Entscheidungsstichwort (Thema)

Verpflichtungsklage gegen Ablehnung der Herausgabe von Fotokopien

 

Leitsatz (NV)

1. Das Revisionsgericht ist befugt, den wirklichen Willen der prozessualen Erklärung des Klägers zu überprüfen.

2. Das Herausgabeverlangen von Fotokopien gegenüber dem FA (Betriebsprüfungsstelle) ist nicht mit der allgemeinen Leistungsklage, sondern mit der Verpflichtungsklage zu verfolgen.

3. Die Ablehnung der Herausgabe von Unterlagen durch das Finanzamt ist ein Verwaltungsakt.

4. Eine Umdeutung der Leistungsklage in eine zulässige Verpflichtungsklage ist nicht möglich.

5. Die Ablehnung, eine Schlußbesprechung abzuhalten, ist ein Verwaltungsakt.

 

Normenkette

FGO §§ 40, 44-46, 96; AO 1977 §§ 93, 118, 199 Abs. 2, §§ 201, 349; GG Art. 103 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) führte im Jahre 1979 bei dem inzwischen verstorbenen S eine Außenprüfung durch. In der Außenprüfung wurde die steuerrechtliche Anerkennung bestimmter Rechtsbeziehungen des S zur F-GmbH streitig. Zu der Streitfrage vernahm der Außenprüfer mehrere Personen, ohne deren Erklärungen und Aussagen dem S mitzuteilen, obwohl dieser dies ausdrücklich beantragt hatte. Während der Außenprüfung verstarb S. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhob als Rechtsnachfolger des S Leistungsklage gegen das FA wegen Verweigerung des rechtlichen Gehörs durch Nichtbekanntgabe von entscheidungserheblichen Ermittlungsergebnissen und Verweigerung von Schlußbesprechung mit dem Ziel, das FA zu verpflichten, die Ermittlungsergebnisse, insbesondere die dem FA vorliegenden Erklärungen und Aussagen von Frau N, den Herren B und V vor Ansetzung einer Schlußbesprechung in geeigneter Form bekanntzugeben, nach Bekanntgabe der Ermittlungsergebnisse einen Termin für eine Schlußbesprechung anzusetzen und vorher keinen Steuerbescheid für das Jahr 1977 zu erlassen.

Die Klage hat das Finanzgericht (FG) als unzulässig abgewiesen. Die Revision hat es zugelassen.

Mit seiner Revision macht der Kläger sinngemäß geltend, das FG verletze mit seiner Entscheidung den Anspruch des Steuerpflichtigen auf Gewährung rechtlichen Gehörs im Außenprüfungsverfahren. Der Kläger beantragt sinngemäß unter Aufhebung der Vorentscheidung, das FA zu verpflichten, die Ermittlungsergebnisse, insbesondere die ihm vorliegenden Erklärungen und Aussagen von Frau N, den Herren B und V vor Anberaumung einer Schlußbesprechung in geeigneter Form, z. B. durch Fotokopie, ihm bekanntzugeben und nach Bekanntgabe einen Termin für eine Schlußbesprechung anzusetzen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet; sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Das FG hat das Begehren des Klägers als Leistungsklage aufgefaßt. Diese Wertung ist revisionsrechtlich überprüfbar (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. Juni 1967 III B 21/66, BFHE 89, 92, BStBl III 1967, 533); die Vorinstanz hat sie richtig vorgenommen. Für die Auslegung kommt der in der prozessualen Erklärung verkörperte Wille in Betracht (Entscheidung des Reichsgerichts - RG - vom 13. Juli 1906 Rep VII 410/05, RGZ 64, 67, 71). Bei der Ermittlung des wirklichen Willens ist davon auszugehen, daß der Steuerpflichtige das Rechtsmittel hat einlegen wollen, das zu dem von ihm angestrebten Erfolg führt (vgl. BFH-Urteil vom 14. November 1958 III 103/58 U, BFHE 68, 134, BStBl III 1959, 51; Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, Anm. 57 zu § 96 FGO); dabei ist der Prozeßzweck zu berücksichtigen.

2. Für die vom FG angenommene Leistungsklage spricht, daß der Kläger als Steuerberater seine Klage selbst als Leistungsklage in der Klageschrift bezeichnet. Er begehrt zudem nicht die Ablehnung einer Maßnahme, die er ersetzt haben will, sondern er verlangt die Herausgabe von Fotokopien und die anschließende Anberaumung einer Schlußbesprechung. Diese vom Kläger erhobene allgemeine Leistungsklage ist gegenüber der Verpflichtungsklage, die inhaltlich die Aufhebung eines ergangenen und den Erlaß eines künftigen Verwaltungsakts begehrt, subsidiär. Sie ist deshalb unzulässig, wenn und soweit dem Kläger zur Erreichung seines Klageziels die Verpflichtungsklage zur Verfügung stand.

3. a) Im Streitfall hätte der Kläger sein Klageziel mit der Verpflichtungsklage verfolgen können und müssen. Die Ablehnung des FA, dem Kläger die begehrten Unterlagen herauszugeben, ist nämlich ein Verwaltungsakt. Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist (§ 118 der Abgabenordnung - AO 1977 -, Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 25. Februar 1969 I C 65.67, BVerwGE 31, 301).

b) Im Streitfall begehrt der Kläger keine Auskunft über Rechtsfragen. Diese sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH keine Verwaltungsakte, weil sie keine auf Rechtsgestaltung gerichtete Handlungen sind (Urteile vom 4. August 1961 VI 269/60 S, BFHE 73, 813, BStBl III 1961, 562; vom 1. Februar 1973 IV R 1/72, BFHE 108, 517, BStBl II 1973, 533; vom 25. Juli 1978 VII R 77/74, BFHE 126, 358). Statt dessen besteht das Klageziel in der Vornahme einer tatsächlichen Handlung, nämlich der Überlassung von Fotokopien, deren Herausgabe vom FA abgelehnt wurde. Die Ablehnung solcher tatsächlichen Handlungen sind nach herrschender Meinung Verwaltungsakte (Mayer / Borgs, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl., Tz. 38 zu § 35; Stelkens/Bonk/Leonhardt, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl., Anm. 54 zu § 35; Bettermann, Deutsches Verwaltungsblatt - DVBl - 1969, 703; Lässig, DVBl 1979, 561; Kopp, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, 4. Aufl., Anm. 9 zu § 35; anderer Ansicht Obermayer, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz, Anm. 21, 145 zu § 35; Monreal, Auskünfte und Zusagen von Finanzbehörden, 1967, S. 39 ff.). Auch in der steuerrechtlichen Literatur wird bei Ablehnung einer Auskunft ein Verwaltungsakt angenommen (Hübschmann /Hepp / Spitaler, a.a.O., Anm. 68 zu § 40 FGO; Krabbe, Verbindliche Auskünfte im Steuerrecht, NWB Fach 2, S. 4913; Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, Anm. 6 zu § 199 AO 1977, Anm. 16 q zu § 118 AO 1977; Koch, Abgabenordnung - AO 1977, 3. Aufl., Anm. 5 c zu § 118; Klein / Orlopp, Abgabenordnung, 3. Aufl., Anm. 4 b zu § 118; Plath, Abgabenordnung, Anm. 2 zu § 118; Schwarz, Abgabenordnung, Anm. 5 zu § 118).

c) Der BFH hat die Frage, ob die Ablehnung der Herausgabe von Fotokopien ein Verwaltungsakt ist, bisher nicht entschieden. Die bisher ergangene Entscheidung betrifft nur die Frage, ob das FA es unterlassen muß, die Steuerakten einen Dritten einsehen zu lassen, und ob diese Maßnahme ein Verwaltungsakt ist (bejahend BFH-Urteil vom 13. September 1972 I R 189/70, BFHE 107, 253, BStBl II 1973, 119). Den umgekehrten Fall, daß das FA den Steuerpflichtigen auffordert, im Rahmen der Betriebsprüfung Unterlagen vorzulegen, hat der erkennende Senat im Urteil vom 14. August 1985 I R 188/82 (BFHE 144, 339, BStBl II 1986, 2) als Verwaltungsakt qualifiziert. In dem Urteil in BFHE 126, 358 hat der BFH unter Bezug auf das Urteil in BVerwGE 31, 301 entschieden, daß die Auskunft über Tatsachen ein Verwaltungsakt ist, weil der rechtliche Schwerpunkt der Entscheidung nicht in der Erteilung oder Versagung der Auskunft als solcher, sondern in der hierdurch zum Ausdruck gebrachten Ermessensentscheidung der Behörde liegt. Dabei hat der Senat darauf abgestellt, ob die Erteilung einer Auskunft mit der Erfüllung ihr gesetzlich aufgetragener Aufgaben vereinbar ist oder ob eine solche Prüfung entfällt, weil eine Auskunftserteilung zu den Aufgaben der Behörde gehört. Das durch das Auskunftsbegehren entstandene Rechtsverhältnis zwischen dem Bürger und der Behörde wird somit durch eine ausdrückliche oder schlüssige Entscheidung über den Antrag hoheitlich geregelt.

d) Der erkennende Senat tritt diesen Rechtsausführungen bei. Die Ablehnung, einem Steuerpflichtigen Informationen in Gestalt von Fotokopien der Aussagen von dritten Personen zu gewähren, die diese im Rahmen einer Betriebsprüfung gegenüber dem Betriebsprüfer abgegeben haben, setzt voraus, daß das FA prüft, ob der Kläger auf diese Auskunft einen Anspruch hat. Die Auskunftserteilung gehört nicht zu der primären Aufgabe der Finanzbehörde. Vielmehr muß sie abwägen, ob in dem gegenwärtigen Verfahren eine Herausgabe der Fotokopien mit ihren Aufgaben - Durchführung der Betriebsprüfung - vereinbar ist. Ferner kann sich der Anspruch aus verschiedenen Rechtsnormen ergeben, so z. B. aus § 93 Abs. 6 Satz 4 AO 1977 i. V. m. Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) oder aus § 199 Abs. 2 AO 1977 unmittelbar. Das FA entscheidet somit über einen möglichen Anspruch des Steuerpflichtigen. Wenn es ihn verneint, greift es in die Außenbeziehung zum Steuerpflichtigen ein und regelt damit einen Einzelfall i. S. des § 118 AO 1977 (im Ergebnis ebenso Urteil des Hessischen FG vom 4. Februar 1981 X 245/80, veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1981, 432). Dasselbe gilt, wenn es dem Anspruch stattgibt.

Folgende vergleichbare Handlungen hat der BFH bereits als Verwaltungsakte qualifiziert: den Abbruch einschließlich die Ablehnung der Schlußbesprechung einer Betriebsprüfung (Urteil vom 24. Oktober 1972 VIII R 108/72, BFHE 109, 1, BStBl II 1973, 542); die Aufforderung des Betriebsprüfers an den Steuerpflichtigen, Unterlagen im Rahmen der Betriebsprüfung vorzulegen (Urteil in BFHE 144, 339, BStBl II 1986, 2; anders der Bundesgerichtshof - BGH - mit Beschluß vom 26. Juni 1986 III ZR 191/85, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1987, 541 bezüglich der laufenden Mitteilungen des Betriebsprüfers an den Steuerpflichtigen und des abschließenden Prüfungsberichts).

4. Die von dem Kläger erhobene Leistungsklage kann nicht in eine zulässige Verpflichtungsklage umgedeutet werden. Für die Annahme einer zulässigen Verpflichtungsklage fehlt es an einem Vorverfahren (§ 44 Abs. 1 FGO). Gegen die Ablehnung, ihm die Aussagen und Erklärungen von Dritten in Form von Fotokopien zur Kenntnis zu geben, hätte er gemäß § 349 AO 1977 Beschwerde einlegen müssen.

Die Durchführung eines Vorverfahrens ist nicht gemäß § 45 FGO entbehrlich, weil es an einer Zustimmung des FA fehlt. Das alleinige Einlassen auf die Klage und die Abweisung, die das FA beantragt hat, sind keine Zustimmung (BFH-Urteil vom 16. November 1984 VI R 176/82, BFHE 143, 27, BStBl II 1985, 266).

5. Danach kommt es auf die Frage, ob der Kläger einen klagbaren Anspruch (§ 40 Abs. 2 FGO) auf Aushändigung der Fotokopien hat, nicht mehr an. Als eine Untätigkeitsklage nach § 46 FGO ist seine Klage auch nicht auszulegen, denn für die Annahme dieser Klage fehlt es ebenfalls an einem Vorverfahren.

6. Der weitergehende Antrag des Klägers auf Anberaumung einer Schlußbesprechung nach Bekanntgabe der Information kann keinen Erfolg haben. Sofern die obige Sachaufklärung zu dem Ergebnis kommt, daß der Kläger über die Aussagen zu informieren ist, ist er zwar unter den Voraussetzungen des § 201 Abs. 1 AO 1977 berechtigt. Jedoch ist die Ablehnung der Schlußbesprechung nach der Entscheidung des BFH vom 24. Oktober 1972 VIII R 108/72 (BFHE 109, 1, BStBl II 1973, 542) ein Verwaltungsakt gegen den Steuerpflichtigen, für den ihm der Beschwerdeweg nach § 349 AO 1977 zusteht (ebenso Tipke / Kruse, a.a.O., Anm. 1 zu § 201 AO 1977). Ein Vorverfahren hat der Kläger in dieser Sache nicht durchgeführt, so daß das FG die Klage wegen des weitergehenden Antrags zu Recht als unzulässig abgewiesen hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 415523

BFH/NV 1988, 319

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