Entscheidungsstichwort (Thema)

Mietvertrag unter Angehörigen nach Grundstücksübertragung gegen Versorgungsleistungen kein Gestaltungsmissbrauch

 

Leitsatz (NV)

  1. Der Abschluss eines Mietvertrages unter Angehörigen stellt nicht schon deshalb einen Gestaltungsmissbrauch i.S. von § 42 AO 1977 dar, weil der Mieter das Grundstück zuvor gegen wiederkehrende Leistungen auf den Vermieter übertragen hat (Anschluss an BFH-Urteil vom 10. Dezember 2003 IX R 12/01, BFH/NV 2004, 680).
  2. Die wiederkehrenden Leistungen kann der Erwerber als Sonderausgabe nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG nur abziehen, wenn er sie aus dem Nettoertrag des übernommenen Vermögens leisten kann; dazu ist eine Ertragsprognose nach den Verhältnissen bei Vertragsschluss zu erstellen (Anschluss an BFH-Beschluss vom 12. Mai 2003 GrS 1/00, BFHE 202, 464, BStBl II, 2004, 95).
 

Normenkette

EStG §§ 9, 10 Abs. 1 Nr. 1a, § 21; AO 1977 § 42

 

Verfahrensgang

FG Münster (Urteil vom 13.12.2000; Aktenzeichen 13 K 6776/97 E; EFG 2001, 689)

 

Tatbestand

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute und wurden im Streitjahr 1995 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt.

Der Kläger erhielt von seinem Vater im Mai 1985 im Wege vorweggenommener Erbfolge ein mit einem Zweifamilienhaus bebautes Grundstück. Nach § 4 des Übertragungsvertrages hatte der Kläger seinen Eltern auf deren Lebenszeit als dauernde Last ―gemäß § 323 der Zivilprozessordnung (ZPO) abänderbar― einen monatlichen Betrag in Höhe von 315 DM zu zahlen. Zur Sicherung der dauernden Last war eine Reallast am übertragenen Grundbesitz für die Eltern als Gesamtberechtigte gemäß § 428 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu bestellen.

Nach § 7 des Vertrages hatte der Kläger die Wohnung im ersten Obergeschoss des übertragenen Hauses mit einer Größe von 93 qm an seine Eltern zu vermieten. Die Parteien stellten fest, dass das Mietverhältnis am 1. Mai 1985 begonnen hatte. Es sollte auf die Dauer von 10 Jahren abgeschlossen sein und der monatliche Mietzins in Höhe der ortsüblichen Miete mit 315 DM bemessen werden. Nebenkosten waren getrennt abzurechnen. Im Übrigen sollten für das Mietverhältnis die gesetzlichen Bestimmungen gelten. Die Erdgeschosswohnung mit einer Größe von 82 qm nutzten die Kläger zu eigenen Wohnzwecken.

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1995 erklärten die Kläger bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung für das Zweifamilienhaus einen Werbungskostenüberschuss in Höhe von 734 DM, den sie ―unter anderem― unter Ansatz der Mieteinnahmen (12 x 315 DM) und unter Abzug der dauernden Last (12 x 315 DM) ermittelten.

Mit dem Einkommensteuerbescheid für 1995 erkannte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) das Mietverhältnis zwischen dem Kläger und den Eltern sowie die in diesem Zusammenhang geltend gemachte dauernde Last unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. Oktober 1993 X R 86/89 (BFHE 174, 45, BStBl II 1994, 451) nicht an. Den Mietwert für die selbstgenutzte Wohnung erhöhte das FA auf den ―nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) unstreitigen― Betrag von 5 018 DM (5,10 DM/qm). Die auf die Erdgeschosswohnung entfallenden Werbungskosten berücksichtigte das FA anteilig mit 46,85 v.H. Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betrugen danach 2 745 DM.

Auf den Einspruch der Kläger setzte das FA die Einkommensteuer 1995 unter Ansatz von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 0 DM fest, blieb aber bei seiner Auffassung, dass das Mietverhältnis der Kläger mit den Eltern und die dauernde Last steuerlich wegen Gestaltungsmissbrauchs i.S. des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht zu berücksichtigen seien. Wer ein Grundstück im Wege vorweggenommener Erbfolge übertrage, aber seine Wohnung weiterhin bewohnen wolle, schließe keinen Mietvertrag über diese Wohnung ab, um sich die Miete sogleich in Form der dauernden Last wirtschaftlich zurückerstatten zu lassen. Wegen der Nichtanerkennung des Mietverhältnisses mit den Eltern könne eine Nutzungswertbesteuerung für die von den Klägern selbstgenutzte Wohnung nicht mehr durchgeführt werden; denn im Veranlagungszeitraum 1986 hätten die Voraussetzungen zur Inanspruchnahme der sog. großen Übergangsregelung nach § 52 Abs. 21 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht vorgelegen.

Der dagegen erhobenen Klage gab das FG statt (Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 2001, 689).

Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.

Es trägt im Wesentlichen vor, entgegen der Ansicht des FG könnten die im Streitfall getroffenen Vereinbarungen über Versorgungsleistungen einerseits und entgeltliche Nutzungsüberlassung andererseits nicht getrennt voneinander beurteilt werden, weil sie sich bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise wechselseitig aufheben würden. Mit den Vereinbarungen habe lediglich die Möglichkeit der Nutzungswertbesteuerung und damit der Abziehbarkeit von Gebäudeaufwendungen geschaffen werden sollen.

Das FA beantragt sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).

Das FG ist allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger im Streitjahr einen Werbungskostenüberschuss aus Vermietung und Verpachtung erzielt hat; der Senat kann indessen mangels entsprechender tatsächlicher Feststellungen des FG nicht abschließend entscheiden, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung der dauernden Last insbesondere im Hinblick auf die bislang nicht vorgenommene Nettoertragsprognose nach den Grundsätzen des Großen Senats des BFH (Beschluss vom 12. Mai 2003 GrS 1/00, unter C. II. 6. der Gründe, BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95) gegeben sind.

1. Dem streitigen Mietverhältnis ist entgegen der Auffassung des FA die steuerrechtliche Anerkennung nicht zu versagen.

a) Ein Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 AO 1977 ist gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die, gemessen an dem erstrebten Ziel, unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (ständige Rechtsprechung, BFH-Urteile vom 16. Januar 1996 IX R 13/92, BFHE 179, 400, BStBl II 1996, 214; vom 14. Januar 2003 IX R 5/00, BFHE 201, 246, BStBl II 2003, 509, m.w.N.). Das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine steuerliche Gestaltung noch nicht unangemessen (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 29. November 1982 GrS 1/81, BFHE 137, 433, 444, BStBl II 1983, 272; BFH-Urteil vom 19. Oktober 1999 IX R 39/99, BFHE 190, 173, BStBl II 2000, 224). Auch Angehörigen steht es danach frei, ihre Rechtsverhältnisse untereinander steuerlich möglichst günstig zu gestalten. Eine rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der Steuerpflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels nicht gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll (BFH-Urteil in BFHE 179, 400, BStBl II 1996, 214).

b) Danach liegt ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts bei Abschluss eines Mietvertrages unter Angehörigen nicht schon deshalb vor, weil das Objekt vor der Vermietung vom jetzigen Mieter gegen wiederkehrende Leistungen auf den Vermieter übertragen wurde. Insoweit nimmt der Senat zur Begründung auf das in Abschrift beigefügte Urteil des Senats vom 10. Dezember 2003 IX R 12/01 Bezug.

c) Im Übrigen ist der zwischen den Vertragsparteien geschlossene Mietvertrag steuerrechtlich anzuerkennen, wenn er zum einen bürgerlich-rechtlich wirksam geschlossen ist und darüber hinaus sowohl die Gestaltung als auch die Durchführung des Vereinbarten dem zwischen Fremden Üblichen entspricht; dabei schließt nicht jede Abweichung vom Üblichen notwendigerweise die steuerrechtliche Anerkennung des Vertragsverhältnisses aus (BFH-Urteile vom 20. Oktober 1997 IX R 38/97, BFHE 184, 463, BStBl II 1998, 106; vom 7. Mai 1996 IX R 69/94, BFHE 180, 377, BStBl II 1997, 196).

2. Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten nicht gegeben und das Mietverhältnis steuerrechtlich anzuerkennen.

Nach den gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG ist der Mietvertrag zwischen dem Kläger und seinem Vater in fremdüblicher Weise vereinbart und tatsächlich durchgeführt worden; das FA hat gegen diese Würdigung keine Einwendungen erhoben. Der Zusammenhang mit der Übertragung des Grundstücks gegen Versorgungsleistungen als dauernde Last schließt die Anerkennung des Vertrags entgegen der Auffassung des FA nicht nach § 42 AO 1977 aus, weil hierfür unerheblich ist, ob der Vermieter das betroffene Objekt zuvor von dem Mieter entgeltlich oder unentgeltlich erworben hat (s. unter II. 1. b). Andere Gründe für die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs sind vom FA nicht vorgetragen worden.

3. Die Sache ist nicht spruchreif.

Nach dem Beschluss des Großen Senats in BFHE 202, 464, BStBl II 2004, 95 sind wiederkehrende Leistungen wie die im Streitfall anlässlich der Grundstücksübertragung auf den Kläger vereinbarte und vom FG anerkannte dauernde Last nur dann als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG abziehbar, wenn sie aus den erzielbaren laufenden Nettoerträgen des übernommenen Vermögens gezahlt werden können.

Hierzu ist nach Maßgabe des vorgenannten Beschlusses eine Nettoertragsprognose nach den maßgeblichen Verhältnissen bei Vertragsschluss zu erstellen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1169419

BFH/NV 2004, 1275

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