Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Zur einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Abfindungen, die ausziehende Mieter für die vorzeitige Aufgabe ihrer Wohnung erhalten.

Erhält der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber für die vorzeitige Räumung einer Dienstwohnung eine Entschädigung, so kann darin Arbeitslohn liegen.

 

Normenkette

EStG § 2 Abs. 3 Ziff. 4, § 2/3/7, §§ 22, 34 Abs. 3; LStDV § 2

 

Tatbestand

Der inzwischen gestorbene Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige - Stpfl. -) war, bis er am 31. Juli 1958 in den Ruhestand trat, Direktor einer GmbH. Er erhielt im Streitjahr 1959 von dieser GmbH neben den laufenden Ruhegehaltsbezügen von 45.000 DM noch eine Abfindung von 20.000 DM, die er für steuerfrei hielt; sie gehörte nach seiner Ansicht nicht zu den Arbeitseinkünften, weil er sie für die vorzeitige Freigabe seiner Wohnung erhalten habe; mindestens seien aber 10.000 DM davon, die ihm als Baukostenzuschuß für die neue Wohnung gewährt worden seien, steuerfrei zu belassen. Das Finanzamt (FA) setzte die Abfindung von 20.000 DM voll als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) an.

Die Berufung hatte im wesentlichen Erfolg. Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1966 S. 228 veröffentlicht ist, führte aus, der Stpfl. sei Mieter der Wohnung gewesen, die der GmbH gehört habe. über die geräumte Wohnung habe ein Mietvertrag bestanden; die gezahlte Miete sei auch angemessen gewesen. Der Stpfl. habe von der GmbH die Abfindung dafür erhalten, daß er die Wohnung vorzeitig frei gemacht habe. Abfindungen, die ein Mieter von seinem Vermieter dafür erhalte, daß er die Wohnung vor Ablauf des Mietvertrags freiwillig räume, unterlägen aber nicht der Einkommensteuer, weil sie unter keine der sieben Einkunftsarten des EStG gebracht werden könnten. Der Stpfl., der sich allerdings selbst zu Unrecht nicht als Mieter, sondern als Inhaber einer Dienstwohnung angesehen habe, sei ebenso verfahren wie viele andere Mieter von Altbauwohnungen auch, die die Verhältnisse am Wohnungsmarkt ausnutzten und sich die Aufgabe eines Mietverhältnisses "abkaufen" ließen. Ein solcher "Kaufpreis" unterliege nicht der Einkommensteuer.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des FA führt zur Aufhebung der Vorentscheidung.

Das FG läßt die 20.000 DM steuerfrei, weil die GmbH sie dem Stpfl. als ihrem Mieter - unabhängig von dem früheren Dienstverhältnis - gezahlt habe. Die Ausführungen des FG tragen indessen diese tatsächliche Feststellung nicht. Dem Stpfl. war die Wohnung, die sich im werkseigenen Gebäude der GmbH befindet, offenbar als leitenden Angestellten gegeben worden, allerdings nicht unentgeltlich oder als Teil seines Gehalts, sondern auf Grund eines Mietvertrags gegen Zahlung einer angemessenen Miete, wie das FG feststellt, das FA aber bestreitet. Allein aus der Tatsache, daß der Stpfl. mit der GmbH nebeneinander einen Dienstvertrag und einen Mietvertrag geschlossen hatte, konnte das FG nicht folgern, daß beide Verträge nicht wirtschaftlich zusammenhingen. Der Stpfl. hat die Wohnung von Anfang an als "Dienstwohnung" bezeichnet, offenbar weil er selbst das Gefühl hatte, daß ein unlösbarer Zusammenhang des Mietvertrags mit dem Dienstvertrag bestand. Wahrscheinlich mußte die GmbH, als der Stpfl. in den Ruhestand getreten war, aus betrieblichen Gründen die Wohnung schnell für einen Nachfolger freimachen und wollte den Stpfl. durch die Abfindung veranlassen, dadurch mitzuwirken, daß er sich bald eine andere Wohnung mietete. Wenn auch der Stpfl. eine angemessene Miete an die GmbH gezahlt bzw. mit ihr verrechnet haben mag, so rechtfertigen die Umstände doch nicht den Schluß, daß er der GmbH wie ein beliebiger fremder Mieter gegenüber gestanden hätte. Die Eigenarten der Wohnung und des Dienstverhältnisses müssen hier in Betracht gezogen werden. Möglicherweise ergibt der Wortlaut des Mietvertrags einen Anhalt, ob die Beteiligten nicht selbst den Dienstvertrag mit dem Mietvertrag verknüpft haben. Aber auch wenn das nicht der Fall sein sollte, so ist es doch möglich und naheliegend, daß die Beteiligten als selbstverständlich davon ausgegangen sind, daß der Stpfl. die "Dienstwohnung" bei Beendigung seines Dienstverhältnisses aufgeben müsse. Dieser Punkt ist durch Anhörung der Beteiligten und Einsicht in die schriftlichen Unterlagen über die überlassung der Wohnung aufzuklären.

Das FG muß prüfen, ob die Abfindung von 20.000 DM unter diesen Gesichtspunkten nicht doch zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit rechnet.

Verneint es diese Frage wiederum, so muß es erwägen, ob die Abfindung nicht gemäß §§ 2 Abs. 3 Ziff. 7 in Verbindung mit 22 Ziff. 3 EStG als Entgelt für eine sonstige Leistung zur Einkommensteuer heranzuziehen ist. Den Ausführungen, mit denen das FG bisher die Anwendung von § 22 Ziff. 3 EStG ablehnt, stimmt der Senat jedenfalls nicht zu. Es ist richtig, daß Mietverträge über die Privatwohnung in den Bereich der privaten Lebenshaltung gehören und die Kosten, die die Steuerpflichtigen für ihre Wohnungen - einschließlich eines verlorenen Zuschusses - tragen, in der Regel einkommensteuerlich nicht berücksichtigt werden. Daraus ist indessen nicht ohne weiteres zu folgern, daß ein Mieter, der die Rechtsposition, die ihm ein laufender Mietvertrag gibt, benutzt, um für die vorzeitige Aufgabe seiner Rechte aus dem Mietvertrag vom Vermieter oder einem Wohnungsinteressenten eine "Abfindung" auszuhandeln, mit dieser Abfindung nicht nach § 22 Ziff. 3 EStG der Einkommensteuer unterliegt. Der Bundesfinanzhof (BFH) legt die Vorschrift des § 22 Ziff. 3 EStG weit aus (vgl. Urteil des Großen Senats Gr. S. 1/64 S vom 23. Juni 1964, BFH 80, 73, BStBl III 1964, 500). Sicher hat der ausziehende Mieter, der eine "Abfindung" erhält, damit keine Einkünfte, soweit ihm der Vermieter oder ein fremder Wohnungsinteressent die "Abfindung" dafür zahlt, daß er - der ausziehende Mieter - für die aufgegebene Wohnung Kosten gehabt hat, z. B. für Einbauten oder Instandsetzungen. Werden dem ausziehenden Mieter nur seine Kosten ersetzt, so gehört dieser Vorgang in den Vermögensbereich. Solche Vermögensbewegungen fallen unter keine der sieben Einkunftsarten des EStG. Anders ist es aber, wenn sich der ausziehende Mieter dafür seine "Entschädigung" zahlen läßt, daß er auf seine Rechtsposition, die er aus dem laufenden Mietvertrag hat, verzichtet. Der Senat trägt keine Bedenken, Zahlungen, die dem ausziehenden Mieter unter diesem Gesichtspunkt gewährt werden, grundsätzlich als Einkünfte aus Leistungen gemäß § 22 Ziff. 3 EStG einkommensteuerlich zu erfassen, sofern sie nicht unter eine andere Einkunftsart gebracht werden können, wie z. B. bei einem Gewerbetreibenden, der eine Entschädigung für die vorzeitige Aufgabe von gemieteten Betriebsräumen erhält. Die geldwerte Leistung, die der ausziehende Mieter erbringt, besteht in diesen Fällen darin, daß er sein Recht aus dem Mietvertrag nicht geltend macht und dadurch dem Vermieter oder Wohnungsinteressenten die Möglichkeit verschafft, in den Besitz der Wohnung zu kommen.

Es ist dem FG zuzugeben, daß der Reichsfinanzhof (RFH) im Urteil IV 113/40 vom 11. Juli 1940 (RStBl 1940, 996) "Entschädigungen", die ausziehende Mieter erhalten, in weitem Umfang für steuerfrei erklärt hat. Er sieht darin ein Geschäft, das "einem Veräußerungsgeschäft ähnlich" sei. Der Senat tritt dieser Beurteilung nicht bei. Das FG weist mit Recht darauf hin, daß die Wohnungsknappheit von Mietern preisgünstiger Wohnungen oft dazu ausgenutzt wird, sich den Vorteil einer wirtschaftlich nicht gerechtfertigten "Abfindung" zu verschaffen. Der Entscheidung IV 113/40 (a. a. O.) lagen möglicherweise andere Verhältnisse am Wohnungsmarkt zugrunde. Im übrigen hat der Senat bereits in mehreren Fällen die Vorschrift des § 22 Ziff. 3 EStG weiter ausgelegt als der RFH, z. B. neuestens im Urteil VI 284/64 vom 30. August 1966 (BFH 87, 131, BStBl III 1967, 69), in dem das Entgelt für die Einräumung eines Vorkaufsrechts für steuerpflichtig erklärt wurde.

Kommt das FG bei erneuter Prüfung zu dem Ergebnis, daß die Abfindung von 20.000 DM zu den Einkünften des Stpfl. aus nichtselbständiger Arbeit rechnet, so bestehen keine Bedenken, auf Antrag des Stpfl. diesen Betrag gemäß § 34 Abs. 3 EStG auf drei Jahre zu verteilen, da die Abfindung offenbar mit dem vieljährigen Dienstverhältnis des Stpfl. im ganzen zusammenhängt.

Unerheblich ist, ob der Stpfl. einen Teil der Abfindungssumme als Baukostenzuschuß verwendet hat, um eine neue Wohnung zu bekommen. Aufwendungen für die Beschaffung einer Wohnung sind Lebenshaltungskosten, die gemäß § 12 Ziff. 1 EStG nicht als Werbungskosten abzugsfähig sind. Gibt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer einen Baukostenzuschuß für eine Wohnung, so liegt darin grundsätzlich Arbeitslohn.

 

Fundstellen

BStBl III 1967, 251

BFHE 1967, 1

BFHE 88, 1

StRK, EStG:19/1/1 R 434

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge