Leitsatz (amtlich)

Wird ein Gebäude in mehreren zeitlich zusammenhängenden Abschnitten erweitert, so liegt dann eine Erweiterung an einem Gebäude im Sinne des § 1 Abs. 1 InvZulG 1969 vor, wenn sich das Bauvorhaben bei wirtschaftlicher Betrachtung unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles, insbesondere unter Berücksichtigung des Gesamtbildes des Investitionsvorhabens, als eine einheitliche und in sich geschlossene Baumaßnahme darstellt.

 

Normenkette

InvZulG 1969 § 1 Abs. 1

 

Tatbestand

Streitig ist, ob eine oder mehrere Gebäudeerweiterungen im Sinne des § 1 InvZulG 1969 (BGBl I 1969, 1211, BStBl I 1969, 477) vorliegen.

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) befaßt sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Spirituosen sowie mit Weinhandel. Im März 1970 beantragte sie die Gewährung einer Investitionszulage für die Erweiterung ihrer Betriebstätte in A in den Jahren 1966 bis 1969 (Erweiterung des Fabrikations- und Lagergebäudes, Anschaffung von Kellereimaschinen sowie Lagerfässern und -tanks).

Mit dem Bauvorhaben war im Jahr 1966 begonnen worden. Es wurde in sog. Würfelbauweise in drei Abschnitten durchgeführt. Die Arbeiten für den zweiten Baukörper waren Ende September 1967 und die für den dritten im Juni 1969 beendet. Die einzelnen Baukörper sind miteinander verbunden. Sie wurden jeweils nach Fertigstellung des nächsten Baukörpers zueinander geöffnet.

Die in den einzelnen Jahren angefallenen Kosten wurden von der Klägerin jeweils unter Vornahme der zulässigen AfA auf dem Gebäudekonto aktiviert. Jeder Baukörper wurde nach seiner Fertigstellung betrieblich genutzt. Nach Errichtung des dritten und letzten Baukörpers im Jahre 1969 wurde die Nutzung der beiden ersten teilweise geändert.

Die Aufwendungen der Klägerin für die Erweiterung der Betriebstätte wurden in Höhe von 2 141 514 DM vom Bundesminister für Wirtschaft in Bonn als förderungswürdige Investition anerkannt. Davon entfielen auf bauliche Investitionen 1 514 684 DM und auf "Maschinen und Einrichtung" 626 830 DM.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) lehnte die Gewährung einer Investitionszulage für die vor dem Jahr 1969 errichteten Gebäudeteile ab und setzte die Zulage für die Gebäudeerweiterung und die Anschaffung beweglicher Wirtschaftsgüter auf 102 259,20 DM fest.

Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das FG war zwar der Ansicht, daß die Betriebstätte der Klägerin erst nach dem 31. Dezember 1968 erweitert worden sei. Es sah jedoch die weitere Voraussetzung für die Gewährung einer Investitionszulage, nämlich die Herstellung von begünstigten Investitionsobjekten nach dem 31. Dezember 1968 bei den beiden ersten Gebäudeteilen als nicht erfüllt an. Insoweit handelte es sich nach Ansicht des FG um selbständige Gebäudeerweiterungen, die schon vor dem Stichtag fertiggestellt worden seien, weil sie ihrer Zweckbestimmung entsprechend hätten genutzt werden können und auch tatsächlich genutzt worden seien.

Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie ist der Auffassung, eine der Zweckbestimmung entsprechende Nutzung sei erst dann gegeben, wenn durch die Gebäudeerweiterungsmaßnahmen ein Produktions- und Lagervolumen geschaffen worden sei, welches die dem Sinn des Investitionszulagengesetzes entsprechende Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze ermöglicht habe. Dieser Zustand sei aber erst nach Vollendung des dritten Baukörpers im Jahre 1969 erreicht worden. Der Anbau sei während der ersten beiden Bauabschnitte nicht entsprechend der Gesamtplanung, sondern zu einem Drittel provisorisch genutzt worden. Ferner hätten bis zum maßgeblichen Stichtag nur ca. 46 v. H. der geplanten Tankraumkapazität eingerichtet werden können. Entgegen der Auffassung des FA sei eine der Zweckbestimmung entsprechende Nutzung nicht bereits dann anzunehmen, wenn die Gebäudenutzung nach den wirtschaftlichen Gegebenheiten des Steuerpflichtigen vernünftigerweise möglich und damit zumutbar sei. Die insoweit von der Rechtsprechung zu § 7 b EStG entwickelten Grundsätze seien im Investitionszulagenrecht nicht anwendbar.

Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Investitionszulage 1969 auf 184 343 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Gewährung von Investitionszulage für die Gesamtkosten der Gebäudeerweiterung in den Jahren 1966 bis 1969.

Die Gewährung einer Investitionszulage für die im Zusammenhang mit der Erweiterung einer Betriebstätte hergestellten Erweiterungen an Gebäuden ist nach § 1 Abs. 1 InvZulG 1969 von zwei zeitlichen Voraussetzungen abhängig. Zum einen ist erforderlich, daß die Betriebstätte nach dem 31. Dezember 1968 erweitert wurde. Darüber hinaus muß auch die Gebäudeerweiterung nach diesem Zeitpunkt hergestellt worden sein.

a) Dem FG kann zunächst darin gefolgt werden, daß die Betriebstätte der Klägerin erst nach dem maßgeblichen Stichtag erweitert worden ist. Es hat dabei zutreffend auf die Beendigung der Erweiterungsmaßnahme abgestellt. Nach der zu § 14 BHG ergangenen Entscheidung des BFH vom 27. Februar 1964 IV 90/63 S (BFHE 79, 175, BStBl III 1964, 296) bedeutet Errichtung einer Betriebstätte deren Herstellung. Als Zeitpunkt der Herstellung ist der Zeitpunkt der Fertigstellung anzusehen (vgl. § 9 a EStDV und Bundestags-Drucksache V 3890 S. 26). Entsprechendes gilt nach Ansicht des Senats auch für die Erweiterung einer Betriebstätte im Sinne des § 1 Abs. 1 InvZulG 1969.

Wann eine Betriebstätte "erweitert" ist, bestimmt sich nach Art und Umfang des für die Gewährung der Investitionszulage maßgeblichen (vgl. BFH-Urteil vom 16. Juli 1976 III R 158/73, BFHE 119, 543, BStBl II 1976, 757) Investitionsvorhabens. Im Streitfall bestand das Investitionsvorhaben ausweislich der Bescheinigung des BMWi nach § 1 Abs. 4 InvZulG 1969 in der Erweiterung der Produktionseinrichtungen und der Lagermöglichkeiten. Diese Maßnahmen waren nach den unangefochtenen Feststellungen des FG erst nach dem 31. Dezember 1968 abgeschlossen. Dem steht nicht entgegen, daß die Erweiterungsmaßnahme mehrere zeitlich zusammenhängende Abschnitte umfaßte, und daß die in den einzelnen Jahren angefallenen Herstellungskosten jeweils aktiviert worden sind. Die einzelnen Abschnitte stellen - wie das FG zutreffend ausgeführt hat - keine selbständigen Investitionsmaßnahmen dar, sondern sind lediglich unselbständige Teile eines einzigen Investitionsvorhabens.

b) Entgegen der Auffassung des FG können jedoch auch die vor dem maßgeblichen Stichtag fertiggestellten ersten beiden Baukörper nicht als selbständige Gebäudeerweiterungen im Sinne des § 1 Abs. 1 InvZulG 1969 angesehen werden.

Wird ein Gebäude in mehreren zeitlich zusammenhängenden Abschnitten erweitert, so liegt gleichwohl nur eine Erweiterung an einem Gebäude (§ 1 Abs. 1 InvZulG 1969) vor, wenn sich das Bauvorhaben bei wirtschaftlicher Betrachtung unter Berücksichtigung des Gesamtbildes des Investitionsvorhabens als eine einheitliche und in sich geschlossene Baumaßnahme darstellt. Entgegen der Auffassung des FG kann dabei nicht nur auf die Nutzung der einzelnen Gebäudeteile abgestellt werden, auch wenn diese in erheblichem Umfang ihrer endgültigen Zweckbestimmung und der Gesamtplanung entspricht. Bei der Entscheidung darüber, ob eine oder mehrere Erweiterungen von Gebäuden (§ 1 Abs. 1 InvZulG 1969) vorliegen, sind vielmehr die gesamten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen.

Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen war, war seine Entscheidung aufzuheben.

c) Die Sache ist spruchreif. Aufgrund der unangefochtenen Feststellungen des FG kommt der Senat zu dem Ergebnis, daß im Streitfall nicht mehrere Einzelprojekte, sondern nur eine Gebäudeerweiterung vorliegt. Das Bauvorhaben der Klägerin war in sich geschlossen. Es beruhte nur auf einem einzigen Investitionsentschluß aus dem Jahr 1966. Der Investitionsmaßnahme lagen darüber hinaus eine einheitliche Planung und eine einheitliche Baugenehmigung zugrunde. Entscheidend für den Streitfall ist ferner der Umstand, daß die Erweiterung des Betriebsgebäudes die wesentliche Grundlage der Betriebstättenerweiterung bildete. Insoweit bestand eine enge Verknüpfung, die eine einheitliche Beurteilung erfordert. Die mit dem Investitionsvorhaben bezweckte Ausweitung der Produktions- und Lagerkapazität setzte die Erweiterung des Betriebsgebäudes in seiner Gesamtheit voraus. Dies wird insbesondere daraus erkennbar, daß mehr als die Hälfte der geplanten Tankkapazität erst nach Fertigstellung des dritten Baukörpers geschaffen werden konnte. Der für das Gesamtvorhaben geplante Tankraum war wiederum Voraussetzung für die nach dem Investitionsvorhaben vorgesehene Produktionsausweitung.

Aufgrund dieser besonderen tatsächlichen Gegebenheiten im Streitfall kommt der Tatsache, daß die ersten beiden Baukörper nach ihrer Fertigstellung bereits betrieblich genutzt wurden, keine entscheidende Bedeutung zu. Ebensowenig ist entscheidungserheblich, ob die von der Rechtsprechung im Rahmen des § 7 b EStG zur Gebäudenutzung entwickelten Grundsätze im Investitionszulagenrecht anwendbar sind.

Die auf die ersten beiden Baukörper entfallenden Herstellungskosten beliefen sich auf 820 838 DM. Hieraus errechnet sich eine Investitionszulage von 82 083,80 DM. Unter Berücksichtigung der der Klägerin bereits gewährten Investitionszulage von 102 259,20 DM setzt der Senat die Investitionszulage 1969 dementsprechend auf 184 343 DM fest.

 

Fundstellen

Haufe-Index 72479

BStBl II 1977, 845

BFHE 1978, 275

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