Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Bewertung von im Preis stark schwankenden Importwaren. EStG 1951 § 6 Ziff. 2.

 

Normenkette

EStG § 6 Ziff. 2

 

Tatbestand

Die Beschwerdeführerin (Bfin.) ist eine offene Handelsgesellschaft, die sich mit dem Import und dem Großhandel von im Preis stark schwankenden Rohstoffen und mit der Verarbeitung dieser Rohstoffe befaßt. Streitig ist, wie an den Bilanzstichtagen vom 31. Dezember 1949 bis 1951 die unter den Anschaffungskosten liegenden Teilwerte der von der Bfin. eingeführten im Preise stark schwankenden Rohstoffe und der aus diesen Rohstoffen hergestellten Erzeugnisse zu ermitteln sind und ob die Bfin. Rückstellungen wegen drohender Verluste aus den an den Bilanzstichtagen schwebenden Einkaufsverträgen bilden darf.

 

Entscheidungsgründe

Das Finanzgericht geht zutreffend davon aus, daß die Bfin. ihre Warenvorräte in den Schlußbilanzen 1949 bis 1951 mit den Anschaffungskosten und, wenn der Teilwert niedriger ist, mit diesem Teilwert zu bewerten hat. Dieser Teilwert, dessen Ermittlung im vorliegenden Fall streitig ist, deckt sich in der Regel mit den Wiederbeschaffungskosten, das heißt den Börsen- oder Marktpreisen am Bilanzstichtag. Er ist ein objektiver Wert, der nicht auf der persönlichen Auffassung des einzelnen Kaufmanns über die künftige wirtschaftliche Entwicklung, sondern auf der allgemeinen Auffassung beruht, wie sie in der Marktlage am Bilanzstichtag zum Ausdruck kommt. Hat die Ware einen Börsen- oder Marktpreis, so ist regelmäßig davon auszugehen, daß in ihm alle am Bilanzstichtag vorliegenden, den Kurs oder den Preis beeinflussenden Umstände, also auch die Auffassung der beteiligten Wirtschaftskreise über die künftige Entwicklung zum Ausdruck kommen. Um nun den allgemeinen Bewertungsgrundsätzen entsprechend insbesondere bei Waren, deren Preise in erhöhtem Maß durch Spekulationen auf dem Weltmarkt bestimmt werden und deshalb erheblichen Preisschwankungen unterliegen, auch solche Umstände bei der Stichtagsbewertung zu berücksichtigen, die zwar am Stichtag offenbar schon vorlagen, aber noch nicht allgemein erkennbar waren und deshalb im Stichtagspreis noch keinen Ausdruck finden konnten, hatte der Reichsfinanzhof unter bestimmten Voraussetzungen einen vom Stichtagspreis abweichenden Wert als Teilwert anerkannt (vgl. Urteile des Reichsfinanzhofs I A 254/30 vom 22. Oktober 1931, Reichssteuerblatt - RStBl - 1932 S. 22; III A 929/30 vom 17. März 1932, Slg. Bd. 30 S. 297, RStBl 1932 S. 459; VI A 1857/32 vom 28. Juni 1933, RStBl 1934 S. 253; I A 447/32 vom 20. Juni 1934, RStBl 1934 S. 1077 und VI 281/41 vom 22. Oktober 1941, RStBl 1941 S. 894). Allen diesen Entscheidungen liegt der Gedanke zugrunde, daß die Preisentwicklung kurz vor, insbesondere aber kurz nach dem Währungsstichtag dann nicht außer Betracht bleiben kann, wenn sie offenbar nicht erst durch nach dem Bilanzstichtag eingetretene Tatsachen ausgelöst worden ist. Da es im einzelnen Fall schwer erkennbar ist, auf welchen an einem bestimmten Stichtag vorliegenden Tatsachen ein Marktpreis beruht, hat der Bundesfinanzhof der bezeichneten Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs im Grundsatz folgend bei Waren, deren Preise stark schwanken, insbesondere bei Importwaren zugelassen, daß die Preisentwicklung an den internationalen Märkten etwa vier bis sechs Wochen vor und nach dem Bilanzstichtag berücksichtigt werden darf (Urteile des Bundesfinanzhofs IV 119/52 S vom 16. April 1953, Slg. Bd. 57 S. 496, Bundessteuerblatt - BStBl - 1953 III S. 192, und IV 566/54 U vom 26. Januar 1956, BStBl 1956 III S. 113). In erster Linie sollen damit Zufallskurse an den Bilanzstichtagen ausgeschaltet werden, die durch völlig ungewöhnliche Umstände herbeigeführt worden sind. Daraus folgt, daß der Kaufmann nicht etwa den Marktpreis am Bilanzstichtag durch den niedrigsten innerhalb von sechs Wochen vor oder nach diesem Stichtag liegenden Preis ersetzen darf; denn dieser Marktpreis kann ebenso auf ungewöhnlichen Umständen beruhen wie der Marktpreis am Bilanzstichtag. Es muß vielmehr geprüft werden, ob die Preisentwicklung innerhalb der letzten vier bis sechs Wochen vor und nach dem Bilanzstichtag die Annahme rechtfertigt, daß der Stichtagspreis dieser Preisentwicklung nicht Rechnung trägt. Das ist z. B. der Fall, wenn die Preise eine ständig fallende Tendenz zeigen (Urteil des Reichsfinanzhofs I A 447/32), wenn sich eindeutig feststellen läßt, daß die das Absinken der Preise nach dem Bilanzstichtag verursachenden Tatsachen schon am Bilanzstichtag gegeben waren (Urteil des Reichsfinanzhofs VI A 1857/32) oder wenn die Preise vor oder nach dem Stichtag wesentlich niedriger liegen und deshalb die Vermutung gerechtfertigt ist, daß der Stichtagspreis ein ungewöhnlicher Preis oder ein Zufallspreis ist. Zeigen die Preise nicht nur vor und nach dem Stichtag, sondern auch sonst regelmäßig starke Schwankungen und läßt sich nicht erkennen, ob der Preis am Stichtag ungewöhnlich ist, so wird man im allgemeinen annehmen können, daß sich die Schwankungen ausgleichen. Ein Abschlag ist dann nicht gerechtfertigt (Urteil des Reichsfinanzhofs III A 929/30). Diese von der Rechtsprechung zugelassene Korrektur der Stichtagspreise dient, wie bereits hervorgehoben ist, der Berücksichtigung der am Stichtag vermutlich vorliegenden die Preise bestimmenden Umstände. Sie soll nicht etwa stille Reserven schaffen, um das künftige Risiko starker Preisschwankungen aufzufangen oder die Eigenfinanzierung des Warenlagers zu erleichtern. Die Frist von sechs Wochen kann nicht verlängert werden. Die Berücksichtigung eines vor und nach dem Bilanzstichtag liegenden Zeitraums von insgesamt zwei bis drei Monaten ist ausreichend und angemessen, um dem Zweck, dem die Korrektur der Stichtagspreise dienen soll, gerecht zu werden.

Die Bfin. beruft sich auf das Gutachten eines Sachverständigen dafür, daß der Erwerber des ganzen Betriebs wegen des in den Stichtagspreisen steckenden Risikos einen erheblichen Abschlag verlangen würde. Damit könne der von ihr angesetzte Teilwert der Waren nachgewiesen werden. Es ist nicht zu beanstanden, daß das Finanzgericht von der Anhörung eines Sachverständigen abgesehen hat. Diese Anhörung steht in seinem pflichtgemäßen freien Ermessen. Aus dem von der Bfin. überreichten Gutachten ergibt sich, daß der Sachverständige bei der Rechtfertigung des von ihm vorgeschlagenen Abschlags von unzutreffenden rechtlichen Voraussetzungen ausgegangen ist. Der Abschlag darf nicht der Berücksichtigung des durch die stark schwankenden Preise begründeten allgemeinen Risikos dienen und es kommt für die Ermittlung des Teilwerts nicht darauf an, zu welchen Preisen eine Veräußerung der Rohstoffe durch einen tüchtigen Makler möglich wäre. Entscheidend ist allein, ob ein gedachter Erwerber, der an der Stelle der Bfin. den Betrieb fortsetzen will, bei einem Erwerb am Stichtag den Stichtagspreis für die Waren bezahlen und ob die Bfin. im Rahmen der Betriebsveräußerung unter diesen Preisen verkaufen würde. Es ist also ohne Bedeutung, ob in Deutschland vorhandene Interessenten das Warenlager allein nur mit einem erheblichen Abschlag übernehmen würden. Um die oben gestellte Frage zu beantworten, bedarf es nicht der Anhörung eines Sachverständigen. Sie kann, wie es das Finanzgericht getan hat, aus der allgemeinen Lebenserfahrung beantwortet werden, die zeigt, daß bei Betriebsveräußerungen grundsätzlich die Marktpreise für das übernommene Warenlager gezahlt werden.

Die Bfin. beruft sich zur Begründung der von ihr begehrten Abschläge weiter auf das bei Konkurrenzunternehmen von den Finanzämtern angewendete Verfahren und rügt eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Diese Rüge ist nicht berechtigt. Der Senat ist nicht in der Lage, zu den bei anderen Unternehmen bewilligten Abschlägen auf die Stichtagspreise Stellung zu nehmen, weil ihm die Verhältnisse dieser Unternehmen nicht bekannt sind. Selbst wenn aber die Finanzämter, wofür eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, diesen Unternehmen Abschläge gewährt haben, die im Gesetz keine Grundlage finden, so kann sich die Bfin. auf ein solches Verfahren nicht berufen. Es ist nicht Aufgabe der Rechtsprechung, für eine gleichmäßige Anwendung von Maßnahmen zu sorgen, die die Verwaltung als Billigkeitsmaßnahmen bezeichnet. Die Rechtsprechung ist an das Gesetz gebunden und muß sich darauf beschränken, eine möglichst gleichmäßige Auslegung und Anwendung des Gesetzes herbeizuführen.

Der von der Bfin. zitierte Erlaß des Senators für die Finanzen in Bremen 912 - S 2135 - St vom 6. Dezember 1954, BStBl 1955 II S. 20, kann das Verlangen der Bfin. nicht rechtfertigen. Dieser Erlaß enthält keine authentische Interpretation des Gesetzes oder der Rechtsprechung. Er ist mit den vorstehend entwickelten Grundsätzen der Rechtsprechung nicht vereinbar. Das ergibt sich ohne weiteres daraus, daß er bei besonders bezeichneten Importwaren unabhängig von der Preisentwicklung vor und nach dem Stichtag wegen der Gefahr von Preissenkungen einen Abschlag von 10 v. H. auf den Stichtagspreis gewährt. Der Erlaß kann auch nicht als Vereinfachungs- oder als auf § 131 der Reichsabgabenordnung (AO) gestützte Billigkeitsmaßnahme anerkannt werden. Die Verwaltung darf zwar für bestimmte Gruppen von gleichgelagerten Fällen durch eine änderung der Besteuerungsgrundlagen die Steuer senken (§ 131 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 AO). Das gilt aber nur dann, wenn die Einziehung der sich aus dem Gesetz ergebenden Steuer unbillig wäre. Es ist nicht ersichtlich, worin diese Unbilligkeit bei den im Erlaß bezeichneten Steuerpflichtigen bestehen sollte. Der Erlaß bezweckt offenbar, aus wirtschaftspolitischen Gründen die Finanzierung der Lagerhaltung bestimmter Waren zu erleichtern. Eine derartige Maßnahme kann im finanzgerichtlichen Verfahren nicht berücksichtigt werden, da die Gerichte, wie bereits erwähnt, an das Gesetz gebunden sind (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 342/ 53 U vom 8. April 1954, Slg. Bd. 58 S. 722, BStBl 1954 III S. 188).

Das Finanzgericht hat der Preisentwicklung nach dem Bilanzstichtag nur bei der Bilanzierung der Rohstoffe Rechnung getragen. Die Bfin. rügt mit Recht, daß das Finanzgericht nach den gleichen Grundsätzen auch die Berechtigung eines Abschlags von den Stichtagspreisen der eigenen Erzeugnisse hätte prüfen müssen. Es ist anzunehmen, daß die Ausführungen der Bfin. zutreffend sind, daß die Preise der aus den Importrohstoffen hergestellten Erzeugnisse ähnlichen Preisschwankungen unterlegen haben wie die Rohstoffe selbst. Dann aber besteht kein Anlaß, diese Erzeugnisse anders zu behandeln als die Rohstoffe. Es wird deshalb die Preisentwicklung für die Eigenerzeugnisse vor und nach den Bilanzstichtagen geprüft werden müssen, um einen etwa in Betracht kommenden Abschlag zu ermitteln.

Der Senat kann sich der Auffassung des Finanzgerichts nicht anschließen, daß sinkende Preise bei den am Bilanzstichtag schwebenden Einkaufsverbindlichkeiten nicht berücksichtigt werden können. Hier wird zunächst festgestellt werden müssen, welche Einkaufsverbindlichkeiten am Bilanzstichtag bestanden und zu welchen Preisen sie abgewickelt werden müssen. Stellt sich dabei heraus, daß der nach den oben entwickelten Grundsätzen ermittelte Teilwert der eingekauften Waren an dem Bilanzstichtag niedriger ist als die Kaufpreisschuld, so kann die Bfin. dieser Tatsache in der Bilanz durch Bildung einer Rückstellung Rechnung tragen (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 566/54 U).

 

Fundstellen

Haufe-Index 408515

BStBl III 1956, 379

BFHE 1957, 476

BFHE 63, 476

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