Leitsatz (amtlich)

Eine "Krankenanstalt" nach § 4 Nr. 15 UStG 1951 liegt nur vor, wenn die behandelten Patienten in der Anstalt selbst untergebracht sind.

 

Normenkette

UStG 1951 § 4 Nr. 15

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Einnahmen einer von der Klägerin (Steuerpflichtige) betriebenen Kuranstalt umsatzsteuerpflichtig sind oder ob sie wegen Ausübung hoheitlicher Gewalt oder Vorliegens einer Krankenanstalt nach § 4 Nr. 15 UStG 1951 nicht der Umsatzsteuer unterliegen.

Das FA hat die Steuerpflichtige mit den von der Kuranstalt erzielten Einnahmen für das Jahr 1964 zur Umsatzsteuer herangezogen. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage der Steuerpflichtigen hat das FG abgewiesen.

Es hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BFH ausgeführt, die Kuranstalt erfülle nicht die Voraussetzungen einer Krankenanstalt nach § 4 Nr. 15 UStG 1951. Eine solche sei nur gegeben, wenn die behandelten Patienten in der Anstalt selbst untergebracht seien und die Anstaltsunterbringung notwendig oder wenigstens zweckmäßig oder üblich sei. Beides sei hier nicht der Fall, da die Patienten außerhalb der Anstalt in Gasthäusern oder Pensionen wohnten und nur die Behandlung in der Anstalt selbst stattfinde. Da mithin eine Krankenanstalt nicht gegeben sei, habe das FA die erzielten Umsätze zu Recht der Umsatzsteuer unterworfen.

In der Revision rügt die Steuerpflichtige unrichtige Anwendung des geltenden Rechts. Das FG habe nicht geprüft, ob die Steuerbarkeit nicht schon deshalb entfalle, weil die Kuranstalt, die von ihrem Träger selbst betrieben und weitgehend auch mit Patienten beschickt werde, eigene hoheitliche Aufgaben erfülle und damit schon wegen Ausübung von öffentlicher Gewalt nach § 2 Abs. 3 UStG 1951 keine steuerbaren Umsätze bewirke. Diese Frage stehe um so mehr im Vordergrund, als die Anstalt von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts nicht nur bereitgehalten werde, sondern dazu diene, die dem Träger im hoheitlichen Bereich durch Gesetz übertragenen öffentlichen Aufgaben durchzuführen.

Das Kurheim werde überwiegend durch eigene Versicherte belegt. Soweit es sich um Patienten handele, die von anderen öffentlichen Kostenträgern eingewiesen werden, sei Amtshilfe gegeben. Die enge Verflechtung aller Versicherungsträger verpflichte diese schon allein aus Sparsamkeitsgründen zur engen Zusammenarbeit insbesondere auch da, wo Spezialeinrichtungen nur dann kostendeckend und kostensparend betrieben werden könnten, wenn andere Versicherungsträger als Mitbeleger aufträten. Man müsse somit davon ausgehen, daß die Durchführung von Kuren in der Anstalt für die Versicherten anderer Versicherungsträger Amtshilfe sei. Das Tätigwerden der Klägerin im Rahmen dieser Amtshilfe sei Ausübung öffentlicher Gewalt, weil eine objektiv öffentlich-rechtliche Leistung ihren Rechtscharakter auch dann behalte, wenn sie im Wege der Amtshilfe von einem anderen Amtsträger erbracht werde.

Unabhängig hiervon werde daran festgehalten, daß eine Krankenanstalt nach § 4 Nr. 15 UStG 1951 gegeben sei.

Es handle sich um eine Krankenanstalt neuen und modernen Typs. Entscheidend sei, daß in dieser Kranke betreut würden, die für längere Zeit an die Anstalt angelehnt seien und für ihre Verweildauer im Anstaltsbereich der Anstaltsdisziplin unterworfen seien. Trotz freier Unterbringung werde das enge Verhältnis, das für die Dauer der vierwöchigen Kur zwischen Patient und Anstalt entstehe, nicht wie bei ambulanter Behandlung durchbrochen, sondern bestehe als ständiges öffentlichrechtliches Betreuungs- und Fürsorgeverhältnis von der Aufnahme in die Kur bis zu deren Beendigung. Es handle sich hier um einen Behandlungstyp, der zweifellos über eine ambulante Behandlung hinausgehe, weil eben die anstaltsmäßige Unterbringung dem Anstaltsziel nicht dienlich wäre. Neben ärztlicher Behandlung, psychotherapeutischer Führung und Betreuung, Bewegungsübungen, leistungsgerechtem Aufbautraining und balneologischen Maßnahmen sei die freie Unterbringung der Patienten ein psychologisch wichtiger, bewußt eingeplanter Bestandteil der Kur. Der Patient solle selbst verantwortungsbewußt und aktiv an der Wiederherstellung seiner Gesundheit mitarbeiten. Diese Eigenverantwortlichkeit bedinge eine freie Unterbringung, da der Patient aus dem vermeintlichen Milieu eines Krankenhausbetriebes herausgehalten werden müsse.

Die Rechtsprechung müsse sich hier im Rahmen des auslegungsfähigen Begriffs "Krankenanstalt" mit einer Therapie-Form auseinandersetzen, die neu sei und eine anstaltsmäßige Unterbringung nicht zulasse.

Die Steuerpflichtige beantragt, das Urteil des FG sowie den Umsatzsteuerbescheid 1964 in der Fassung der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen. Es hält den Standpunkt der Vorinstanz, daß weder eine Ausübung von öffentlicher Gewalt nach § 2 Abs. 3 UStG 1951 noch eine Krankenanstalt nach § 4 Nr. 15 UStG 1951 gegeben sei, für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision hat keinen Erfolg.

1. Nach dem grundlegenden Gutachten des RFH V D 1/37 vom 9. Juli 1937 (RFH 42, 253, RStBl 1937, 1306), dem die ständige Rechtsprechung des BFH folgt (vgl. Urteile V 84/52 U vom 9. Februar 1953, BFH 57, 221, BStBl III 1953, 86; V 120/59 U vom 13. April 1961, BFH 73, 84, BStBl III 1961, 298; V 131/62 U vom 1. April 1965, BFH 82, 263, BStBl III 1965, 339), sind Umsätze einer Körperschaft des öffentlichen Rechts dann nicht steuerbar, wenn sie aus einer Tätigkeit herrühren, die dem Träger der öffentlichen Gewalt eigentümlich und vorbehalten ist. Bei dieser Wertung ist ein strenger Maßstab anzulegen; § 2 Abs. 3 UStG 1951 ist, wie die Rechtsprechung des RFH und des BFH betont, "mit gebührender Vorsicht" anzuwenden. Denn die Umsatzsteuer ist eine allgemeine, grundsätzlich jeden Umsatz erfassende Verbrauchsteuer. Dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung kommt hier eine besondere Bedeutung zu, weil der private Unternehmer nicht durch den Wettbewerb der Körperschaft benachteiligt werden darf (Urteil des RFH V 293/38 vom 9. Februar 1940, RFH 48, 135, RStBl 1940, 575). Übernimmt die öffentliche Hand in größerem Umfang Aufgaben, wie sie auch Privatpersonen übernehmen und tritt sie dadurch in Wettbewerb zur privaten Wirtschaft, so ist die Tätigkeit nicht mehr der öffentlichen Hand eigentümlich und vorbehalten, also keine hoheitliche Tätigkeit (vgl. Urteil des BFH V 21/64 vom 18. August 1966, BFH 87, 228, BStBl III 1967, 100).

Nach diesen Grundsätzen kann die Unterhaltung der Kuranstalt zwecks Belegung mit eigenen Patienten oder solchen anderer Versicherungsträger nicht als Ausübung öffentlicher Gewalt angesehen werden. Denn eine solche Aufgabe ist nicht der öffentlichen Hand eigentümlich oder vorbehalten, also gewerblicher Art. In diesem Zusammenhang weist das FA zutreffend auf das Urteil V A 551/35 vom 13. Dezember 1935 (RStBl 1936, 10) hin, in dem der RFH entschieden hat, daß der Betrieb gemeindlicher Krankenhäuser eine gewerbliche, nicht aber eine öffentlich-rechtliche (hoheitliche) Tätigkeit darstellt. Der Senat sieht keine Veranlassung, im Streitfall, der im entscheidenden Punkt gleichgelagert ist, eine andere Ansicht zu vertreten. Es besteht also Steuerpflicht nach §§ 1 Nr. 1, 2 Abs. 1 UStG 1951.

2. Um als "Krankenanstalt" im Sinn von § 4 Nr. 15 UStG 1951 angesehen zu werden, müssen nach den Urteilen des BFH V 89/57 U vom 7. August 1959 (BFH 69, 530, BStBl III 1959, 457), V 258/54 U vom 21. Dezember 1955 (BFH 62, 152, BStBl III 1956, 56) die folgenden Voraussetzungen gegeben sein:

a) Es müssen Kranke in der Anstalt untergebracht sein,

b) die Anstaltsunterbringung muß notwendig oder zweckmäßig oder üblich sein,

c) es muß ständig eine dem einzelnen Kranken gewidmete ärztliche Tätigkeit stattfinden, die gegenüber vorhandenen natürlichen Heilfaktoren im Vordergrund steht.

Von diesen Voraussetzungen erfüllt die Anstalt der Steuerpflichtigen die erste nicht, da die Patienten unstreitig außerhalb der Anstalt untergebracht sind und die auswärtige Unterbringung - wie sich aus der Revisionsbegründung ergibt - auch ganz bewußt geschieht, also sogar beabsichtigt ist. Es mag sein, daß diese Art der Therapie, wie sie hier betrieben wird, für gewisse Erkrankungen modernen Erkenntnissen Rechnung trägt. Sie entspricht jedoch nicht den Erfordernissen, die die Rechtsprechung aus gutem Grund an den Begriff einer "Krankenanstalt" stellt. Wollte man auch Einrichtungen der hier vorliegenden Art als Krankenanstalt im Sinne des § 4 Nr. 15 UStG 1951 ansehen, so wäre eine sichere Abgrenzung zu der reinen ambulanten Behandlung nicht mehr möglich. Das öffentlich-rechtliche Fürsorge- oder Betreuungsverhältnis, auf das sich die Steuerpflichtige beruft, ersetzt die fehlende Unterbringung der Patienten in der Anstalt nicht. Auch die Vorschrift des § 1243 RVO, die die Versagung von Renten im Fall der Verhinderung von Heilmaßnahmen betrifft, und der Umstand, daß in der Anstalt der Steuerpflichtigen mit behördlicher Genehmigung Medizinalassistenten ausgebildet werden, können die steuerrechtliche Beurteilung im Ergebnis nicht beeinflussen. Die von der Steuerpflichtigen betriebene Kuranstalt ist keine Krankenanstalt nach § 4 Nr. 15 UStG 1951.

3. Die Vorinstanz ist daher zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß die Einnahmen der Steuerpflichtigen aus dem Betrieb der Kuranstalt der Umsatzsteuer unterliegen. Die Revision war als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 413158

BStBl II 1972, 555

BFHE 1972, 183

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