Leitsatz (amtlich)

1. Die Klageschrift bedarf der eigenhändigen Unterschrift des Klägers oder des Prozeßbevollmächtigten.

2. Eine Klageschrift ohne Unterschrift wird nicht durch die beigefügte Prozeßvollmacht zur gültigen Klage ergänzt, wie dies unter Umständen durch ein vom gleichen Verfasser unterzeichnetes Begleitschreiben geschehen kann.

 

Normenkette

FGO § 64 Abs. 1, §§ 65, 77, 155; ZPO § 130 Nr. 6, § 253 Abs. 4

 

Tatbestand

Der gemeine Wert der Anteile an der GmbH (Klägerin und Revisionsklägerin) wurde zum 31. Dezember 1963 für je 100 DM Stammkapital auf 842 DM festgestellt. Auf den Einspruch des alleinigen Gesellschafters setzte das FA in der Einspruchsentscheidung den gemeinen Wert der Anteile auf 835 DM herab. Die Einspruchsentscheidung wurde am 15. April 1969 zur Zustellung an den Steuerbevollmächtigten der Klägerin zur Post gegeben. Sie gilt nach § 17 VwZG mit dem 18. April 1969 als zugestellt. Die Frist zur Erhebung der Klage lief demgemäß nach §§ 47, 54 FGO in Verbindung mit § 222 ZPO, §§ 187, 188, 193 BGB mit dem 19. Mai 1969 ab, da der 18. Mai 1969 ein Sonntag war.

Am 12. Mai 1969 ging beim FG ein Schreiben, datiert 9. Mai 1969, mit dem Briefkopf des Steuerbevollmächtigten ein, in dem Klage namens und kraft Vollmacht der GmbH gegen das FA (Beklagten und Revisionsbeklagten) erhoben wurde mit dem Antrag, den gemeinen Wert der Anteile auf 675 DM festzustellen. Der Schriftsatz trug keine Unterschrift. Ihm lag eine Vollmacht der GmbH auf den Steuerbevollmächtigten bei. Ein Schriftsatz mit der Unterschrift des Steuerbevollmächtigten vom 23. Mai 1969 ging am 27. Mai 1969 - nach Ablauf der Klagefrist - beim FG ein; ihm lag eine Abschrift der vorangegangenen Klage mit eigenhändiger Unterschrift des Steuerbevollmächtigten bei. In diesem Schriftsatz beantragte die GmbH, wegen verspäteten Eingangs der Klageschrift Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO zu gewähren, und führte zur Begründung aus: Die Klageschrift sei bei dem Steuerbevollmächtigten ausgefertigt gewesen, die von diesem erbetene Vollmacht der GmbH habe jedoch gefehlt. Nach Eingang am 10. Mai seien die Klageschrift ohne Unterschrift und die Vollmacht der GmbH von einem Büroangestellten abgefertigt und dem FG durch die Post zugesandt worden. Es liege ein entschuldbares Büroversehen vor. Zudem sei es rechtlich zweifelhaft, ob die handschriftliche Unterzeichnung der Klageschrift überhaupt erforderlich sei, zumal eine Vollmacht beigefügt gewesen sei. Das Steuerbüro des Steuerpflichtigen sei mit zwei Angestellten, nämlich einem Lehrling und einem Mitarbeiter besetzt. Es bestehe Anweisung, darauf zu achten, daß die ausgehende Post unterzeichnet sei und diese dann in ein Postausgangsbuch eingetragen werde. Wiedereinsetzung wegen Fristversäumnis sei auch deswegen gerechtfertigt, weil der Vorsitzende des FG-Senats die eingereichte, nicht unterschriebene Klageschrift nicht so rechtzeitig beanstandet habe, daß eine formell ordnungsgemäße Klageschrift noch hätte fristgerecht nachgereicht werden können.

Das FA beantragte Zurückweisung der Klage.

Das FG vernahm den Mitarbeiter, der den Schriftsatz vom 9. Mai 1969 zur Absendung gebracht hat. Dieser ist Gehilfe im wirtschafts- und steuerberatenden Beruf und für den Postausgang verantwortlich, so daß die ausgehende Post über ihn läuft.

Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Die Klage sei erst mit dem zweiten Schriftsatz vom 27. Mai 1969 beim FG eingegangen, somit verspätet. Die Klageschrift müsse, wie sich aus einer Reihe von Entscheidungen ergebe, als bestimmender Schriftsatz eigenhändig vom Kläger oder dem Prozeßbevollmächtigten unterzeichnet sein. Die dem nichtunterschriebenen Schriftsatz beigefügte Vollmacht besage nichts zu der wesentlichen Frage, ob der Schriftsatz vom Prozeßbevollmächtigten stamme und mit dessen Wissen und Willen bei Gericht eingegangen sei, oder ob es sich nur um einen Entwurf handele.

Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Klagefrist sei nicht zu gewähren. Die Klägerin, die für ein Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten einzustehen habe, könne sich nicht auf ein sogenanntes entschuldbares Büroversehen berufen, da die Organisation des Büros des Bevollmächtigten nicht die notwendigen Vorkehrungen zur Fristüberwachung enthalte. Die Ablage des fristgebundenen Schriftstücks in einer Sammelmappe habe nicht genügt. Bei Führung einer Fristenkontrolle hätte die dort notierte Frist frühestens dann gelöscht werden dürfen, wenn das Schriftstück unterzeichnet und postfertig gemacht worden sei. Sodann hätte, sobald das Schriftstück abgesendet worden sei, im Fristenkontrollbuch ein mit Datum versehener Löschungsvermerk angebracht werden müssen. Ohne den Nachweis dieses Vermerkes könne sich ein Steuerbevollmächtigter nicht entlasten (Entscheidung des BFH IV 468/60 vom 9. Mai 1963, StRK, Reichsabgabenordnung, § 86, Rechtsspruch 98). Für den Vorsitzenden des FG habe keine Prüfungs- oder Mitteilungspflicht wegen der nichtordnungsmäßigen Unterschrift bestanden, so daß auch dieser Gesichtspunkt nicht zur Wiedereinsetzung führe. Der gerügte Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG sei nicht gegeben. Der von der Klägerin angeführte Beschluß des BVerfG 2 BvR 724/67 vom 21. Januar 1969 (NJW 1969, 1103) liege auf einer anderen Ebene, da er ein summarisches Strafverfahren mit einer durch Ersatzzustellung zugestellten Strafverfügung betreffe.

Mit der Revision beantragt die Klägerin Aufhebung des FG-Urteils und für die Klage Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO. Sie rügt Rechtsverletzung und Verletzung des Gleichheitssatzes, wobei sie im wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und ergänzend ausführt: Es sei eigentlich keine Unterschrift unter der Klageschrift nötig. Die Nichtführung eines Fristenbuches sei für die vorliegende Fristversäumnis nicht ursächlich gewesen. Diese sei vielmehr allein darauf zurückzuführen, daß der abfertigende Angestellte das Fehlen der Unterschrift übersehen habe. Aus dem Beschluß des BVerwG III C 19/65 vom 30. März 1965 (NJW 1965, 1828) und aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) I AZB 32/65 vom 12. Januar 1966 (NJW 1966, 799) ergebe sich, daß das Expedieren eines nichtunterschriebenen Schriftsatzes ein Versehen des Büroangestellten, keine Schuld des Rechtsanwalts darstelle, und daß für die Fristversäumnis alsdann nicht die Tatsache der Nichtleistung der Unterschrift, sondern das Herausgehen des Schriftsatzes ohne Unterschrift kausal sei. In seiner Kleinpraxis sei die Führung eines Fristenbuches oder einer vergleichbaren Einrichtung nicht Voraussetzung eines ordnungsgemäßen Bürobetriebes. Die Ablage von Fristensachen in einer entsprechenden Mappe sei ausreichend, in der alle Vorgänge eingeordnet und aufbewahrt würden, gegen die die Einlegung eines Rechtsbehelfs vorgesehen sei.

Das FA erklärte demgegenüber, der Prozeßbevollmächtigte habe seiner Sorgfaltspflicht nicht genügt und seinen Angestellten nicht auf die Bedeutung der Unterschrift hingewiesen; denn sonst wäre es nicht denkbar, daß im vorliegenden Verfahren außer der Klageschrift auch noch die Schriftsätze vom 20. Juni 1968 und vom 9. Oktober 1968 an das FA ohne Unterschrift gesendet worden seien.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist unbegründet.

Das FG hat die Klage mit Recht als unzulässig verworfen, da die Klageschrift nicht handschriftlich unterschrieben war. Rechtsgrundlage für diese Beurteilung ist § 64 Abs. 1 FGO, nach dem - abgesehen vom hier nicht gegebenen Fall einer Klageerhebung zur Niederschrift der Geschäftsstelle - Klagen bei Gericht schriftlich durch Einreichung der Klageschrift zu erheben sind. Wie der erkennende Senat bereits in dem Urteil III R 86/68 vom 29. August 1969 (BFH 97, 226, BStBl II 1970, 89) ausgeführt hat, gehört die Klageschrift zu den "bestimmenden Schriftsätzen", die nach zivilprozessualer Praxis trotz der Fassung des § 253 Abs. 4 ZPO mit der Verweisung auf die Sollvorschrift für "vorbereitende Schriftsätze" in § 130 Nr. 6 ZPO eigenhändig unterschrieben sein müssen. Bei der nach § 155 FGO nur sinngemäßen Anwendung der Vorschriften der ZPO sah der Senat eine einheitliche Beurteilung dieser Frage in allen Gerichtszweigen nicht als möglich an. An dieser Auffassung hält er fest.

In dem vom BVerfG entschiedenen Fall 1 BvR 610/62 vom 19. Februar 1963 (BVerfGE 15, 288) wurde zwar die fehlende handschriftliche Unterzeichnung der Verfassungsbeschwerde durch das handschriftlich unterschriebene Begleitschreiben als derart ergänzt angesehen, daß sich aus beiden Schriftsätzen Verfasser und Inhalt des Rechtsmittels zweifelsfrei ergäben. Ein solcher Sonderfall liegt hier jedoch nicht vor. Dem Grundsatz nach erfordert § 64 Abs. 1 Satz 1 FGO die Schriftform der Klage mit einer eigenhändigen Unterschrift des Prozeßbeteiligten oder seines Prozeßbevollmächtigten. Nach dem obengenannten Urteil des BFH III R 86/68 muß sich aus der innerhalb der Klagefrist eingegangenen Klageschrift nebst Anlagen ergeben, daß der bestimmende Schriftsatz mit Wissen und Willen des Verfassers bei Gericht eingereicht wurde. Nachträgliche Erklärungen hierzu heilen die Unwirksamkeit der Klageerhebung wegen fehlender eigenhändiger Unterschrift nicht. Im Streitfall lassen weder der Kopfbogen noch die von der GmbH auf den Steuerbevollmächtigten ausgestellte, der Klageschrift als Anlage beigefügte Prozeßvollmacht zweifelsfrei erkennen, daß die unterschriftslose Klage mit Wissen und Willen des Prozeßbevollmächtigten dem FG eingereicht wurde. Die Prozeßvollmacht der GmbH ergänzt nicht die unvollständige Klageschrift wie ein vom Prozeßbevollmächtigten selbst unterschriebenes, auf die Klageschrift bezogenes Begleitschreiben, so daß sich aus beiden zusammen nicht ergibt, daß die Klageschrift mit Wissen und Willen des Prozeßbevollmächtigten beim FG eingereicht wurde. Die Prozeßvollmacht ermächtigt den Steuerbevollmächtigten nur, Klage zu erheben, beinhaltet aber nicht die Klageschrift selbst. Sie ist kein unwiderlegbarer Beweis dafür, daß der nichtunterschriebene Schriftsatz die vom Prozeßbevollmächtigten verfaßte und nach seinem Willen einzureichende Klage ist. Die Unterschriften auf der Vollmacht sind im übrigen mit der des Steuerbevollmächtigten, auf dessen Kopfbogen die Klageschrift abgefaßt wurde, nicht gleichzusetzen, zumal beide Schriftstücke unterschiedliche Sachverhalte betreffen. Es fehlt damit bei der nichtunterschriebenen Klageschrift an der notwendigen sicheren Grundlage für einen vor Gericht zu führenden Rechtsstreit. Den Voraussetzungen des § 64 Abs. 1 FGO wurde daher im Streitfall nicht genügt.

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das FG ebenfalls mit Recht nicht stattgegeben. Nach § 56 FGO ist auf Antrag oder ggf. von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten bei der Einreichung der nichtunterschriebenen und deshalb wirkungslosen Klage hat die Klägerin nach ständiger Rechtsprechung gegen sich gelten zu lassen, desgleichen den damit zusammenhängenden verspäteten Eingang der den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Klageschrift.

Zutreffend hat das FG auch den Standpunkt der Klägerin nicht gebilligt, daß die Wiedereinsetzung allein schon deshalb zwingend geboten sei, weil der Vorsitzende des Gerichts nicht rechtzeitig auf die Nachholung der fehlenden Unterschrift hingewirkt habe. Eine solche Prüfungsund Mitteilungspflicht besteht nicht. § 65 Abs. 2 FGO sieht lediglich die Möglichkeit einer Ergänzung der Klageschrift vor, sofern sie nicht den Anforderungen des § 65 Abs. 1 FGO entspricht. Da ein Schriftsatz ohne eigenhändige Unterschrift keine Klageschrift darstellt und infolgedessen kein gerichtliches Verfahren in Gang setzt, brauchte der Vorsitzende nicht gemäß § 65 Abs. 2 FGO "den Kläger" zu einer Ergänzung aufzufordern (Hinweis auf BFH-Entscheidung III R 86/68, a. a. O.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 69434

BStBl II 1971, 397

BFHE 1971, 475

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