Leitsatz (amtlich)

Eine der Personenbeförderung dienende, spur- und seilgebundene Bahn, die eine Verbindung auf einen Berg herstellt, ist eine Bergbahn im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG 1967.

 

Normenkette

UStG 1967 § 12 Abs. 2 Nr. 10

 

Tatbestand

Die Klägerin, Revisionsklägerin und Anschlußrevisionsbeklagte (Klägerin) betreibt eine Standseilbahn mit elektrischem Antrieb, die der Personenbeförderung zwischen zwei Ortsteilen der Stadtgemeinde dient und außerdem eine ausgedehnte Waldlandschaft als Wandergebiet erschließt. Die befahrene Strecke ist 750m lang, dabei überwindet die Bahn einen Höhenunterschied von 295 m; die größte Steigung beträgt 52 v. H. Der fahrplanmäßige Betrieb wird das ganze Jahr über durchgeführt.

In einem Rechtsstreit zwischen den Beteiligten dieses Verfahrens hat der BFH durch das Urteil vom 22. April 1964 II 233/61 die Klägerin von der Beförderungsteuer für das Jahr 1958 mit der Begründung freigestellt, daß die genannte Beförderungseinrichtung, obwohl als Bergbahn zu beurteilen, nach ihrer Bau- und Betriebsweise einer Straßenbahn ähnlich sei und der Klägerin deshalb die Steuerbefreiung nach § 3 Abs. 1 Nr. 5b BefStG 1955 zustehe.

Die Klägerin beanspruchte im Veranlagungszeitraum 1968 für ihre mit der Bahn erbrachten Beförderungsleistungen den ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG 1967 von 5 bzw. 5,5 v. H. Sie brachte dazu vor, nach dieser Vorschritt seien zwar Bergbahnen von der Vergünstigung ausgeschlossen, ihre Bahn diene aber dem öffentlichen Nahverkehr und sei deshalb keine Bergbahn im Sinne der Ausnahmeregelung.

Der Beklagte, Revisionsbeklagte und Anschlußrevisionskläger (FA) zog jedoch die Beförderungsleistungen mit dem Satz von 10 bzw. 11 v. H. zur Umsatzsteuer für den Veranlagungszeitraum 1968 heran und führte dazu aus: Der Wortlaut des Gesetzes verbiete die Anwendung des niedrigeren Steuersatzes. Die Klägerin könne sich nicht mehr auf das BFH-Urteil II 233/61 berufen. Denn der Gesetzgeber habe im Gegensatz zum alten Recht nach dem Umsatzsteuergesetz - Mehrwertsteuer - 1967 nicht alle nach dem Beförderungsteuerrecht privilegierten Personenbeförderungen des Orts- und Nahverkehrs begünstigen wollen (vgl. Schriftlichen Bericht des Finanzausschusses, Bundestags-Drucksache zu V/1581 Abschn. 4 c); der Wortlaut des § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG 1967 nehme ausdrücklich die Bergbahnen von den privilegierten Schienenbahnen aus, während im § 3 Abs. 1 Nr. 5b BefStG 1955 Straßenbahnen und die ihnen nach Bau- und Betriebsweise ähnlichen Bahnen von der Steuer befreit gewesen seien.

Entsprechend dieser Rechtsauffassung setzte das FA die Steuer gegenüber der Berechnung in der berichtigten Steuererklärung um ... DM höher fest.

Die Klägerin hat den auf ... DM lautenden Umsatzsteuerbescheid mit der Sprungklage angefochten und beantragt, die Steuer um ... DM zu ermäßigen. Sie geht davon aus, daß sie wegen der strittigen Beförderungsleistungen um ... DM zu hoch veranlagt worden sei.

Das FG hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung der Entscheidung hat die Vorinstanz im wesentlichen ausgeführt:

Die Bahn der Klägerin sei in Übereinstimmung mit der in Abschn. 5 des Erlasses des BdF vom 4. November 1968 IV A/2-S 7015-7/68 (BStBl I 1968, 1190, 1196) niedergelegten Begriffsbestimmung eine Bergbahn im Sinne des § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG 1967 und daher nicht begünstigt. Der Begriff Bergbahn sei in der Vorschrift nicht eigens festgelegt. Es sei daher vom herrschenden Sprachgebrauch auszugehen. Danach würden die Verkehrsmittel nicht nach der Art der erbrachten Beförderungsleistungen (öffentlicher Nahverkehr und Ausflugsverkehr), sondern nach der betriebstechnischen Eigenart unterschieden. Diese Auffassung bestätige die Art der Aufzählung in der Vorschrift. Die dort genannten Oberleitungsomnibusse unterschieden sich von den Kraftfahrzeugen und diese beiden Verkehrsmittel wiederum von den Schienenbahnen nur durch die Betriebstechnik. Deshalb müsse auch die "Bergbahn" als ein an der Technik des Betriebs orientierter Begriff aufgefaßt werden. Auch die Erwägungen über den mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers führten zu dieser Auffassung. Der Gesetzgeber habe vor allem den lebensnotwendigen Nahverkehr, nicht aber den Ausflugsverkehr begünstigen wollen. Ein dementsprechender gesetzlicher Tatbestand habe sich, wenn die vom Gesetzgeber allgemein erstrebte Einfachheit und Praktikabilität des Gesetzes erreicht werden sollte, auf den Ausschluß der Bergbahn beschränken müssen, weil dieses Nahverkehrsmittel in aller Regel dem Ausflugsverkehr diene. Gegen die Entscheidung des FG hat die Klägerin Revision eingelegt.

Im übrigen hat die Klägerin beantragt,

das angefochtene Urteil teilweise aufzuheben und die Steuerfestsetzung im Umsatzsteuerbescheid für 1968 um den Betrag von ... DM zu ermäßigen.

Sie rügt, daß das FG die Steuer aus den Beförderungsleistungen nach einem zu hohen Steuersatz errechnet und damit § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG 1967 verletzt habe.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG 1967 beträgt der Steuersatz 5,5 v. H. (bei den bis zum 30. Juni 1968 ausgeführten Beförderungsleistungen 5 v. H.) bei Personenbeförderungen im Schienenbahnverkehr mit Ausnahme der Bergbahnen auf bestimmten Beförderungsstrecken. Der ermäßigte Steuersatz könnte der Klägerin für ihre Beförderungsleistungen mit der Standseilbahn somit nur zugestanden werden, wenn diese Einrichtung dem Begriff einer Bergbahn nicht entspräche. Es kann aber schlechthin nicht geleugnet werden und wird auch von der Klägerin selbst eingeräumt, daß nach allgemeinem Sprachverständnis hier die Bezeichnung "Bergbahn" gebraucht werden kann, da die Bahn auf dem relativ kurzen Schienenweg von 750m eine Steigung von fast 300m zu überwinden hat und technisch für diese Verwendung mit der besonderen Sicherungseinrichtung des Führungsseils ausgestattet ist, wobei diese Einrichtung auf der gesamten Strecke benützt wird. Mit diesen Eigenschaften unterscheidet sich die Bahn von Schienenbahnen anderer topischer Verwendung und technischer Ausstattung. Diese Besonderheit rechtfertigt ihre begriffliche Einordnung unter die Bergbahnen, unbeschadet der Tatsache, daß die Bahn nach dem BFH-Urteil II 233/61 wegen der in diesem Punkte abweichenden Fassung des § 3 Abs. 1 Nr. 5 BefStG 1955 einer Straßenbahn im Sinne des BefStG ähnlich beurteilt wurde, ferner die regelmäßig mit einem solchen Verkehrsmittel verbundenen Zwecke des gemeindlichen Nahverkehrs erfüllt.

Nun ist allerdings der hier strittige Begriff der Bergbahn bundesrechtlich nirgends festgelegt, weil das Verkehrsrecht der Bergbahnen nach Art. 74 Nr. 23 GG der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder unterliegt. Da aber die übrigen in § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG 1967 genannten Verkehrsmittel begrifflich nach dem Verkehrsrecht ausgerichtet sind, ist es gerechtfertigt, auch den Begriff "Bergbahnen" nach der Methode des Verkehrsrechts zu bestimmen (vgl. dazu Eckhardt/Weiß, Umsatzsteuergesetz - Mehrwertsteuer -, Kommentar, § 12 Abs. 2 Nr. 10, Tz. 9 ff.). Dieses kennzeichnet aber die Verkehrsmittel unter Außerachtlassung ihres regelmäßigen Beförderungszwecks nach Gesichtspunkten der technischen Verwendung und Ausstattung. Auch die Ländergesetze, die den Begriff der Bergbahnen umschreiben, folgen einheitlich dieser Methode (vgl. Landeseisenbahngesetz Niedersachsen vom 16. April 1957, GVBl 1957, 39; Rheinlandpfälzisches Gesetz über Eisenbahnen, Bergbahnen und Schienenbahnen vom 13. März 1961, GVBl 1966, 61; Bayerisches Eisenbahn- und Bergbahngesetz vom 17. November 1966, GVBl 1966, 429).

Der Senat ist daher in Anlehnung an die Begriffsbestimmung im Erlaß des BdF zum Umsatzsteuergesetz - Mehrwertsteuer - betreffend die Besteuerung von Beförderungsleistungen IV A/2 - S 7015-7/68 vom 4. November 1968 Abschn. B 5 Abs. 4 (BStBl I 1968, 1190, 1196) der Überzeugung, daß der Gesetzgeber in § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG 1967 als Bergbahnen jedenfalls auch diejenigen Schienenbahnen erfaßt hat, die Verbindungen auf Berge herstellen und wegen der Steigungsverhältnisse besonderer Sicherungseinrichtungen bedürfen. Diese Merkmale hat die Bahn der Klägerin; die mit ihr erbrachten Leistungen sind deshalb von der Begünstigung ausgeschlossen. Da diese Bergbahn ihre Sicherungseinrichtung, das Seil, auf der gesamten Strecke gebrauchen muß, kann es dahingestellt bleiben, ob denjenigen Schienenbahnen mit einer bergmäßigen Ausrüstung, die neben einer Bergstrecke in einem ins Gewicht fallenden Umfang auch flaches Gelände zu überwinden haben und für diese Strecken die Sicherungseinrichtung nicht benötigen (benützen), insoweit, als es sich um diese Strecken handelt, das Privileg des § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG 1967 anteilmäßig zugute kommt.

Irrig ist die Meinung der Klägerin, ihre Bahn, die nach den Feststellungen des FG in wesentlichem Umfang Beförderungsleistungen im gemeindlichen Verkehr erbringt, sei deshalb keine Bergbahn im Sinne der Vorschrift, weil nach deren gesetzespolitischem Zweck (vgl. Schriftlichen Bericht des Finanzausschusses, in Bundestags-Drucksache zu V/1581 Abschn. 4 c) Beförderungsleistungen dieser Art begünstigt werden sollten. Es ist zwar allgemein anerkannt, daß für das Verständnis eines Gesetzes dem Zweck des Gesetzes große Bedeutung zukommt. Trotzdem ist aber der Rückgriff auf den Zweck nur dann zulässig, wenn der (objektivierte) Wille des Gesetzgebers aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht mit genügender Sicherheit hervorgeht. Ein solcher Fall ist nach den vorstehenden Darlegungen hier nicht gegeben. Im übrigen macht auch ein Vergleich des § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG 1967 mit den Befreiungsvorschriften des früheren Beförderungsteuergesetzes deutlich, daß die steuerliche Begünstigung des öffentlichen Nahverkehrs der Abgrenzung nach völlig neu gestaltet ist: Die alten Begriffe wurden weitgehend ersetzt; an Stelle zahlreicher Steuer befreiungen sind aus Gründen der Umstellung des Besteuerungssystems Ermäßigungen des Steuersatzes getreten. Es wurde lediglich darauf Bedacht genommen, die bisherigen Begünstigungen "ungefähr" beizubehalten (vgl. den Bericht des Finanzausschusses, a. a. O., sowie Eckhardt/Weiß, a. a. O., Tz. 1 und 2).

Im Gegensatz zur Meinung der Klägerin wird auch der Gleichheitssatz (Art. 3 GG) durch die Anwendung der Vorschrift nach ihrem Wortlaut nicht verletzt. Eine abändernde Rechtsfindung (Restriktion), wie sie die Klägerin mit Rücksicht auf den sozialen Zweck ihrer Bergbahn für geboten hält, ist nicht möglich (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG). Die Bergbahn der Klägerin dient zwar in der Hauptsache dem öffentlichen Nahverkehr in der Gemeinde und nur sekundär dem Ausflugsverkehr; die Klägerin erfüllt deshalb mit diesem Betrieb Bedürfnisse, deren Befriedigung sonst gesetzlich begünstigt ist. Trotzdem kann aber von einer Verletzung des Gleichheitssatzes nicht die Rede sein. Denn für den Ausschluß der Vergünstigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG 1967 bei Personenbeförderungen durch Bergbahnen hat im Bundestag nicht nur der Gesichtspunkt Anlaß gegeben, daß die mit Bergbahnen regelmäßig verbundenen Beförderungszwecke (Vergnügungs- und Ausflugsverkehr) nicht im gleichen Maße förderungsbedürftig sind wie der übrige öffentliche Nahverkehr, sondern maßgeblich auch die - durch ein dem Finanzausschuß erstattetes Gutachten erhärtete - Vorstellung des Gesetzgebers, daß bei Bergbahnbetrieben relativ hohe Vorsteuerbeträge anfallen. Hierauf hat der Abgeordnete Krammig in der zweiten Lesung des Umsatzsteuergesetzes - Mehrwertsteuer - im Deutschen Bundestag ausdrücklich hingewiesen (Stenographischer Bericht über die 101. Sitzung des Deutschen Bundestages, 5. Wahlperiode, S. 4723 f.).

Außerdem verkennt die Klägerin, daß Art. 3 Abs. 1 GG nach der Rechtsprechung des BVerfG keine individuelle, sondern nur eine generelle Gleichmäßigkeit, die sog. "Typengerechtigkeit" verlangt. Diese wird aber durch die Beförderungsleistungen von Bergbahnen zum allgemeinen Steuersatz nicht verletzt. Denn es unterliegt keinem Zweifel, daß die Personenbeförderung durch Bergbahnen in aller Regel überwiegend das Interesse des Publikums an Erholung und Sport speziell in einer Berglandschaft erfüllt, während die Personenbeförderung durch andere Nahverkehrsmittel hauptsächlich dem geschäftlich und privat unumgänglichen Bedürfnis des Publikums nach Kommunikation zu dienen bestimmt ist. Dieser generell gegebene Unterschied in der Interessenlage bei den letztlich mit der Steuer belasteten Benutzern berechtigt den Gesetzgeber, dem Personenverkehr mit Bergbahnen eine höhere Steuerlast aufzubürden als der Personenbeförderung mit anderen Verkehrsmitteln. Er kann dabei aus den vom FG näher dargelegten Gründen der Vereinfachung und Praktikabilität der Gesetzesanwendung in Kauf nehmen, daß in Einzelfällen auch Bergbahnen, die den gleichen Interessen dienen wie andere öffentliche Nahverkehrsmittel, diesen gegenüber schlechtergestellt sind.

Vergeblich macht die Klägerin auch geltend, daß die Anwendung des § 12 Abs. 2 Nr. 10 UStG 1967 nach seinem Zweck und seiner wirtschaftlichen Bedeutung (§ 1 Abs. 2 StAnpG) der Klage zum Erfolg verhelfen müsse. Denn es steht nach den vorstehenden Ausführungen fest, daß der Gesetzgeber auch aus steuersystematischen Motiven (Art. 9 Abs. 2 Satz 2 der 2. EWG-Richtlinie zur Harmonisierung der Umsatzsteuern, Amtsblatt 1967 S. 1303) den Bergbahnen den ermäßigten Satz versagen und den sozial gebotenen Nahverkehr nicht in jeder Form begünstigen wollte. Es war daher seine Absicht, die Bergbahnen zur Vereinfachung der Gesetzesanwendung von der Bevorzugung allgemein auszunehmen. Dieser Wille ergibt sich im übrigen auch sehr klar aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. In der dritten Lesung des Umsatzsteuergesetzes - Mehrwertsteuer -, also unmittelbar vor der Schlußabstimmung, hat nämlich der Abgeordnete Schmidt (Kempten) den Bundestag noch eigens darauf hingewiesen, "daß die Seilbahn in manchen Bereichen ein echter Nahverkehrsträger ist". Er hat dazu ausgeführt, daß es viele Beispiele gebe, wo gleichzeitig eine Omnibuslinie und eine Seilbahn zwei Orte miteinander verbinde und das Gesetz somit eine echte Wettbewerbsverzerrung herbeiführe (Stenographischer Bericht über die 105. Sitzung des Deutschen Bundestags S. 4880). Trotzdem wurde der Gesetzesentwurf unverändert angenommen.

 

Fundstellen

BStBl II 1974, 649

BFHE 1975, 72

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