Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Der Senat tritt der Entscheidung des Bundesfinanzhofs I 135/53 S vom 12. März 1954 bei, daß der Vermittlungsagent im allgemeinen nicht verpflichtet ist, seine Provisionsforderung vor Ausführung des vermittelten Geschäftes in der Bilanz auszuweisen.

 

Normenkette

EStG § 5

 

Tatbestand

Der Steuerpflichtige (Stpfl.) ist Handelsvertreter für mehrere Unternehmungen. Soweit die Akten erkennen lassen, ist er überwiegend Vermittlungsagent. Er hat in seinen Bilanzen lediglich die Beträge ausgewiesen, die jeweils am Bilanzstichtag laut Provisionsabrechnung noch rückständig waren, sowie die Provisionsforderungen aus Geschäften, die durch Lieferung der Ware bereits einseitig erfüllt waren. Nach Auffassung des Finanzamts war der Stpfl. jedoch verpflichtet, seine Provision, die auf bereits vermittelte und dem Geschäftsherrn angezeigte Geschäfte entfiel, auch insoweit unter den Forderungen der Bilanz auszuweisen, als eine Lieferung und Abrechnung noch nicht erfolgt war. Da ein Teil der Aufträge seitens der Lieferfirma wegen Materialknappheit, Zahlungsunfähigkeit der Kunden usw. nicht ausgeführt wurde, ließ das Finanzamt eine Wertberichtigung in Höhe von 40 % 5 528 DM zum 31. Dezember 1949 zu. Das Finanzamt stützte sich bei seiner Rechtsauffassung auf das Urteil des Reichsfinanzhofs VI 839, 840/38 vom 15. Februar 1939, Slg. Bd. 46 S. 143, Reichssteuerblatt (RStBl.) 1939 S. 606.

Der Stpfl. machte hiergegen geltend, das Finanzamt berücksichtige nicht die Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI 7/43 vom 12. Mai 1943, Slg. Bd. 53 S. 198, RStBl. 1943 S. 547. Er müsse bei Abrufaufträgen noch für den Abruf durch den Kunden sorgen, die Lieferung und Aufstellung überwachen, etwaige Bemängelungen entgegennehmen, die Zahlung überwachen und sich auch bei etwaigen Zwangsmaßnahmen gegen den Kunden einschalten. Die Rückstellungen für unsichere Provisionsansprüche aus noch nicht ausgeführten Geschäften könnten zudem nicht in befriedigender Weise vorgenommen werden. Die Provision und deren endgültige Höhe hänge schon bei normalem Wirtschaftsablauf von vielen äußeren Umständen ab. Dies gelte insbesondere für die heutige Zeit, in der Teil- und Vollannullierungen wegen Schwierigkeiten in der Rohstoff- und Kohlebelieferung und aus Gründen der Preisgestaltung an der Tagesordnung seien. Hierzu komme noch, daß die Aufträge, die ohne sein Zutun in seinem Vertreterbezirk an die vertretene Firma aufgegeben seien, ihm nicht bekannt seien. Es sei auch widerspruchsvoll, beim Handlungsagenten eine Provisionsforderung bereits in einem Zeitpunkt als aktivierungspflichtig anzusehen, in dem man das Recht der Passivierung bei der vertretenen Firma ablehne.

Der Stpfl. hat im Berufungsverfahren Abschriften seiner Verträge mit zwei Firmen eingereicht. Sie enthalten folgende Bestimmungen:

"Die vertretene Firma macht der Handelsvertreterfirma unverzüglich Mitteilung, falls sie einen von der Handelsvertreterfirma übermittelten Auftrag nicht annimmt, andernfalls gilt der Auftrag als angenommen".

"Die vertretene Firma gibt für jeden Kalendermonat, spätestens bis zum 10. Werktage des folgenden Monats der Handelsvertreterfirma eine Provisionsabrechnung mit ordnungsmäßigem Buchauszuge über die in dem Monat ausgeführten Lieferungen. über etwaige Zweifel wegen der Richtigkeit der erteilten Abrechnung oder eines etwaigen Buchauszuges sollen die ordnungsmäßig geführten Geschäftsbücher der vertretenen Firma entscheiden. Der laut Abrechnung der Handelsvertreterfirma zustehende Provisionsbetrag ist sofort zahlbar. Zu viel oder zu wenig gezahlte Provision wird bei der nächsten Abrechnung berücksichtigt".

Der Stpfl. ergänzte diese Abmachungen durch den Hinweis, daß entgegen diesen Bestimmungen die Abrechnungen in der Praxis vierteljährlich und die Bezahlung der Provision erst nach vier und mehr Monaten erfolgten.

Das Finanzgericht gab der Berufung statt und führte hierzu unter anderem folgendes aus: Es vermöge den Grundsätzen des Urteils des Reichsfinanzhofs VI 839, 840/38 vom 15. Februar 1939 nicht beizupflichten. Das Urteil verkenne die Bedeutung des Risikoüberganges im Rahmen der Gewinnverwirklichung aus schwebenden Geschäften (siehe Entscheidung des Obersten Finanzgerichtshofs IV 62/49 U vom 13. Januar 1950, Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen - Bay. FMBl. - 1950 S. 83 und die Besprechung des Urteils in Finanz-Rundschau 1950 S. 89). In dem Augenblick, in dem der Agent alles getan habe, um seine Provisionsforderung zu verdienen, sei diese Forderung bürgerlich-rechtlich noch nicht entstanden, und auch kaufmännisch betrachtet noch kein bewertungsfähiges Wirtschaftsgut geworden. Die lediglich angebahnten Geschäfte begründeten noch keine aktivierungsfähigen Provisionsforderungen. Bevor der Lieferant die Ware an den Kunden abgesandt habe, sei auch im Lieferungsgeschäft die Gewinn- oder Verlust-Verwirklichung noch nicht eingetreten. Es komme auf die Abnahme der Ware durch den Kunden an. Die Gefahr einer Mängelrüge sei dann lediglich im Rahmen des Delkredere berücksichtigungsfähig. Im Zeitpunkt des Abschlusses eines Vermittlungsgeschäftes trage das Risiko noch der Vertreter. Er sei deshalb noch nicht verpflichtet, die Provisionsforderung zu aktivieren. Sobald aber die Ware geliefert sei, gehe in den Fällen, in denen laut Vertrag der Geschäftsherr verpflichtet sei, in diesem Zeitpunkt dem Vertreter die Provisionsabrechnung zu erteilen, das Risiko auf den Geschäftsherrn über. Das Recht des Vertreters, in diesem Stadium die Abrechnung zu verlangen, begreife zugleich sein Recht auf Zahlung der Provision in sich. Die Provisionsforderung sei dann aktivierungspflichtig. Anders sei die Rechtslage dann, wenn der Geschäftsherr nicht vertraglich verpflichtet sei, dem Vertreter vor der Zahlung des Kunden eine Provisionsabrechnung zu erteilen. In diesen Fällen trete die Aktivierungspflicht für den Vertreter ebenfalls erst bei Eingang der Abrechnung ein. Der Stpfl. sei entsprechend diesen Grundsätzen bilanzmäßig vorgegangen.

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts stützt sich auf die Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI 839, 840/38 vom 15. Februar 1939.

Der Stpfl. führt in seiner Stellungnahme aus: Die Bedeutung des Risikos des Vertreters trete im besonderen Ausmaße bei den Import- und Exportvertretern in Erscheinung. Die Import- und Exportgeschäfte benötigen zu ihrer Abwicklung Monate. Es lägen Fälle vor, in denen erhebliche Provisionsbeträge erst nach Jahren abgerechnet worden seien. Der Stpfl. fügte seiner Stellungnahme eine gutachtliche äußerung des Institutes "Finanzen und Steuern", Bonn am Rhein, bei. In dem Gutachten wird unter Bezug auf Darlegungen von Schmalenbach ("Dynamische Bilanz" 10. Aufl. S. 34), in "Der Betriebs-Berater" 1952 S. 572 und in "Finanz und Steuer", März-April-Heft 1947 folgendes ausgeführt:

Die übliche buchmäßige Behandlung der Provisionsansprüche der Handelsvertreter sei folgende: Wenn der Handelsvertreter einen Auftrag übernehme und seinem Auftraggeber überschreibe, so erhalte er einige Tage später den Durchschlag der Auftragsbestätigung an den Kunden. In diesem Zeitpunkt werde noch keine Buchung vorgenommen. In der Regel werde die Provision am Schluß des Liefermonats oder am Schluß des Liefervierteljahres gezahlt. Der Handelsvertreter erhalte dann eine Provisionsabrechnung, und in diesem Zeitpunkt buche er sein Provisionsguthaben aus der Abrechnung als Forderung an den vertretenen Geschäftsherrn. Es gebe keinen Handelsvertreter, der die Provision für einen noch nicht ausgeführten Auftrag in seiner Buchführung gebucht habe. Auch die beiden Entscheidungen des Reichsfinanzhofs von 1939 und 1943 hätten keinen Handelsvertreter veranlassen können, seine Buchführung so umzustellen, daß der Provisionsanspruch schon im Zeitpunkt der Bestätigung des Auftrages durch das vertretene Unternehmen an den Kunden gebucht worden wäre. Gebucht werde immer erst dann, wenn die Provisionsabrechnung eingehe, gleichgültig, ob diese Abrechnung - je nach der getroffenen Vereinbarung - sich auf ausgeführte Lieferungen oder auf Zahlungen durch den Kunden beziehe. Diese Sachlage sei demgemäß als die ständige übung im Vertretergewerbe anzusprechen. Im übrigen weist das Gutachten auch auf die Schwierigkeiten einer Bilanzierung im Sinne des Urteils des Reichsfinanzhofs vom 15. Februar 1939 hin. Die Vertreterprovision sei abhängig vom Grundgeschäft, von dessen vertraglicher Gestaltung und seinem Ablauf. Das Gutachten unterstreicht die Bedeutung des Zeitpunktes der Rechnungserteilung für den Zeitpunkt der Gewinnrealisierung. Zusammenfassend kommt das Gutachten zu folgendem Ergebnis:

"1. Der Zeitpunkt der Gewinnverwirklichung wird dadurch bestimmt, daß der Handelsvertreter seine Verpflichtungen aus dem Agenturvertrag beim einzelnen Grundgeschäft erfüllt und der Geschäftsherr die Leistung Abgenommen hat.

Der Geschäftsherr nimmt dem Handelsvertreter seine Leistung für das einzelne Geschäft erst dann ab, wenn sein eigenes Grundgeschäft und damit auch das Provisionsgeschäft des Handelsvertreters nicht mehr mit dem Abnahme- oder Zahlungs-Risiko belastet ist. Erst die einseitige Erfüllung des Grundgeschäftes durch Lieferung des Geschäftsherrn oder - je nach Vereinbarung - die gegenseitige Erfüllung des Grundgeschäfts bringt den Leistungen des Handelsvertreters den zu honorierenden Erfolg.

Die Leistungsabnahme durch den Geschäftsherrn vollzieht sich in der Provisionsabrechnung; durch sie tritt an die Stelle der bisherigen Anwartschaft (schwebendes Geschäft) der in der Bilanz auszuweisende Provisionsanspruch des Handelsvertreters, bzw. die auszuweisende Provisionsverpflichtung des Geschäftsherrn".

 

Entscheidungsgründe

Die Prüfung der Rb. ergibt folgendes:

Der Reichsfinanzhof hat in der Entscheidung VI 839, 840/38 vom 15. Februar 1939 die Aktivierung der Provisionsforderung des Handelsvertreters bereits in dem Augenblick gefordert, in dem er das Geschäft vermittelt und den Abschluß dem Geschäftsherrn angezeigt hat. Der I. Senat des Bundesfinanzhofs ist in der zur Veröffentlichung bestimmten Entscheidung I 135/53 S vom 12. März 1954 dieser Auffassung nicht gefolgt und hat für den Vermittlungsagenten eine Pflicht zur Aktivierung der Forderung vor Ausführung des vermittelten Geschäftes im allgemeinen abgelehnt. Der Senat tritt dieser Auffassung bei.

Wie in der Entscheidung I 135/53 S im einzelnen dargestellt wird, ist die Frage der Gewinnverwirklichung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu entscheiden. Es sind deshalb die Verhältnisse des einzelnen Falles sowohl in rechtlicher wie in tatsächlicher Beziehung von wesentlicher Bedeutung. Dies gilt auch für die Beurteilung der Gewinnverwirklichung aus den Geschäften des Handlungsagenten. Es ist dem Finanzgericht und dem Gutachten des Institutes "Finanzen und Steuern" darin beizupflichten, daß im allgemeinen eine Gewinnverwirklichung aus schwebenden Geschäften voraussetzt, daß die eigene Leistung vom Kunden abgenommen oder doch wenigstens die Abnahme mit keinem beachtlichen Risiko mehr belastet ist. Des weiteren ist dem Finanzgericht und dem Institut "Finanzen und Steuern" darin beizustimmen, daß dem Zeitpunkt der Erstellung der Abrechnungen über die Provisionsforderungen für den Zeitpunkt der Gewinnverwirklichung wesentliche Bedeutung zukommt.

Diese Grundsätze gelten auch für den Abschlußagenten, soweit auch hier in ähnlicher Weise die Durchführung des Geschäftes mit einem wesentlichen Risiko verbunden ist.

Das Finanzgericht hat in übereinstimmung mit dem Stpfl. die Gewinnrealisierung in dem Zeitpunkt als gegeben angesehen, in dem das vermittelte Geschäft durch Lieferung der Ware bereits einseitig erfüllt war. Gegen diese Würdigung bestehen keine Bedenken. Für sie spricht insbesondere auch die vom Finanzamt vorgesehene hohe Wertberichtigung von 40 %.

Die Rb. muß deshalb als unbegründet zurückgewiesen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407902

BStBl III 1954, 157

BFHE 1954, 644

BFHE 58, 644

BB 1954, 368

DB 1954, 339

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