Leitsatz (amtlich)

Aufwendungen einer Dipl.-Psychologin für die Teilnahme an Veranstaltungen eines Instituts für Psychotherapie mit dem Ziel, Psychotherapeutin zu werden, sind als Berufsfortbildungskosten abzugsfähige Werbungskosten.

 

Normenkette

EStG 1971 § 9 Abs. 1 S. 1, § 10 Abs. 1 Nr. 9

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Dipl.-Psychologin. Sie ist aufgrund ihres Diploms befähigt, in der forensischen Psychologie, der Industriepsychologie, der Markt- und Meinungsforschung, der pädagogischen Psychologie, der Verkehrspsychologie, der Wehrpsychologie und der klinischen Psychologie tätig zu sein. Die Klägerin arbeitet auf dem Gebiete der klinischen Psychologie und ist seit ihrem Examen an einer neurologisch-psychiatrischen Klinik tätig. Sie behandelt psychisch Kranke nach der Gesprächstherapie, der Verhaltenstherapie und anderen Behandlungsmethoden mit Ausnahme der analytischen Methode.

Tiefenpsychologie und Psychoanalyse waren Gegenstand der Ausbildung der Klägerin zur Dipl.-Psychologin und Prüfungsfach bei der Dipl.-Prüfung. Die Klägerin entschloß sich, ihre Kenntnisse und Erfahrungen auf diesem Gebiet durch Teilnahme an Vorlesungen und Seminaren eines Instituts für Psychotherapie zu vertiefen mit dem Ziel, als Psychotherapeutin zugelassen zu werden. Zu dem Programm dieses Instituts gehört insbesondere die Teilnahme an Lehr- und Kontrollanalysen. Voraussetzung für die Kassenzulassung als Psychotherapeutin ist die erfolgreiche Teilnahme an diesen Veranstaltungen.

Die Klägerin machte in ihrer Einkommensteuererklärung 1972 die Aufwendungen für Semestergebühren, Lehranalysen und Fahrtkosten mit dem eigenen Kraftwagen von 9 050 DM als Fortbildungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) sah diese Aufwendungen als Ausbildungskosten im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG an und ließ daher nur einen Pauschbetrag von 900 DM als Sonderausgaben zum Abzug zu. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das FG wies die Klage ab. Es führte aus, die Teilnahme der Klägerin an den Vorlesungen des Instituts für Psychotherapie mit dem erstrebten Abschlußexamen habe Ausbildungscharakter. Das Institut sei zwar eine private Einrichtung. Es vermittle aber ebenso wie eine Hochschule oder eine Fachschule ein neues Berufsbild und eröffne den Teilnehmern eine andere berufliche und wirtschaftliche Stellung. Die Teilnahme an den Vorlesungen und das Abschlußexamen zeigten alle Merkmale, die für ein Hochschulstudium entscheidend seien. Hierdurch würde die Grundlage für eine neue oder anders geartete Lebensführung geschaffen. Der Beruf des Psychotherapeuten sei bei Fachleuten und in weiten Kreisen der Bevölkerung anerkannt. Das zur Ausbildung erforderliche Wissen werde in Deutschland aber bisher nicht von Hochschulen, sondern von Fachinstituten vermittelt. Die Teilnahme an den vom Institut für Psychotherapie eingerichteten Vorlesungen, Seminaren und Übungen bilde eine Ergänzung des Studiums der Psychologie oder der Humanmedizin in dem Sinne, daß hiermit eine besondere Berufsqualifikation und nicht nur eine Vertiefung des bisherigen Wissens angestrebt werde. Es komme nicht darauf an, ob die Klägerin die Absicht habe, auf dem Gebiet der Psychotherapie tätig zu werden, oder ob sie sich als Psychotherapeutin niederlassen wolle. Entscheidend sei, daß sie aufgrund ihres Examens als Psychotherapeutin hierzu die Möglichkeit habe. Der erfolgreiche Abschluß des Studiums am Institut für Psychotherapie vermittle der Klägerin auch eine andere gesellschaftliche Stellung. Die gegenüber Dipl.-Psychologen herausragende Stellung eines Fachpsychotherapeuten eröffne weitergehende gesellschaftliche und berufliche Möglichkeiten. Insoweit bestehe eine ähnliche Situation wie bei einem erfolgreichen Zweitstudium, das der BFH grundsätzlich als Ausbildung und nicht als Fortbildung ansehe. Die Aufwendungen seien auch nicht deshalb Fortbildungskosten, weil die Klägerin schon im Verlaufe ihres ersten Studiums gewisse Grundkenntnisse in der Tiefenpsychologie erworben habe. Jedes Studium baue auf mehr oder weniger einschlägigen Vorkenntnissen auf. Entscheidend sei, ob die erfolgreiche Teilnahme an einer Lehrveranstaltung im umfassenden Sinn die Voraussetzungen für eine neue Berufsausbildung schaffe.

Die Aufwendungen der Klägerin seien auch aus einem anderen Grund nicht als Werbungskosten anzuerkennen. Eine Fortbildung diene stets der Erweiterung oder Vertiefung, also der Vervollständigung der Kenntnisse in einem bereits ausgeübten Beruf. Als Fortbildung komme also nur ein Verhalten in Betracht, bei dem der gesamte - nervliche, zeitliche, finanzielle usw. - Einsatz des Steuerpflichtigen in einem angemessenen Aufwand zu den Möglichkeiten der Erweiterung der bisherigen Berufskenntnisse stehe. Wenn auch grundsätzlich nicht zu prüfen sei, ob Fortbildungskosten üblich oder notwendig seien, so sei jedoch in Zweifelsfällen darauf abzustellen, ob der Aufwand üblich sei. Dies sei im Streitfall zu verneinen. Wenn die Klägerin so viele Jahre neben ihrer beruflichen Tätigkeit Veranstaltungen besuche, die sie nervlich, zeitlich und finanziell so stark belasteten wie hier, so spreche dies dafür, daß sie die Aufwendungen nicht zur Erhaltung und Sicherung der Einnahmen aus ihrem bisherigen Beruf getätigt habe. Zu einer solchen Belastung sei ein Arbeitnehmer nach der Lebenserfahrung nur bereit, wenn er sich hiervon einen angemessenen Vorteil verspreche, der im Hinblick auf die Höhe des Aufwandes nur außerhalb der bisherigen beruflichen Sphäre zu suchen sei. Der Aufwand werde im Streitfall mithin nicht vom Begriff der Fortbildungskosten gedeckt, sondern falle unter die nach § 12 EStG nichtabzugsfähigen Kosten der Lebensführung.

Die Klägerin rügt mit der Revision unrichtige Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG. Sie bringt vor, die Teilnahme an den Vorlesungen des Instituts für Psychotherapie setze ein abgeschlossenes Psychologiestudium voraus. Das zeige, daß eine Fortbildungsmaßnahme vorliege, auch wenn die Bildungsmaßnahmen des Instituts qualitativ mit denen an einer Hochschule oder Fachschule vergleichbar seien. Es handele sich nicht um eine grundlegende berufliche Veränderung, sondern um eine berufliche Spezialisierung, die vergleichbar sei mit der Fortbildung eines Arztes zum Facharzt. Sie verbessere durch die Teilnahme an den Vorlesungen des Instituts und durch das Examen als Psychotherapeutin ihre berufsspezifischen Erkenntnisse; sie erreiche aber keine berufliche und wirtschaftliche Besserstellung als sie sie bisher als Dipl.-Psychologin gehabt habe. Es könne daher nicht von einem selbständigen Zweitstudium, sondern von einem postgraduierten Studium (Aufbaustudium) die Rede sein. Sie wolle weiterhin psychisch kranke Personen behandeln. Durch dieses Studium habe sie jedoch die Möglichkeit, auch tiefenpsychologische Behandlungsmethoden anzuwenden. Auf ihren finanziellen und zeitlichen Aufwand komme es nicht an. Die Ausgaben beruhten im wesentlichen darauf, daß die Durchführung der notwendigen Lehr- und Kontrollanalysen entsprechend kostspielig, aber anders sonst nicht möglich sei.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung des FA vom 30. August 1974 aufzuheben und die geltend gemachten Aufwendungen als Werbungskosten zum Abzug zuzulassen sowie die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im finanzamtlichen Vorverfahren für notwendig zu erklären.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind Fortbildungskosten Werbungskosten im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG, während Ausbildungskosten zu den nichtabzugsfähigen Kosten der Lebensführung im Sinne des § 12 Nr. 1 EStG gehören. Dieser Unterscheidung hat auch der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, daß er durch Art. 1 Nr. 1 Buchst. a StÄndG 1968 vom 20. Februar 1969 (BGBl I 1969, 141, BStBl I 1969, 116) in § 10 Abs. 1 EStG als Nr. 9 eine Vorschrift einfügte, die vom Veranlagungszeitraum 1969 an die Berufsausbildungskosten in beschränktem Umfang als Sonderausgaben zum Abzug zuläßt (vgl. Urteil des Senats vom 29. Mai 1974 VI R 182/71, BFHE 112, 490, BStBl II 1974, 636).

Der BFH hat im Grundsatzurteil vom 16. März 1967 IV R 266/66 (BFHE 89, 511, BStBl III 1967, 723) entschieden, daß Kosten eines Hochschulstudiums nichtabzugsfähige Kosten der Berufsausbildung sind, weil das Hochschulstudium dem Steuerpflichtigen eine andere berufliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung eröffnet. Aufwendungen für Hochschulstudium schaffen im allgemeinen die Grundlage für eine neue oder anders als bisher geartete Lebensgestaltung des Steuerpflichtigen. Mit dieser Rechtsprechung sollen schwierige Entscheidungen in Grenzfällen und sachlich nicht zu rechtfertigende unterschiedliche steuerliche Auswirkungen bei Studienkosten vermieden werden.

In Anwendung dieser Grundsätze wurden die Kosten eines Hochschulstudiums, das ein Steuerpflichtiger mit dem Ziel durchführte, die entsprechenden Abschlußprüfungen abzulegen, dem Ausbildungsbereich auch dann zugeordnet, wenn es sich um ein dem bereits abgeschlossenen Erststudium verwandtes Zweitstudium handelt (BFH-Urteil vom 10. Dezember 1971 VI R 160/70, BFHE 104, 231, BStBl II 1972, 255).

Der erkennende Senat hat jedoch Studienaufwendungen nicht unterschiedslos als Ausbildungsaufwand angesehen. Es ist vielmehr zu differenzieren, welche Ziele der Steuerpflichtige mit der Aufnahme des Studiums verfolgt. In der heutigen Zeit mit den sich steigernden Anforderungen an das dem allgemeinen Entwicklungsstand anzupassende berufliche Wissen gibt es Studien, die der Fortbildung und nicht der Ausbildung dienen. In dem Bestreben, den Begriff der als Werbungskosten berücksichtigungsfähigen Fortbildungskosten nicht zu eng zu fassen, hat der Senat deshalb im Urteil vom 12. Juli 1974 VI R 125/72 (BFHE 113, 109, BStBl II 1974, 712) Aufwendungen einer Studienassessorin für ein zweisemestriges Studium der Erziehungswissenschaften ohne Abschlußexamen als Fortbildungskosten anerkannt. Er hat darüber hinaus im Urteil vom 3. Dezember 1974 VI R 189/73 (BFHE 114, 361, BStBl II 1975, 280) Aufwendungen eines ausgebildeten und examinierten Volksschullehrers für das Studium am heilpädagogischen Institut einer Universität, um die Lehrbefähigung an Sonderschulen zu erwerben, als Fortbildungskosten angesehen, weil das Studium spezielle pädagogische und psychologische Kenntnisse vermittelt, die auf dem ausgeübten Lehrerberuf aufbauen, und weil eine neue gesellschaftliche Stellung mit der Tätigkeit als Sonderschullehrer nicht verbunden ist. Der Senat ließ sich dabei vor allem von der Erwägung leiten, daß die Unterrichtung am heilpädagogischen Institut und die praktische Unterweisung in der Psychiatrie isoliert gesehen für den Volksschullehrer ohne Bedeutung war; denn sie würde ihn nicht zur Ausübung einer gleich wie gearteten Lehrtätigkeit berechtigen. Der Volksschullehrer erwarb durch die Schulung vielmehr zusätzlich psychologische und pädagogische Kenntnisse, die er brauchte, um behinderten Schülern den Unterrichtsstoff nahebringen zu können, den er bisher gesunden Kindern vermittelt hatte.

Entsprechend diesen Grundsätzen sind auch im Streitfall die Aufwendungen der Klägerin als Fortbildungskosten anzuerkennen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Teilnahme an Vorlesungen und Seminaren des Instituts für Psychotherapie mit einem nichtstaatlichen Examensabschluß als eine dem Hochschulstudium gleichwertige Ausbildung im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung zu werten ist. Wesentlich ist, daß das Institut ein sechssemestriges Abendstudium nach den Richtlinien der Deutschen Gesellschjaft für Psychotherapie und Tiefenpsychologie nur Ärzten und Dipl.-Psychologen als "Fortbildungsmaßnahme" anbietet. Da die Fächer Tiefenpsychologie und Psychoanalyse bereits Gegenstand der Ausbildung der Klägerin zur Dipl.-Psychologin und Prüfungsfach bei der Dipl.-Prüfung waren, führt ihre Teilnahme an den Veranstaltungen dieses Instituts auf dem Gebiet der analytischen Psychotherapie zu einer Vertiefung ihrer Kenntnisse und Erfahrungen zur Behandlung psychisch kranker Menschen. Die Klägerin kann sich aufgrund des Examens als Psychotherapeutin freiberuflich niederlassen. Sie kann aber auch mit diesen erweiterten Kenntnissen an der neurologisch-psychiatrischen Klinik weiter arbeiten. Nach Auffassung des Senats führt der Beruf eines Psychotherapeuten daher zu keiner wesentlich anderen beruflichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellung der Klägerin und bietet auch nicht die Grundlage für eine anders als bisher geartete Lebensgestaltung. Wenn auch nicht zu verkennen ist, daß sich freipraktizierenden Psychotherapeuten oft bessere Verdienstmöglichkeiten als angestellten Dipl.-Psychologen eröffnen, so bedeute dieser berufliche Werdegang doch nur eine berufliche Spezialisierung, die mit der Fortbildung eines Arztes zum Facharzt oder eines Volksschullehrers zum Sonderschullehrer vergleichbar ist.

Die Aufwendungen sind im Streitfall auch nicht deshalb Berufsausbildungskosten, weil die Klägerin zur Fortbildung als Psychotherapeutin viel Zeit und Kosten aufwenden mußte. Es ist zu berücksichtigen, daß das Studium nur in Abendveranstaltungen möglich war, daß Studien je nach Fachrichtung unterschiedlich hohe Aufwendungen mit sich bringen und daß es sich bei dem Institut für Psychotherapie nicht um eine staatliche Anstalt, sondern um eine private Einrichtung handelt. Die Klägerin nimmt die Mühen und die Kosten auf sich, weil dies ihrem beruflichen Aufstieg bzw. einer künftigen Niederlassung als freipraktizierende Psychotherapeutin dient. Das ist nicht schädlich; denn letztlich verspricht sich jeder Steuerpflichtige Vorteile von Berufsfortbildungsmaßnahmen in den Abendstunden und am Wochenende.

Das FG beruft sich in diesem Zusammenhang zu Unrecht auf die BFH-Urteile vom 20. September 1957 VI 7/56 U (BFHE 65, 498, BStBl III 1957, 424) und vom 9. Dezember 1960 IV 241/60 U (BFHE 72, 263, BStBl III 1961, 99). Der BFH hatte in diesen Entscheidungen auf die Üblichkeit von Aufwendungen für das Doktorexamen und für Reiseaufwendungen eines Architekten abgestellt, der seine Reiseroute so gewählt hatte, daß sie den Besuch und die Besichtigung für ihn beruflich interessanter Bauwerke ermöglichte. Abgesehen davon, daß ein Sachverhalt dieser Art im Streitfall nicht vorliegt, hat der BFH insbesondere die Kosten der Doktorprüfung in späteren Urteilen vom 7. August 1967 VI R 88/66 (BFHE 90, 26, BStBl III 1967, 777) und VI R 63/67 (BFHE 90, 34, BStBl III 1967, 779) aus anderen Gründen, und zwar ausschließlich deshalb nicht als Werbungskosten zum Abzug zugelassen, weil dem akademischen Grad des Doktors eine gesellschaftlich besondere Bedeutung zukommt; er weist den Träger dieses Titels als Akademiker aus und viele Unternehmen der Industrie und des Handels legen hierauf erfahrungsgemäß Wert. Eine Psychotherapeutin beweist durch ihr Examen nicht der Öffentlichkeit, daß sie wissenschaftlich arbeiten kann, sondern sie dokumentiert nach außen ihre berufliche Spezialisierung auf der Grundlage des vorher abgelegten Dipl.-Psychologenexamens oder der ärztlichen Ausbildung.

Die Vorentscheidung war aufzuheben, da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen war. Die Sache ist an das FG gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, damit das FG die Höhe der geltend gemachten Aufwendungen im einzelnen prüft.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72336

BStBl II 1977, 547

BFHE 1978, 77

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