt als sie vor Einführung des § 9 Ziff. 4 GewStG gestanden habe; denn sie habe als gewerbliche Vermieterin immer die Mietzinsen als Teil ihres Gewerbeertrages behandeln müssen. Grundsätzlich gelte das auch jetzt noch, wenn nicht die Ausnahmevorschrift des § 9 Ziff. 4 GewStG eingreife. Die Hinzurechnungen und Kürzungen, die dem Objektsteuercharakter der Gewerbesteuer entsprächen, seien auf die Gemeinden abgestellt, denen durch die Betriebe Lasten entstünden. Es sollten aber nur Fälle erfaßt werden, bei denen ein Bedürfnis zur Erfassung der Mieten bestehe. Die Bfin. habe aber kein Recht, die Verlagerung der Mietzinsen zu verlangen. Sie habe kein Recht auf Kürzung ihres Gewinnes gemäß § 9 Ziff. 4 GewStG, wenn nicht zuvor die Mietzinsen bei den Mietern gemäß § 8 Ziff. 8 Satz 2 GewStG zugerechnet worden seien.

Mit der Rechtsbeschwerde (Rb.) wird unrichtige Anwendung des § 8 Ziff. 8 und § 9 Ziff. 4 GewStG gerügt.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Nach § 8 Ziff. 8 Satz 2 GewStG müssen dem Gewinn eines Gewerbebetriebs Miet- und Pachtzinsen, die den Gewinn gekürzt haben, wieder zugerechnet werden, wenn sie 250.000 DM im Jahr überstiegen haben. In diesem Fall ist die Zurechnung geboten, auch wenn die Mieten beim Empfänger zum Gewinn aus Gewerbebetrieb rechnen. Um in solchen Fällen eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, sind nach § 9 Ziff. 4 GewStG beim Empfänger "die nach § 8 Ziff. 8 GewStG dem Gewinn aus Gewerbebetrieb eines anderen hinzugerechneten Miet- und Pachtzinsen, wenn sie bei der Ermittlung des Gewinns berücksichtigt worden sind", vom Gewinn wieder abzusetzen.

Das Finanzgericht macht die Kürzung nach § 9 Ziff. 4 GewStG nur davon abhängig, daß das Finanzamt des Mieters zuvor beim Mieter gemäß § 8 Ziff. 8 Satz 2 GewStG die Mieten hinzugerechnet hat. Wenn das Finanzamt des Mieters, wenn auch zu Unrecht, die Zurechnung unterlassen hat, so soll nach Auffassung des Finanzgerichts der Vermieter die Kürzung nach § 9 Ziff. 4 GewStG nicht verlangen können. Für diese Auffassung des Finanzgerichts scheint der Wortlaut des § 9 Ziff. 4 GewStG, der die Kürzung der "hinzugerechneten" Mietzinsen vorsieht, zu sprechen. Das Finanzgericht hat auch darauf hingewiesen, daß die Zurechnung nach § 8 Ziff. 8 und die Kürzung nach § 9 Ziff. 4 GewStG eine Maßnahme des Finanzausgleichs zwischen den Gemeinden seien und daß es an sich wirtschaftlich richtig sei, daß der Gewerbeertrag von dem versteuert werde, der ihn erzielt habe. Diese grundsätzliche Beurteilung des § 8 Ziff. 8 Satz 2 GewStG entspricht der Entscheidung des Senats I 50/55 U vom 23. Juli 1957 (BStBl 1957 III S. 306, Slg. Bd. 65 S. 189).

Trotzdem ist der Auffassung des Finanzgerichts im Ergebnis nicht zuzustimmen. Denn wenn auch § 8 Ziff. 8 Satz 2 und § 9 Ziff. 4 GewStG in erster Linie dem Finanzausgleich zwischen mehreren Gemeinden dienen, so sind sie doch zugleich sachlich-rechtliche Vorschriften, die die Ermittlung des Gewerbeertrags der mehreren beteiligten Unternehmer regeln. Die Anwendung oder Nichtanwendung der Vorschriften ist auf die Höhe der Steuer beider Beteiligter von Einfluß. Die mehreren beteiligten Unternehmer haben dabei entgegenstehende Interessen. Mit Recht weist die Rb. darauf hin, daß es dann aber bedenklich sein würde, die Entscheidung im Verfahren des an der Nichtzurechnung der Mieten interessierten Mieters als für den an der Zurechnung beim Mieter interessierten Vermieter bindend zu erklären, ohne daß der Vermieter zuvor im Verfahren des Mieters zugezogen oder beteiligt war und in diesem Verfahren, notfalls durch die Einlegung von Rechtsmitteln, die ihm steuerlich günstige Auslegung vertreten konnte. Die Bestimmung, daß die Entscheidung in einem anderen Verfahren einen Steuerpflichtigen nur binde, wenn er in diesem anderen Verfahren zugezogen oder beteiligt war (ß 241 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung), ist ein Ausfluß des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs, der seinerseits auf die in Art. 1, 2, 3 und 103 Abs. 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) verfassungsmäßig garantierten Persönlichkeitsrechte zurückgeht. Es kann dahingestellt bleiben, ob bei dem besonderen Charakter der Bestimmungen des § 8 Ziff. 8 Satz 2 und § 9 Ziff. 4 GewStG der Gesetzgeber ohne Verfassungsverletzung hätte bestimmen können, daß die Entscheidung im Verfahren des Mieters für den Vermieter auch dann bindend sei, wenn er im Verfahren des Mieters nicht beteiligt war. Eine solche Bestimmung hat das Gesetz aber jedenfalls nicht getroffen. Es ist auch nicht anzunehmen, daß durch den Ausdruck "nach § 8 Ziff. 8 hinzugerechnete" Miet- oder Pachtzinsen, wie er in § 9 Ziff. 4 GewStG gebraucht wird, die Frage vom Gesetzgeber in diesem Sinne entschieden werden sollte. Die hier zu beurteilende Frage dürfte überhaupt nicht in den Gesichtskreis des Gesetzgebers getreten sein und muß deshalb von den Steuergerichten unter Berücksichtigung allgemeiner Rechtsgrundsätze entschieden werden. Diesen entspricht es aber, mindestens bei widerstreitenden Interessen, die Entscheidungen in dem Verfahren gegen eine Person nicht zum Merkmal eines steuerlichen Tatbestands bei einer anderen Person zu machen, ohne daß diese auf das Verfahren gegen die andere Person Einfluß nehmen konnte.

Die Vorentscheidung wird wegen unrichtiger Anwendung von § 8 Ziff. 8 Satz 2 und § 9 Ziff. 4 GewStG aufgehoben. Die nicht spruchreife Sache wird an das Finanzgericht zurückverwiesen. Dieses hat nunmehr sachlich zu der Frage Stellung zu nehmen, ob durch die Vermietung von Kesselwagen die Voraussetzungen von § 8 Ziff. 8 Satz 2 und § 9 Ziff. 4 GewStG erfüllt werden. Um widersprechende Entscheidungen für die mehreren beteiligten Unternehmen nach Möglichkeit zu vermeiden, empfiehlt es sich, an die ölfirmen mit der Frage heranzutreten, ob sie in diesem Verfahren zu der Rechtsfrage Stellung nehmen wollen. Auch den Finanzämtern der ölfirmen ist in geeigneter Form und unter Beachtung des Steuergeheimnisses Gelegenheit zu geben, zu der Frage Stellung zu nehmen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409232

BStBl III 1959, 274

BFHE 1960, 33

BFHE 69, 33

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