Leitsatz (amtlich)

Die Verpflichtung einer inländischen Kapitalgesellschaft, bei der Dividendenausschüttung an Empfänger in den USA als Haftungsschuldner stets 25 v. H. Kapitalertragsteuer einzubehalten und abzuführen, ist mit Art. VI DBA/USA n. F., wonach bei Erfüllung der im DBA/USA n. F. vorgesehenen Voraussetzungen die endgültige Einkommensteuer für den ausländischen Steuerschuldner auf 15 v. H. festgesetzt wird, vereinbar.

 

Normenkette

DBA USA Art. 6; EStG §§ 43-44

 

Tatbestand

Zur Revision steht die Frage, ob die Revisionsklägerin (Steuerpflichtige) in Höhe von 25 v. H. oder nur in Höhe von 15 v. H. Kapitalertragsteuer einzubehalten und abzuführen hatte.

Die Steuerpflichtige ist eine inländische GmbH, deren Stammkapital in Höhe von 5 Millionen DM zwei amerikanischen Kapitalgesellschaften gehört. Eine dieser Gesellschaften, die an der Steuerpflichtigen mit 20 v. H. beteiligt ist, empfing für das Geschäftsjahr 1965 gemäß Gewinnverteilungsbeschluß vom 27. Juni 1966 eine Dividende von rd. 427 000 DM, auf die die Steuerpflichtige eine Kapitalertragsteuer von 15 v. H. einbehielt und abführte. Durch Haftungsbescheid vom 24. Oktober 1966 forderte der Revisionsbeklagte (das FA) auf diese Ausschüttung eine Kapitalertragsteuer von 10 v. H. nach, wogegen die Steuerpflichtige Sprungklage mit der Begründung erhob, nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und einiger anderer Steuern vom 22. Juli 1954 in der Fassung des Protokolls vom 17. September 1965 – DBA/USA n. F. – (BGBl II 1966, 746, BStBl I 1966, 865) betrage die Kapitalertragsteuer nur 15 v. H.; eine Nachforderung von weiteren 10 v. H. sei erst gerechtfertigt, wenn der Tatbestand der Reinvestition erfüllt sei, was im Streitfall – dies ist unstreitig – nicht gegeben sei.

Die Sprungklage blieb ohne Erfolg. Zur Begründung führte das FG aus:

Rechtsgrundlage für die Entscheidung des Streitfalls sei nicht das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen vom 22. Juli 1954 – DBA/USA a. F. – (BGBl II 1954, 1118, BStBl I 1955, 70), sondern das DBA/USA n. F., da die fragliche Dividende nach der Ratifizierung des DBA/USA n. F. ausgeschüttet worden sei. Die hier maßgebenden Bestimmungen des Art. VI Abs. 2, 3 und 6 DBA/USA n. F., deren Entstehungsgeschichte mit der innerdeutschen Gesetzgebung zum gespaltenen Körperschaftsteuersatz zusammenhänge, seien ohne Einfluß auf die allgemeine Rechtspflicht des deutschen Dividendenschuldners, die gemäß §§ 43, 44 EStG vorgesehene Kapitalertragsteuer von 25 v. H. vom vollen Kapitalertrag abzuziehen. Das DBA/USA n. F. gewähre nur dem ausländischen Steuerschuldner, nicht aber dem inländischen Dividendenschuldner eine Vergünstigung. Den positiven Einzelregelungen und dem Schweigen des DBA/USA n. F. sei zu entnehmen, daß der Dividendenschuldner den nach allgemeinem deutschen Steuerrecht gebotenen Steuerabzug von 25 v. H. einheitlich für alle Dividendengläubiger ohne Rücksicht auf die endgültige Steuerschuld vorzunehmen habe und daß der amerikanische Dividendengläubiger eine Erstattung in Höhe von 10 v. H. verlangen könne, sofern der Tatbestand der Reinvestition nicht verwirklicht sei. Jedenfalls schreibe das DBA/USA n. F. kein anderes Verfahren zur Durchführung der vertraglichen Steuerermäßigung vor, so daß insoweit auch der vom FA angezogene (koordinierte) Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 3. Juni 1966 betreffend Besteuerung von Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren nach dem DBA/USA n. F. (BStBl II 1966, 143) rechtlich nicht zu beanstanden sei. Die hier geübte Praxis entspreche auch dem Wesen der Quellenbesteuerung, die als vorläufige Erhebungsform der Einkommensteuer der endgültigen Heranziehung des Steuerschuldners nicht vorgreife. Die von der Steuerpflichtigen begehrte Berücksichtigung des ermäßigten Steuersatzes bereits beim Abzug an der Quelle sei überdies praktisch undurchführbar, da der abführungspflichtige Dividendenschuldner nicht übersehen könne, ob und inwieweit die Voraussetzungen der Reinvestition erfüllt seien.

Hiergegen wendet sich die Revision, die einerseits Verstoß gegen Art. VI Abs. 2, 3 und 5 DBA/USA n. F. in Verbindung mit § 4 Abs. 1 und 2 StAnpG, andererseits Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben rügt: Da das DBA/USA n. F. nach seinem klaren Wortlaut eine durch steuerschädliche Reinvestition auflösend bedingte Tarifermäßigung auf 15 v. H. statuiere, könnten die streitigen weiteren 10 v. H. Kapitalertragsteuer erst gefordert werden, wenn die – im Streitfall unstreitig nicht verwirklichte – Bedingung eintrete. Die vom FG angezogenene Vorschrift des § 44 EStG greife nicht ein, da das Abkommen als lex specialis den allgemeinen Steuersatz von 25 v. H. mit Wirkung auch für den inländischen Haftungsschuldner modifiziert habe. Da die Kapitalertragsteuer nur eine Erhebungsform der Einkommensteuer sei, erfasse das für die Einkommensteuer sachlich geltende Abkommen auch die Kapitalertragsteuer. Daß die von den vertragschließenden Staaten vereinbarte und ordnungsgemäß in das innerstaatliche Recht transformierte Ermäßigung bereits den Steuerabzug an der Quelle beeinflusse, sei auch dem Art. VI Abs. 6 DBA/USA n. F. insofern zu entnehmen, als er bestimme, für den Fall der Reinvestition unterläge die Ermäßigung dem Vorbehalt der Nachforderung. Die Vertragsauslegung des FG verletze überdies den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil danach § 4 Abs. 1 und 2 StAnpG nur auf inländische, nicht aber auf amerikanische Dividendenschuldner Anwendung finde. Das FG irre ferner in der Annahme, der kürzungspflichtige Dividendenschuldner vermöge die Tatfrage der Reinvestition nicht zu prüfen. Ob im Zeitpunkt der Ausschüttung bereits reinvestiert sei, sei doch ohne weiteres bekannt, da es sich um Reinvestierungen in die ausschüttende Gesellschaft handele. Ob aber zu einem späteren Zeitpunkt reinvestiert werde, sei rechtlich unerheblich, da die Ungewißheit des künftigen Ereignisses jeder bedingten Steuerermäßigung wesenseigentümlich sei. Diesen auflösend bedingten Steuersatz von 15 v. H. versuche die Finanzverwaltung durch Verwaltungsanordnung in einen aufschiebend bedingten Steuersatz von 25 v. H. zu verwandeln. – Die Nachforderung des streitigen Steuerbetrags durch den angegriffenen Haftungsbescheid unter Berufung auf den Erlaß vom 3. Juni 1966, a. a. O., der die Erstattung des nach dem DBA/USA n. F. nicht geschuldeten Steuerbetrags vorsehe, verstoße gegen Treu und Glauben, wonach der Grundsatz gelte, daß die Steuerverwaltung keine Steuerleistung verlangen könne, die sie doch wieder erstatten müsse („dolo facit, qui petit, quod redditurus est”). Da im Streitfall feststehe, daß die Verwaltung mangels einer Reinvestition erstatten müsse, sei es unzulässige Rechtsausübung, einen Steuerbetrag zu verlangen, der sofort zurückzugeben sei.

Die Steuerpflichtige beantragt,

das angefochtene Urteil und den zugrunde liegenden Haftungsbescheid aufzuheben und die Kosten des Verfahrens der Staatskasse aufzuerlegen.

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen und die Kosten der Steuerpflichtigen aufzuerlegen.

Der BdF, der dem Verfahren nach § 122 Abs. 2 FGO beigetreten ist, beantragt Zurückweisung der Revision mit folgender Begründung: Das DBA/USA n. F. begrenze den materiellen deutschen Steueranspruch gegenüber dem amerikanischen Dividendenempfänger (Steuerschuldner) auf 15 v. H. der Bruttoausschüttung, woraus jedoch nicht folge, daß die Steuerpflichtige von sich aus den Steuerabzug teilweise unterlassen könne. Die Kapitalertragsteuer sei auch dann zum Vollsatz von 25 v. H. zu erheben, wenn feststehe, daß der Kapitalertragsgläubiger eine unter diesem Satz liegende Steuer schulde, da im Streitfall keine der in der KapStDV abschließend geregelten Ausnahmen von diesem Grundsatz vorliege. Die Abkommensvergünstigung könne nur vom Steuerschuldner beansprucht werden, gleichgültig ob der Vorteil im Wege des Ermäßigungs- bzw. Freistellungsverfahrens oder des Erstattungsverfahrens gewährt werde. Für den Streitfall sei nach geltendem Recht das Erstattungsverfahren die richtige Methode, da eine andere Verfahrensweise nur in den gesetzlich vorgesehenen Sonderfällen in Betracht komme. Entsprechend seinem Zweck, nur den in den USA ansässigen Dividendengläubiger zu begünstigen, ermächtige das DBA/USA n. F. den Dividendenschuldner nicht, unter Ausschaltung des vom Steuerschuldner einzuleitenden Erstattungsverfahrens den vollen Kapitalertragsteuersatz zu ermäßigen. Doppelbesteuerungsabkommen grenzten lediglich die Besteuerungsrechte der Vertragsstaaten ab, ohne die Durchführung der Besteuerung zu regeln. Auch das DBA/USA n. F. enthalte kein eigenes Verfahrensrecht, so daß die allgemeinen nationalen Verfahrensvorschriften unverändert maßgebend seien. Daß die amerikanischen Muttergesellschaften wegen des durchzuführenden Erstattungsverfahrens nicht sofort in den vollen Genuß des Abkommensvorteils kämen, sei nicht unbillig, zumal sie die Frist zwischen Quellenabzug und Erstattung verkürzen könnten, was einem inländischen Dividendengläubiger bei einem unter 25 v. H. liegenden Veranlagungssteuersatz vielfach nicht einmal möglich sei. Das von der Bundesrepublik allgemein angewandte Erstattungsverfahren entspreche auch internationaler Vertragsübung. Mit zahlreichen fremden Staaten, wie z. B. Dänemark, Frankreich, Irland, Luxemburg, Norwegen, Österreich und Schweden, seien Einzelheiten des Verfahrens abgestimmt worden, wobei die Partnerstaaten das deutsche Erstattungsverfahren stets als abkommenskonform betrachtet hätten. Nach alledem sei es unerheblich, ob das Fehlen der Reinvestition eine auflösende oder aufschiebende Bedingung der Abkommensvergünstigung sei. Auch greife das Argument des Steuerpflichtigen nicht durch, das Abkommen senke unmittelbar die Kapitalertragsteuer und nicht nur die Steuerbelastung. Denn in beiden Fällen bleibe es deutschem Verfahrensrecht überlassen, ob die vereinbarte Vergünstigung im Erstattungs- oder Ermäßigungsverfahren durchgeführt werde. Schließlich gehe die Revisionsrüge fehl, der Grundsatz von Treu und Glauben sei verletzt. Die Steuerpflichtige berufe sich mit dem Hinweis auf die Herausgabepflicht der Verwaltung auf Rechte, die nicht ihr, sondern ihren amerikanischen Gesellschaftern zustünden. Sowenig wie der Haftungsschuldner vom Kapitalertragsteuerabzug absehen könne, weil in der Person des Ausschüttungsempfängers keine endgültige Steuer anfalle, sowenig könne er sich auf Einwendungen aus der Person des erstattungsberechtigten Steuerschuldners berufen. Im übrigen gehe es nicht an, mit dem Einwand des Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben zusätzlich zu den abschließend geregelten Fällen Ausnahmetatbestände zu schaffen, bei denen der Abzugsverpflichtete von sich aus die einzubehaltende Steuer kürzen könne. Der Wesensgehalt der Kapitalertragsteuer als einer nach Art einer Objektsteuer gestalteten Abzugsteuer würde ausgehöhlt, wenn man dem Dividendenschuldner auf diesem Wege gestatten würde, die gesetzlich bezweckte finanzamtliche Prüfung immer dann auszuschalten, wenn nach seiner Kenntnis die endgültige Steuerschuld unter der Kapitalertragsteuerhaftungsschuld liege. Das DBA setze deutsches Steuerrecht als Rechtsordnung zur Regelung des Verfahrens voraus. Es beschränke sich nur auf die Forderung gegenüber den Finanzverwaltungen der beteiligten Staaten, ihre sachlichen Steueransprüche unter bestimmten Voraussetzungen zu begrenzen.

Hierauf erwidert die Steuerpflichtige, das Verfahren der Finanzverwaltung bezwecke die Schaffung einer zusätzlichen Einnahmequelle, die weder im innerdeutschen Recht noch im DBA/USA n. E. vorgesehen sei. Wie sich aus dem zu den Revisionsakten gereichten Formblatt 1042 S des U. S. Treasury Department ergebe, gewähre der amerikanische Vertragspartner die Abkommensvergünstigung richtigerweise bereits beim Abzug an der Quelle. Unrichtig sei es, die deutsche Kapitalertragsteuer bei beschränkt Steuerpflichtigen als vorläufigen Steuerabzug zu bezeichnen, da sie die Einkommensteuer endgültig abgelte. Die vom BdF angezogenen Vorschriften der KapStDV besagten für den Streitfall nichts, weil diese Bestimmungen nur die volle Befreiung, nicht aber die Ermäßigung regelten, wie sie im DBA/USA n. F. vorgesehen sei. Auch treffe es nicht zu, daß die Auffassung des BdF internationaler Übung entspreche. Richtig sei nur, daß die Erstattung bezahlter Kapitalertragsteuer vereinbart werden könne, wie es z. B. im deutsch-schweizerischen Vertrag geschehen sei. Eine solche Vorschrift enthalte das im Streitfall maßgebende Abkommen indessen nicht. Schließlich erreiche das vom BdF verfochtene Erstattungsverfahren auch nicht den damit verfolgten Zweck der gesetzlich nicht gedeckten finanzamtlichen Prüfung, da schon vor Ablauf des Reinvestitionszeitraums eine Erstattung vorgenommen werden könne. Es sei ein allgemeiner Grundsatz des zwischenstaatlichen Rechts, völkerrechtliche Verträge möglichst zweckfreundlich auszulegen. Dem Zweck des DBA/USA n. F. widerspreche es aber, den Steuerpflichtigen zunächst stets mit 25 v. H. Kapitalertragsteuer zu belasten, selbst wenn später die Steuer auf 15 v. H. herabgesetzt werde. Auf diese Weise werde die Doppelbesteuerung nicht vermieden, sondern verschärft.

 

Entscheidungsgründe

Ausden Gründen:

Vorinstanz:

Gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 1 EStG wird die Einkommensteuer bei inländischen Gewinnanteilen aus Aktien durch Abzug vom Kapitalertrag (Kapitalertragsteuer) erhoben. Die dem Haftungsbescheid zugrunde liegende Ausschüttung ist als inländischer Kapitalertrag anzusehen, weil der Schuldner im Streitfall Geschäftsleitung und Sitz im Inland hat (§ 43 Abs. 4 EStG). Die Kapitalertragsteuer beträgt bei inländischen Dividenden 25 v. H. der vollen Kapitalerträge ohne Abzug (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 EStG). Der Dividendenschuldner hat die Kapitalertragsteuer für den Dividendengläubiger einzubehalten und die einbehaltenen Steuerabzüge auch dann an das FA abzuführen, wenn die Kapitalerträge beim Gläubiger zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören (§ 44 Abs. 3 EStG). Der Schuldner der Kapitalerträge haftet unbeschadet der Steuerschuldnerschaft des Dividendengläubigers für die Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragsteuer (§ 44 Abs. 5 EStG).

Die vorgenannten allgemeinen Bestimmungen gelten auch im Streitfall, da die Steuerpflichtige weder durch eine Rechtsverordnung auf Grund der Ermächtigung des § 44 Abs. 6 EStG begünstigt ist noch durch steuervertragliche Sondervorschriften befugt war, an Stelle des Regelsteuersatzes von 25 v. H. lediglich 15 v. H. Kapitalertragsteuer abzuziehen. Die abweichende Auffassung der Steuerpflichtigen findet keine Stütze im DBA/USA n. F., dessen einschlägige Vorschriften nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. a des Protokolls zur Änderung des DBA/USA a. F. vom 17. September 1965 (BGBl II 1965, 1610, BStBl I 1966, 220) auf die am oder nach dem 1. Januar 1965 gezahlten Dividenden anzuwenden sind.

Gemäß Art. VI Abs. 2 DBA/USA n. F. darf die Steuer der Bundesrepublik von Dividenden, die eine amerikanische Körperschaft von einer deutschen Gesellschaft bezieht, 15 v. H. des Bruttobetrags der Dividenden nicht übersteigen, soweit dieser Artikel nichts anderes bestimmt. Etwas anderes bestimmt der Absatz 3 des Artikels, demzufolge bei Dividenden, die eine amerikanische Körperschaft von einer deutschen Gesellschaft bezieht, deren stimmberechtigte Anteile der amerikanischen Körperschaft zu mindestens 10 v. H. unmittelbar gehören, die Steuer der Bundesrepublik 15 v. H., jedoch nicht 25 v. H. des Teils der Dividenden übersteigen darf, der nach Abs. 5 als reinvestiert gilt. Der zum DBA/USA n. F. ergangene Ländererlaß vom 3. Juni 1966, a. a. O., bestimmt unter A Nr. 6, daß die deutsche Gesellschaft bei der Dividendenausschüttung stets die Kapitalertragsteuer mit einem Steuersatz von 25 v. H. einzubehalten und abzuführen habe. Nach Art. VI Abs. 6 DBA/USA n. F. unterliegen Ermäßigungen und Erstattungen der im Abzugswege erhobenen Steuer von Dividenden im Sinne des Absatzes 3 dem Vorbehalt, daß die nachgelassene oder erstattete Steuer nachzuzahlen ist, sofern sie auf Grund einer Zuführung, die als Reinvestition im Sinne des Abs. 5 gilt, geschuldet wird.

Der erkennende Senat ist der Auffassung, daß diese Abkommensklauseln nach ihrem objektiven Normgehalt keine Sondervorschriften darstellen, die eine Änderung der allgemeinen Gesetzesbestimmungen der §§ 43, 44 EStG bewirken. Zwar ist eine derartige Rechtswirkung nicht grundsätzlich ausgeschlossen, da ein ordnungsgemäß transformierter internationaler Besteuerungsvertrag bestehendem deutschen Gesetzesrecht als Lex specialis vorgeht (vgl. Urteile des RFH III A 267/34 vom 3. Oktober 1935, RStBl 1935, 1399, und VI A 71/37 vom 10. März 1937, RStBl 1937, 486; Mersmann, Die Ertragsbesteuerung inländischer Betriebstätten und Tochtergesellschaften ausländischer Kapitalgesellschaften, S. 16). Im Streitfall rechtfertigen Wortlaut und Sinnzusammenhang des Art. VI DBA/USA n. F. unter Berücksichtigung des Vertragszwecks eine so weitgehende Auslegung jedoch nicht. Vielmehr ist aus Art. VI Abs. 6 zu entnehmen, daß Ermäßigungen oder Erstattungen der im Abzugswege erhobenen Steuern von Dividenden, auf die Abs. 3 oder Abs. 4 Anwendung findet, vorgesehen sind. Hieraus ist zu schließen, daß das in der Bundesrepublik geltende System der Erstattung der zunächst voll einbehaltenen Kapitalertragsteuer mit dem Vertrag vereinbar ist. Demgegenüber enthalten weder Art. VI noch der übrige Vertragstext eine Bestimmung, die die von der Steuerpflichtigen geltend gemachte unmittelbare Einwirkung auf das innerstaatliche System des Quellenabzugsverfahrens beinhaltet. Unter diesen Umständen braucht auf die Frage, ob ein allgemeiner völkerrechtlicher Auslegungsgrundsatz besteht, wonach vertragliche Beschränkungen der staatlichen Souveränität und Freiheit im Zweifelsfall einschränkend auszulegen sind (so Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl. S. 174), hier nicht eingegangen zu werden.

Der in Art. VI DBA/USA n. F. festgelegte teilweise Verzicht des Quellenstaats auf die Ausübung der aus seiner Souveränität folgenden Besteuerungskompetenz darf jedenfalls nicht weiter ausgedeutet werden, als es der Vertragszweck der Milderung der Doppelbesteuerung durch Begrenzung zweier kollidierender Steuergewalten verlangt. Im Streitfall hat sich die Bundesrepublik völkerrechtlich verpflichtet und innerstaatlich gebunden, bei der Besteuerung bestimmter Dividenden beim ausländischen Steuerschuldner bestimmte Höchststeuersätze nicht zu überschreiten. Eine weitergehende Beschränkung ihrer materiellen und formellen Besteuerungshoheit ist dem Abkommen insoweit nicht zu entnehmen. Aus dem Schweigen des Abkommens folgt, daß die nationale Verfahrenshoheit und das gesetzte Verfahrensrecht ungeschmälert weitergelten (so auch Korn/Dietz, Doppelbesteuerung, Vorbemerkungen S. 54 ff.). Durch den Haftungsbescheid ist die Steuerpflichtige nicht in ihren Rechten verletzt, da die Höhe der von ihr abzuführenden Abzugsbeträge vom DBA/USA n. F. nicht berührt wurde. Der Sinn des DBA/USA n. F. ist auch dann erfüllt, wenn die Ermäßigung der Steuer auf 15 v. H. nicht bereits durch niedrigere Einbehaltung beim Haftungsschuldner, sondern erst durch endgültige Herabsetzung zustande kommt. Die hier anwendbaren §§ 43, 44 EStG beinhalten nicht nur eine besondere Erhebungsform, sondern dienen insbesondere auch der Sicherung der Einkommensteuer. In aller Regel ist auch dem Haftungsschuldner eine ausreichende Prüfung der Voraussetzungen der Ermäßigung des Steuerabzugs bis zu dessen Einbehaltung nicht zuzumuten. Wird aus diesen bedeutsamen Gründen zunächst dem Haftungsschuldner ein Kapitalertragsteuerabzug von 25 v. H. auferlegt, ohne damit dem ausländischen Steuerschuldner bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen die endgültige Ermäßigung der Steuer auf 15 v. H. zu versagen, so ist der Zweck des Abkommens auch dann erfüllt, wenn dieses Ergebnis auf Grund des in Abschn. A Nr. 7 des o. a. Ländererlasses genau geregelten Erstattungsverfahrens eintritt.

Unbegründet ist auch der Einwand, die Forderung des vollen Quellenabzugs verstoße gegen Treu und Glauben, wenn der streitige Abführungsbetrag wegen Erfüllung des Begünstigungstatbestandes wieder zu erstatten sei. Dieses Argument greift schon deshalb nicht durch, weil der Rechtsgedanke des „dolo facit, qui petit, quod redditurus est”, dessen Geltung im Steuerrecht grundsätzlichen Bedenken begegnet, mindestens auf dem Gebiet der Abzugsteuern durch das Prinzip des gegenteiligen „solve et repete” ersetzt ist (vgl. Bühler, Prinzipien des internationalen Steuerrechts S. 39).

Schließlich ist auch der Hinweis darauf, daß in den USA nicht das System der Erstattung, sondern der unmittelbaren Ermäßigung durchgeführt werde, unerheblich, da allgemein das Verfahren der Vertragsstaaten bei der technischen Durchführung eines DBA sehr verschieden ist. Es besteht jedenfalls kein Anlaß, das außer von der Bundesrepublik Deutschland auch von anderen Staaten, wie z. B. der Schweiz, angewandte Verfahren des vollen Steuerabzugs mit späterer Erstattung auf Antrag, das erhebliche verwaltungsmäßige Vorteile bietet, deshalb zu beanstanden, weil in einigen Staaten das System der unmittelbaren Ermäßigung – das übrigens im Falle eingehender Prüfung der Verhältnisse nicht zu einer Beschleunigung des Verfahrens zu führen braucht – angewandt wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 557339

BStBl II 1968, 797

BFHE 1968, 438

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