Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebseröffnung i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 DB-StÄndG (DDR)

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Betrieb ist i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 DB-StÄndG (DDR) erst eröffnet, wenn die Geschäftstätigkeit nach außen in Erscheinung tritt.

 

Orientierungssatz

Die einkommensteuerrechtliche Annahme der Eröffnung eines Gewerbebetriebs mit den ersten Vorbereitungshandlungen, die erkennbar darauf gerichtet sind, ein Gewerbe zu betreiben, kann auf § 9 Abs. 1 Satz 1 DB-StÄndG (DDR) nicht übertragen werden.

 

Normenkette

EStG § 58 Abs. 3; StRVÄndGDBest § 9 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

FG des Landes Brandenburg (Entscheidung vom 20.04.1994; Aktenzeichen 2 K 567/93 E)

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Ladengeschäft im Beitrittsgebiet, zu dessen Eröffnung sie sich im Sommer 1990 entschlossen hatte. Nachdem sie geeignete Räume gefunden hatte, führte sie umfangreiche Baumaßnahmen durch.

Als Beginn der gewerblichen Tätigkeit erklärte die Klägerin am 11. Dezember 1990 in dem Fragebogen zur steuerlichen Erfassung den Januar 1991. In der Umsatzsteuererklärung 1990 gab sie als Dauer der Unternehmereigenschaft den Zeitraum 1. Dezember bis 31. Dezember 1990 an; sie machte ausschließlich Vorsteuerbeträge geltend. Die Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für Dezember 1990 wies als Betriebseinnahmen einen Betrag von 1,75 DM aus. Die Klägerin beantragte in der Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs/des vortragsfähigen Gewerbeverlustes im Beitrittsgebiet 1990 den Steuerabzugsbetrag für neueröffnete Betriebe in Höhe von 10 000 DM, weil der Betrieb vom 1. Dezember 1990 an bestanden habe.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) gewährte den Steuerabzugsbetrag nicht, weil die Klägerin bis zum 31. Dezember 1990 keine nach außen in Erscheinung tretende Geschäftstätigkeit aufgenommen habe. Das FA wies den Einspruch gegen den Bescheid für natürliche Personen 1990 als unzulässig zurück, weil die Klägerin durch die Steuerrate von 0 DM nicht beschwert sei.

In der Einkommensteuererklärung 1991 machte die Klägerin unter Bezugnahme auf § 58 Abs. 3 EStG den Steuerabzugsbetrag für Betriebsneugründungen im Beitrittsgebiet erneut geltend. Das FA folgte dem nicht; es wies den Einspruch als unbegründet zurück.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1994, 884 veröffentlichten Urteil abgewiesen.

Mit der vom FG zugelassenen Revision rügen die Kläger Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 1 der Durchführungsbestimmung zum Gesetz zur Änderung der Rechtsvorschriften über die Einkommen-, Körperschaft- und Vermögensteuer (Steueränderungsgesetz) der DDR vom 16. März 1990 --DB-StÄndG (DDR)--. Sie tragen im wesentlichen vor, nach dem Steuerrecht der ehemaligen DDR sei der Begriff Neueröffnung eines Betriebs nicht dahin eingeschränkt gewesen, daß Vorbereitungshandlungen noch nicht als Eröffnung anzusehen seien. Mit Neueröffnung gleichzusetzen sei Neubeginn. Eine Tätigkeit beginne bereits mit der Ausführung der ersten Vorbereitungshandlungen. Aus dem Wortlaut des § 58 Abs. 3 EStG, der nicht mehr auf den Begriff Neueröffnung abstelle, sondern die Begründung einer Betriebsstätte in 1990 für die weitere Inanspruchnahme fordere, sei zu entnehmen, daß der Gesetzgeber die von § 9 Abs. 1 DB-StÄndG (DDR) begünstigten Steuerpflichtigen schon im Hinblick auf Vorbereitungshandlungen für die Aufnahme einer Geschäftstätigkeit habe entlasten wollen. Nach den Wertungen des Einkommen- und Umsatzsteuerrechts beginne die unternehmerische Tätigkeit bereits mit den ersten Vorbereitungshandlungen. Das Ziel des § 9 Abs. 1 DB-StÄndG (DDR), die Neueröffnung eines Betriebs finanziell zu stimulieren, würde bei Unternehmen, die zwangsläufig eine längere Vorbereitungsphase hätten, außer Betracht gelassen.

Die Kläger beantragen sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und ihrem Klageantrag entsprechend die Einkommensteuer 1991 auf 2 657 DM herabzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es trägt vor, die Vergünstigung sei eine Weiterführung ehemaliger DDR-Regelungen, welche erlassen worden seien, um eine bessere Versorgung der Bevölkerung zu erreichen. Dies sei aber nur möglich gewesen, wenn die Geschäfte eröffnet, also Leistungen für die Bevölkerung angeboten und erbracht worden seien. § 58 Abs. 3 EStG habe die Anwendung des § 9 Abs. 1 DB-StÄndG (DDR) nicht erweitert; es sei dadurch lediglich Kontinuität zum bisherigen Recht geschaffen worden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Sie wird nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückgewiesen.

Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, daß die Eröffnung des Gewerbebetriebs i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 DB-StÄndG (DDR) erst im Zeitpunkt der aktiven Beteiligung am Wirtschaftsleben anzunehmen ist.

Nach dieser Vorschrift wird bei Neueröffnung eines Handwerks-, Handels- oder Gewerbebetriebs dem Inhaber eine einmalige Steuerbefreiung für zwei Jahre, höchstens bis 10 000 Mark gewährt. Die Vorschrift ist gemäß § 58 Abs. 3 EStG für Steuerpflichtige weiter anzuwenden, die vor dem 1. Januar 1991 in dem in Art. 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet eine Betriebsstätte begründet haben, wenn sie von dem Tag der Begründung der Betriebsstätte an zwei Jahre lang die Tätigkeit ausüben, die Gegenstand der Betriebsstätte ist. Die Inanspruchnahme der Steuervergünstigung nach § 58 Abs. 3 EStG setzt --unabhängig davon, ob und welche Bedeutung der Begründung der Betriebsstätte im übrigen zukommt-- voraus, daß der Betrieb vor dem 1. Januar 1991 i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 DB-StÄndG (DDR) neu eröffnet worden ist.

Der Wortlaut dieser Vorschrift ist nicht eindeutig. Zwar läßt der mögliche Wortsinn die Auslegung zu, daß es sich bei der Eröffnung des Betriebs um die Zugänglichmachung für die Öffentlichkeit handelt. Ebenso kann Eröffnung des Betriebs aber auch dahin verstanden werden, daß ein Gewerbebetrieb begonnen, d.h. in Gang gesetzt wird. In diesem Sinne wird einkommensteuerrechtlich die Eröffnung des Gewerbebetriebs mit den ersten Vorbereitungshandlungen angenommen, die erkennbar darauf gerichtet sind, ein Gewerbe zu betreiben (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7. April 1992 VIII R 34/91, BFH/NV 1992, 797 und vom 9. Februar 1983 I R 29/79, BFHE 138, 63, BStBl II 1983, 451). Diese Beurteilung kann jedoch nicht auf § 9 Abs. 1 Satz 1 DB-StÄndG (DDR) übertragen werden. Die Vorschrift ist eine Steuerrechtsnorm der ehemaligen DDR. Trotz der weitgehenden Steuerrechtsangleichung kann bei der Auslegung der Vorschriften die andersartige Gesetzesentwicklung und Gesetzesteleologie nicht außer Betracht bleiben (vgl. BFH-Urteil vom 16. März 1994 I R 146/93, BFHE 175, 22, BStBl II 1994, 941). Wie vom FG zutreffend herausgestellt, spricht die Gesetzesentwicklung dagegen, bloße Vorbereitungshandlungen als Eröffnung des Betriebs i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 DB-StÄndG (DDR) anzusehen. Die Bestimmung ist aus nicht veröffentlichten Direktiven des Ministerrats der DDR hervorgegangen. Durch die Direktive zur Förderung der Leistungen des Kommissions- und privaten Einzelhandels vom 9. April 1976 (vgl. DATEV, Steuerrechtssammlung 1990 Bd.II Nr. 95) erhielten Bürger, die ein aufgegebenes Einzelhandelsgeschäft oder eine Gaststätte eröffneten oder übernahmen, vom Tag der Geschäftseröffnung für ein Jahr eine Steuerbefreiung von 10 000 Mark. Durch die Direktiven vom 29. März 1984 (DATEV, Steuerrechtssammlung 1990 Bd.II Nr. 96 und 97) wurde die Steuerbegünstigung auf Kleingewerbetreibende und Handwerksbetriebe erstreckt und auf zwei Jahre ausgedehnt. Ziel dieser Direktiven war, die Versorgung und gastronomische Betreuung der Bevölkerung zu verbessern. Die Steuerbefreiung wurde ab dem Tag der Aufnahme der handwerklichen oder gewerblichen Tätigkeit gewährt (vgl. Erläuterungen des Ministeriums der Finanzen vom 26. April 1994, DATEV, Steuerrechtssammlung 1990 Bd.II Nr. 98). Von diesem Zeitpunkt ist auch für die Eröffnung des Betriebs nach § 9 Abs. 1 Satz 1 DB-StÄndG (DDR) auszugehen, wenngleich die Vorschrift --im Gegensatz zu den Vorläuferregelungen-- nicht mehr bezweckt, die Versorgung der Bevölkerung durch Leistungen privater Betriebe zu verbessern. Durch § 9 Abs. 1 DB-StÄndG (DDR) soll vielmehr die Initiative gefördert werden, eine eigene Existenz zu gründen. Dies ergibt sich auch daraus, daß die Steuerbefreiung nicht nur Handwerks-, Handels- und Gewerbebetrieben zusteht, sondern auch bei Aufnahme einer hauptberuflichen selbständigen oder freiberuflichen Tätigkeit gewährt wird (§ 9 Abs. 1 Satz 3 DB-StÄndG --DDR--). Aufnahme bedeutet den unmittelbaren Beginn des Tätigwerdens, läßt bloße darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen nicht genügen. Auch dies spricht dafür, die Eröffnung des Betriebs erst bei einer nach außen in Erscheinung tretenden Geschäftstätigkeit anzunehmen. Insbesondere ist diese Auslegung des § 9 Abs. 1 Satz 1 DB-StÄndG (DDR) aber deshalb geboten, weil anderenfalls die Steuerbefreiung wegen ihrer Befristung auf zwei Jahre ab Betriebseröffnung in vielen Fällen nicht oder nur zum Teil in Anspruch genommen werden könnte; denn während der Vorbereitungszeit werden keine Einnahmen erzielt und während der Anlaufphase ist in der Regel nicht mit Gewinnen zu rechnen. Die Auslegung, nach der bloße Vorbereitungsmaßnahmen noch nicht als Betriebseröffnung gewertet werden, entspricht mithin dem Gesetzeszweck, Neugründungen von Betrieben steuerlich zu begünstigen.

Nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) entfaltete die Klägerin vor dem 1. Januar 1991 noch keine Tätigkeiten, die über das bloße Vorbereitungsstadium hinausgingen. Der Steuerabzugsbetrag nach § 58 Abs. 3 EStG i.V.m. § 9 Abs. 1 DB-StÄndG (DDR) steht ihr nicht zu.

 

Fundstellen

Haufe-Index 65366

BFH/NV 1995, 35

BStBl II 1995, 320

BFHE 176, 406

BFHE 1995, 406

BB 1995, 1119

BB 1995, 1119-1120 (LT)

DB 1995, 857 (L)

DStR 1995, 596 (KT)

DStZ 1995, 478-479 (KT)

HFR 1995, 324 (LT)

StE 1995, 235 (K)

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