Entscheidungsstichwort (Thema)

Verkaufsstand auf Weihnachtsmarkt begründet keine Betriebsstätte; zu Verkaufsstellen als Betriebsstätten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Verkaufsstelle (§ 12 Satz 2 Nr. 6 AO 1977) ist nur dann eine Betriebsstätte, wenn sie eine i.S. des § 12 Satz 1 AO 1977 feste Geschäftseinrichtung oder Anlage ist.

2. Ein Verkaufsstand, den ein Unternehmen einmal im Jahr vier Wochen lang auf einem Weihnachtsmarkt unterhält, begründet keine Betriebsstätte.

 

Normenkette

AO 1977 § 12; GewStG § 28 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

FG Köln (Entscheidung vom 17.12.2001; Aktenzeichen 3 K 2338/01; EFG 2002, 485)

 

Tatbestand

I. Die T-GmbH, deren Geschäftsleitung sich u.a. in den Erhebungszeiträumen 1996 bis 2000 (Streitjahre) in der Gemeinde L befand, unterhielt in den Streitjahren auf dem Weihnachtsmarkt in H einen Verkaufsstand. Der Markt fand jährlich in der Zeit von Totensonntag bis Heiligabend statt und dauerte daher jeweils nur etwa vier Wochen pro Jahr.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Beklagter), das für die Besteuerung der T-GmbH zuständige Finanzamt, vertrat die Auffassung, der Verkaufsstand sei keine Betriebsstätte i.S. des § 12 der Abgabenordnung (AO 1977). Deshalb seien die für den Gewerbebetrieb der T-GmbH festgesetzten oder noch festzusetzenden Gewerbesteuermessbeträge 1996 bis 2000 nicht gemäß § 28 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) zu zerlegen. Er lehnte Zerlegungsanträge des Klägers und Revisionsklägers (Kläger), einer Finanzbehörde der Stadt H, vom 8. Mai 2000 und 1. Februar 2001 ab. Die Einsprüche und Klage waren erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 485 veröffentlicht.

Mit der Revision beantragt der Kläger sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die für den Gewerbebetrieb der T-GmbH festgesetzten Gewerbesteuermessbeträge 1996 bis 2000 zu zerlegen und im Zerlegungsverfahren der Stadt H Zerlegungsanteile zuzuteilen.

Der Beklagte und die vom FG zum Verfahren beigeladene T-GmbH beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Die vom erkennenden Senat zum Verfahren beigeladene Gemeinde L (s. Senatsbeschluss vom 18. Dezember 2002 I R 12/02, BFH/NV 2003, 636) hat keinen Antrag gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision war als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Die für den Gewerbebetrieb der T-GmbH festgesetzten Gewerbesteuermessbeträge 1996 bis 2000 sind nicht wegen einer in H unterhaltenen Betriebsstätte zu zerlegen. Denn der Verkaufsstand der T-GmbH auf dem Weihnachtsmarkt in H war keine Betriebsstätte i.S. des § 12 AO 1977.

1. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 GewStG ist der Gewerbesteuermessbetrag zu zerlegen, wenn im Erhebungszeitraum Betriebsstätten zur Ausübung des Gewerbes in mehreren Gemeinden unterhalten wurden. Was eine Betriebsstätte i.S. des § 28 Abs. 1 Satz 1 GewStG ist, ergibt sich aus § 12 AO 1977 (s. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 13. September 2000 X R 174/96, BFHE 194, 222, BStBl II 2001, 734, m.w.N.).

§ 12 Satz 1 AO 1977 definiert die Betriebsstätte als feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient. Satz 2 der Norm enthält eine ―nicht abschließende (s. Buciek in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 12 AO Rz. 6, m.w.N.)― Aufzählung von Geschäftseinrichtungen und Tätigkeiten, die als Betriebsstätten anzusehen sind. Demnach sind insbesondere auch Verkaufsstellen Betriebsstätten (§ 12 Satz 2 Nr. 6 AO 1977).

2. Aus dem den Worten Geschäftseinrichtung und Anlage in § 12 Satz 1 AO 1977 beigefügten Adjektiv "fest" ergibt sich, dass eine Geschäftseinrichtung oder Anlage örtliche, zeitliche und rechtliche Kriterien erfüllen muss, um gemäß § 12 Satz 1 AO 1977 eine Betriebsstätte zu sein.

In örtlicher und zeitlicher Hinsicht ist eine Geschäftseinrichtung oder Anlage fest im Sinne der Norm, wenn sie einen Bezug zu einem bestimmten Teil der Erdoberfläche aufweisen und dieser von einer gewissen Dauer (= Beständigkeit), also nicht nur vorübergehend, ist (s. BFH-Urteile vom 9. Oktober 1974 I R 128/73, BFHE 114, 47, BStBl II 1975, 203; vom 3. Februar 1993 I R 80-81/91, BFHE 170, 263, BStBl II 1993, 462; Buciek, a.a.O., § 12 AO Rz. 9 bis 11; Birk in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 12 AO Rz. 10 bis 15, jeweils m.w.N.). Rechtlich muss die Geschäftseinrichtung oder Anlage der nicht nur vorübergehenden Verfügungsmacht des Unternehmens unterliegen (BFH-Urteile vom 11. Oktober 1989 I R 77/88, BFHE 158, 499, BStBl II 1990, 166; in BFHE 170, 263, BStBl II 1993, 462; Buciek, a.a.O., § 12 AO Rz. 12 f.; Birk, a.a.O., § 12 AO Rz. 16 bis 18).

3. Auch eine Verkaufsstelle (§ 12 Satz 2 Nr. 6 AO 1977) ist nur dann eine Betriebsstätte, wenn sie eine i.S. des § 12 Satz 1 AO 1977 "feste Geschäftseinrichtung oder Anlage" ist (gl.A. Buciek, a.a.O., § 12 AO Rz. 36).

a) § 12 Satz 2 AO 1977 erweitert zwar die Definition der Betriebsstätte um Einrichtungen, die nicht notwendig die Voraussetzungen des Satzes 1 der Norm erfüllen müssen (s. Senatsurteil vom 28. Juli 1993 I R 15/93, BFHE 172, 301, BStBl II 1994, 148, ―betr. Geschäftsleitungsbetriebstätten―), und um bestimmte Tätigkeiten. So sind z.B. als Betriebsstätten auch anzusehen: örtlich fortschreitende oder schwimmende Stätten zur Gewinnung von Bodenschätzen (§ 12 Satz 2 Nr. 7 AO 1977), die Stätte der Geschäftsleitung (§ 12 Satz 2 Nr. 1 AO 1977) und Bauausführungen oder Montagen, auch örtlich fortschreitende, wenn sie länger als sechs Monate dauern (§ 12 Satz 2 Nr. 8 AO 1977).

b) Hinsichtlich der Verkaufsstellen enthält § 12 Satz 2 AO 1977 aber keine Definitionserweiterung im Sinne eines Verzichts auf das einschränkende Tatbestandsmerkmal der "festen Geschäftseinrichtung oder Anlage".

aa) Der Betriebsstättenbegriff hat die Funktion, unternehmerische Tätigkeiten und Betriebsvermögen örtlich zuzuordnen, damit die Besteuerungstatbestände und das Besteuerungsverfahren an diese Zuordnungen anknüpfen können (s. Buciek, a.a.O., § 12 AO Rz. 1; Birk, a.a.O., § 12 AO Rz. 5 bis 7). Um zu praktikablen Ergebnissen zu gelangen, muss die Zuordnung von Merkmalen abhängig sein, durch die die Zahl der Anknüpfungspunkte begrenzt wird. Nicht jeder Ort, an dem ein Unternehmen tätig wird ―z.B. durch Aufsuchen eines möglichen Kunden― oder an dem sich zu irgend einem Zeitpunkt Teile seines Betriebsvermögens ―z.B. versandte Waren― befinden, kommt als Anknüpfungspunkt in Betracht. Denn die Zahl dieser Orte ist in vielen Fällen nahezu unbegrenzt und die Orte lassen sich oft nicht oder nur mit erheblichem Aufwand feststellen. Ohne einschränkende Zuordnungskriterien würde der Begriff der Betriebsstätte konturlos (s. Kumpf in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, 21. Aufl., § 49 EStG Rz. 216) und könnte seine Funktion nicht erfüllen.

bb) Es reicht deshalb zur Begründung einer Betriebsstätte nicht aus, dass ein Unternehmen an einem Ort eine auf den Verkauf von Wirtschaftsgütern gerichtete Tätigkeit (Verkaufstätigkeit) ausübt. Durch Verkaufstätigkeiten wird gemäß § 12 Satz 2 Nr. 6 AO 1977 nur an den Orten eine Betriebsstätte begründet, an denen Verkaufsstellen des Unternehmens bestehen. Das sind Geschäftseinrichtungen oder Anlagen, in denen das Unternehmen seine Verkaufstätigkeit ausübt (Birk, a.a.O., § 12 AO Rz. 31; Buciek, a.a.O., § 12 AO Rz. 36).

Indem § 12 Satz 2 Nr. 6 AO 1977 das Bestehen einer Betriebsstätte von dem Vorhandensein einer Geschäftseinrichtung oder Anlage abhängig macht, knüpft er an die Definition in Satz 1 der Norm an. Er unterscheidet sich damit von § 12 Satz 2 Nr. 1 und 8 AO 1977, nach denen auch Tätigkeiten (Bauausführungen, Montagen) unabhängig von Geschäftseinrichtungen und Anlagen Betriebsstätten begründen können.

cc) Durch Verwendung des Begriffs "Verkaufsstelle" knüpft § 12 Satz 2 Nr. 6 AO 1977 an die gesamte Definition in Satz 1 der Norm an, nicht nur auf die Definitionsmerkmale "Geschäftseinrichtung" und "Anlagen". Dies ergibt sich aus Folgendem:

Rechtsprechung und Schrifttum legen den Begriff der Geschäftseinrichtung sehr weit aus. Jeder körperliche Gegenstand, der als Grundlage einer Unternehmenstätigkeit geeignet ist, kann eine Geschäftseinrichtung sein (s. BFH-Urteil vom 30. Oktober 1996 II R 12/92, BFHE 181, 356, BStBl II 1997, 12; Buciek, a.a.O., § 12 AO Rz. 7; Birk, a.a.O., § 12 AO Rz. 8 und 9, jeweils m.w.N.). Von dem Begriff werden daher auch die Anlagen i.S. des § 12 Satz 1 AO 1977 erfasst (Birk, a.a.O., § 12 AO Rz. 8; Buciek, a.a.O., § 12 AO Rz. 8; s. auch Senatsurteil in BFHE 170, 263, BStBl II 1993, 462). Somit sind z.B. der Laptop und Orderblock eines Verkäufers im Außendienst und seine Mustermappe oder der Bauchladen eines reisenden Händlers Geschäftseinrichtungen i.S. des § 12 Satz 1 AO 1977. Die Definitionsmerkmale der Geschäftseinrichtung und der Anlagen reichen deshalb allein nicht aus, um dem Begriff der Betriebsstätte Kontur zu verleihen und die Zahl der örtlichen Anknüpfungspunkte in sachgerechter Weise zu begrenzen (s. oben II.3.b aa). Erst das einschränkende Definitionsmerkmal "fest" führt auch in den Fällen des § 12 Satz 2 Nr. 6 AO 1977 zu einer praktikablen Begrenzung der Zahl der Betriebsstätten.

4. Der Verkaufsstand, den die T-GmbH in den Streitjahren auf dem Weihnachtsmarkt in H unterhielt, war keine feste Geschäftseinrichtung i.S. des § 12 Satz 1 AO 1977. Ihm fehlte ein ausreichend dauerhafter Bezug zu einem bestimmten Teil der Erdoberfläche.

Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG und dem unstreitigen Vortrag der Verfahrensbeteiligten war der Verkaufsstand ein kleines Holzhaus, das nur einmal im Jahr und nur etwa vier Wochen lang zur mietweisen Nutzung durch die T-GmbH auf dem (Weihnachts-)Marktplatz aufgebaut worden war. Der Bezug des Verkaufsstandes zu einem bestimmten Teil der Erdoberfläche war somit nur vorübergehend und im Vergleich zur Gesamtdauer eines Jahres kurz. In den etwa 48 Wochen zwischen den jährlichen Weihnachtsmärkten verfügte die T-GmbH auf dem Marktgelände über keinen Verkaufsstand oder andere Geschäftseinrichtung.

Ihr Verkaufsstand hatte daher einen geringeren zeitlichen Bezug zur Erdoberfläche als z.B. die Verkaufsstände auf Wochenmärkten. Diese können zwar Betriebsstätten sein, aber nur dann, wenn sich die jeweilige Marktveranstaltung mehrmals im Jahr und meist auch an der gleichen Stelle wiederholen (s. Senatsurteil vom 9. Oktober 1974 I R 128/73, BFHE 114, 47, BStBl II 1975, 203; BFH-Urteil in BFHE 194, 222, BStBl II 2001, 734, m.w.N.).

Der Verkaufsstand auf dem Weihnachtsmarkt ist entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht mit Verkaufslokalen von Saisonbetrieben ―z.B. einer Eisdiele in einem Badeort oder einem Skigeschäft in einer Wintersportgemeinde― zu vergleichen, die außerhalb der Saison geschlossen sind oder nur für die Saison angemietet werden. Denn derartige Ladenlokale werden in der Regel mehrere Monate lang ―wenn auch nicht immer mehr als die Hälfte des Jahres― ohne Unterbrechung von den betreffenden Betrieben genutzt.

Ob generell erst dann von einem ausreichend dauerhaften Bezug einer Geschäftseinrichtung oder Anlage zur Erdoberfläche auszugehen ist, wenn er länger als sechs Monate dauert (so das FG in Anlehnung an die Mindestzeiten in § 12 Satz 2 Nr. 8 und § 9 Satz 2 AO 1977; s. auch Senatsurteile vom 19. Mai 1993 I R 80/92, BFHE 171, 297, BStBl II 1993, 655; vom 30. August 1989 I R 215/85, BFHE 158, 118, BStBl II 1989, 956; vgl. auch Senatsurteil vom 30. August 1989 I R 212/85, BFH/NV 1990, 211), kann in Anbetracht der erheblich kürzeren Dauer des Weihnachtsmarktes im Streitfall offen bleiben (gegen eine generelle Mindestdauer z.B. Birk, a.a.O., § 12 AO Rz. 15; Buciek, a.a.O., § 12 AO Rz. 10; Gersch in Klein, Abgabenordnung, 7. Aufl., § 12 Rz. 7).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1084512

BFH/NV 2004, 244

BStBl II 2004, 396

BFHE 2004, 400

BFHE 203, 400

BB 2004, 147

DB 2004, 414

DStRE 2004, 227

DStZ 2004, 124

HFR 2004, 195

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