Leitsatz (amtlich)

1. Der Montageerlaß (jetzt Auslandstätigkeitserlaß) und der Pauschalierungserlaß enthalten keine abschließende Regelung der Möglichkeiten des Steuererlasses und der Steuerpauschalierung nach § 34c Abs.3 EStG a.F. (jetzt § 34c Abs.5 EStG 1979).

2. Bei einer Ermessensentscheidung (hier Ablehnung eines Billigkeitserlasses nach § 163 AO 1977) liegt ein Ermessensfehlgebrauch vor, wenn die Behörde sich auf Einwendungen gegen einen vorangegangenen Bescheid einläßt und hierbei zu Unrecht von dessen Rechtmäßigkeit ausgeht (Anschluß an BFH-Urteil vom 1.Dezember 1966 V 137/64, BFHE 87, 405, BStBl III 1967, 156).

 

Normenkette

EStG 1977 § 34c Abs. 3; EStG 1979 § 34c Abs. 5; FGO § 102; AO 1977 §§ 5, 163

 

Verfahrensgang

Hessisches FG (Entscheidung vom 12.05.1982; Aktenzeichen VII 60/81)

 

Tatbestand

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), zwei Brüder, waren Inhaber einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Diese wurde im Streitjahr 1977 von zwei deutschen Großunternehmen mit der Ausführung von Montagearbeiten an einer Baustelle im Irak beauftragt. Die Kläger erledigten die Montagearbeiten sowohl eigenhändig als auch durch den Einsatz eigener Arbeitnehmer. In einer Anlage zu der am 13.März 1979 beim Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) eingereichten Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der gewerblichen Einkünfte beantragten sie, von dem auf die Montagearbeiten entfallenden Gewinn von 156 566,42 DM die durch eigene Arbeitsleistung erwirtschafteten Anteile in Höhe von 48 834,36 DM (Kläger zu 1) und 49 093,94 DM (Kläger zu 2) steuerfrei zu lassen, weil sie insoweit die gleichen Voraussetzungen erfüllt hätten wie im Ausland tätige unbeschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer, deren Arbeitslohn nach dem Montageerlaß nicht besteuert werde. Das FA lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, daß der Montageerlaß nur auf Arbeitnehmer, nicht jedoch auf Unternehmer anwendbar sei und stellte den Gewinn aus Gewerbebetrieb im Bescheid vom 30.März 1979 mit 156 566 DM fest. Die dagegen nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage nahmen die Kläger zurück. Zugleich verfolgten die Kläger ihr Ziel mit dem Antrag auf eine niedrigere Gewinnfeststellung durch Stellung eines Billigkeitsantrags nach § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) weiter. Antrag und Beschwerde blieben erfolglos.

Auf die gegen die ablehnende Verfügung gerichtete Klage hat das Finanzgericht (FG) das FA unter Aufhebung der Verfügung vom 18.März 1980 und der Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) vom 29.Dezember 1980 verpflichtet, die Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden, und die Klage im übrigen abgewiesen (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1983, 130).

Mit seiner hiergegen eingelegten Revision rügt das FA eine unzutreffende Würdigung des Sachverhalts sowie eine unzutreffende Anwendung des § 34c Abs.3 des Einkommensteuergesetzes --EStG-- (jetzt § 34c Abs.5 EStG 1981) und des § 163 AO 1977.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Zu Recht hat das FG die Entscheidung des FA über die Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO 1977 in Gestalt der Beschwerdeentscheidung der OFD aufgehoben und das FA zu einer neuen Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verpflichtet (§ 101 Satz 2 FGO).

Zutreffend hat das FG festgestellt, daß die Ablehnungsentscheidung wegen fehlerhafter Ermessensausübung rechtswidrig ist (§ 102 FGO).

Bei der begehrten abweichenden Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO 1977 handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (vgl. die Nachweise bei Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 3.Aufl., § 163 Anm.11).

Bei einer solchen Billigkeitsentscheidung liegt ein Ermessensfehlgebrauch vor, wenn die Behörde sich auf Einwendungen gegen einen vorangegangenen Bescheid einläßt und hierbei zu Unrecht von dessen Rechtmäßigkeit ausgeht (Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 8.Aufl., § 102 FGO Rdnr.29; Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1.Dezember 1966 V 137/64, BFHE 87, 405, BStBl III 1967, 156).

a) Entgegen dem Revisionsvorbringen des FA hat das FG ohne Verstoß gegen die Denkgesetze aus der Begründung der Beschwerdeentscheidung vom 29.Dezember 1980 über die Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO 1977 den Schluß gezogen (§ 118 Abs.2 FGO), daß das FA und die OFD von einer vorangegangenen rechtsfehlerfreien Ablehnung eines Antrags auf niedrigere Festsetzung nach § 34c Abs.3 EStG a.F. (jetzt § 34c Abs.5 EStG n.F.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Montageerlasses und des Pauschalierungserlasses ausgingen und --fälschlich-- diese Voraussetzungen als abschließende Regelungen ansahen.

In der Begründung der angeführten Beschwerdeentscheidung heißt es nämlich auf Seite 7 der Ausfertigung:

"... Durch die rechtliche Gestaltung --Montageerlaß bei Arbeitslohn aus

nichtselbständiger Auslandstätigkeit und Pauschalierungserlaß bei

ausländischen Einkünften aus Gewerbebetrieb-- haben die obersten

Finanzbehörden eine objektive Abgrenzung geschaffen und damit zum Ausdruck

gebracht, in welchen Fällen sie auf die Steuer verzichten oder diese in

einem Pauschbetrag festsetzen wollen. ..., kann daraus nur geschlossen

werden, daß sie die dabei entstehende unterschiedliche Behandlung von

Steuerpflichtigen bewußt in Kauf genommen haben. ... Für eine abweichende

Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen ist somit kein Raum. ..."

Rechtsfehlerfrei hat das FG demgegenüber ausgeführt, daß die Regelungen des Montage- (jetzt Auslandstätigkeits-) und des Pauschalierungserlasses (Pauschalierungserlasse vom 8.Juli 1959, BStBl II 1959, 109, und vom 10.April 1984, BStBl I 1984, 252; Montageerlaß vom 25.Juli 1975, BStBl I 1975, 944; Auslandstätigkeitserlaß vom 31.Oktober 1983, BStBl I 1983, 470) den Inhalt des § 34c Abs.3 EStG a.F. (§ 34c Abs.5 EStG n.F.) nicht erschöpfen (vgl. ebenso Gänger in Hartmann/Böttcher/Nissen/Bordewin, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 34c Rdnr.66 f.; Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 34c Rdnr.43; Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, 12.Aufl., Rdnr.107; Bordewin u.a., NWB-Handkommentar zum Einkommensteuergesetz, § 34c Rdnr.19; Urteile des Niedersächsischen FG vom 24.Februar 1983 XI (VI) L 148/79 und vom 6.Oktober 1983 XI 634/82, EFG 1984, 194). Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 19.April 1978 2 BvL 2/75 (BGBl I 1978, 986, BStBl II 1978, 548, Internationale Wirtschaftsbriefe --IWB-- Nr.14 vom 25.Juli 1978, 447 = Deutschland Gruppe 3, 535 mit Anmerkung Baranowski) räumt die Gesetzesvorschrift den Finanzbehörden in verfassungskonformer Weise einen Ermessensspielraum ein und stellt einen Auffangtatbestand für besondere Fälle dar, denen die Regelungen in den vorangestellten Absätzen des § 34c EStG nicht gerecht werden --sei es, daß die Anwendung des Abs.1 besonders schwierig oder daß eine andere Regelung aus volkswirtschaftlichen Gründen zweckmäßig ist--. Daraus ergibt sich, daß die Bestimmung auf Ausnahmefälle beschränkt ist, nämlich auf die Regelung von besonderen Sachverhalten, die im Hinblick auf ihre Abhängigkeit von jeweiligen ausländischen handels- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen zum Schutz der eigenen Volkswirtschaft eine schnelle, auf den Einzelfall bezogene entlastende Reaktion der Finanzbehörden erfordern.

Diesen vom BVerfG herausgestellten Bedürfnissen nach einzelfallbezogenen schnellen Entscheidungen wird durch die erwähnten Erlaßregelungen nicht abschließend Rechnung getragen. Es muß im Einzelfall eine Entscheidung unter Berücksichtigung der jeweiligen Gegebenheiten möglich bleiben.

b) Da das Urteil des FG bereits von vorstehenden Erwägungen getragen wird, kann dahingestellt bleiben, ob die eine Billigkeitsmaßnahme ablehnende Entscheidung des FA in Gestalt der Beschwerdeentscheidung der OFD auch deswegen als ermessensfehlerhaft aufzuheben gewesen wäre, weil behördlicherseits zu Unrecht für das vorangegangene Verfahren nach § 34c Abs.3 EStG a.F. (§ 34c Abs.5 EStG n.F.) von einer Delegation der Zuständigkeit auf das FA ausgegangen wurde (vgl. BFH-Urteile einerseits vom 7.März 1979 I R 145/76, BFHE 127, 517, BStBl II 1979, 527 a.E.; andererseits vom 13.Januar 1966 IV 166/61, BFHE 85, 399, BStBl III 1966, 556, und insbesondere vom 10.Juli 1970 VI R 48/67, BFHE 99, 376, BStBl II 1970, 728).

c) Ferner kann offenbleiben, ob das FG das Vorliegen "ausländischer Einkünfte" i.S. des § 34c Abs.3 EStG a.F. i.V.m. § 68b Nr.2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung a.F. (§ 34c Abs.5 EStG n.F. i.V.m. § 34d Nr.2 a EStG n.F.) i.V.m. § 12 Satz 1 oder Satz 2 Nr.8 AO 1977 überhaupt festgestellt hat (etwa schon durch die tatbestandliche Bezugnahme auf die vorangegangenen Verwaltungsverfahrens-Abschnitte mit den dort eingereichten entsprechenden Unterlagen und eine konkludent daran anschließende rechtliche Würdigung). Selbst bei Fehlen einer Betriebsstätte bliebe die Ablehnung des Billigkeitserlasses nach § 163 AO 1977 --mit der unter 1. a behandelten Erwägung-- ermessensfehlerhaft.

d) Zu Recht hat das FG das FA zu einer neuen Entscheidung unter Beachtung der gerichtlichen Rechtsauffassung verpflichtet (§ 101 Satz 2 FGO) und keine eigene ersetzende Ermessensentscheidung getroffen, da der Ausnahmefall einer Ermessensreduzierung auf null (vgl. Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 102 FGO Anm.31, m.w.N., und Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 12.Aufl., § 102 FGO Rdnr.1 lit.c, m.w.N.) nicht gegeben ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 61734

BStBl II 1988, 139

BFHE 151, 25

BFHE 1988, 35

DB 1987, 566-567 (ST)

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