Leitsatz (amtlich)

Zur Verjährung des Anspruchs auf Rückforderung erschlichener Wohnungsbau-Prämien (Ergänzung der Rechtsprechung des Senats im Urteil vom 8. Oktober 1976 VI R 251/74, BFHE 120, 324).

 

Normenkette

WoPG 1960 und 1967 § 5 Abs. 4; AO i.d.F. des AOÄG vom 15. September 1965 § 144

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Rentnerin. Ihr wurden für Aufwendungen auf einen Bausparvertrag der Jahre 1964 bis 1967 jeweils 400 DM jährlich Wohnungsbau-Prämien gewährt. Im Jahre 1968 übertrug sie den Bausparvertrag auf ihren Sohn W. Nach einer Steuerfahndungsprüfung bei dem Sohn H vertrat der Beklagte und Revisionskläger (FA) die Auffassung, es handle sich um einen sogenannten Strohmannvertrag, und forderte mit Bescheid vom 22. April 1974 die gewährten Prämien in Höhe von insgesamt 1 600 DM zurück. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das FG gab der Klage statt. Es führte aus, die Rückforderungsansprüche des FA seien infolge Verjährung erloschen. Der Anspruch auf Rückforderung einer Wohnungsbau-Prämie stehe nach § 144 Abs. 2 AO einem Anspruch auf Rückzahlung einer Vergütung gleich und verjähre nach § 144 Abs. 1 Satz 1 AO wie ein Steueranspruch in fünf Jahren. Die Verjährungsfrist beginne mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Wohnungsbau-Prämie geleistet worden sei. Demnach hätte die fünfjährige Verjährungsfrist Anfang 1966 bis Anfang 1969 begonnen und mit Ablauf der Jahre 1970 bis 1973, also vor Erlaß des Rückforderungsbescheides vom 22. April 1974, geendet. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Klägerin die Wohnungsbau-Prämien im Rahmen eines Strohmannverhältnisses erschlichen habe, da die Anwendung einer 10jährigen Verjährungsfrist, wie sie § 144 Abs. 1 Satz 1 AO für hinterzogene Beträge vorsehe, ausscheide. Das "Erschleichen" von Wohnungsbau-Prämien könne einer Steuerhinterziehung nicht gleichgesetzt werden, sondern allenfalls Betrug (§ 263 StGB) sein. Nehme man eine Gesetzeslücke an, weil der Gesetzgeber nicht zwischen Verjährung nichterschlichener und Verjährung erschlichener Wohnungsbau-Prämien unterschieden habe, sei die Ausfüllung der Lücke unter Anwendung einer 10jährigen Verjährungsfrist bei Prämienerschleichung eine belastende Gesetzesauslegung. Dies verstoße gegen die rechtsstaatliche Grundordnung des GG, welche u. a. die Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht vorsehe. Hinterzogen i. S. des § 144 AO könnten ohnehin nur solche Beträge sein, die Gegenstand einer den steuerstrafrechtlichen Hinterziehungstatbestand erfüllenden Handlung gewesen seien. Belastende Entscheidungen aufgrund von Analogieschlüssen seien unzulässig. Die Steuerfahndungsprüfung habe die Verjährung nicht gehemmt, da der Rückforderungsanspruch gegen die Klägerin nicht Gegenstand dieser Prüfung gewesen sei.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts und beantragt die Aufhebung des FG-Urteils.

Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA ist begründet; sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.

Der erkennende Senat vermag dem FG nicht darin zu folgen, daß eine Anwendung der 10jährigen Verjährungsfrist nach § 144 Abs. 1 Satz 1, letzter Halbsatz AO im Wohnungsbau-Prämienrecht ausscheidet. Er hat im Urteil vom 8. Oktober 1976 VI R 251/74 (BFHE 120, 324, BStBl II 1977, 223) bereits entschieden, daß der Anspruch des Staates auf Rückforderung von Wohnungsbau-Prämie in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 1 Satz 1 AO in 10 Jahren verjährt, wenn die Wohnungsbau-Prämie durch Betrug erschlichen worden ist. An dieser Auffassung hält er nach erneuter Prüfung der Rechtsfrage fest.

Nach den im Streitfall anzuwendenden, gleichlautenden Vorschriften des § 5 Abs. 4 WoPG 1960 und des § 5 Abs. 4 WoPG 1967 finden auf die Festsetzung und Beitreibung der zurückzuzahlenden Wohnungsbau-Prämie die Vorschriften der Reichsabgabenordnung entsprechende Anwendung. Unter die die Festsetzung betreffenden Vorschriften fallen auch die Verjährungsvorschriften, da ein verjährter Rückforderungsanspruch nach dem Amtsermittlungsprinzip, das auch Ermittlungen zum Vorteil des Steuerpflichtigen gebietet (§ 204 Abs. 1 AO), vom FA nicht mehr festgesetzt werden darf. Die vom Gesetzgeber vorgeschriebene entsprechende Anwendung der Vorschriften der Reichsabgabenordnung umfaßt demnach insbesondere auch die Vorschrift des § 144 Abs. 1 Satz 1, letzter Halbsatz AO. Der dort verwendete Ausdruck "hinterzogene Beträge" ist bei "entsprechender" Anwendung auf Wohnungsbau-Prämien im Sinne von "erschlichene Wohnungsbau-Prämie" zu verstehen, da eine Wohnungsbau-Prämie nicht hinterzogen, sondern ggf. durch Betrug erschlichen werden kann.

Es ist kein Grund ersichtlich, warum der gesetzlichen Anordnung des § 5 Abs. 4 WoPG, die Vorschriften der Reichsabgabenordnung entsprechend anzuwenden, gerade hinsichtlich der 10jährigen Verjährungsfrist nicht gefolgt werden soll. Zwar widerspricht es rechtsstaatlichen Grundsätzen, wenn ein Gericht eine Gesetzeslücke des Steuerrechts im Wege der Analogie zu Lasten des Staatsbürgers schließt; jedoch bleibt es dem Gesetzgeber unbenommen, die entsprechende Anwendung anderer gesetzlicher Vorschriften selbst anzuordnen. Es dient der Vereinfachung, wenn im Wohnungsbau-Prämienrecht auf bereits vorhandene andere gesetzliche Vorschriften Bezug genommen wird.

Eine Gesetzeslücke kann auch nicht daraus gefolgert werden, daß der Gesetzgeber in der Verweisung des § 5 Abs. 4 WoPG nicht zwischen der Rückforderung nichterschlichener Wohnungsbau-Prämie und der Rückforderung erschlichener Wohnungsbau-Prämie unterschieden hat. Eine Gesetzeslücke besteht, wenn die Regelung eines bestimmten Sachbereichs keine besondere Bestimmung für eine Frage enthält, die nach dem gesetzlichen Grundgedanken und der dem Gesetz innewohnenden Zweckrichtung hätte mitgeregelt werden müssen (vgl. Urteil des BFH vom 24. Januar 1974 IV R 76/70, BFHE 111, 329, BStBl II 1974, 295). Da der Gesetzgeber die Verweisung in § 5 Abs. 4 WoPG allgemein gehalten, also keine Unterscheidung vorgenommen und keine Vorschriften ausgenommen hat, kann von einer solchen Gesetzeslücke nicht gesprochen werden.

Die Anwendung des § 144 Abs. 1 Satz 1, letzter Halbsatz AO scheitert auch nicht daran, daß diese Vorschrift keiner entsprechenden Anwendung zugänglich wäre. Zwar enthält diese Vorschrift den Begriff "hinterzogene Beträge", womit offensichtlich auf § 392 AO über die Steuerhinterziehung Bezug genommen ist. Da der Gesetzgeber mithin die 10jährige Verjährungsfrist nur beim Vorliegen dieses strafrechtlichen Tatbestandes gelten lassen will, hält der Senat es bei einer entsprechenden Anwendung des § 144 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz AO für angemessen, diese Vorschrift auf die Erschleichung von Prämienvorteilen analog anzuwenden, wenn diese Erschleichung nach § 263 StGB als Betrug bestraft werden kann. Beide Straftatbestände sind miteinander vergleichbar; das Erschleichen von Prämienvorteilen durch Betrug "entspricht" der Hinterziehung von Steuern durch Erschleichen von ungerechtfertigten Steuervorteilen. Insbesondere gleichen sich der Unrechtsgehalt beider Handlungen und der Vorsatz als Triebfeder. In beiden Fällen wird der Staat vorsätzlich zum eigenen oder fremden finanziellen Vorteil getäuscht. § 392 Abs. 1 AO spricht ausdrücklich vom Erschleichen nichtgerechtfertigter Steuervorteile; hierzu gehören auch Handlungen, um vom Staat Leistungen zu erschleichen, z. B. ein Antrag auf Erstattung von Steuern aus Billigkeitsgründen oder die Beantragung von Ausfuhrvergütungen für fingierte Leistungen (vgl. Hübner in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 392 AO Anm. 19). Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, hier würde eine unzulässige Analogie vorgenommen. Eine "entsprechende" Anwendung von Vorschriften der Reichsabgabenordnung über die Festsetzung und Beitreibung von Steuern auf die Rückforderung von Wohnungsbau-Prämien kann wegen der Unterschiedlichkeit der Geldleistungen ohnehin nur mit einer Analogie arbeiten. Sie ist zulässig, da sie in § 5 Abs. 4 WoPG durch die Worte "entsprechende Anwendung" ausdrücklich vom Gesetzgeber angeordnet wurde. Wenn man die Anwendung der 10jährigen Verjährungsfrist für erschlichene Wohnungsbau-Prämien ablehnen würde, müßte man konsequenterweise den Eintritt jeglicher Verjährung von Rückforderungsansprüchen auf Wohnungsbau-Prämie verneinen.

Die entsprechende Anwendung des § 144 Abs. 1 Satz 1, letzter Halbsatz AO verstößt schließlich nicht gegen das strafrechtliche Analogieverbot, das die analoge Anwendung eines gesetzlichen Straftatbestandes auf ähnliche Fälle verbietet. Denn die gesetzliche Verweisung des § 5 Abs. 4 WoPG bezieht sich lediglich auf die Anwendung der Verjährungsvorschriften, die keine Strafvorschriften sind. Die 10jährige Verjährungsfrist ist auch ohne Rücksicht darauf anzuwenden, ob jemand wegen Steuerhinterziehung oder Betruges tatsächlich bestraft worden ist.

Die Sache ist noch nicht entscheidungsreif. Das FG hat es von seinem Standpunkt aus zu Recht dahingestellt sein lassen, ob die Klägerin die Wohnungsbau-Prämien im Rahmen eines Strohmannverhältnisses erschlichen hat. Diese Feststellung obliegt dem FG als einzige finanzrichterliche Tatsacheninstanz; sie ist nunmehr nachzuholen. Daher war die Sache gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO zur weiteren Feststellung an das FG zurückzuverweisen. Das FG wird hierbei zu beachten haben, daß die Ansprüche auf Rückforderung von Wohnungsbau-Prämien für das Jahr 1964 nach anderen Vorschriften verjähren als für die Jahre 1965 bis 1967; insoweit wird auf das Urteil des Senats VI R 251/74 verwiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72331

BStBl II 1977, 524

BFHE 1977, 572

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