Leitsatz (amtlich)

Der Erbe kann den von dem Erblasser mangels positiver Einkünfte nicht ausgeschöpften Verlustausgleich bei seiner Einkommensteuerveranlagung für das Jahr des Erbfalls geltend machen.

 

Normenkette

EStG § 2 Abs. 2, § 10d

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Erbe einen bei der Einkommensteuerveranlagung des Erblassers nicht ausgeglichenen Verlust aus dem Todesjahr im Wege des Verlustausgleichs gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 EStG bei seiner Einkommensteuerveranlagung für dieses Jahr geltend machen kann.

Die Revisionskläger sind Eheleute. Sie bezogen im Streitjahr 1965 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Ehemann (Steuerpflichtiger) ist Miterbe seines am 11. April 1965 verstorbenen Vaters. Miterben insgesamt sind zu gleichen Teilen die drei Kinder des Erblassers und ein Enkel.

Der Erblasser war Komplementär einer KG. Seit dem 12. Februar 1965 war er Alleininhaber des Unternehmens. An einer weiteren KG war er als Kommanditist beteiligt. Er wurde am selben Tage - infolge des Todes des Komplementärs - auch bei diesem Unternehmen Alleininhaber.

Bei der erstgenannten KG war in der Zeit vom 1. Januar 1965 bis zum Erbfall ein Verlust in Höhe von 129 793,27 DM entstanden. Der Verlustanteil an der zweiten KG betrug 432 DM. Insgesamt beliefen sich die auf den Erblasser entfallenden Verluste auf 130 225,27 DM.

Die Erbengemeinschaft führte das Gesamtunternehmen bis zu seiner Veräußerung am 30. Juni 1965 fort. Von dem Veräußerungsgewinn entfielen auf den Steuerpflichtigen 387 541 DM.

Bei der Einkommensteuerveranlagung der Eheleute für 1965 berücksichtigte das FA nur laufende eigene Verlustanteile des Steuerpflichtigen in Höhe von 29 456 DM und 1 728 DM, nicht jedoch vom Erblasser herrührende Verluste. Erst bei den Einkommensteuerveranlagungen 1966 und 1967 wurde die Einkommensteuer wegen Verlustabzugs (§ 10d EStG) jeweils auf 0 DM festgesetzt.

Mit der Sprungklage wurde geltend gemacht, daß der Verlust des Erblassers in Höhe von 130 225,27 DM bereits bei der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr im Wege des Verlustausgleichs (§ 2 Abs. 2 EStG) anteilig, d. h. in Höhe eines Viertels - das sind 32 556 DM -, berücksichtigt werden müsse. Die Eheleute vertraten die Auffassung, daß der Erbe berechtigt sei, den Verlustausgleich des Erblassers geltend zu machen. Da die Verluste in Form negativer Kapitalkonten bei den Erben zu einem hohen Veräußerungsgewinn geführt hätten, sei es gerechtfertigt, daß der Verlust zum Ausgleich des Veräußerungsgewinns verwendet werde.

Die Klage blieb ohne Erfolg. Das FG führte aus, der Verlustausgleich sie mit der Veranlagung des Erblassers für das Todesjahr "verbraucht". Er könne, wie sich aus dem Sinn des § 2 Abs. 2 EStG ergebe, bei einem Steuerpflichtigen innerhalb eines Veranlagungszeitraums nur einmal vorgenommen werden. Der Erblasser sei für das Jahr 1965 mit dem von ihm bis zu seinem Tode erzielten Einkommen zu veranlagen (§ 25 Abs. 2 EStG). Daneben seien die Eheleute mit dem von ihnen im Kalenderjahr 1965 bezogenen Einkommen zur Einkommensteuer heranzuziehen. Erblasser und Erben könnten bei der Veranlagung für das Todesjahr des Erblassers nicht wie eine Person behandelt werden. Mit der Veranlagung des Erblassers sei der Verlustausgleich durchgeführt gewesen. Unbeachtlich sei, daß bei ihm keine positiven Einkünfte vorgelegen hätten. Der Erblasser werde so behandelt, als hätte sich die Steuerpflicht über das ganze Jahr erstreckt. Zwar gehe die steuerliche Rechtsposition des Erblassers auf die Erben über. Dazu gehöre aber nicht ein Recht auf Verlustausgleich. Einen nicht ausgeglichenen Verlust hätte auch der Erblasser erst in den folgenden Jahren gem. § 10d EStG im Wege des Verlustabzuges als Sonderausgabe geltend machen können. Die Rechtsprechung des BFH, derzufolge das Recht auf Geltendmachung des Verlustabzuges auf die Erben übergehe, lasse sich nicht auf den Verlustausgleich übertragen. Andernfalls würden auch Einkünfte der Eheleute, die sie zu Lebzeiten des Erblassers erzielt hätten, mit dessen Verlusten saldiert werden.

In ihrer Revision beantragen die Eheleute die Aufhebung der Vorentscheidung und Festsetzung der Einkommensteuerschuld auf 62 208 DM. Sie führen im wesentlichen aus, daß die Vorschrift des § 25 Abs. 2 EStG die Vererblichkeit des Rechts zur Geltendmachung eines Verlustausgleichs gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 EStG nicht ausschließe. Sterbe ein Steuerpflichtiger vor Ablauf des Veranlagungszeitraums, so gehe das Recht zur Verrechnung der bis dahin nicht ausgeglichenen Einkünfte auf den Gesamtrechtsnachfolger über. Könne auch dieser den Ausgleich nicht bis zum Ablauf des Veranlagungszeitraums durchführen, so sei er berechtigt, die nicht ausgeglichenen Einkünfte in den Folgejahren gem. § 10d EStG im Wege des Verlustabzugs geltend zu machen. Eine unterschiedliche Behandlung der Berücksichtigungsfähigkeit von Verlustausgleich und Verlustabzug sei nicht gerechtfertigt (vgl. BFH-Urteil IV R 288/66 vom 4. September 1969, BFH 97, 16, BStBl II 1969, 726).

Das FA beantragt die Abweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur anderweiten Festsetzung der Einkommensteuer.

Über das Verhältnis von Verlustausgleich und Verlustabzug hat der BFH in dem Urteil IV R 288/66 (a. a. O.) ausgeführt, daß wirtschaftlich gesehen der Verlustabzug ein auf spätere Veranlagungszeiträume verlegter, an weitere Voraussetzungen geknüpfter und als Sonderausgabe ausgestalteter Verlustausgleich sei, weshalb Unterschiede in der Berücksichtigungsfähigkeit von Verlustausgleich und Verlustabzug nicht gerechtfertigt seien. Mit dieser grundsätzlichen Beurteilung, der der erkennende Senat folgt, ist es unvereinbar, zwar den Verlustabzug für vererblich zu erklären (BFH-Urteil VI 49/61 S vom 22. Juni 1962, BFH 75, 328, BStBl III 1962, 386), den Verlustausgleich hingegen als ein höchstpersönliches "Recht" des Erblassers anzusehen, mit der Folge, daß, wie das FA in seiner Revisionserwiderung meint, der Erbe insoweit nicht in die Rechtsposition des Erblassers einrücken könnte. Der Verlustausgleich (§ 2 Abs. 2 EStG) findet ohne weiteres im Rahmen der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte statt. Er ergibt sich aus dem Vorhandensein negativer Einkünfte. Der Verlustausgleich besteht darin, daß der für den Veranlagungszeitraum zu berücksichtigende Verlust mit den für diesen Veranlagungszeitraum zu berücksichtigenden Einkünften ausgeglichen wird. Es handelt sich also um einen Ausgleich der positiven mit den negativen Einkünften (vgl. BFH-Urteil VI 122/60 U vom 4. November 1960, BFH 72, 11, BStBl III 1961, 6).

Der BFH hat in seiner neueren Rechtsprechung wiederholt betont, daß der Erbe auch für das Einkommensteuerrecht die Person des Erblassers fortsetzt (vgl. BFH-Urteile VI R 208/67 vom 21. März 1969, BFH 96, 19, BStBl II 1969, 520; IV R 238/66 vom 29. Mai 1969, BFH 96, 182, BStBl II 1969, 614; I R 184/69 vom 1. April 1971, BFH 102, 83, BStBl II 1971, 526; VIII R 76/70 vom 11. August 1971, BFH 103, 160, BStBl II 1972, 55). Auch der im Urteil VI 49/61 S (a. a. O.) entwickelte Grundsatz, daß der Erbe einen in der Person des Erblassers entstandenen Verlust abziehen kann, soweit der Erblasser, wenn er noch lebte, den Verlust hätte geltend machen können, ist Ausdruck dieses allgemeinen Rechtsgedankens. Auf den Verlustausgleich angewendet bedeutet er, daß der Erbe, indem er in die volle Rechtsstellung des Erblassers eintritt, den Verlustausgleich in derselben Weise vornehmen kann, wie es der Erblasser tun könnte, wenn er bis zum Ende des Veranlagungszeitraums gelebt hätte.

Aus der Vorschrift des § 25 Abs. 2 EStG kann hiergegen ein Einwand nicht hergeleitet werden. § 25 Abs. 2 Satz 1 EStG schreibt lediglich vor, daß, wenn die Steuerpflicht nicht während des vollen Veranlagungszeitraums bestanden hat, das während der Dauer der Steuerpflicht bezogene Einkommen der Veranlagung zugrunde gelegt wird. Da der Tod die persönliche Steuerpflicht (§ 1 EStG) erlöschen läßt, ist der Steuerpflichtige nach dem Einkommen zu veranlagen, das er in dem Veranlagungszeitraum bis zu seinem Tode bezogen hat (§ 25 Abs. 1 und 2 Satz 1 EStG). Dieser Ermittlungszeitraum erstreckt sich somit nur auf einen Teil des Kalenderjahres. Veranlagungszeitraum bleibt gleichwohl das Kalenderjahr. Diese Regelung schließt es aber nicht aus, daß sogar dieselbe Person für denselben Veranlagungszeitraum zweimal zur Einkommensteuer veranlagt wird, nämlich in dem Falle, daß während des Veranlagungszeitraums die unbeschränkte Steuerpflicht endet und die beschränkte Steuerpflicht beginnt und umgekehrt (Urteile des RFH VI A 377/37 vom 21. Juli 1937, RStBl 1937, 1008; VI 261/38 vom 30. November 1938, RStBl 1939, 173). Für beide Veranlagungen bildet den Veranlagungszeitraum das volle Kalenderjahr. Daraus ist ersichtlich, daß es mit dem System des EStG auch vereinbar ist, für den Fall des Erlöschens der Steuerpflicht durch den Tod des Steuerpflichtigen zwei sich auf das ganze Kalenderjahr erstreckende Veranlagungen vorzunehmen, wobei die Besteuerungsgrundlagen sich aus zwei aufeinanderfolgenden, durch den Zeitpunkt des Todes (Erbfalls) getrennte Ermittlungszeiträume ergeben. Die erste Veranlagung betrifft den Erblasser. Sie erfaßt dessen bis zum Erbfall bezogene Einkünfte positiver und negativer Art. Die zweite Veranlagung betrifft den Erben, der die Person des Erblassers in allen Beziehungen fortsetzt und der deshalb neben seinen eigenen Einkünften auch den nicht ausgeschöpften Verlustausgleich des Erblassers geltend machen kann.

Nach alledem ist die Vorentscheidung aufzuheben und der Einkommensteuerbescheid vom 20. Dezember 1967 dahin abzuändern, daß unter Berücksichtigung des von dem Steuerpflichtigen geltend gemachten, in der Höhe unstreitigen Verlustausgleichs von 32 556 DM die Einkommensteuer auf 62 495 DM festgesetzt wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 413248

BStBl II 1972, 621

BFHE 1972, 483

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