Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung eines Geschäftsführers

 

Leitsatz (NV)

1. Auch eine schuldhafte Verletzung steuerlicher Pflichten durch den Geschäftsführer einer GmbH (Nichtabgabe von Steuererklärungen, Nichtverbuchung von Ausgangsrechnungen) führt nur dann zur Haftung nach § 109 AO a. F. (§ 69 AO 1977), wenn diese Versäumnisse ursächlich für eine Steuerverkürzung sind.

2. Pflichtverletzungen des Geschäftsführers sind nur dann ursächlich für eine Steuerverkürzung, wenn der GmbH zu der Zeit, zu der ohne die Pflichtverletzungen die Steuern fällig geworden wären, noch Mittel zur Steuerbezahlung zur Verfügung standen (Anschluß an BFH vom 17. Juli 1985 I R 205/80, BFHE 144, 329, BStBl II 1985, 702).

 

Normenkette

AO §§ 103, 109; AO 1977 § 34 Abs. 1, § 69

 

Tatbestand

Streitig ist die Rechtmäßigkeit von Haftungsbescheiden gegen einen Gesellschafter-Geschäftsführer.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) gründete durch Gesellschaftsvertrag vom 23. Januar 1972 zusammen mit ihrem Sohn A die A-GmbH (GmbH).

Zu ihren Geschäftsführern wurden zunächst die beiden Gründungsgesellschafter bestellt. Nach den Dienstverträgen oblag die kaufmännische Geschäftsführung der Klägerin und die technische Geschäftsführung dem Gesellschafter A. Seit dem 10. Dezember 1974 war die Klägerin die einzige Gesellschafterin und Geschäftsführerin der GmbH, über deren Vermögen im Januar 1975 das Konkursverfahren eröffnet und im März 1975 mangels Masse eingestellt wurde.

Die GmbH wurde am 30. September 1977 im Handelsregister gelöscht.

Im Rahmen einer Fahndungsprüfung (im Jahre 1977) stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA - ) fest, daß die Buchführungsunterlagen der GmbH zu einem erheblichen Teil nicht mehr vorhanden waren. Sie sollen nach Angaben der Klägerin durch einen Brand vernichtet worden sein. In erheblichem Umfang waren Lieferungen und Leistungen ohne Rechnungserteilung vorgekommen und Ausgangsrechnungen sowie Inzahlungnahmen von Pferden nicht verbucht worden. Ferner wurden Zuwendungen der GmbH an die Klägerin und deren Sohn A in Höhe von 180 000 DM festgestellt, die das FA als verdeckte Gewinnausschüttungen wertete.

Die Klägerin hat mit Ausnahme einer unvollständigen Körperschaftsteuer- und Umsatzsteuererklärung 1972 für die Jahre 1972 bis 1974 keine Steuererklärungen für die GmbH abgegeben.

Das FA nahm die Klägerin mit zwei Haftungsbescheiden vom 17. April 1978 für Steuerschulden der GmbH als Haftungsschuldnerin in Anspruch.

Mit dem Haftungsbescheid I über 240 000 DM wurde die Klägerin für die aufgrund der Fahndungsprüfung festgestellten Mehrsteuern an Umsatzsteuer, Körperschaftsteuer und Ergänzungsabgabe 1972 bis 1974, Stabilitätszuschlag 1973 und 1974 und Vermögensteuer 1973 in Anspruch genommen.

Der Haftungsbescheid II über 430 000 DM umfaßte die schon vor der Fahndungsprüfung bestehenden Schulden der GmbH an Körperschaftsteuer, Ergänzungsabgabe, sowie Verspätungszuschläge zur Umsatzsteuer 1972 bis 1974, Stabilitätszuschlag und Umsatzsteuer 1973 bis 1974, Vermögensteuer 1973 und Säumniszuschläge. Die Verspätungszuschläge zur Umsatzsteuer 1972 bis 1974 betragen 5 229,20 DM. Von den Säumniszuschlägen in Höhe von 119 686 DM entfallen 24 612 DM auf die Zeit bis zur Konkurseröffnung.

Die dem Haftungsbescheid II zugrunde liegenden Steuerbeträge beruhen teilweise auf den unvollständigen Steuererklärungen der GmbH für 1972, im übrigen auf Schätzungen wegen Nichtabgabe der Steuererklärungen.

Steuerbescheide gegen die GmbH für die Veranlagungszeiträume 1973 bis 1974 ergingen nicht.

Der gegen die Haftungsbescheide eingelegte Einspruch blieb erfolglos.

Im Klageverfahren erhob das Finanzgericht (FG) zur Frage der von der Klägerin behaupteten Forderungsausfälle Beweis durch Beiziehung von Akten des Landgerichts H. Die Klägerin wurde durch Schreiben des FG vom 9. Juli 1982 aufgefordert, sich wegen Akteneinsicht mit dem FA in Verbindung zu setzen und bis zum 30. August 1982 zum Inhalt der Akten Stellung zu nehmen.

Das FG setzte in der angefochtenen Entscheidung den Betrag des Haftungsbescheids II um 95 000 DM auf 335 000 DM herab.

Es führte zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen aus:

Die Klägerin hafte als gesetzliche Vertreterin der GmbH nach §§ 34 Abs. 1, 69 der Abgabenordnung (AO 1977), da sie zumindest grob fahrlässig Ausgangsrechnungen nicht verbucht und erfolgte Lieferungen und Leistungen der GmbH nicht in Rechnung gestellt und verbucht habe. Sie habe es ferner unterlassen, bis zur Konkurseröffnung außer der unvollständigen Körperschaftsteuer- und Umsatzsteuererklärung 1972 Steuererklärungen abzugeben. Diese Pflichtverletzungen seien auch ursächlich für die Nichtzahlung der Steuern durch die GmbH.

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Das angefochtene Urteil war aufzuheben, weil die tatsächlichen Feststellungen des FG für eine revisionsrechtliche Überprüfung des Urteils nicht ausreichen und weil die Haftungsbescheide Verspätungszuschläge umfassen.

1. Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs greift nicht durch.

Nach § 96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) darf das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Die Klägerin vertritt zu Unrecht die Auffassung, daß dieser Grundsatz bei der Würdigung der beigezogenen Akten des Landgerichts H. verletzt worden sei.

Das FG hat die Klägerin ca. vier Monate vor der mündlichen Verhandlung von der Beiziehung der Akten unterrichtet und sie zur Stellungnahme aufgefordert. Die Klägerin hätte Akteneinsicht nehmen können; von dieser Möglichkeit hat sie keinen Gebrauch gemacht. Sie hatte somit Gelegenheit, sich zum Akteninhalt und zu den Aktenbestandteilen zu äußern.

2. Die materiell-rechtlichen Rügen der Klägerin sind begründet.

a) Rechtsgrundlage der Haftungsbescheide kann entgegen der Auffassung des FG nur § 109 der Reichsabgabenordnung (AO) sein und nicht § 69 AO 1977. Ist ein haftungsbegründender Tatbestand vor dem 1. Januar 1977 verwirklicht worden, so ist § 69 AO 1977 nicht anwendbar (Art. 97 § 11 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 14. Dezember 1976 - EGAO 1977 -, BStBl I, 694). Im Streitfall lag das der Klägerin vorgeworfene Verhalten in der Zeit vor dem 14. Januar 1975 (Tag der Konkurseröffnung).

b) Nach § 109 AO haften gesetzliche Vertreter juristischer Personen, soweit durch schuldhafte Verletzung der ihnen nach §§ 103 bis 108 AO auferlegten Pflichten Steuern der vertretenen Steuerpflichtigen verkürzt werden. Nach § 103 AO haben die gesetzlichen Vertreter juristischer Personen alle Pflichten der vertretenen Personen zu erfüllen und dafür zu sorgen, daß die Steuern aus den von ihnen verwalteten Mitteln entrichtet werden.

aa) Die Klägerin hat die ihr nach § 103 AO obliegenden Pflichten verletzt. Sie hat es nach den mit Revisionsrügen nicht angefochtenen und deshalb den Senat bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen des FG in den Jahren 1972 bis 1974 unterlassen, Ausgangsrechnungen zu verbuchen bzw. Lieferungen und Leistungen der GmbH in Rechnung zu stellen und zu verbuchen. Sie hat ferner die Inzahlungnahme von Pferden für Leistungen der GmbH nicht verbucht. Schließlich hat die Klägerin mit Ausnahme der unvollständigen Körperschaftsteuer- und Umsatzsteuererklärungen 1972 bis zur Konkurseröffnung keine Steuererklärungen abgegeben und es unterlassen, Steuern der GmbH aus den von ihr verwalteten Mitteln zu entrichten.

Zwar waren die Steuererklärungen 1974 erst nach dem Ausscheiden der Klägerin aus der Geschäftsführung abzugeben. Die Klägerin hat jedoch im Jahre 1974 weder die Körperschaftsteuererklärung 1973 noch auch - ab März 1974 - Umsatzsteuervoranmeldungen abgegeben.

Das Verhalten der Klägerin war auch schuldhaft. Als Geschäftsführerin für den kaufmännischen Bereich hatte die Klägerin die Möglichkeit, die Nichtverbuchung von Ausgangsrechnungen und Inzahlungnahmen zu vermeiden. Sie war auch in der Lage, Steuererklärungen abzugeben. Sollte die Klägerin die steuerlichen Tatbestände nicht in voller Tragweite überblickt haben, lag ihr Verschulden darin, daß sie nicht fachkundige Dritte mit der Erfüllung der steuerlichen Pflichten beauftragte (vgl. Bundesgerichtshof - BGH -, Urteil vom 8. Oktober 1984 II ZR 175/83, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Abgabenordnung, § 69, Rechtsspruch 5). Die Verletzung der Pflichten der Klägerin war grob fahrlässig.

bb) Die Pflichtverletzung kann allerdings nur insoweit eine Haftung auslösen, als sie zur Verkürzung von Steueransprüchen führte (§ 109 Abs. 1 AO). Die Pflichtverletzung muß ursächlich für die Steuerverkürzung sein. Die hierzu getroffenen tatsächlichen Feststellungen des FG reichen zur Überprüfung des Urteils nicht aus. Die Pflichtverletzungen der Klägerin waren nur dann ursächlich für die Steuerverkürzungen, wenn der GmbH zu der Zeit, zu der ohne die Pflichtverletzungen die Steuerschulden fällig geworden wären, noch Mittel zur Bezahlung der Steuerschulden zur Verfügung standen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 17. Juli 1985 I R 205/80, BFHE 144, 329, BStBl II 1985, 702 m. w. N.). Nach den Feststellungen des FG waren bereits vor der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der GmbH Zwangsvollstreckungen gegen die spätere Gemeinschuldnerin erfolglos geblieben. Bei dieser Sachlage bedurfte es besonderer Feststellungen zur Kausalität der Pflichtverletzungen. Das FG hat zwar zutreffend festgestellt, daß die für die verdeckten Gewinnausschüttungen verwendeten Mittel der GmbH zur Verfügung gestanden hätten. Diese Beträge in Höhe von insgesamt 182 533 DM in den Jahren 1972 und 1973 hätten jedoch nicht ausgereicht, um die den Haftungsbescheiden zugrunde liegenden Steueransprüche zu tilgen. Es ist nicht festgestellt, inwieweit der GmbH daneben liquide Mittel zur Verfügung standen. Die Streitsache mußte deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen werden.

Das FG wird prüfen müssen, welche Mittel der GmbH zu den Zeitpunkten zur Verfügung standen, an denen die Steuern ohne die Pflichtverletzungen der Klägerin fällig geworden wären. Da nur wenige Buchführungsunterlagen vorhanden sind, können bei diesen Feststellungen die Gewinnschätzungen des FA und die Feststellungen der Fahndungsprüfung über eingegangene Barmittel und über Erlöse aus dem Verkauf der zahlungshalber hereingenommenen Reitpferde Anhaltspunkte bieten. Eine genaue Mittelverwendungsrechnung auf jeden einzelnen Zeitpunkt, an dem die Klägerin Steuerzahlungen zu leisten hatte (z. B. Umsatzsteuervoranmeldungen) ist nicht erforderlich. Es genügt, für die Jahre 1972 bis 1974 eine zeitraumbezogene Mittelverwendungsrechnung mit möglichst geringen Zeitabständen zu erstellen (vgl. BFH-Urteile vom 12. Juni 1986 VII R 192/83, BFHE 146, 511, BStBl II 1986, 657, und in BFHE 144, 329, BStBl II 1985, 702).

c) Das FA hat die angefochtenen Haftungsbescheide ergänzend auf § 112 AO (Steuerhinterziehung) gestützt. Der erkennende Senat kann sich dazu nicht äußern, da das FG zum objektiven und subjektiven Tatbestand einer Steuerhinterziehung keine Feststellungen getroffen hat.

d) Die Revision ist auch begründet, soweit die Haftungsbescheide Verspätungszuschläge umfassen. Anders als nach § 69 Abs. 1 AO 1977, der die Haftung auf ,,Ansprüche aus dem Steuerverhältnis" erstreckt, besteht nach § 109 AO eine Haftung nur für die verkürzten ,,Steuern". Verspätungszuschläge sind keine Steuern in diesem Sinne (vgl. Becker / Riewald / Koch, Reichsabgabenordnung, Kommentar, § 1 Anm. 3 d; Hübschmann / Hepp / Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, § 168 Anm. 3).

 

Fundstellen

Haufe-Index 415677

BFH/NV 1989, 409

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