Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Haftung für verjährte Steueransprüche

 

Leitsatz (NV)

Nach Eintritt der Verjährung eines Steueranspruchs kann dieser nicht mehr durch Haftungsbescheid geltend gemacht werden.

 

Normenkette

AO 1977 § 191; AO § 118 S. 1

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger, der . . . meister ist, war in den Jahren 1968 und 1969 tätig für und bei einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, die ein . . . geschäft betrieb. Diese Gesellschaft hat wegen Zahlungsschwierigkeiten im Februar 1970 ihren Geschäftsbetrieb eingestellt.

Das FA setzte aufgrund des Ergebnisses einer im Jahre 1971 durchgeführten Betriebsprüfung die Umsatzsteuer der BGB-Gesellschaft für das Jahr 1968 auf 4 545,75 DM und für das Jahr 1969 auf 36 110,39 DM fest. Da von der Gesellschaft keine Zahlung mehr zu erlangen war, nahm das FA wegen dieser Steuerrückstände den Kläger mit Haftungsbescheid vom 16. Juni 1976 als Haftungsschuldner in Anspruch. Es vertrat die Auffassung, der Kläger sei in den beiden Streitjahren Mitgesellschafter der Gesellschaft gewesen und hafte daher für deren Steuerschulden gemäß § 113 AO.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 30. August 1976) erhobene Klage, mit der die Aufhebung des Haftungsbescheids begehrt wurde, hat das FG abgewiesen. Es teilte die Auffassung des FA, der Kläger sei im fraglichen Zeitraum ein Mitgesellschafter der BGB-Gesellschaft gewesen oder doch mindestens als solcher aufgetreten. Er sei daher zu Recht nach § 113 AO für die Steuerrückstände als Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden.

Mit der Revision verfolgt der Kläger das Klagebegehren weiter. Der von dem FA geltend gemachte Haftungsanspruch sei gemäß § 114 AO verjährt. Im übrigen rügt der Kläger mangelhafte Sachaufklärung hinsichtlich der Umstände, aus denen das FG seine Gesellschaftereigenschaft abgeleitet habe, und hinsichtlich der letzteren unrichtige Anwendung von § 113 AO.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

1. Es handelt sich bei den Primärverbindlichkeiten (vgl. Kühn / Kutter / Hofmann, AO/FGO, 14. Aufl., Vorbem. 1 Vor §§ 69 mit 77 AO 1977) um Umsatzsteuerschulden einer BGB-Gesellschaft, für die die Gesellschafter als Gesamtschuldner (§ 421 des Bürgerlichen Gesetzbuches) auch steuerrechtlich gegenüber dem Steuergläubiger haften (§ 113 AO). Da die BGB-Gesellschaft nach vereinbarten Entgelten versteuert hat und die in Frage stehenden Umsätze in den Jahren 1968 und 1969 bewirkt wurden, sind die Steuerschulden in diesen Veranlagungszeiträumen entstanden (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 a des Umsatzsteuergesetzes 1967). Das gleiche gilt hinsichtlich der Entstehung der vom FA geltend gemachten Haftungsschulden, weil diese ohne Hinzutreten weiterer Tatbestandsmerkmale - anders als bei der Geschäftsführerhaftung nach § 109 AO - unmittelbar mit der Entstehung der Primärverbindlichkeiten begründet gewesen wären (vgl. v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 1. bis 6. Aufl., § 113 AO Anm. 3).

2. Da eine etwaige Haftungsschuld - wie ausgeführt - in den Jahren 1968 bzw. 1969 entstanden wäre, richtet sich die Verjährungsfrist für die Geltendmachung des Haftungsanspruchs nach den Vorschriften der AO (vgl. Art. 97 § 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung). Einschlägig ist § 144 Abs. 1 AO (i. d. F. des Gesetzes zur Änderung der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 15. September 1965, BGBl I 1965, 1365) i. V. m. § 145 Abs. 1 AO, nicht aber § 145 Abs. 2 AO. Letztere Vorschrift gilt nur für die materiellen Steueransprüche, also die Primäransprüche. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs beginnt die Verjährung von Haftungsansprüchen mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Haftungsfolge knüpft (§ 3 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 und § 2 des Steueranpassungsgesetzes; vgl. Urteile vom 20. Oktober 1976 I R 116/74, BFHE 121, 5, BStBl II 1977, 257, und vom 11. Juli 1979 VII R 64/76, BFHE 128, 567, BStBl II 1980, 33). Die Verjährungsfrist hinsichtlich eines etwaigen Haftungsanspruchs für die Umsatzsteuer 1968 hat daher mit Ablauf des Jahres 1968, diejenige hinsichtlich eines solchen für die Umsatzsteuer 1969 mit Ablauf des Jahres 1969 zu laufen begonnen.

Die Verjährungsfrist beträgt gemäß § 144 Abs. 1 AO fünf Jahre. Sie ist auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen für die vom FA geltend gemachten Haftungsansprüche mit Ablauf des Jahres 1973 bzw. des Jahres 1974 abgelaufen. Zu diesen Zeitpunkten sind die Ansprüche erloschen (§ 148 AO; vgl. auch § 232 der Abgabenordnung - AO 1977 -). Sie konnten mit dem am 16. Juni 1976 erlassenen Haftungsbescheid nicht mehr geltend gemacht werden.

3. Da das FG zu einem anderen Ergebnis gelangt ist, ist seine Entscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Haftungsbescheid vom 16. Juni 1976 in Form der Einspruchsentscheidung vom 30. August 1976 ist ersatzlos aufzuheben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414050

BFH/NV 1987, 210

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge