Leitsatz (amtlich)

Die Zeit des Fehlens der unbeschränkten Steuerpflicht infolge Wohnsitznahme im Ausland verlängert nicht den Fünfjahreszeitraum im Sinn von § 10d EStG.

 

Normenkette

EStG §§ 10d, 25

 

Tatbestand

Zu entscheiden ist über die Auslegung des § 10d EStG 1961.

Der Revisionskläger - Steuerpflichtiger - erlitt in den Jahren 1954 und 1955 erhebliche, einheitlich und gesondert festgestellte, nach § 10d EStG abzugsfähige Verluste. In der Zeit von Mitte 1955 bis einschließlich 1958 lebte der Steuerpflichtige im Ausland und hatte dort nur dem Steuerabzug im Ausland unterliegende Einkünfte bezogen, eine Veranlagung im Inland war für diese Jahre nicht erfolgt. Ab 1959 war der Steuerpflichtige wieder unbeschränkt steuerpflichtig im Sinn des § 1 Abs. 1 EStG. Er erzielte 1961 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 31 428 DM. Er begehrt Berücksichtigung der noch nicht berücksichtigten Verluste 1954 und demgemäß Festsetzung der Einkommensteuer 1961 auf 0 DM. Er ist der Ansicht, daß da er in 1956 bis 1958 unbestritten weder beschränkt noch unbeschränkt steuerpflichtig war, diese drei Jahre bei Berechnung der "fünf vorangegangenen Veranlagungszeiträume" im Sinn des § 10d EStG ausscheiden, so daß als dem Veranlagungszeitraum 1961 vorangegangen nur die Veranlagungszeiträume 1960, 1959, 1955, 1954 und 1953 anzusehen sind. Danach stehe ihm der Abzug der noch nicht berücksichtigten Verluste 1954 für 1961 noch zu.

Das FA folgte dem nicht. Nach erfolglosem Einspruch wurde die Klage der Steuerpflichtigen als unbegründet abgewiesen. Das FG führte im wesentlichen aus. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes sei bei Annahme eines Veranlagungszeitraums ein objektiver Maßstab zugrunde zu legen. Nach § 25 EStG bilde den Veranlagungszeitraum grundsätzlich das Kalenderjahr. Dabei könne es nicht darauf ankommen, ob für die Veranlagungsabschnitte 1956 bis 1958 eine Veranlagung aus bestimmten Gründen nicht habe erfolgen können. § 10d EStG sei demnach so zu lesen, daß nur Verluste der fünf vorangegangenen Kalenderjahre abgezogen werden könnten. Der Gesetzgeber habe nur innerhalb eines beschränkten Zeitraums Verluste der Vergangenheit mit Gewinnen der Zukunft verrechnen lassen wollen. Nach der eindeutigen Auffassung des BFH solle der Verlustabzug auf einen fünfjährigen Zeitraum oder auf die fünf Jahre, die auf das Jahr der Entstehung des Verlustes folgen, beschränkt werden (vgl. Urteile des BFH VI 49/61 S vom 22. Juni 1962, BFH 75, 328, BStBl III 1962, 386; VI 25/61 U vom 28. Juli 1961, BFH 73, 464, BStBl III 1961, 436; I 131/57 U vom 8. Januar 1958, BFH 66, 250, BStBl III 1958, 97; VI 313/65 vom 25. März 1966, BFH 86, 301, BStBl III 1966, 487). Unter der Geltung des § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG 1950 habe das Urteil des BFH IV 266/54 U vom 1. Dezember 1955 (BFH 62, 108, BStBl III 1956, 41) den maßgeblichen Zeitraum mit den drei Vorjahren identifiziert. Aus den Vorschriften über die beschränkte Steuerpflicht in §§ 49, 50 EStG folge nichts anderes. Im Urteil VI 115/41 vom 9. April 1941 (RStBl 1941, 570) habe der RFH lediglich die Ansicht vertreten, daß ein Verlustabzug in dem dem Verlustjahr folgenden übernächsten Jahr erfolgen könne, wenn ein Abzug im ersten Jahr nicht möglich gewesen sei. Ein solcher Fall würde auch dann vorliegen, wenn Verluste sich mangels Veranlagung in dem zunächst folgenden Jahr nicht auswirken könnten. Ein Hinweis darauf, daß sich in einem solchen Fall der Zeitraum für den möglichen Verlustabzug verlängern würde, finde sich nicht in dem Urteil.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten Revision beantragen die steuerpflichtigen Eheleute, das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Einkommensteuer 1961 auf 0 DM festzusetzen. Sie halten an ihrer schon bisher geäußerten Rechtsauffassung fest. Den vom FG zitierten Urteilen des BFH sei nichts Gegenteiliges zu entnehmen. In ihnen werde in einem vereinfachenden Sprachgebrauch nicht klar zwischen Kalenderjahr und Veranlagungszeitraum unterschieden, so daß auch keine Schlüsse für die hier streitige Frage aus den Urteilen gezogen werden könnten. Aus dem Urteil VI 313/65 U (a. a. O.) ergebe sich überhaupt nichts für die Streitfrage. Dafür, daß die Begriffe Veranlagungszeitraum und Kalenderjahr nicht gleichgestellt werden dürften, spreche die Behandlung des Wechsels von der beschränkten zur unbeschränkten Steuerpflicht innerhalb eines Kalenderjahres. Hier fielen zwei Veranlagungszeiträume an (Urteile des RFH VI A 377/37 vom 21. Juli 1937, RFH 42, 18; VI 261/38 vom 30. November 1938, RStBl 1939, 173; Blümich, StuW 1937 Sp. 222; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, Anm. 24 und 34 zu § 25 EStG). Das Kalenderjahr, für das eine weder beschränkt noch unbeschränkt steuerpflichtige Person im Inland nicht veranlagt werde, sei kein Veranlagungszeitraum im Sinn des § 10d EStG.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist nicht begründet.

Nach § 10d EStG 1961 können unter bestimmten weiteren Voraussetzungen die Verluste der fünf vorangegangenen Veranlagungszeiträume abgezogen werden, soweit ein Ausgleich oder Abzug in den vorangegangenen Veranlagungszeiträumen nicht möglich war. Die Steuerpflichtigen irren, wenn sie, insbesondere in ihrem Fall, der Meinung sind, unter dem Begriff "Veranlagungszeiträume" in § 10d EStG seien nur Kalenderjahre zu verstehen, in denen eine natürliche Person im Inland steuerpflichtig gewesen sei, wenn auch als beschränkt steuerpflichtig nur mit inländischen Einkünften im Sinn des § 49 EStG. Aus § 25 EStG kann dies nicht gefolgert werden. Wenn § 25 EStG bestimmt, daß der Veranlagungszeitraum das Kalenderjahr ist, in dem das zu versteuernde Einkommen bezogen ist, so wird hierdurch nur festgelegt und mußte festgelegt werden, welchem Kalenderjahr die veranlagte Einkommensteuer zugeordnet wird. Als Veranlagungszeitraum könnte - zum Beispiel - auch ein Kalenderjahr oder ein anderer Zeitraum bestimmt sein, der dem Kalenderjahr, in dem das Einkommen bezogen ist, nachfolgt oder sich mit ihm überschneidet. Aus der Verknüpfung des Begriffs Veranlagungszeitraum mit dem Beziehen von Einkommen kann jedoch nicht gefolgert werden, daß ein Veranlagungszeitraum nur vorliege, wenn tatsächlich in dem Kalenderjahr im Inland wenigstens eine persönliche Steuerpflicht bestand, aufgrund deren ein Einkommen hätte besteuert werden können. Der Begriff des Veranlagungszeitraums bezeichnet vielmehr objektiv und abstrakt den Zeitraum, für den eine Einkommensteuer festzusetzen wäre, wenn Einkommen bezogen würde. Als Bezeichnung nur eines Zeitraums ist er unabhängig von dem tatsächlichen Beziehen eines Einkommens. Wenn daher der Begriff des Veranlagungszeitraums auch in § 10d EStG verwendet wird, so ist auch hier nur ein Zeitabschnitt gemeint, der nach dem System des Einkommensteuerrechts einem bestimmten Kalenderjahr entspricht und eine zeitliche Abgrenzung der Zulässigkeit des Verlustabzugs vornehmen will. Der Senat sieht keine Veranlssung, bei einem Steuerpflichtigen, der früher im Inland einen abzugsfähigen Verlust erlitten hat, den Begriff des Veranlagungszeitraums nicht auch auf die Kalenderjahre anzuwenden, in denen dieser Steuerpflichtige im Inland nicht steuerpflichtig im Sinne des § 1 EStG war. Zu einer unterschiedlichen Behandlung im Verhältnis zu Steuerpflichtigen, die innerhalb des Fünfjahreszeitraums kein Einkommen hatten, besteht kein Anlaß. Der im Urteil des BFH VI 66/59 U vom 17. Februar 1961 (BFH 72, 630, BStBl III 1961, 230) und im Urteil VI 25/61 U (a. a. O.) dargestellte Sinn und Zweck des Verlustabzugs gilt für beide Fälle gleichermaßen. Das gleiche gilt für die Grundsätze des Urteils des RFH VI 115/41 (a. a. O.). Aus der Behandlung des Wechsels von der beschränkten zur unbeschränkten Steuerpflicht im Laufe eines Kalenderjahres folgt nichts anderes. Die Annahme der Steuerpflichtigen, daß für diesen Fall die Rechtsprechung und die Literatur vom Vorliegen zweier Veranlagungszeiträume ausgingen, trifft nicht zu. Es wird nur von zwei Veranlagungen gesprochen, die durchgeführt werden müßten, weil für das Einkommen, soweit es auf die Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht entfalle, andere Steuersätze gälten als für das Einkommen, soweit es auf die Zeit der beschränkten Steuerpflicht entfalle. Die Annahme von zwei Veranlagungszeiträumen ist schon deshalb unzutreffend, weil sie gegen § 25 EStG verstoßen würde. Dies entspricht auch der Auffassung des BFH im Urteil I R 126/70 vom 17. Mai 1972 (BFH 105, 483, BStBl II 1972, 621). Sollte sich aus den von den Steuerpflichtigen angeführten Fundstellen etwas anderes ergeben, so könnte ihm der erkennende Senat nicht zustimmen.

Zu der Frage, ob die vom FG angeführten Urteile des BFH eindeutig ausgesprochen haben, daß unter den vorangegangenen Veranlagungszeiträumen in § 10d EStG lückenlos aufeinanderfolgende Kalenderjahre zu verstehen sind, oder ob man insoweit den Steuerpflichtigen beipflichten müßte, die der Ansicht sind, daß die Urteile das BFH in einem vereinfachenden Sprachgebrauch die von ihnen, den Steuerpflichtigen, getroffene Unterscheidung zwischen Kalenderjahren und Veranlagungszeiträumen nicht gemacht haben, braucht der Senat nicht Stellung zu nehmen. Denn jedenfalls sprechen die Urteile nicht aus, daß ein solcher Unterschied bestehe.

Die Steuerpflichtigen können nach alledem bei der Einkommensteuerveranlagung 1961 den Abzug von Verlusten aus den Veranlagungszeiträumen 1954 und gegebenenfalls auch 1955 nicht in Anspruch nehmen.

 

Fundstellen

BStBl II 1972, 877

BFHE 1972, 522

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