Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewertung, Vermögen-, Erbschaft-, Schenkungsteuer Erbschaft, Schenkung und Steuern

 

Leitsatz (amtlich)

Durch Art. 29 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl 1953 II S. 559, 570) werden Flüchtlinge im Sinne dieses Abkommens unter anderem steuerlich den eigenen Staatsangehörigen gleichgestellt. Flüchtlinge, die im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, gelten aber ebenso wie deutsche Staatsangehörige unter ähnlichen Verhältnissen nicht als Inländer im Sinne von § 8 Abs. 1 ErbStG 1959, da die erbschaftsteuerliche Inländereigenschaft nicht von der Staatsangehörigkeit des Erblassers oder des Erwerbers abhängt.

ErbStG 1959 § 8 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und Nr. 2, § 16 Abs. 1 und 3; Abkommen über die

 

Normenkette

ErbStG § 8 Abs. 1 Nrn. 1a, 2, § 16 Abs. 1, § 16/2

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Ehegattenfreibetrag nach § 16 ErbStG 1959 auf den Erwerb der Ehefrau eines Flüchtlings im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl 1953 II S. 559) mit Wohnsitz in Triest angewendet werden kann.

Am 30. Juni 1959 verstarb in Triest der Ehemann der Bgin. Alleinerbin des inländischen Nachlasses war seine Ehefrau, die Bgin. Der Erblasser und die Bgin. sind nach den Feststellungen des Finanzgerichts Flüchtlinge gemäß Art. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (im folgenden kurz als Genfer Abkommen bezeichnet). Zum Erbanfall gehören zwei in X. belegene Mietwohngrundstücke mit einem Einheitswert von zusammen 112.500 DM, auf denen Belastungen von insgesamt 16.675,87 DM ruhten. Das Finanzamt ermittelte den Wert des Erwerbes auf 95.824,13 DM. Es vertrat die Ansicht, daß der Erwerb der beschränkten Steuerpflicht unterliege und setzte dementsprechend die Erbschaftsteuer wegen der Vorschrift des § 16 Abs. 3 ErbStG 1959 ohne Berücksichtigung eines Ehegattenfreibetrags auf 4.311 DM (= 4,5 v. H. von 95.800 DM) fest. Der Einspruch, in dem die Bgin. sich auf Art. 29 Abs. 1 des Genfer Abkommens berief, blieb ohne Erfolg. Auf die Berufung der Bgin. hob das Finanzgericht die Einspruchsentscheidung auf und setzte die Erbschaftsteuer auf 0 DM herab. Die Vorinstanz ging davon aus, daß nach § 16 Abs. 1 ErbStG der Erwerb des Ehegatten des Erblassers steuerfrei bleibe, soweit er den Betrag von 250.000 DM nicht übersteigt und im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld Kinder des Ehegatten aus seiner Ehe mit dem Erblasser leben. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall erfüllt. Auf einen gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers im Bundesgebiet komme es nicht an. Mit der Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Anwendung der Vorschrift des § 8 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG 1959.

 

Entscheidungsgründe

Der Rb. ist der Erfolg nicht zu versagen.

Nach Art. 29 Abs. 1 des Genfer Abkommens haben "die vertragschließenden Staaten" vereinbart, daß sie "von den Flüchtlingen keine anderen oder höheren Gebühren, Abgaben oder Steuern, gleichviel unter welcher Bezeichnung, erheben, als unter ähnlichen Verhältnissen von ihren eigenen Staatsangehörigen jetzt oder künftig erhoben werden". Die Bestimmungen des Genfer Abkommens haben für die Bundesrepublik Gesetzeskraft erlangt. Sie schaffen nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes keine Vorrangstellung für Flüchtlinge, sondern stellen diese nur den eigenen Staatsangehörigen gleich. Nach deutschem Erbschaftsteuerrecht tritt die persönliche Erbschaftsteuerpflicht für den gesamten Erbanfall nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1959 ein, wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes oder der Erwerber zur Zeit der Entstehung der Steuerschuld ein Inländer ist. Nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 8 Abs. 1 Nr. 1 a a. a. O. gelten als Inländer solche natürlichen Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Die erbschaftsteuerliche Inländereigenschaft hängt also nicht von der Staatsangehörigkeit des Erblassers oder des Erwerbers ab (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs III 250/56 U vom 20. Dezember 1957, BStBl 1958 III S. 79, Slg. Bd. 66 S. 204).

Allein entscheidend für den Streitfall ist somit, ob der Erblasser oder die Bgin. am Stichtag im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hat. Die Entscheidung des Finanzgerichts geht von anderen Grundsätzen aus. Sie ist daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif.

Einen Wohnsitz im Sinne der Steuergesetze hat jemand nach § 13 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) dort, wo er eine Wohnung inne hat unter Umständen, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Sinne hat jemand gemäß § 14 StAnpG dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend verweilt. Unstreitig hat die Bgin. ihre Wohnung nicht im Bundesgebiet, sondern in Triest. Da auch der Erblasser dort seine Wohnung hatte, war Wohnsitz im Sinne von § 13 StAnpG am Stichtag Triest.

Zu Recht weist der Vorsteher des Finanzamts weiter darauf hin, daß weder der Erblasser noch die Bgin. im Bundesgebiet ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der Steuergesetze hatten. Der Reichsfinanzhof ist im Urteil III e A 46/34 vom 6. Februar 1936, RStBl 1936 S. 294 - (vgl. auch Urteil des Reichsfinanzhofs III e 62/37 vom 31. März 1938, RStBl 1938 S. 458) davon ausgegangen, daß der "gewöhnliche Aufenthalt" in einem Land schon dadurch begründet werden könne, daß jemand zwar immer nur vorübergehend, aber doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit das Inland zu seinem Aufenthalt wähle. Der Senat vermag dieser Auffassung nicht zu folgen. Zuzustimmen ist dagegen der im Urteil des Reichsfinanzhofs V e A 301/32 vom 17. Juni 1932 (Mrozek-Kartei, ErbStG 1925, § 8 Abs. 1 I Nr. 1 Rechtsspruch 2) vertretenen Ansicht, daß in der Regel ein Kuraufenthalt im Inland keinen "gewöhnlichen Aufenthalt" begründen könne, es sei denn, die Verhältnisse lägen ungewöhnlich. Gleiches muß für einen Erholungsaufenthalt im Inland gelten. Derartige besondere Umstände, insbesondere ein Aufenthalt von langer Dauer im Inland, wie im Falle des Urteils des Reichsfinanzhofs V e A 301/32 vom 17. Juni 1932, a. a. O., sind im Streitfall nicht gegeben. Bei einem Aufenthalt von je 14 Tagen in einer Pension am Y.-See deuten die Umstände auch dann, wenn ein derartiger Aufenthalt sich Jahre nacheinander wiederholt, nicht darauf hin, daß der Erblasser und die Bgin. an diesem Ort nicht nur vorübergehend verweilen wollten. Auch ein Hausbesitz in X. kann zu keiner anderen Entscheidung führen, zumal die Bgin. keine konkreten Gründe für ihre Aufenthalte in der Bundesrepublik vorgetragen und keine genauen Zeiten angegeben hat, wann sie in den letzten Jahren vor dem Stichtag in der Bundesrepublik war. Die von der Bgin. vorgetragene Meinung müßte dazu führen, den Erwerb von Todes wegen von Ausländern, die ihren Urlaub jeweils regelmäßig in der Bundesrepublik verleben, in vollem Umfang der deutschen Erbschaftsteuer zu unterwerfen. Daß der Gesetzgeber dieses Ergebnis nicht gewollt haben kann, liegt auf der Hand. Nach alledem gelten der Erblasser und die Bgin. nicht als Inländer im erbschaftsteuerlichen Sinne. Gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG tritt somit im Streitfall die Steuerpflicht nur für den Erbanfall ein der aus Vermögensgegenständen der in § 77 BewG genannten Art besteht, soweit sich diese Vermögensgegenstände im Geltungsbereich des Grundgesetzes befinden. Wegen § 16 Abs. 3 ErbStG 1959 kann daher die Regelung für die Besteuerung des Ehegattenerwerbs nach § 16 Abs. 1 ErbStG 1959 nicht angewendet werden. Auch ein deutscher Staatsangehöriger hätte unter ähnlichen Verhältnissen, d. h. mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland, keinen Anspruch auf Gewährung des Ehegattenfreibetrages.

Hiernach war die angefochtene Entscheidung wegen rechtsirriger Anwendung des Art. 29 Abs. 1 des Genfer Abkommens in Verbindung mit §§ 8 Abs. 1 Nr. 1 a und 16 Abs. 1 ErbStG 1959 aufzuheben und die Berufung der Bgin. gegen die Einspruchsentscheidung als unbegründet zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410447

BStBl III 1962, 276

BFHE 1963, 18

BFHE 75, 18

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