Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufwendungen für eine zweitägige Betriebsveranstaltung bei Einhaltung der Freigrenze kein Arbeitslohn

 

Leitsatz (amtlich)

Aufwendungen des Arbeitgebers führen bei einer zweitägigen Betriebsveranstaltung nicht zu Arbeitslohn, sofern die Freigrenze von 200 DM (110 €) eingehalten wird (Änderung der Rechtsprechung).

 

Normenkette

EStG § 19 Abs. 1 Nr. 1, § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

Thüringer FG (Entscheidung vom 28.07.1999; Aktenzeichen III 711/98; EFG 1999, 1224)

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), der ein Hoch- und Tiefbau-Unternehmen betreibt, veranstaltete im Jahr 1994 für seine Arbeitnehmer einen "Baudenabend" in F. Die Aufwendungen des Klägers für diese Veranstaltung betrugen 100 DM pro Arbeitnehmer. Nach dem Veranstaltungsprogramm erfolgte die Abfahrt nach F gegen 16.00 Uhr. Nach der Einquartierung in Privatpensionen begann ab 19.00 Uhr der Baudenabend mit Abendessen (kaltes Buffet). Anschließend folgte ab 20.00 Uhr ein Folkloreprogramm, danach Tanz sowie gemütliches Beisammensein. Am nächsten Tag fand nach dem Frühstück ein Spaziergang durch den Ferienort und die Besichtigung der Kirche von F statt. Um 12.00 Uhr gab es Mittagessen in der Baude. Danach erfolgte die Rückfahrt.

Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung war der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) der Auffassung, es handele sich bei dem Baudenabend um eine unübliche Betriebsveranstaltung und behandelte die Aufwendungen des Klägers anlässlich der Veranstaltung als steuerpflichtigen Arbeitslohn. Durch Nachforderungsbescheid forderte das FA Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer unter Anwendung der Pauschalierung gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nach.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 1224 veröffentlichten Gründen statt. Der Kläger habe den Baudenabend im eigenbetrieblichen Interesse veranstaltet, um den Kontakt der Arbeitnehmer untereinander und damit das Betriebsklima zu fördern. Die Ausgestaltung und der zeitliche Umfang der Veranstaltung entsprächen einer üblichen Betriebsfeier. Der Baudenabend habe sich auch unter Berücksichtigung der Übernachtung nicht über mehr als einen Tag erstreckt. Entscheidend sei, dass mit Aufwendungen pro Teilnehmer von 100 DM die in Abschn. 72 Abs. 4 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1993 genannte Wertgrenze von 200 DM für übliche Betriebsveranstaltungen nicht überschritten worden sei.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) seien Betriebsveranstaltungen, die länger als einen Tag dauern, nicht üblich. Die im Streitfall zu beurteilende Veranstaltung sei entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht deshalb eintägig, weil sie nicht länger als 24 Stunden gedauert habe. Maßgeblich sei vielmehr, dass die Veranstaltung zwei Kalendertage umfasst habe. Die Gewährung einer Übernachtung habe auch im Jahr 1994 noch nicht den allgemeinen Gewohnheiten und Gebräuchen entsprochen. Das FG habe die Grenze von 200 DM nach Abschn. 72 Abs. 4 LStR 1993 zu einer Freibetragsregelung erhoben und damit seine Rechtsprechungsbefugnis überschritten.

Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des FA ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass es sich bei den Aufwendungen des Klägers für den Baudenabend nicht um steuerpflichtigen Arbeitslohn handelte.

Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG u.a. Gehälter, Löhne, Gratifikationen, Tantiemen und andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Ein Vorteil wird für eine Beschäftigung gewährt, wenn er durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst worden ist. Demgegenüber sind solche Zuwendungen kein Arbeitslohn, die im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers gewährt werden.

1. Aufwendungen des Arbeitgebers aus Anlass von Betriebsveranstaltungen können im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers liegen und deshalb keinen Arbeitslohn für die daran teilnehmenden Arbeitnehmer darstellen (BFH-Urteile vom 22. März 1985 VI R 170/82, BFHE 143, 544, BStBl II 1985, 529; vom 25. Mai 1992 VI R 85/90, BFHE 167, 542, BStBl II 1992, 655, und vom 6. Dezember 1996 VI R 48/94, BFHE 182, 142, BStBl II 1997, 331). Ein solches eigenbetriebliches Interesse ist grundsätzlich zu bejahen, wenn der Arbeitgeber anlässlich von Betriebsveranstaltungen Aufwendungen tätigt, um den Kontakt der Arbeitnehmer untereinander und damit das Betriebsklima zu fördern.

Die lohnsteuerrechtliche Wertung derartiger Zuwendungen hat der BFH seit dem Urteil in BFHE 167, 542, BStBl II 1992, 655 nicht mehr davon abhängig gemacht, ob die Vorteilsgewährung der Höhe nach üblich ist, sondern hat eine Freigrenze angenommen, bei deren Überschreitung die Zuwendungen in vollem Umfang als steuerpflichtiger Arbeitslohn zu qualifizieren sind. An dieser Rechtsprechung hat der Senat mit Urteil vom 16. November 2005 VI R 151/00 (zur Veröffentlichung bestimmt) festgehalten. Für die Jahre 1983 bis 1992 hat der Senat die Freigrenze auf 150 DM beziffert (vgl. BFH-Urteil in BFHE 182, 142, BStBl II 1997, 331). Mit Urteil vom 16. November 2005 VI R 151/00 hat der BFH für die nachfolgenden Veranlagungszeiträume in Übereinstimmung mit Abschn. 72 Abs. 4 Satz 2 LStR 1993 und 1996 eine Freigrenze von 200 DM pro Veranstaltung als angemessene materiell-rechtliche Typisierung beurteilt.

a) Der Senat ist bisher davon ausgegangen, eine mehrtägige Betriebsveranstaltung überschreite den üblichen Rahmen, so dass der Schluss gerechtfertigt sei, die den Arbeitnehmern dabei zukommenden Vorteile würden nicht allein dem im eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers liegenden Gelingen einer Gemeinschaftsveranstaltung dienen. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die Dienste der Arbeitnehmer auf diesem Wege im besonderen Maße entgolten werden sollten (z.B. BFH-Urteile in BFHE 143, 544, BStBl II 1985, 529 unter 1. b bb der Gründe, und vom 13. Juli 1990 VI R 22/88, BFH/NV 1991, 228, jeweils m.w.N.). In späteren Entscheidungen hat der BFH darauf hingewiesen, dass manche Betriebe auch mehrtägige Betriebsveranstaltungen durchführen. Solche Betriebsausflüge mit Übernachtung hat der Senat in den betreffenden Entscheidungen aber jedenfalls "zur Zeit noch nicht" als üblich beurteilt (z.B. BFH-Urteile in BFHE 167, 542, BStBl II 1992, 655, und vom 13. August 1993 VI R 20/93, BFH/NV 1994, 171).

b) Im Schrifttum ist die Dauer einer Betriebsveranstaltung als Abgrenzungskriterium vielfach auf Kritik gestoßen (Pflüger in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 19 EStG Anm. 228; Küttner/Thomas, Personalbuch 2005, Stichwort: Betriebsveranstaltung, Rz. 13; Thomas, Kommentierte Finanzrechtsprechung ―KFR― F. 6 EStG § 19, 1/92, S. 287 f.; Klüting, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 1992, 1311; Albert, Finanz-Rundschau ―FR― 1992, 533, 536; Paus, Deutsche Steuer-Zeitung ―DStZ― 1993, 528; Hartmann, Die Information über Steuer und Wirtschaft ―Inf― 2001, 42, 46). Es wurde insbesondere geltend gemacht, für die Unterscheidung zwischen Arbeitslohn und Zuwendungen im überwiegend eigenbetrieblichen Interesse sei die Dauer einer Veranstaltung ohne Bedeutung. Die Finanzverwaltung ist nunmehr ebenfalls der Ansicht, es komme auf die Dauer der einzelnen Veranstaltung nicht mehr an (vgl. R 72 Abs. 3 Satz 2 LStR 2002).

c) Soweit der Senat bisher die Auffassung vertreten hat, Zuwendungen anlässlich von Betriebsveranstaltungen, die länger als einen Tag dauern, seien auch bei Unterschreiten der Freigrenze steuerpflichtiger Arbeitslohn, hält er hieran nicht weiter fest.

Dauert eine Betriebsveranstaltung länger als einen Tag, steht dies der Annahme nicht entgegen, dass der Arbeitgeber die Veranstaltung im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse durchführte. Vielmehr können sich auch solche Veranstaltungen als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung erweisen. So können betriebsfunktionale Gründe dafür sprechen, mit einem Betriebsausflug erst am Freitag nach Dienstschluss zu beginnen und die Veranstaltung dann mit einer Übernachtung bis Samstag fortzusetzen. Für Unternehmen, deren Betriebsstätten über das Bundesgebiet verteilt sind, kann eine derartige Veranstaltung die einzige Möglichkeit sein, alle Mitarbeiter gleichzeitig zusammen zu bringen, damit die Arbeitnehmer sich persönlich kennen lernen und Erfahrungen austauschen können. Mehr als einen Tag dauernde Betriebsveranstaltungen können auch deshalb im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers liegen, weil gerade durch das längere Zusammensein der Arbeitnehmer der Teamgedanke innerhalb des Unternehmens besonders gestärkt, das Verhältnis zu den Kollegen und Vorgesetzten verbessert und die Kommunikationsfähigkeit der Mitarbeiter untereinander erhöht werden sollen.

Anders als die Veranstaltungsdauer allein erlaubt die Orientierung an der Freigrenze eine hinreichend genaue und zuverlässige Differenzierung zwischen Veranstaltungen im eigenbetrieblichen Interesse und Veranstaltungen mit Entlohnungscharakter. Aufwendungen des Arbeitgebers anlässlich von Betriebsveranstaltungen erlangen beim Überschreiten der Freigrenze ein derartiges Eigengewicht, dass sie in voller Höhe als steuerpflichtiger Arbeitslohn zu werten sind. Eine Veranstaltung, die länger als einen Tag dauert, schließt demgegenüber ein eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers nicht aus, wenn die Aufwendungen die maßgebliche Freigrenze nicht übersteigen.

2. Nach diesen Grundsätzen ist die Vorentscheidung im Ergebnis nicht zu beanstanden. Nach den nicht angegriffenen und den BFH damit nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG veranstaltete der Kläger den Baudenabend im eigenbetrieblichen Interesse, um den Kontakt der Arbeitnehmer untereinander und damit das Betriebsklima zu fördern. Die Aufwendungen des Klägers pro Teilnehmer überschritten mit 100 DM nicht die für das Streitjahr 1994 anzuwendende Freigrenze von 200 DM.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1462034

BFH/NV 2006, 419

BStBl II 2006, 439

BFHE 2006, 321

BFHE 211, 321

BB 2006, 90

DB 2006, 80

DStR 2006, 27

DStRE 2006, 125

DStZ 2006, 82

HFR 2006, 262

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