Entscheidungsstichwort (Thema)

Forderungsverzicht; Einlage

 

Leitsatz (NV)

1. Verzichtet der Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft oder eine diesem nahestehende Person auf eine Forderung gegen die Kapitalgesellschaft, so liegt in Höhe des Teilwerts der Forderung im Zeitpunkt des Verzichts eine Einlage vor.

2. Ist die Kapitalgesellschaft überschuldet, beträgt der Teilwert im allgemeinen null.

3. Allein aus der Tatsache, daß nur dem Gesellschafter der Kapitalgesellschaft nahestehende Personen auf Forderungen verzichten, kann noch nicht auf eine fehlende Sanierungsbedürftigkeit geschlossen werden.

4. Erläßt nur ein Gläubiger oder eine Gläubigerminderheit Schulden, so muß die Sanierungsabsicht besonders dargelegt und geprüft werden. Ggf. ist in diesem Zusammenhang auch zu prüfen, welch andere Motive dem Schulderlaß überhaupt zugrundeliegen können.

 

Normenkette

EStG § 3 Nr. 66, § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 5

 

Verfahrensgang

FG Rheinland-Pfalz

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine GmbH, an der im Streitjahr 1986 als einziger Gesellschafter S beteiligt war. Aus Lieferbeziehungen gegenüber der B- GmbH, deren Geschäftsanteile ebenfalls nur von S gehalten wurden, hatte die Klägerin zum 31. Dezember 1984 Verbindlichkeiten in Höhe von 3 899 437 DM. Daneben besaß S zwei weitere Einzelunternehmen, die zum 31. Dezember 1984 Forderungen gegenüber der Klägerin in Höhe von 592 800 DM bzw. 199 500 DM hatten. Die Klägerin war zum 31. Dezember 1984 bilanziell um rund 2,9 Mio. DM überschuldet. Wegen vorhandener stiller Reserven betrug die tatsächliche Überschuldung nur rund 2,4 Mio. DM.

Die B-GmbH schrieb ihre Forderungen gegenüber der Klägerin zum 31. Dezember 1984 auf rund 2,1 Mio. DM ab. Auch die Einzelunternehmen der S nahmen Teilwertabschreibungen auf einen niedrigeren Teilwert vor.

Die Klägerin schloß am 28. April 1986 mit der B-GmbH einerseits und mit S andererseits einen Vertrag über einen Forderungserlaß in Höhe von insgesamt 2 195 000 DM ab.

Die Klägerin machte schon in ihrer Körperschaftsteuererklärung 1985 einen steuerfreien Sanierungsgewinn in Höhe der erlassenen Forderungen geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) bezog den Erlaß dagegen erst auf den Veranlagungszeitraum 1986. Der verneinte im Körperschaftsteuerbescheid 1986 vom 8. März 1988 die Steuerfreiheit und erhöhte den Gewinn 1986 um 2 195 000 DM. Wegen Verlustvorträgen aus den Veranlagungszeiträumen 1981 bis 1985 ergab sich dennoch nur ein zu versteuerndes Einkommen von null DM. Die Körperschaftsteuer 1986 wurde auf null DM festgesetzt.

Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Mit ihrer vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des §8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1984 i. V. m. §4 Abs. 1 Sätze 1 und 5 und §6 Abs. 1 Nrn. 3 und 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG), hilfsweise die des §8 Abs. 1 KStG 1984 i. V. m. §3 Nr. 66 EStG.

Der Senat hat durch Beschluß vom 27. Juli 1994 dem Großen Senat des BFH folgende Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt:

1. Führt der Verzicht eines Gesellschafters auf seine nicht mehr werthaltige Forderung gegenüber seiner Kapitalgesellschaft bei letzterer zu einer Einlage in Höhe des Nominalwertes der Verbindlichkeit oder in Höhe des Teilwertes der Forderung?

2. Ist eine Einlage bei einer Kapitalgesellschaft auch dann anzunehmen, wenn der Forderungsverzicht im Sinne der ersten Vorlagefrage von einer dem Gesellschafter nahestehenden Person ausgesprochen wird (Drittaufwand)?

3. Löst der Verzicht des Gesellschafters auf eine Forderung gegenüber seiner Kapitalgesellschaft bei ihm stets den Zufluß des erlassenen Forderungsbetrages nach Art des §11 EStG aus oder tritt diese Rechtsfolge nur bei bestimmten Forderungen eines Forderungsverzichtes (z. B. Erlaßvertrag i. S. des §397 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) ein?

Der Große Senat hat durch Beschluß vom 9. Juni 1997 GrS 1/94 entschieden:

1. Ein auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhender Verzicht eines Gesellschafters auf seine nicht mehr vollwertige Forderung gegenüber seiner Kapitalgesellschaft führt bei dieser zu einer Einlage in Höhe des Teilwerts der Forderung. Dies gilt auch dann, wenn die entsprechende Verbindlichkeit auf abziehbare Aufwendungen zurückgeht.

2. Der Verzicht des Gesellschafters auf eine Forderung gegenüber seiner Kapitalgesellschaft im Wege der verdeckten Einlage führt bei ihm zum Zufluß des noch werthaltigen Teils der Forderung.

3. Eine verdeckte Einlage bei der Kapitalgesellschaft kann auch dann anzunehmen sein, wenn der Forderungsverzicht von einer dem Gesellschafter nahestehenden Person ausgesprochen wird.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben, den Körperschaftsteuerbescheid 1986 vom 31. August 1990 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 4. März 1991 zu ändern und bei der Feststellung des Einkommens von einem Steuerbilanzverlust in Höhe von 62 378 DM auszugehen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht -- FG -- (§126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).

1. Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft. Als solche hat sie ihren Gewinn gemäß §8 Abs. 1 KStG i. V. m. §§4 Abs. 1 und 5 Abs. 1 EStG zu ermitteln. Dazu hat der Große Senat des BFH auf das Entscheidungsersuchen des erkennenden Senats hin sinngemäß entschieden, daß die Klägerin die Vermögensmehrung, die auf seinem Teilverzicht auf nicht mehr vollwertige Forderungen durch den Alleingesellschafter S bzw. durch Gläubiger beruht, die dem Alleingesellschafter S nahestehen, als Einlage mit dem Teilwert des Forderungsanteils, auf den verzichtet wurde, zu bewerten hat. Der Beschluß des Großen Senats bindet den erkennenden Senat (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §11 Rz. 16) und gemäß §126 Abs. 5 FGO auch das FG. Der Teilwert betrug jedoch nach den Feststellungen des FG null DM. Dies folgt nicht zuletzt aus der bestehenden Überschuldung der Klägerin und aus den vorgenommenen Teilwertabschreibungen. Insoweit kommt es auch nicht darauf an, ob die Gläubiger auf ihre Forderungen aus eigenwirtschaftlichen Gründen verzichteten. Um so weniger könnte eine Einlage angenommen werden. Damit ist die bei der Klägerin eingetretene Vermögensmehrung in voller Höhe als Gewinn zu behandeln. Insoweit ist die Vorentscheidung revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

2. Die tatsächlichen Feststellungen des FG tragen allerdings dessen Auffassung nicht, daß §3 Nr. 66 EStG keine Anwendung finden könne.

a) Das FG hat die Anwendung des §3 Nr. 66 EStG schon an dem angeblichen Fehlen der Sanierungsbedürftigkeit scheitern lassen. Dazu ist es von der Tatsache ausgegangen, daß sich an dem Forderungserlaß nur nahestehende Gläubiger beteiligten. Insoweit hat es sich auf das Urteil des VIII. Senats des BFH vom 22. November 1983 VIII R 14/81 (BFHE 140, 521, BStBl II 1984, 472) gestützt. Der VIII. Senat hat jedoch die Nichtmitwirkung fremder Gläubiger nur als Indiz für die fehlende Sanierungsbedürftigkeit angesehen und auch dies nur dann, wenn der nahestehende Gläubiger erkennbar an einer Fortführung seiner Geschäftsbeziehungen mit der Schuldnerin interessiert ist. Für den Streitfall hat das FG in tatsächlicher Hinsicht nicht festgestellt, an der Fortführung welcher Geschäftsbeziehungen zur Klägerin S und die B-GmbH ein vorrangiges Interesse gehabt haben könnten. Auch hat es sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob sich die Sanierungsbedürftigkeit nicht schon aus der Höhe der festgestellten Überschuldung und der Tatsache ergibt, daß bei einer Überschuldung von rund 2,4 Mio. DM eine Sanierung nur durch Maßnahmen des laufenden Geschäftsverkehrs in der Regel nicht zu erwarten ist. Das FG wird diese Frage anhand der von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien überprüfen und die dafür erforderlichen Feststellungen treffen müssen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 14. März 1990 I R 129/85, BFHE 161, 39, BStBl II 1990, 955).

b) Das FG hat ferner die Auffassung vertreten, daß es im Streitfall an einer Sanierungsabsicht von S und der B-GmbH fehle. Auch diese Auffassung wird nicht durch die tatsächlichen Feststellungen des FG getragen. Zwar ist seine Auffassung nicht zu beanstanden, daß beim Schulderlaß nur durch einen Gläubiger oder eine Minderheit der Gläubiger die Sanierungsabsicht besonders dargelegt und geprüft werden müsse (BFH- Urteil vom 26. November 1980 I R 52/77, BFHE 132, 72, BStBl II 1981, 181). Jedoch muß die Sanierungsabsicht für den Erlaß nicht allein entscheidend sein (BFH-Urteile vom 25. Oktober 1963 I 359/60 S, BFHE 78, 308, BStBl III 1964, 122; vom 26. Februar 1988 III 257/84, BFH/NV 1989, 436). Bei dieser Sachlage müssen die anderen angeblich im Vordergrund stehenden Motive des erlassenden Gläubigers zumindest konkret benannt werden, um die Sanierungsabsicht zu verneinen.

Zwar hat das FG auch unterstellt, daß die Klägerin hätte liquidiert werden sollen. Es ist jedoch nicht zu erkennen, was die tatsächliche Grundlage dieser Annahme ist. Da sie von der Klägerin bestritten wird, reicht die bloße Behauptung einer damals bestehenden Liquidationsabsicht als tatsächliche Feststellung nicht aus.

c) Im Streitfall erscheint allerdings zweifelhaft, ob die Sanierungseignung gegeben ist, weil die Überschuldung der Klägerin zum 31. Dezember 1984 rund 2,4 Mio. DM betrug und am 28. April 1986 nur Forderungen in Höhe von 2,195 Mio. DM erlassen wurden. Entscheidungserheblich ist insoweit, welche Überschuldung am 28. April 1986 bestand und ob die erlassenden Gläubiger an diesem Tag mit einer Sanierung der Klägerin rechnen konnten, wenn sie Forderungen nur in Höhe von 2,195 Mio. DM erließen. Die dazu erforderlichen tatsächlichen Feststellungen fehlen. Sie nachzuholen ist die Aufgabe des FG. Zu diesem Zweck war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66518

BFH/NV 1998, 572

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