Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage der gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten abgegebenen Vollmacht beim Gericht per Telefax - Formvorschriften des bürgerlichen Rechts nicht auf Prozeßhandlungen anwendbar

 

Leitsatz (amtlich)

Die zur Einreichung der Prozeßvollmacht gesetzte Frist mit ausschließender Wirkung wird gewahrt, wenn der Prozeßbevollmächtigte innerhalb dieser Frist dem Gericht die ihm vom Kläger durch Telefax erteilte Prozeßvollmacht vorlegt.

 

Orientierungssatz

1. Die Formvorschriften des Bürgerlichen Rechts können weder unmittelbar noch entsprechend auf Prozeßhandlungen (hier: der Schriftform nach § 126 Abs.1 BGB nicht genügende Telekopie einer Vollmacht) angewendet werden. Die für Prozeßhandlungen vorgeschriebene Schriftform soll nur gewährleisten, daß aus dem Schriftstück Inhalt und Rechtsverbindlichkeit der abzugebenden Erklärung sowie die Person das Erklärenden hinreichend zuverlässig festgestellt werden können. Daher genügt auch ein fernmündlich aufgegebenes Telegramm oder eine Telekopie einer Prozeßvollmacht dem Zweck der Schriftform (vgl. Rechtsprechung).

2. Eine Prozeßvollmacht kann auch unter der Geltung des § 62 Abs.3 FGO in der bis zum 31.12.1992 geltenden Fassung durch einseitige schriftliche Erklärung gegenüber dem Bevollmächtigten, Prozeßgegner oder dem Gericht erteilt werden. Insbesondere kann sie dadurch erteilt werden, daß der Vollmachtgeber dem Vertreter die Vollmachtsurkunde aushändigt und dieser sie dem Gericht vorlegt (vgl. BFH-Beschluß vom 30.7.1991 VIII B 88/89).

 

Normenkette

BGB § 126 Abs. 1; FGO § 62 Abs. 3 S. 1; VGFGEntlG Art. 3 § 1; BGB § 172

 

Tatbestand

I. Streitig ist, ob die Vorlage einer dem Prozeßbevollmächtigten vom Vollmachtgeber durch Telefax erteilte Prozeßvollmacht bei Gericht als schriftlich erteilte Vollmacht anzusehen ist.

Für den Kläger und Revisionskläger (Kläger) legten die Rechtsanwälte F mit Schriftsatz vom 6. Juli 1988 Klage gegen einen Grunderwerbsteuerbescheid beim Finanzgericht (FG) ein, ohne --auch nach Aufforderung durch das FG-- ihre Prozeßvollmachten vorzulegen.

Durch Verfügung vom 25. Mai 1990 setzte der Berichterstatter gemäß Art.3 § 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) zur Vorlage der Prozeßvollmacht eine Frist mit ausschließender Wirkung bis zum 7. Juni 1990. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 7. Juni 1990 überreichte Rechtsanwalt F die Telekopie einer auf ihn lautenden Vollmacht des Klägers vom 6. Juni 1990, die ihm der Kläger per Telefax übermittelt hatte.

Die auf Rechtsanwalt F lautende Originalvollmacht des Klägers ging am 6. Juli 1990 beim FG ein.

Das FG hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Dazu führt es im wesentlichen aus, die nach der Finanzgerichtsordnung (FGO) erforderliche schriftliche Prozeßvollmacht sei nicht innerhalb der dem Kläger gesetzten Ausschlußfrist bei Gericht eingereicht worden. Die innerhalb der Ausschlußfrist übergebene Prozeßvollmacht in Telefaxform reiche nicht aus. Die eingereichte Vollmacht müsse eigenhändig unterzeichnet sein. Von diesem Erfordernis der eigenen Unterschrift habe die Rechtsprechung zwar Ausnahmen zugelassen, um neuen technischen Nachrichtenübermittlungsverfahren Rechnung zu tragen. Diese Ausnahmen könnten aber auf den vorliegenden Fall deswegen nicht angewandt werden, weil hier das Telefax nicht an das Gericht selbst, sondern an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers gegangen sei.

Zu seiner Revision trägt der Kläger im wesentlichen vor:

Die in der mündlichen Verhandlung vom 7. Juni 1990 vorgelegte Vollmacht in Telefaxform sei als ausreichend anzusehen.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Grunderwerbsteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision des Klägers ist begründet.

Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 FGO).

Zu Unrecht hat das FG die Klage als unzulässig abgewiesen. An die Schriftform einer Vollmacht, die durch Erklärung gegenüber dem zu Bevollmächtigenden erteilt wird, sind entgegen der Auffassung des FG dieselben Anforderungen zu stellen, wie an eine gegenüber dem Gericht abgegebene Vollmachtserklärung.

1. Läßt sich ein Beteiligter vor einem Gericht der Finanzgerichtsbarkeit durch einen Bevollmächtigten vertreten, so hat er eine schriftliche Prozeßvollmacht zu erteilen (§ 62 Abs.3 Satz 1 FGO in der vor dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung --FGO a.F.--) und dem Gericht vorzulegen (vgl. § 62 Abs.3 Satz 2 FGO a.F., nunmehr § 62 Abs.3 Satz 3 FGO i.d.F. vom 21. Dezember 1992 --FGO n.F.--, BGBl I, 2109, BStBl I 1993, 90). Für das Einreichen der Vollmacht kann eine Frist mit ausschließender Wirkung gesetzt werden (Art.3 § 1 VGFGEntlG, nunmehr § 62 Abs.3 Satz 3 und 4 FGO n.F.). Wird die Vollmacht innerhalb der gesetzten richterlichen Ausschlußfrist nicht eingereicht, ist die Klage wegen Fehlens einer Sachentscheidungsvoraussetzung als unzulässig abzuweisen (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3.Aufl., § 62 Rdnr.2).

Die Prozeßvollmacht konnte nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) auch unter der Geltung des § 62 Abs.3 FGO a.F. durch einseitige schriftliche Erklärung gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten, dem Prozeßgegner oder dem Gericht erteilt werden. Insbesondere konnte die Vollmacht dadurch erteilt werden, daß der Vollmachtgeber dem Vertreter die Vollmachtsurkunde aushändigte und dieser sie dem Gericht vorlegte (vgl. § 172 Abs.1 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--; BFH-Beschluß vom 30. Juli 1991 VIII B 88/89, BFHE 165, 22, BStBl II 1991, 848).

Im Streitfall hat der Kläger die Prozeßvollmacht durch Erklärung gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten erteilt. Diese Erklärung wurde dem Rechtsanwalt vom Kläger durch Telefax übermittelt. Das Erfordernis der Schriftform i.S. des § 62 Abs.3 Satz 1 FGO a.F. wurde dadurch gewahrt.

Zwar entspricht die Telekopie einer Vollmacht nicht der in § 126 Abs.1 BGB vorgeschriebenen Schriftform, denn sie enthält keine eigenhändige Unterzeichnung. Die Unterschrift ist nur vom Original übernommen. Dieses bleibt dem Absender (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 28. Januar 1993 IX ZR 259/91 (KG), Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1993, 1126).

Indes können die Formvorschriften des Bürgerlichen Rechts wegen der Eigenständigkeit des Prozeßrechts weder unmittelbar noch entsprechend auf Prozeßhandlungen --zu denen auch die Erteilung der Prozeßvollmacht zählt-- angewendet werden (BFH-Beschluß vom 5. November 1973 GrS 2/72, BFHE 111, 278, BStBl II 1974, 242; BFH-Urteil vom 23. Juni 1987 IX R 77/83, BFHE 150, 309, BStBl II 1987, 717). Die für Prozeßhandlungen vorgeschriebene Schriftform soll --lediglich-- gewährleisten, daß aus dem Schriftstück Inhalt und Rechtsverbindlichkeit der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person des Erklärenden hinreichend zuverlässig festgestellt werden können (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 30. April 1979 GmS-OGB 1/78, BGHZ 75, 340, NJW 1980, 172; Urteil des Bundesarbeitsgerichts --BAG-- vom 1. Juni 1983 5 AZR 468/80, BAGE 43, 46; BFH in BFHE 150, 309, BStBl II 1987, 717). Zweck der Schriftform ist es, dem Gericht langwierige Nachprüfungen darüber zu ersparen, ob die Erklärungen abgegeben sind und von wem sie stammen (BFH in BFHE 150, 309, BStBl II 1987, 717). Diesen Anforderungen genügt es, wenn die Vollmacht durch Telekopie erteilt wird. Das gilt um so mehr, als der BFH im Urteil in BFHE 150, 309, BStBl II 1987, 717 angenommen hat, daß auch ein vom Kläger gegenüber dem Gericht fernmündlich aufgegebenes Telegramm einer Vollmacht den Zweck der Schriftform erfüllt. Es bedarf keiner weiteren Ausführungen darüber, daß es dem Gericht bei einer durch Telekopie erteilten Vollmacht zumindest im gleichen Ausmaß erspart wird, nachzuprüfen, ob die Vollmacht erteilt worden ist und wer sie erteilt hat. Die Schriftform i.S. des § 62 Abs.3 Satz 1 FGO a.F. ist daher gewahrt, wenn der Vollmachtgeber seine Erklärung gegenüber dem Adressaten der Erklärung durch Telefax abgibt. Dabei macht es keinen Unterschied, ob er diese Erklärung gegenüber dem Gericht abgibt (vgl. für Übermittlung durch Telebrief BFH in BFHE 156, 350, BStBl II 1989, 567) oder --wie im Streitfall-- gegenüber dem zu Bevollmächtigenden.

Wird diese Vollmachtsurkunde, nämlich die vom Kläger dem Prozeßbevollmächtigten übermittelte Telekopie, dann vom Prozeßbevollmächtigten dem Gericht vorgelegt, so entspricht dies dem Formerfordernis des § 62 Abs.3 Satz 1 FGO a.F., denn es handelt sich um dieselbe Urkunde, durch welche die Vollmacht erteilt worden ist.

2. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Mit der Vorlage der vom Kläger dem Prozeßbevollmächtigten durch Telekopie erteilten Vollmacht am letzten Tag der gemäß Art.3 § 1 Satz 1 VGFGEntlG gesetzten Ausschlußfrist in der mündlichen Verhandlung vor dem FG ist im Streitfall die Frist zur Vollmachtsvorlage gewahrt worden. Die Sache ist nicht spruchreif. Sie ist daher zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65289

BFH/NV 1994, 72

BStBl II 1994, 763

BFHE 174, 394

BFHE 1995, 394

BB 1994, 1702

BB 1994, 1702-1703 (LT)

DB 1994, 2012 (L)

DStR 1994, 1613-1614 (KT)

DStZ 1995, 118 (KT)

HFR 1994, 721 (LT)

StE 1994, 517 (K)

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