Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem Streit über die Frage, ob Säumniszuschläge entstanden sind, entscheidet die Finanzbehörde durch Bescheid i. S. des § 218 Abs. 2 AO 1977.

2. Der Vollstreckungsaufschub wirkt nicht auf die Fälligkeit der Steuerforderung ein und verhindert damit nicht das Entstehen von Säumniszuschlägen.

 

Normenkette

AO 1977 § 218 Abs. 2, § 240 Abs. 1, § 258

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Gewährung eines Vollstreckungsaufschubs die Entstehung von Säumniszuschlägen hindert.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) gewährte der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) durch Bescheid vom 9. März 1977 Vollstreckungsaufschub für Gewerbesteuerrückstände, die die Jahre 1971 bis 1973 betrafen. Diese Rückstände hatte die Klägerin seit dem 11. November 1976, dem Tage des Ablaufs einer bis dahin wirkenden Aussetzung der Vollziehung, zu zahlen. In dem Bescheid vom 9. März 1977 heißt es unter anderem: "... gewähre ich ... nunmehr für die Rückstände an Gewerbesteuer 1971 bis 1973 Vollstreckungsschutz gem. § 258 AO 77 (§ 333 RAO) bis zur Entscheidung über die beantragte Aussetzung der Vollziehung durch den BFH. Die Säumniszuschläge sind und bleiben verwirkt."

Nach Ergehen der für sie ungünstigen Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) über die Revision in der Hauptsache und über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zahlte die Klägerin am 22. August 1977 die rückständigen Gewerbesteuerbeträge.

Da zwischen den Beteiligten streitig war, ob für die Zeit vom 11. November 1976 bis 22. August 1977 Säumniszuschläge verwirkt waren, setzte das FA die seiner Meinung nach verwirkten Säumniszuschläge durch Bescheid vom 28. November 1977 in Höhe von 537 DM fest. Den gegen diesen Bescheid gerichteten Einspruch wies es durch Einspruchsentscheidung zurück.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen ausgeführt, der Vollstreckungsaufschub lasse, anders als die Stundung oder Aussetzung der Vollziehung, die Fälligkeit der Steuerforderung unberührt. Daher seien die Säumniszuschläge in der festgesetzten Höhe verwirkt.

Mit der vom Senat auf Nichtzulassungsbeschwerde zugelassenen Revision begehrt die Klägerin, die Vorentscheidung und den angefochtenen Bescheid sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Sie ist der Meinung, der Vollstreckungsaufschub habe stundungsgleiche Wirkung. Daher seien bis zum 31. Dezember 1976 nach der bis dahin geltenden Reichsabgabenordnung (AO) keine Säumniszuschläge angefallen. Unter der Geltung der Abgabenordnung (AO 1977) hätten allenfalls vom FA Stundungszinsen erhoben werden können.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

I.

Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß mit dem Einspruchsverfahren das richtige Vorverfahren durchgeführt worden ist. Nach § 218 Abs. 1 AO 1977 ist Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis an sich ein entsprechender Bescheid. Bei den Säumniszuschlägen genügt jedoch die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes. Über Streitigkeiten, die die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen, entscheidet die Finanzbehörde durch Verwaltungsakt (§ 218 Abs. 2 AO 1977). Mit diesem Verwaltungsakt, der dem Abrechnungsbescheid des § 125 AO entspricht (Kühn-Kutter-Hofmann, Abgabenordnung 1977, 12. Aufl., § 218 Anm. 4), entscheidet das FA regelmäßig nur über den Fortbestand einer Zahlungsverpflichtung. Die Frage, ob ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis entstanden ist, wird dagegen nicht durch diesen Verwaltungsakt, sondern regelmäßig durch einen Bescheid i. S. des § 218 Abs. 1 AO 1977 entschieden. Bei den Säumniszuschlägen gilt jedoch deshalb eine Ausnahme, weil für sie ein Bescheid i. S. des § 218 Abs. 1 AO 1977 nicht vorgesehen ist. Besteht daher Streit über die Säumniszuschläge, so wird durch den Bescheid des § 218 Abs. 2 AO 1977 nicht nur über die noch verbliebene Höhe der Säumniszuschläge, sondern auch darüber entschieden, ob Säumniszuschläge überhaupt entstanden sind.

Gegen diesen die Säumniszuschläge festsetzenden Bescheid ist gem. § 348 Abs. 1 Nr. 9 AO 1977 der Rechtsbehelf des Einspruchs gegeben (v. Wallis in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 240 AO 1977 Anm. 23). Die Rechtslage hat sich somit gegenüber dem Rechtszustand nach der Reichsabgabenordnung, nach der gegen einen die Säumniszuschläge festsetzenden Bescheid die Beschwerde nach § 230 AO gegeben war (Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, Kommentar, 7. Aufl., § 230 Anm. 17 a), geändert. Im Streitfall konnte das FA auch über die vor dem 1. Januar 1977 verwirkten Säumniszuschläge durch Bescheid i. S. des § 218 Abs. 2 AO 1977 (Art. 97 § 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 14. Dezember 1976 - EGAO 1977 -, BGBl I, 3341, BStBl I 1976, 694) und anschließend durch Einspruchsentscheidung entscheiden (§ 18 Abs. 1 EGAO 1977).

II.

Das FG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß Säumniszuschläge in der festgesetzten Höhe entstanden sind.

Sowohl nach der vor dem 1. Januar 1977 geltenden Vorschrift des § 1 Abs. 1 des Steuersäumnisgesetzes - StSäumG - als auch nach § 240 Abs. 1 AO 1977 (§ 16 Abs. 1 EGAO 1977) sind Säumniszuschläge verwirkt bzw. zu entrichten, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird. Im Streitfall hat die Klägerin die seit dem 12. November 1976 fälligen Steuerschulden erst am 22. August 1977 beglichen. Sie war daher i. S. der oben genannten Bestimmungen säumig. Entgegen der Ansicht der Klägerin hat der vom FA gewährte Vollstreckungsaufschub nicht auf die Fälligkeit der Steuerforderung eingewirkt und damit das Entstehen der Säumniszuschläge nicht verhindert.

1. Für die Zeit bis zum Ergehen des Vollstreckungsaufschubs im März 1977 folgt dies schon daraus, daß der Vollstreckungsaufschub sowohl nach § 333 AO als auch nach § 258 AO 1977 Wirkungen allenfalls für die Zukunft entfalten konnte. Durch den Vollstreckungsaufschub sagt das FA dem Vollstreckungsschuldner das Unterlassen von Vollstreckungshandlungen zu. Eine solche Zusage, bestimmte Handlungen zu unterlassen, kann sich für die Vergangenheit nicht mehr auswirken. Von einer solchen Zusage können daher Rechtswirkungen nur für die Zukunft ausgehen. Der für die Vergangenheit von den Säumniszuschlägen ausgehende Druck zur Zahlung der Steuerschulden wird daher durch den Vollstreckungsaufschub nicht berührt. Dieses Ergebnis steht in Einklang mit der zur Reichsabgabenordnung einhellig vertretenen Meinung, daß nur ein mitgeteilter Vollstreckungsaufschub den Anfall von Säumniszuschlägen verhindere.

2. Die Frage, ob der im März 1977 mitgeteilte Vollstreckungsaufschub für die Folgezeit das Entstehen von Säumniszuschlägen ausschloß, ist nach neuem Recht zu entscheiden. Der Senat braucht sich deshalb nicht mit der zur Reichsabgabenordnung vertretenen herrschenden Meinung auseinanderzusetzen, der mitgeteilte Vollstreckungsaufschub verhindere wegen seiner stundungsgleichen Wirkung das Entstehen von Säumniszuschlägen (Urteil des Reichsfinanzhofs vom 25. April 1934 IV A 243/33, RStBl 1934, 609 [612]; BFH-Urteil vom 20. Oktober 1976 I R 116/74, BFHE 121, 5 [8], BStBl II 1977, 257 [obiter dictum]; Mattern-Meßmer, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, § 127 Rdnr. 847, § 1 StSäumG Rdnr. 3085; Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. bis 6. Aufl., § 333 AO Anm. 10, § 326 Anm. 25 c; anderer Ansicht Tipke-Kruse, a. a. O., § 333 AO Anm. 2, § 1 StSäumG Anm. 1). Nach neuem Recht verhindert der Vollstreckungsaufschub jedenfalls nicht das Entstehen von Säumniszuschlägen (Tipke-Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 220 Anm. 5, § 222 Anm. 18 am Ende, § 240 Anm. 12; Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 258 AO Anm. 9, widersprüchlich zu § 222 AO Anm. 25 und § 240 AO Anm. 8).

Nach § 258 AO 1977 kann die Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung, soweit diese im Einzelfall unbillig ist, einstweilen einstellen oder beschränken oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufheben. Keine dieser Maßnahmen wirkt auf die Fälligkeit einer Steuerschuld dergestalt ein, daß durch sie das Entstehen von Säumniszuschlägen verhindert wird.

Bei der Beschränkung der Vollstreckung wie auch bei der Aufhebung einer Vollstreckungsmaßnahme verzichtet die Vollstreckungsbehörde lediglich auf einzelne Vollstreckungsmaßnahmen. Im übrigen droht dem Vollstreckungsschuldner weiterhin die Vollstreckung. Hier wird die ausschließliche Wirkung des Vollstreckungsaufschubs auf das Vollstreckungsverfahren besonders offenkundig.

Nicht anders ist die Rechtslage bei der umfassenden einstweiligen Einstellung der Vollstreckung. Auch diese ist eine ausschließlich auf das Vollstreckungsverfahren beschränkte Maßnahme der Vollstreckungsbehörde, die die Steuerforderung im übrigen und damit auch deren Fälligkeit unberührt läßt. Die Vollstreckungsbehörde verzichtet zeitweilig lediglich auf die zwangsweise Durchsetzung des Steueranspruchs. Das FA wäre demgegenüber z. B. nicht gehindert, gegen Erstattungsansprüche des Zahlungspflichtigen aufzurechnen. Denn der Zahlungspflichtige hat, anders als bei der Stundung oder Aussetzung der Vollziehung, nicht das Recht, die Zahlung zu verweigern; er bleibt - wenn er auch vor Vollstreckungsmaßnahmen sicher ist - weiterhin zur Zahlung verpflichtet. Der von den Säumniszuschlägen ausgehende Druck kann und soll nach der Entscheidung des Gesetzgebers auch bei einem mitgeteilten Vollstreckungsaufschub weiter fortbestehen. Dies folgt auch aus der Regelung der Zinspflicht bei gewährter Stundung und Aussetzung der Vollziehung (§§ 234, 237 AO 1977) und dem Fehlen einer entsprechenden Vorschrift für den Vollstreckungsaufschub. In den genannten Vorschriften kommt zum Ausdruck, daß das FA von dem in den §§ 240 und 361 AO 1977 niedergelegten Grundsatz, wonach festgesetzte Steuerschulden unbedingt bei Fälligkeit zu zahlen sind, nicht ohne eine Gegenleistung des Zahlungspflichtigen in Form von Zinsen absehen soll. Bei einer nicht rechtzeitigen Zahlung sollen daher nach der Entscheidung des Gesetzgebers entweder Säumniszuschläge oder Stundungs- bzw. Aussetzungszinsen anfallen. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, daß bei einem Vollstreckungsaufschub etwas anderes gelten, dem Zahlungsschuldner der Vollstreckungsaufschub also ohne Gegenleistung gewährt werden sollte. Das Fehlen einer entsprechenden Zinsvorschrift kann daher nur bedeuten, daß auch bei einem mitgeteilten Vollstreckungsaufschub Säumniszuschläge entstehen und damit zu entrichten sind.

3. Ob der Klägerin die entstandenen und in zutreffender Höhe festgesetzten Säumniszuschläge wegen des Vollstreckungsaufschubs generell (so Tipke-Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 240 AO 1977 Anm. 22) oder nur bei Hinzutreten besonderer Umstände erlassen werden könnten, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73114

BStBl II 1979, 429

BFHE 1979, 311

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