Leitsatz (amtlich)

1. Es ist grundsätzlich zulässig, den Streitgegenstand einer Klage gegen einen Schätzungsbescheid durch Bezugnahme auf eine nachträglich eingereichte Steuererklärung ausreichend zu bezeichnen (§ 65 Abs.1 Satz 1 FGO).

2. Fehlt die zur Bezeichnung des Streitgegenstandes erforderliche Steuererklärung jedoch in den Steuerakten, so ist es Aufgabe des Klägers, dem FG die fehlenden Unterlagen vorzulegen.

 

Orientierungssatz

Streitgegenstand i.S. des § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO sind nicht die einzelnen Besteuerungsmerkmale, sondern die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Steuerbescheids. Der Kläger muß angeben, worin die ihn treffende Rechtsverletzung liegt. Ein bestimmter Klageantrag allein erfüllt diese Voraussetzung noch nicht (vgl. BFH-Rechtsprechung).

 

Normenkette

FGO § 65 Abs. 1 S. 1

 

Tatbestand

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieben in den Streitjahren ein Hotel und ein Immobiliengeschäft.

Nachdem sie für die Streitjahre trotz verschiedener Aufforderungen durch den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) und trotz Festsetzung von Zwangsgeldern in den Jahren 1977 und 1979 keine Einkommensteuererklärungen abgegeben hatten, setzte das FA die Einkommensteuer 1975 bis 1979 durch Bescheide vom 10. bzw. 17.Mai 1982 aufgrund von Schätzungen fest.

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhoben die Kläger Klage. Zur Begründung führten sie aus, daß sie infolge mehrerer Erkrankungen und Krankenhausaufenthalte mit den Steuererklärungen in Verzug seien. Sie seien bemüht, die Steuererklärungen alsbald vorzulegen. Sowohl das Hotel als auch das Immobiliengeschäft hätten unter den Erkrankungen wesentlich gelitten. Die inzwischen mit Hilfe eines Kredits beglichene Steuerschuld sei eine außerordentliche Belastung.

Das Finanzgericht (FG) forderte die Kläger am 26.Januar 1983 auf, die fehlenden Steuererklärungen dem FA vorzulegen. Die Erklärungen könnten als Klagebegründung betrachtet werden. Als das FA dem FG mit Schreiben vom 20.Juni 1983 mitteilte, daß keine Steuererklärungen eingegangen seien, forderte das FG die Kläger mit Schreiben vom 22.Juli 1983 nochmals auf, die Klage bis zum 15.September 1983 zu begründen. Die Kläger teilten darauf dem FG mit Schreiben vom 12.September 1983 mit, daß sie Aufhebung der Einspruchsentscheidung sowie Rückzahlung von 69 593 DM beantragten, die für die Jahre 1975 bis 1979 als Einkommensteuer eingezogen worden seien. Gemäß "der Abrechnung und der Erstellung der Einkommensteuererklärungen für die Jahre 1975 bis 1979" ergebe sich keine Steuer. Die Richtigkeit der Angaben möge das FG "den vorliegenden Steuererklärungen (Finanzamt ...)" entnehmen.

Auf erneute Anfrage des FG teilte das FA am 30.Januar 1984 mit, daß die Einkommensteuererklärungen 1975 bis 1979 der Kläger nach wie vor nicht vorlägen. Darauf forderte das FG die Kläger mit Schreiben vom 1.Februar 1984 auf, dem Gericht Durchschriften der Steuererklärungen vorzulegen. Die Kläger baten dazu um Fristverlängerung, da sich Anlagen im Original beim FA befänden, die wiederbeschafft werden müßten.

Nachdem bis zum 20.März 1984 kein Schreiben der Kläger eingegangen war, setzte das Gericht Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 11.April 1984 an. Die Kläger waren im Termin nicht vertreten.

Das FG wies die Klage als unzulässig ab.

Es führte aus, daß die Kläger den Streitgegenstand nicht bezeichnet hätten. Damit fehle eine Sachurteilsvoraussetzung.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger Verletzung des rechtlichen Gehörs und Ermessensfehler des FG durch unzureichende Fristen.

Da die Steuererklärungen zur Zeit der mündlichen Verhandlung bereits beim FA vorgelegen hätten, habe das FG den Inhalt dieser Erklärungen auch würdigen müssen. Die Frist zur Herstellung der Kopien sei vom FG zu kurz bemessen worden. Die Kläger haben der Revisionsbegründung eine eidesstattliche Versicherung des Klägers beigefügt, wonach dieser die Steuererklärungen 1975 bis 1979 nebst Anlagen persönlich in den Briefkasten des FA geworfen habe. Weitere Unterlagen enthielt der Schriftsatz der Kläger entgegen den Ausführungen im Schriftsatz nicht.

Die Kläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an dieses zurückzuverweisen und das FG anzuweisen, die Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet. Sie war zurückzuweisen (§ 126 Abs.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Den Klägern ist das rechtliche Gehör i.S. des Art.103 Abs.1 des Grundgesetzes (GG) nicht versagt worden.

Die vom FG zur Ergänzung des Klagevortrags gesetzten Fristen waren ausreichend.

Das FG hat die Kläger am 26.Januar 1983 mit Frist zum 10.April 1983 und am 22.Juli 1983 mit Frist bis zum 15.September 1983 aufgefordert, ihre Klage zu substantiieren. Insgesamt standen den Klägern über sieben Monate zur Stellungnahme zur Verfügung. Diese Frist ist voll ausreichend.

Das gleiche gilt für die Frist zur Vorlage von Durchschriften oder Kopien der von den Klägern angeblich eingereichten Steuererklärungen nebst Anlagen. Zwischen der Aufforderung durch das Gericht mit Schreiben vom 1.Februar 1984 und dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 11.April 1984 lagen mehr als zwei Monate. Auch dieser Zeitraum ist als ausreichend zur Fertigung und Vorlage etwaiger Kopien anzusehen.

2. Das FG hat die Klage zu Recht als unzulässig verworfen.

a) Nach § 65 Abs.1 Satz 1 FGO muß die Klage den Streitgegenstand bezeichnen. Fehlt dem Klageantrag dieses in § 65 FGO zwingend vorgeschriebene Erfordernis, so mangelt es an einer Sachurteilsvoraussetzung. Die Klage ist dann als unzulässig zu verwerfen (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2.Aufl., § 65 Anm.5).

b) Die Kläger haben den Streitgegenstand nicht ausreichend bezeichnet. Streitgegenstand i.S. des § 65 Abs.1 Satz 1 FGO sind nicht die einzelnen Besteuerungsmerkmale, sondern die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Steuerbescheids (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17.Juli 1967 GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344; vom 26.November 1979 GrS 1/78, BFHE 129, 117, 123, BStBl II 1980, 99). Der Kläger muß angeben, worin die ihn treffende Rechtsverletzung liegt, inwiefern also der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig sei; ein bestimmter Klageantrag allein erfüllt diese Voraussetzung noch nicht (Beschluß in BFHE 129, 117, 124, BStBl II 1980, 99).

c) Da der Streitgegenstand durch Bezugnahme auf eine nach Erlaß des Steuerbescheids eingereichte Steuererklärung ausreichend bezeichnet werden könnte, kommt es darauf an, ob die Kläger bis zur mündlichen Verhandlung für die Streitjahre Steuererklärungen vorgelegt haben. Das ist nicht geschehen.

Zwar haben die Kläger in ihrem Schriftsatz vom 12.September 1983 auf angeblich beim FA eingereichte Steuererklärungen nebst Anlagen hingewiesen. Auch hat der Kläger mit der im Revisionsverfahren vorgelegten eidesstattlichen Erklärung bekräftigt, daß er die Steuererklärungen persönlich in den Briefkasten des FA eingeworfen habe. Das FA hat jedoch versichert, daß die Erklärungen und die dazugehörigen Unterlagen beim FA nicht vorlägen.

Die Bezeichnung des Streitgegenstandes ist gegenüber dem FG vorzunehmen (§ 65 Abs.1 Satz 1 FGO). Eine Bezugnahme auf Teile der Steuerakten ist nur möglich, wenn sich die betreffenden Unterlagen auch dort befinden. Fehlen die Unterlagen in den Steuerakten, so ist es Aufgabe des Klägers die zur Bezeichnung des Streitgegenstandes erforderlichen Unterlagen dem FG vorzulegen. Das FG hat die Kläger deshalb richtigerweise aufgefordert (§ 65 Abs.2 FGO), dem FG Durchschriften oder Kopien der Steuererklärungen einzureichen. Da die Kläger jedoch auf diese Aufforderung trotz ausreichender Frist (vgl. oben II 1) weder Steuererklärungen vorgelegt noch die Klage auf andere Weise substantiiert haben, wurde die Klage zu Recht als unzulässig verworfen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 62021

BStBl II 1988, 895

BFHE 153, 290

BFHE 1989, 290

BB 1988, 1661-1661 (L1-2)

DB 1988, 1736-1736 (S)

HFR 1988, 634 (LT)

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