Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Erhält ein Unternehmer in engem wirtschaftlichem Zusammenhang mit einer drohenden Grundstücksenteignung eine mit der Steigerung der Baukosten begründete Schadensersatzzahlung dafür, daß er durch ein Bauverbot zwei Jahre lang an der Errichtung eines auf dem hingegebenen Grundstück geplanten Gebäudes verhindert war, so kann die durch die Betriebseinnahme herbeigeführte Gewinnerhöhung dadurch vermieden werden, daß die Herstellungskosten des auf dem erhaltenen Grundstück errichteten Gebäudes um die Schadensersatzleistung gemindert werden oder bei späterer Errichtung des Gebäudes die Schadensersatzzahlung zunächst einer steuerfreien Rücklage zugeführt wird.

 

Normenkette

EStG § 4 Abs. 1, §§ 5, 6/1/1; StAnpG § 1 Abs. 2, § 1/3

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Bfin. in ihrer Schlußbilanz vom 31. Dezember 1956 eine steuerfreie Rücklage in Höhe von 228 500 DM einsetzen darf.

Auf Grund eines im Einvernehmen der Beteiligten ergangenen Umlegungsbeschlusses der Umlegungsbehörde für den Stadtkreis X. vom 6. Dezember 1956 mußte die Bfin. der Stadt unbebaute Grundstücke überlassen. Sie erhielt als Ersatz dafür gleichwertige unbebaute Grundstücke und außerdem eine Geldabfindung in Höhe von 416 000 DM. Diese Geldentschädigung beruhte in Höhe von 228 500 DM darauf, daß die Bfin. während des Umlegungsverfahrens auf Grund eines Bauverbots zwei Jahre lang ihren Plan, auf den hingegebenen Grundstücken Gebäude zu errichten, nicht durchführen konnte und daß infolge der gestiegenen Baupreise die schließliche Errichtung der geplanten Gebäude auf den erhaltenen Grundstücken einen um 228 500 DM höheren Bauaufwand erforderte.

Die Bfin. ist der Auffassung, daß sie in der Bilanz vom 31. Dezember 1956 in Höhe dieses Betrags eine steuerfreie Rücklage für Ersatzbeschaffung bilden dürfe. Der Begriff der Ersatzbeschaffung sei weit zu fassen. Da sie Grundstücke zwangsweise hingegeben habe, auf denen sie ein Gebäude habe errichten wollen, müßten als Ersatz für die hingegebenen Grundstücke die eingetauschten Grundstücke einschließlich der auf ihnen planmäßig errichteten Gebäude angesehen und deshalb die zur Deckung der erhöhten Baukosten gezahlten 228 500 DM mit dem entsprechenden Bauaufwand verrechnet werden. Andernfalls reiche die Entschädigung nach Abzug der auf sie entfallenden Steuer nicht zur Deckung des Schadens, nämlich der erhöhten Baukosten, aus. Das widerspreche der gerade bei der Gewinnrealisierung zu beachtenden wirtschaftlichen Betrachtung und Würdigung des Sachverhalts.

Finanzamt und Finanzgericht ließen die steuerfreie Rücklage nicht zu, weil die Entschädigung für die erhöhten Baukosten nur eine Folgewirkung des Umlegungsverfahrens sei und die Bfin. für die hingegebenen Grundstücke gleichwertige Ersatzgrundstücke erhalten habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. der Bfin. ist begründet.

Wird eine in dem Buchwert eines Wirtschaftsguts steckende stille Rücklage als Folge höherer Gewalt, besonders als Folge eines behördlichen Eingriffs oder einer Maßnahme zur Vermeidung eines solchen Eingriffs aufgelöst, so kann unter Umständen eine steuerfreie Rücklage für Ersatzbeschaffung gebildet werden, wenn die Ersatzbeschaffung in einem späteren Wirtschaftsjahr liegt. Der Bundesfinanzhof hat sich hier der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs angeschlossen und zum Teil an die Voraussetzungen für die Bildung einer solchen Rücklage geringere Anforderungen als der Reichsfinanzhof gestellt (zuletzt Urteil des Bundesfinanzhofs I 51/59 U vom 22. September 1959, BStBl 1961 III S. 1, Slg. Bd. 72 S. 1).

Die Anwendung dieser Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall kann nicht allgemein mit der Begründung versagt werden, daß die Entschädigung für die überteuerung der Baukosten nach den allgemeinen Grundsätzen des Bilanzsteuerrechts nicht zur steuerpflichtigen Auflösung einer im Buchwert des hingegebenen Wirtschaftsguts steckenden stillen Rücklage führe, weil die hingegebenen und erhaltenen Grundstücke gleichwertig seien. Denn die Entschädigungsleistung kann auch insoweit im Rahmen des Unterschieds zum Buchwert mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Ersatzwirtschaftsguts verrechnet und als durchlaufender Posten behandelt werden, als sie die im hingegebenen Wirtschaftsgut steckenden stillen Reserven übersteigt. Diese Rechtsprechung zur Behandlung von Betriebseinnahmen betrifft einen besonderen Fall der Gewinnrealisierung, bei dem der wirtschaftlichen Betrachtung und der Zweckbestimmung der Entschädigungsleistung eine besondere Bedeutung zukommt. Die Kürzung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Ersatzwirtschaftsguts um die Entschädigungsleistung und die damit verbundene Behandlung der Entschädigung als durchlaufenden Posten kann allerdings nicht damit begründet werden, daß zweckbestimmte Betriebseinnahmen steuerlich so behandelt werden müßten, daß sie in jedem Falle zur Erfüllung ihres Zweckes ausreichten. Denn ein solcher Rechtssatz ist dem Einkommensteuerrecht fremd. Die Kürzung läßt sich nur damit rechtfertigen, daß bei einem durch höhere Gewalt erzwungenen Betriebsvorfall der wirtschaftlichen Zweckbestimmung der Entschädigung bei der Abgrenzung der Pflicht zur Gewinnrealisierung eine größere Bedeutung zukommt als bei allen anderen Betriebsvorfällen. Enthält daher die Ersatzleistung für ein durch Enteignung entzogenes Grundstück auch eine Entschädigung für die Mehrkosten, die dem Steuerpflichtigen dadurch entstehen, daß er durch die Entziehung des Grundstücks an der Durchführung eines fest geplanten Bauvorhabens gehindert wurde, so ist es vertretbar, im Hinblick auf die Verwandtschaft eines solchen Falles mit den Fällen der Rücklage für Ersatzbeschaffung die Entschädigung bei den späteren Herstellungskosten des Baus als durchlaufender Posten zu behandeln. Denn die von der Stadt geleistete Schadensersatzzahlung stand in engem wirtschaftlichem Zusammenhang mit einer drohenden Zwangsmaßnahme der öffentlichen Hand, wurde durch diese Zwangsmaßnahme ausgelöst und bedeutete wirtschaftlich die Tragung eines Teils der Baukosten für ein Gebäude, das auf dem hingegebenen Grundstück errichtet worden wäre, wenn die Zwangsmaßnahme nicht gedroht hätte. Bei dieser Sachlage ist es gerechtfertigt, die bei Anwendung allgemeiner steuerrechtlicher Grundsätze ausgelöste Gewinnerhöhung dadurch zu vermeiden, daß die Schadensersatzzahlung als Teil der Gebäudeherstellungskosten behandelt wird.

Aus diesen für den Sonderfall der höheren Gewalt geltenden Grundsätzen über die Gewinnrealisierung kann nicht etwa der allgemeine Grundsatz hergeleitet werden, daß zweckbestimmte Zuschüsse im Rahmen eines gegenseitigen Vertrages zur Beschaffung oder Herstellung von Wirtschaftsgütern stets als durchlaufende Posten behandelt werden dürften, um die gewinnerhöhende Wirkung einer zweckbestimmten Betriebseinnahme auszuschließen. Ein solcher Grundsatz kann auch nicht aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den Baukostenzuschüssen eines Mieters zur Erlangung einer Wohnung oder eines Geschäftsraumes (Urteil des Bundesfinanzhofs I 55/53 U vom 6. Oktober 1953, BStBl 1953 III S. 315, Slg. Bd. 58 S. 61), eines Strom- oder Wasserabnehmers an das Versorgungsunternehmen (Urteil des Bundesfinanzhofs I 133/53 S vom 2. März 1954, BStBl 1954 III S. 129, Slg. Bd. 58 S. 573) und einer Mineralölgesellschaft an den Tankstelleninhaber (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 82/56 U vom 16. Mai 1957, BStBl 1957 III S. 342, Slg. Bd. 65 S. 282) hergeleitet werden. Im Rahmen dieser Entscheidung ist es nicht erforderlich, zu der bezeichneten Rechtsprechung, besonders zum Urteil des Bundesfinanzhofs IV 82/56 U im einzelnen Stellung zu nehmen, weil in allen diesen Fällen die Zuschüsse im Rahmen eines Vertrages gewährt wurden, der dem Zuschußgeber eine Nutzung an dem mit dem Zuschuß hergestellten Wirtschaftsgut einräumte oder wenigstens sein unmittelbares wirtschaftliches Interesse an der Herstellung des Wirtschaftsguts erkennen ließ.

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben. Die Berufung des Vorstehers des Finanzamts gegen die Einspruchsentscheidung des Steuerausschusses wird als unbegründet zurückgewiesen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410253

BStBl III 1961, 566

BFHE 1962, 823

BFHE 73, 823

BB 1961, 1265

DB 1961, 1635

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