Entscheidungsstichwort (Thema)

Verhältnis zwischen Steuerfestsetzungsverfahren und Änderungsverfahren nach § 16 GrEStG

 

Leitsatz (amtlich)

Wird ein Erwerbsvorgang noch vor der Entscheidung über einen gegen die ursprüngliche Grunderwerbsteuerfestsetzung eingelegten Einspruch rückgängig gemacht, ist das FA verpflichtet, einen sich aus § 16 GrEStG ergebenden Aufhebungsanspruch spätestens in der Einspruchsentscheidung zu berücksichtigen.

 

Normenkette

GrEStG § 16 Abs. 1

 

Verfahrensgang

FG des Landes Sachsen-Anhalt (Urteil vom 21.11.2001; Aktenzeichen 2 K 158/99)

 

Tatbestand

I. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 25. März 1994 verkaufte die T-GmbH (T) der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, mehrere Grundstücke und verpflichtete sich, diese mit einem Gewerbezentrum zu bebauen. Der Kaufpreis betrug 20 731 050 DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) setzte die Grunderwerbsteuer für diesen Vorgang mit dem angefochtenen Bescheid auf 414 000 DM fest. Im anschließenden Einspruchsverfahren behauptete die Klägerin, T habe ihre Verpflichtung, das Kaufobjekt vollständig fertig zu stellen und zu vermieten, nicht erfüllt. Nach fruchtlosem Ablauf einer Nachfrist sei die Klägerin nach § 326 des Bürgerlichen Gesetzbuches in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung (BGB a.F.) vom Vertrag zurückgetreten. Wegen der Wirksamkeit dieser Rücktrittserklärung sei eine Klage beim Landgericht (LG) anhängig. Nach einem rechtskräftigen obsiegenden Zivilurteil sei der Grunderwerbsteuerbescheid nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) zu ändern.

Das FA wies den Einspruch zurück. Es vertrat die Auffassung, eine etwaige Rückgängigmachung des Erwerbs sei in einem gesonderten Verfahren zu berücksichtigen.

Im Klageverfahren brachte die Klägerin vor, das Verfahren vor dem LG sei noch anhängig, jedoch wegen Insolvenz des Prozessgegners unterbrochen.

Das Finanzgericht (FG) verwarf die Klage als unzulässig, soweit die Klägerin die Aufhebung der Festsetzung nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG begehrte. Insoweit handele es sich um einen selbständigen Anspruch, für den es im Streitfall aber an der Durchführung eines außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens fehle. Soweit die Klägerin sich auf die Nichtigkeit des Kaufvertrags wegen eines sittenwidrig überhöhten Kaufpreises berufe, sei die Klage unbegründet, weil weder die objektiven noch die subjektiven Voraussetzungen des § 138 BGB für den maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses substantiiert dargelegt worden seien.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, die Zurückweisung des Einspruchs ohne Beachtung der in das Einspruchsverfahren eingeführten Vorschrift des § 16 GrEStG verstoße gegen Treu und Glauben. Nach dem Grundsatz "dolo agit qui petit quod statim redditurus est" dürfe das FA keine Leistung fordern, die es alsbald zurückzugewähren habe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung, den Grunderwerbsteuerbescheid vom 30. April 1997 und die Einspruchsentscheidung vom 30. März 1999 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist mit der Maßgabe unbegründet, dass die Klage nicht als unzulässig zu verwerfen, sondern insgesamt als unbegründet zurückzuweisen ist. Das FG hat die Klage rechtsfehlerhaft als teilweise unzulässig angesehen, weil zur Entscheidung über einen Aufhebungsanspruch nach § 16 GrEStG, der bereits im Einspruchsverfahren geltend gemacht wird, nicht die Durchführung eines besonderen Verfahrens erforderlich ist (dazu unten 1.). Die Vorentscheidung stellt sich aber im Ergebnis als richtig dar (§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―), weil die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG im Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung nicht vorlagen (dazu unten 2.).

1. Hinsichtlich der Frage, ob ein auf § 16 GrEStG gestützter Aufhebungsanspruch in einem wegen der Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Grunderwerbsteuerfestsetzung eingeleiteten (Anfechtungs-)Verfahren geltend gemacht werden kann, ist nach dem Zeitpunkt der Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs zu differenzieren.

a) Wird ein Erwerbsvorgang erst nach Erlass der Einspruchsentscheidung über die ursprüngliche Steuerfestsetzung rückgängig gemacht, kann der Steuerpflichtige seinen zunächst erhobenen Anfechtungsantrag unter den Voraussetzungen des § 67 FGO im Wege der Klageänderung zwar auf einen Verpflichtungsantrag umstellen. Jedoch müssen auch für die geänderte Klage alle Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen, insbesondere muss ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren (§ 44 Abs. 1 FGO) durchgeführt worden sein. Fehlt es daran, ist eine gleichwohl erhobene Verpflichtungsklage unzulässig (Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 9. August 1989 II R 145/86, BFHE 158, 11, BStBl II 1989, 981 unter 2., und vom 5. Juni 1991 II R 83/88, BFH/NV 1992, 267 unter 2.).

b) Wird ein Erwerbsvorgang hingegen noch vor der Entscheidung über den Einspruch gegen die ursprüngliche Steuerfestsetzung rückgängig gemacht, ist das FA verpflichtet, den Aufhebungsanspruch aus § 16 GrEStG spätestens in der Einspruchsentscheidung zu berücksichtigen (BFH-Urteile vom 16. Januar 1980 II R 83/74, BFHE 130, 70, BStBl II 1980, 359 unter II.2. a.E., und vom 8. März 1995 II R 42/92, BFH/NV 1995, 924 unter II.3. vor a).

Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des Einleitungssatzes des § 16 Abs. 1 GrEStG. Danach "wird auf Antrag die Steuer nicht festgesetzt oder die Steuerfestsetzung aufgehoben". Sofern die Steuer für den ursprünglichen Erwerbsvorgang im Zeitpunkt des Eintritts der Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 GrEStG noch nicht festgesetzt war, wirkt diese Vorschrift als Festsetzungshindernis. Sofern eine Steuerfestsetzung bereits ergangen ist, aber mit einem Einspruch angefochten wurde, muss beim Erlass der Einspruchsentscheidung auch ein in diesem Zeitpunkt bestehender Anspruch auf Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung berücksichtigt werden. Denn die Behörde, die über den Einspruch entscheidet, hat die Sache in vollem Umfang zu prüfen (§ 367 Abs. 2 Satz 1 der AbgabenordnungAO 1977―). Zudem ist kein Interesse ersichtlich, das es gebieten würde, in der Einspruchsentscheidung dem Grunde oder der Höhe nach an der ―ursprünglich materiell rechtmäßigen― Steuerfestsetzung festzuhalten, wenn das FA aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen zugleich zu einer Aufhebung oder Änderung dieser Festsetzung verpflichtet ist (ähnlich bereits BFH-Urteil vom 26. Februar 1975 II R 173/71, BFHE 116, 50, BStBl II 1975, 675 unter II.1.).

Im Rahmen einer finanzgerichtlichen Anfechtungsklage, deren Gegenstand der ursprüngliche Grunderwerbsteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung ist (§ 44 Abs. 2 FGO), ist zu prüfen, ob das FA diese Grundsätze bei Erlass seiner Einspruchsentscheidung beachtet hat. Der Durchführung eines weiteren Einspruchsverfahrens bedarf es auch dann nicht, wenn das FA es in der Einspruchsentscheidung rechtsfehlerhaft unterlassen hat, die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 GrEStG zu prüfen.

Soweit der Senat in früheren Entscheidungen ausgeführt hat, Einwendungen, die auf die Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs gestützt werden, seien im Einspruchsverfahren gegen die ursprüngliche Steuerfestsetzung nicht zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 16. Januar 2002 II R 52/00, BFH/NV 2002, 1053) bzw. "im Regelfall" in einem getrennten Verfahren und nur "ausnahmsweise" auch im Einspruchsverfahren gegen die Steuerfestsetzung zu prüfen (BFH-Urteile vom 27. Januar 1982 II R 119/80, BFHE 135, 224, BStBl II 1982, 425 unter 1., und vom 9. November 1983 II R 71/82, BFHE 140, 13, BStBl II 1984, 446 unter 3.), hält er daran nicht mehr fest.

2. Das FG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen, weil auch nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG bis zum Abschluss des Einspruchsverfahrens nicht vorlagen. Denn es fehlte jedenfalls an der für die Anwendung des § 16 Abs. 1 GrEStG erforderlichen tatsächlichen Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs.

a) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung sind die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 GrEStG nicht schon dann erfüllt, wenn lediglich das den Steuertatbestand erfüllende Rechtsgeschäft ―zivilrechtlich wirksam― aufgehoben oder durch einseitige Erklärung vernichtet wird. Vielmehr setzt die (tatsächliche und vollständige) Rückgängigmachung i.S. des § 16 Abs. 1 GrEStG voraus, dass die Parteien vom Vollzug des unwirksamen Rechtsgeschäfts Abstand nehmen und sich gegenseitig die etwa ausgetauschten Leistungen zurückgewähren. Die Vertragsparteien müssen, um das wirtschaftliche Ergebnis des zivilrechtlich unwirksam gewordenen Verpflichtungsgeschäfts im vorbeschriebenen Sinne wieder zu beseitigen, sämtliche Wirkungen aus dem Erwerbsvorgang aufheben und sich so stellen, als wäre dieser nicht zustande gekommen (BFH-Entscheidungen in BFHE 116, 50, BStBl II 1975, 675 unter II.2.a; in BFH/NV 1995, 924 unter II.3.b cc, und vom 10. Juli 1996 II B 139/95, BFH/NV 1997, 61 unter II.2., jeweils m.w.N.).

b) Eine tatsächliche Rückgängigmachung setzt insbesondere die Löschung einer zugunsten des Erwerbers eingetragenen Auflassungsvormerkung voraus (BFH-Urteil vom 19. März 2003 II R 12/01, BFHE 202, 383, BStBl II 2003, 770 unter II.1.b).

Daran fehlt es im Streitfall. Dass die im Kaufvertrag vereinbarte Vormerkung tatsächlich in das Grundbuch eingetragen worden ist, ergibt sich aus dem Schreiben der Klägerin vom 10. Juli 1995, mit dem sie der T eine Nachfrist mit Ablehnungsandrohung gesetzt hat und auf das sie sich in ihrer Revisionsbegründung bezieht. In diesem Schreiben hat die Klägerin ferner erklärt, dass sie zur Bewilligung der Löschung dieser Vormerkung erst nach einem Einvernehmen der Vertragsparteien über die Rückabwicklung bereit sei. An diesem Einvernehmen fehlte es aber jedenfalls bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung. Es ist weder aus den Akten ersichtlich noch von der Klägerin vorgetragen, dass die Vormerkung bis zu diesem Zeitpunkt gelöscht worden wäre.

Angesichts des Fehlens der tatsächlichen Rückabwicklung hatte die Klägerin im Einspruchsverfahren selbst die Auffassung vertreten, dass der Grunderwerbsteuerbescheid erst nach Ergehen eines rechtskräftigen obsiegenden Zivilurteils gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG zu ändern sei.

c) Die Sache ist spruchreif. Insbesondere begegnet die Würdigung des FG, der Kaufvertrag sei nicht wegen sittenwidriger Überhöhung des Kaufpreises nichtig, revisionsrechtlich keinen Bedenken.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1345179

BFH/NV 2005, 979

BStBl II 2005, 495

BFHE 2005, 158

BFHE 209, 158

BB 2005, 1154

BB 2005, 1486

DStRE 2005, 729

DStZ 2005, 360

HFR 2005, 670

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