Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichteinhaltung der Ladungsfrist als Verletzung des rechtlichen Gehörs

 

Leitsatz (NV)

Hält das FG die Ladungsfrist nach § 91 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht ein und führt es dennoch in Abwesenheit des Klägers die mündliche Verhandlung durch, so kann darin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegen. Dem Revisionsgericht ist eine Sachentscheidung verwehrt; die Sache ist an das FG zurückzuverweisen.

 

Normenkette

FGO § 91 Abs. 1

 

Tatbestand

In seiner Einkommensteuererklärung 1979 machte der Kläger und Revisionskläger (Kläger) verschiedene Aufwendungen geltend, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) im Bescheid über den Lohnsteuer-Jahresausgeleich für 1979 nur zum Teil berücksichtigte.

In der auf seinen Einspruch ergangenen Einspruchsentscheidung kürzte das FA die bis dahin anerkannten Werbungskosten um Aufwendungen für den Besuch von Arbeitsgemeinschaften zur Vorbereitung auf die schriftliche und mündliche Steuerberaterprüfung.

Hierauf erhob der Kläger Klage.

Die Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde dem Kläger ausweislich der Postzustellungsurkunde am 20. Juni 1984 durch Niederlegung zugestellt. Die mündliche Verhandlung war auf den 4. Juli 1984 terminiert.

In der mündlichen Verhandlung erschien der Kläger nicht. Er ließ sich auch nicht vertreten.

Das Gericht wies die Klage als unbegründet ab. Es sah sich trotz des Nichterscheinens des Klägers in der mündlichen Verhandlung an einer Entscheidung nicht gehindert und begründete dies damit, bei der Ladung sei darauf hingewiesen worden, daß auch im Falle des Ausbleibens eines Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne.

Mit der Revision macht der Kläger u. a. geltend, das Finanzgericht (FG) habe nicht die Ladungsfrist nach § 91 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingehalten. Zu keinem Zeitpunkt des Einspruchs- oder FG-Verfahrens sei bestritten worden, daß die Fahrten zu den selbst organisierten Arbeitsgemeinschaften stattgefunden und ausschließlich der beruflichen Fortbildung gedient hätten. Erst im Urteil sei auf fehlende Nachweise abgestellt worden. Das FG hätte diese Nachweise im Rahmen der Sachaufklärung anfordern können. Er, der Kläger, könne verschiedene - näher bezeichnete - Nachweise erbringen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Hilfsweise beantragt er, die Lohnsteuer 1979 nach einem um einen bestimmten Betrag verringerten Einkommen festzusetzen.

Das FA tritt der Revision entgegen.

 

Entscheidungsgründe

Das angefochtene Urteil des FG wird aufgehoben, da es auf der Verletzung von Bundesrecht beruht. Die Sache wird daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).

Das FG hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) verletzt. Denn es hat trotz nicht ordnungsgemäßer Ladung gegen den in der mündlichen Verhandlung nicht erschienenen Kläger entschieden.

Gemäß § 91 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGO sind die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung vor dem FG mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen zu laden, wobei der Vorsitzende die Frist in dringenden Fällen abkürzen kann. Demnach müssen grundsätzlich zwischen dem Tag der Zustellung der Ladung und dem Terminstag zwei Wochen liegen (§ 217 der Zivilprozeßordnung - ZPO - i. V. m. § 155 FGO). Zwischen der Ladungszustellung am Mittwoch, dem 20. Juni 1984 und der mündlichen Verhandlung am 4. Juli 1984, lagen keine zwei Wochen (§ 54 Abs. 2 FGO, § 222 ZPO, §§ 187, 188 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Von der Möglichkeit der Abkürzung der Frist in dringenden Fällen ist kein Gebrauch gemacht worden.

Eine Heilung der Verletzung der als Verfahrensvorschrift anzusehenden Regelung über die Ladungsfrist (§ 295 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 155 FGO) ist nicht erfolgt. Eine solche Heilung tritt nur dann ein, wenn der Beteiligte auf die Befolgung der Vorschrift verzichtet oder wenn er bei der nächsten mündlichen Verhandlung, die aufgrund des betreffenden Verfahrens stattfindet oder in der darauf Bezug genommen ist, den Mangel nicht rügt, obgleich er erscheint und ihm der Mangel bekannt ist oder bekannt sein mußte (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 21. Januar 1981 II R 91/79, BFHE 132, 394, BStBl II 1981, 401). Diese Voraussetzungen lagen beim Kläger nicht vor, da er sich weder mit einer kürzeren Ladungsfrist einverstanden erklärte noch im Termin zur mündlichen Verhandlung, zu dem die Ladung erging, anwesend war. Dadurch, daß die Ladungsfrist nicht eingehalten wurde, ist dem Kläger das rechtliche Gehör versagt worden (BFHE 132, 394, BStBl II 1981, 401 m. w. N.; BFH-Beschluß vom 25. Juli 1979 VI R 3/79, BFHE 128, 176, BStBl II 1979, 654).

Die Verletzung des Rechts auf Gehör führt zwar nicht zur Zurückverweisung der Sache, wenn der Verfahrensfehler nur einzelne tatsächliche Feststellungen betrifft, auf die es aus revisionsrichterlicher Sicht unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ankommen kann. Hält aber das FG die Ladungsfrist nicht ein und führt es dennoch in Abwesenheit des Klägers die mündliche Verhandlung durch, so ist dem Revisionsgericht eine Sachentscheidung verwehrt, weil das Gesamtergebnis des Verfahrens im Sinne des § 96 Abs. 1 FGO verfahrensrechtlich fehlerhaft die Grundlage der Entscheidung geworden ist (vgl. BFH-Urteile vom 5. Dezember 1979 II R 56/76, BFHE 129, 297, BStBl II 1980, 208, und vom 30. September 1966 III 70 /63, BFHE 87, 60, BStBl III 1967, 25).

 

Fundstellen

Haufe-Index 416772

BFH/NV 1990, 650

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