Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Der Handelsvertreter hat seinen Provisionsanspruch zu aktivieren, sobald das Geschäft durch den Geschäftsherrn ausgeführt ist. Dies gilt auch dann, wenn auf Grund besonderer Vereinbarungen der Provisionsanspruch mit den Zahlungen des Kunden verknüpft wird. Der Senat hält an den Grundsätzen des Urteils IV 206/55 U vom 29. November 1956 (BStBl 1957 III S. 234, Slg. Bd. 65 S. 1) fest. EStG §§ 5, 6 Abs. 1 Ziff. 2.

 

Normenkette

EStG §§ 5, 6/1/2

 

Gründe

Die vom Finanzgericht angeführte Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 206/55 U vom 29. November 1956 (BStBl 1957 III S. 234, Slg. Bd. 65 S. 1) hat die Frage, ob auch dort, wo der Handelsvertreter eine Provisionsforderung erst mit der Zahlung des Kunden hat, der Anspruch auf die Provision bereits mit der Ausführung des Geschäfts durch den Geschäftsherrn zu aktivieren sei, in eingehender Begründung bejaht. Im Urteil IV 335/59 S vom 17. Januar 1963 (BStBl 1963 III S. 257) hat der IV. Senat des Bundesfinanzhofs diese Rechtsauffassung erneut bestätigt. Der erkennende Senat ist der gleichen Meinung.

Es kommt für die Bilanzierung der Ansprüche aus schwebenden Verträgen entscheidend auf den Zeitpunkt der Vertragserfüllung an. Hierfür hat die Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs auf den Zeitpunkt abgestellt, zu dem der eine Vertragsteil seine Leistung bewirkt, der andere sie abgenommen hat (vgl. z. B. Urteil des Reichsfinanzhofs VI 744/38 vom 11. Januar 1939, RStBl S. 323; Entscheidung des Obersten Finanzgerichtshofs IV 62/49 vom 13. Januar 1950, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz, § 4, Rechtsspruch 9; Entscheidungen des Bundesfinanzhofs I 84/56 U vom 18. Dezember 1956, BStBl 1957 III S. 27, Slg. Bd. 64 S. 70; IV 226/58 S vom 28. Januar 1960, BStBl 1960 III S. 291, Slg. Bd. 71 S. 111). Die Abnahme der Leistung durch den anderen Vertragsteil läßt wirtschaftlich den rechtlich mit Vertragsabschluß ins Leben gerufenen Anspruch des Leistenden auf die Gegenleistung in einer Weise entstehen, die bei der im Bilanzsteuerrecht geltenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise dessen Aktivierung erfordert. Eine andere Frage ist, ob der Leistende noch mit Ansprüchen des anderen Vertragsteils aus gesetzlicher oder vertraglicher Gewährleistung zu rechnen hat. Das ernsthafte Drohen derartiger Ansprüche kann gegebenenfalls durch die Bildung eines Delkrederes bzw. durch die Bildung von Rückstellungen (z. B. Garantierückstellungen) berücksichtigt werden.

Nach den allgemeinen Bilanzierungsgrundsätzen für schwebende Verträge hat ein Kaufmann den Aufwand für die eigene Leistung, solange sie noch nicht abgenommen ist, in seiner Bilanz auszuweisen (siehe Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 510/53 U vom 25. August 1955, BStBl 1955 III S. 307, Slg. Bd. 61 S. 284). Besonders deutlich tritt das beim Warengeschäft in Erscheinung. Hat der Kunde abgenommen, so scheidet die Ware beim Lieferanten aus und ist beim Abnehmer bilanzierungspflichtig. An die Stelle der gelieferten Ware tritt dann beim Lieferanten der Gegenanspruch (bzw. beim Kunden die erhaltene Ware und die entsprechende Zahlungsverpflichtung). Die Vorgänge (einschließlich der Bewertung) sind nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen.

Im Fall des Provisionsanspruchs des Vermittlungsagenten erblickt die bisherige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs die Abnahme der Leistung des Agenten aus dem Agenturvertrag in der Ausführung des vermittelten Geschäfts durch den Geschäftsherrn. Hierdurch anerkennt der Geschäftsherr im Einzelfall, daß der Agent die ihm vertraglich obliegende Vermittlungstätigkeit ordnungsgemäß erfüllt hat. Genau genommen liegt die Leistungsabnahme durch den Geschäftsherrn schon darin, daß er den Vertrag mit dem Kunden abschließt. Es ist jedoch gerechtfertigt, die Aktivierungspflicht des Provisionsanspruchs des Agenten erst für den Zeitpunkt der Ausführung des Geschäfts durch den Geschäftsherrn zu bejahen. Bis zu diesem Zeitpunkt kann man den Provisionsanspruch wirtschaftlich als noch so vage betrachten, daß eine Aktivierungspflicht nicht angenommen werden muß. Hat aber der Geschäftsherr das vermittelte Geschäft ausgeführt, insbesondere die Ware an den Kunden geliefert, so besteht keine Veranlassung mehr, den Zeitpunkt der Aktivierungspflicht weiter hinauszuschieben. Man muß, wenn der Geschäftsherr in dieser Weise anerkennt, daß der Agent die ihm nach dem Agenturvertrag obliegende Leistung im wesentlichen ordnungsmäßig erbracht hat, auch davon ausgehen, daß er im Abschluß des Geschäfts und in der Lieferung an den Kunden auch insoweit kein nennenswertes Risiko mehr sieht, als es sich um die Bezahlung durch den Kunden handelt. Gerade das aber spricht deutlich dafür, daß hiermit der Geschäftsherr die Leistung des Agenten abgenommen hat.

Dieser Auffassung steht auch § 87a Abs. 1 HGB n. F. nicht entgegen. Hiernach hat der Handelsvertreter Anspruch auf Provision, sobald und soweit der Unternehmer das Geschäft ausgeführt hat. Es kann jedoch eine abweichende Vereinbarung getroffen werden. Unabhängig von einer solchen Vereinbarung hat der Handelsvertreter den Anspruch auf Provision aber spätestens, sobald und soweit der Dritte das Geschäft ausgeführt, insbesondere also der Kunde die gelieferte Ware bezahlt hat. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Vorschrift mehr den Charakter einer Fälligkeitsregelung oder aber den Charakter einer Regelung über den Zeitpunkt des Entstehens des Provisionsanspruchs des Handelsvertreters hat. Denn gemäß § 87 Abs. 1 HGB n. F. hat der Handelsvertreter einen Anspruch auf Provision für alle während des Vertragsverhältnisses abgeschlossenen Geschäfte, die auf seine Tätigkeit zurückzuführen sind, oder mit Dritten abgeschlossen werden, die er als Kunden der Geschäfte gleicher Art geworben hat. Damit kann gegen den hier für maßgeblich gehaltenen Zeitpunkt der Aktivierungspflicht nicht eingewendet werden, ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch auf die Provision des Handelsvertreters habe in diesem Zeitpunkt noch nicht bestanden. § 87a Abs. 1 HGB n. F. bestimmt lediglich noch, in welcher Weise die Leistungen des Handelsvertreters und die Leistungen des Geschäftsherrn dem Handelsvertreter gegenüber zeitlich miteinander verknüpft sind (vgl. hierzu auch die allgemeinen bürgerlich- rechtlichen Grundsätze der §§ 320 ff. BGB; § 614 BGB). Die bürgerlich-rechtliche Frage aber, von welchen Zeitpunkten ab der Handelsvertreter seinen Provisionsanspruch gegenüber dem Geschäftsherrn gegebenenfalls im Klagewege durchsetzen kann, und ob es sich bis zum Zeitpunkt der Zahlung durch den Kunden um einen aufschiebend bedingten, einen erst später fällig werdenden oder einen aus sonstigen Gründen in der Schwebe befindlichen Anspruch handelt, hat keinen entscheidenden Einfluß auf die Aktivierungspflicht des Anspruchs in der Bilanz. Wirtschaftlich kommt diesem Schwebezustand für den Regelfall keine größere Bedeutung zu, als im Verhältnis zwischen dem Geschäftsherrn und dem Kunden. Hier aber besteht kein Zweifel daran, daß der Geschäftsherr den Anspruch gegen den Kunden mit der Ausführung des Geschäfts dem Grunde nach zu aktivieren hat, gegebenenfalls unter Berücksichtigung gewisser Risiken bei der Bewertung des Anspruchs. Wirtschaftlich verändert sich die Lage des Handelsvertreters durch eine abweichende Vereinbarung im Sinne des § 87a Abs. 1 HGB n. F. nicht. Denn auch ohne sie hätte er keinen Anspruch auf Provision mehr, wenn der Kunde endgültig nicht bezahlt, § 87a Abs. 2 HGB n. F.

Man wird auch den Zusammenhang zwischen der Aktivierung des Provisionsanspruchs des Handelsvertreters und der Passivierung der Provisionsverpflichtung des Geschäftsherrn bei der Beantwortung dieser Frage nicht unbeachtet lassen können. Die Provisionsverbindlichkeit des Geschäftsherrn ist zu passivieren, wenn der Geschäftsherr den Gewinn aus dem Geschäft mit dem Kunden in seiner Bilanz durch Aktivierung der Kundenforderungen realisiert. (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs I 79/53 U vom 21. Juli 1953, BStBl 1953 III S. 247, Slg. Bd. 57 S. 646). Wenn in dieser Entscheidung auch von Rückstellungen für Provisionsverpflichtungen des Geschäftsherrn gesprochen wird, so handelt es sich gleichwohl um echte Schuldverbindlichkeiten, denen beim Gläubiger ein entsprechender Anspruch gegenübersteht.

Diese Auffassung steht auch nicht mit den im Urteil III 287/56 S vom 22. Februar 1957 (BStBl 1957 III S. 182, Slg. Bd. 64 S. 487) entwickelten Grundsätzen über den Abzug der Provisionsverpflichtung des Geschäftsherrn bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens in Widerspruch. Der III. Senat ist in dieser Entscheidung davon ausgegangen, daß der Provisionsanspruch des Handelsvertreters ebenso wie die Provisionsschuld des Geschäftsherrn aufschiebend bedingte Ansprüche und Verpflichtungen sind, solange die Bedingung, von der das Entstehen des Anspruchs und der Verpflichtung abhängt, nicht eingetreten ist. Aufschiebend bedingte Ansprüche und Verpflichtungen aber können nach §§ 4, 62 BewG nicht berücksichtigt werden. Für die Ertragsteuerbilanz ist entscheidend, daß auch ein aufschiebend bedingter Anspruch ein aktivierungspflichtiges Wirtschaftsgut sein kann, sobald er als solches im Einzelfall hinreichend konkretisiert erscheint.

 

Fundstellen

Haufe-Index 410725

BStBl III 1963, 256

BFHE 1963, 699

BFHE 76, 699

BB 1963, 594

DB 1963, 715

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