Entscheidungsstichwort (Thema)

Erlaß wegen sachlicher Unbilligkeit

 

Leitsatz (NV)

Selbst bei offensichtlich und eindeutig falscher bestandskräftiger Festsetzung einer Steuer besteht nur dann ein Grund zum Erlaß, wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren.

 

Normenkette

AO 1977 §§ 152, 227

 

Verfahrensgang

FG des Saarlandes

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war seit 1970 Kommanditist einer KG, aus der er am 23. April 1976 ausgeschieden ist. In der Folgezeit arbeitete er für die KG als Angestellter weiter. Daneben betrieb er bis November 1976 mit einem Kompagnon eine Gaststätte in S. Ab 1978 handelte er zunächst mit Stroh, danach mit Halogenbirnen. 1973 erbte er ein Mietwohngrundstück, das er, wie der Einheitswertstelle des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) bekannt war, am 25. April 1974 veräußerte. Am 6. April 1970 trat der Kläger aus der römisch-katholischen Kirche aus.

Für die Jahre 1974 bis 1977 gab der Kläger trotz Aufforderung des FA keine Einkommensteuererklärungen ab. Daraufhin schätzte das FA die Besteuerungsgrundlagen, wobei es von Einkünften aus Gewerbebetrieb und Vermietung und Verpachtung ausging. Die Einkommensteuerbescheide 1975 und 1976 wurden bestandskräftig. Ebenfalls bestandskräftig wurde der Einkommensteuerbescheid 1977 vom 21. August 1979. Darin setzte das FA die Einkommensteuer auf 9 072 DM, die römisch-katholische Kirchensteuer auf 816,40 DM und einen Verspätungszuschlag auf 900 DM fest. Der Kläger zahlte die festgesetzten Steuerbeträge - ebenso wie diejenigen der Vorjahre - und den Verspätungszuschlag nicht. Als sich 1981 aus Umsatzsteuervoranmeldungen ein Vorsteuerguthaben ergab, verrechnete das FA das Guthaben mit der Einkommensteuerschuld 1977 und teilte dem Kläger dies mit. Darauf beantragte der Kläger mit Schreiben vom 18. August 1981 den Erlaß der Einkommensteuer und Kirchensteuer 1977 sowie des Verspätungszuschlags zur Einkommensteuer 1977, da er in diesem Jahr keinerlei Einkünfte erzielt habe. Er sei deshalb der Meinung gewesen, nicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung verpflichtet zu sein und habe aus Unkenntnis versäumt, gegen den Einkommensteuerbescheid 1977 Einspruch einzulegen. Im Falle der Einziehung der rückständigen Steuerbeträge werde seine wirtschaftliche Existenz bedroht.

Die gegen die ablehnende Verfügung des FA eingelegte Beschwerde blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils der Klage stattzugeben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig.

Der Wert des Streitgegenstandes übersteigt 10 000 DM (§ 115 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975 in der für das Jahr der Einlegung der Revision - 1984 - geltenden Fassung - BFHEntlG -).

Der Kläger begehrt in diesem Verfahren wie im finanzgerichtlichen Verfahren den Erlaß eines Betrags von 10 788,40 DM. Darin ist neben der Einkommensteuer 1977 die Kirchensteuer und ein Verspätungszuschlag enthalten. Es ist unerheblich, ob der Kläger zu Recht den Erlaß der Kirchensteuer vor dem FG geltend gemacht hat (vgl. § 11 Abs. 2 des Gesetzes über die Erhebung von Kirchensteuern im Saarland - Saarländisches Kirchensteuergesetz (KiStG Saarland) - vom 25. November 1970 - BStBl I 1971, 79 -). Für die Berechnung des Streitwerts gemäß § 115 Abs. 1 FGO i. V. m. Art. 1 Nr. 5 BFHEntlG kommt es auf den Revisionsantrag an (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rdnr. 21 f. - Lfg. 47 -).

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat allerdings wiederholt die Auffassung vertreten, daß die Kirchensteuer bei der Berechnung des Streitwerts nicht einzubeziehen sei (Entscheidungen vom 25. August 1955 IV 410/55 U, BFHE 61, 261, BStBl III 1955, 298; vom 27. Januar 1967 VI R 216/66, BFHE 88, 73, BStBl III 1967, 291; vom 18. Oktober 1974 VI R 126/72, BFHE 114, 4, BStBl II 1975, 145 und vom 30. März 1978 IV R 207/74, BFHE 124, 422, BStBl II 1978, 347). In diesen Fällen ging es aber nicht um den Erlaß von Einkommen- und Kirchensteuer, sondern um die Anfechtung des Einkommensteuerbescheids oder des Bescheids über den Lohnsteuer-Jahresausgleich.

Abgesehen davon, daß im Streitfall die Kirchensteuer und der Verspätungszuschlag von vornherein in den bezifferten Klageantrag aufgenommen wurden, können die oben angegebenen Grundsätze auf das Verfahren wegen Steuererlaß nicht übernommen werden. Es können - insbesondere im Rahmen der persönlichen Billigkeitsgründe - für den Erlaß der Einkommensteuer andere Gesichtspunkte ausschlaggebend sein als für den Erlaß der Kirchensteuer und der Verspätungszuschläge, so daß die Voraussetzungen des Erlasses jeweils gesondert zu prüfen sein könnten.

Die Revision ist aber unbegründet.

1. Geht man davon aus, daß der Kläger den Erlaß der Kirchensteuer selbständig neben dem Erlaß der Einkommensteuer begehrte - und nicht nur als Folge des Erlasses der Einkommensteuer -, hat das FG allerdings zu Unrecht über den Antrag auf Erlaß der Kirchensteuer sachlich entschieden; der Antrag des Klägers war insoweit nicht zulässig. Über den Erlaß der Kirchensteuer entscheiden im Saarland gemäß § 11 Abs. 2 KiStG Saarland kirchliche Stellen. Gegen deren Entscheidung ist zwar der Finanzrechtsweg gegeben (§ 16 Abs. 1 KiStG Saarland), denn es handelt sich insoweit um ein Verfahren zur Erhebung von Kirchensteuer in kircheneigener Verwaltung. Nach dieser Vorschrift kann die Klage aber erst erhoben werden, wenn der Bescheid in einem außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren nachgeprüft worden ist. Daran mangelt es im Streitfall.

2. Das FG hat aber im Ergebnis die Klage zu Recht als unbegründet zurückgewiesen, weil hinsichtlich der Einkommensteuer und des Verspätungszuschlags (§ 152 der Abgabenordnung - AO 1977 -) die materiellen Voraussetzungen eines Erlasses (§ 227 AO 1977) nicht gegeben sind.

a) Zu Recht ist das FG im Rahmen der Prüfung der sachlichen Unbilligkeit vom Urteil des BFH vom 30. April 1981 VI R 169/78 (BFHE 133, 255, BStBl II 1981, 611, bestätigt u. a. durch das BFH-Urteil vom 11. August 1987 VII R 121/84, BFHE 150, 502, BStBl II 1988, 512) ausgegangen. Danach besteht selbst bei offensichtlich und eindeutig falscher bestandskräftiger Festsetzung einer Steuer nur dann ein Grund zum Erlaß, wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren. Der Senat hält die letztere Voraussetzung für erforderlich, weil mittelbar die Bestandskraft des Einkommensteuerbescheids 1977 berührt ist. Wie eng das Gesetz hier den Rahmen der Korrekturmöglichkeiten setzen will, ergibt sich u. a. aus § 129 AO 1977 (§ 92 Abs. 2 der Reichsabgabenordnung).

Zwar hat das FA im Streitfall hinsichtlich des Ansatzes von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung für das Streitjahr auch nachlässig gehandelt. Die Folge dieses Versehens hätte der Kläger aber durch Einspruch und den bloßen Hinweis auf den Verkauf seines Grundstücks ausräumen können. Es sind keine Gründe vorgetragen oder sonst erkennbar, die den Kläger daran subjektiv oder objektiv gehindert hätten. Angesichts dieser ungewöhnlichen Nachlässigkeit des Klägers bestand kein Grund, die Folgen der insoweit falschen bestandskräftigen Steuerfestsetzung durch Steuererlaß zu beseitigen.

Die Rüge der Verletzung der Ermittlungspflicht durch das FG (§ 76 FGO) geht schon deswegen ins Leere, weil es für die Entscheidung des FG unerheblich war, ob der Kläger im Streitjahr tatsächlich Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt hat.

b) Auch einen Erlaß aus persönlichen Billigkeitsgründen hat das FA zu Recht abgelehnt. Der Kläger hat die Einkommensteuer durch Verrechnung entrichtet. Angaben hinsichtlich seiner Einkommens- und Vermögenssituation hat er nicht gemacht. Auch im übrigen sind Gründe für einen Erlaß nicht erkennbar.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416390

BFH/NV 1989, 756

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