Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsätzlich keine Wiedereinsetzung bei Irrtum über materielle Rechtslage

 

Leitsatz (NV)

Ein Irrtum über den Fortbestand einer Mitunternehmerschaft vermag die Versäumung der Frist für einen Investitionszulagenantrag dann nicht zu entschuldigen, wenn der Berater vor Fristablauf vom FA aufgefordert wurde, eine Übergangsbilanz zu erstellen.

 

Normenkette

InvZulG 1982 § 5 Abs. 3 Sätze 1, 3; AO 1977 § 110

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Arzt. Er wohnt in A und betreibt in B eine Praxis. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) ist das für die gesonderte Feststellung der Einkünfte des Klägers zuständige FA.

Am 1. April 1980 trat der Kläger in die bereits bestehende Praxis Dr. H ein, die von diesem Zeitpunkt an als Gemeinschaftspraxis auf der Grundlage einer später auch schriftlich festgehaltenen Vereinbarung fortgeführt wurde. Nach dem ,,Vertrag über die Errichtung und spätere Übernahme einer Gemeinschaftspraxis" vom 28. Februar 1981 brachte Dr. H zum 1. April 1980 ihre gesamte Praxiseinrichtung in die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) ein, während Neuanschaffungen allein zu Lasten des Klägers und in dessen Eigentum gehen sollten. Die Praxis sollte mit Inventar und Patientenkartei zum 1. Januar 1982 in das Eigentum des Klägers übergehen und Frau Dr. H ihre Tätigkeit für die Gemeinschaftspraxis einstellen; ihre Rechte und Pflichten sollten vom Kläger übernommen werden. In diesem Zusammenhang heißt es im Vertrag weiter: ,,Die Gesellschaft wird rechtsgeschäftlich allein von Dr. C (dem Kläger) vertreten. Mit Ausnahme der Verpflichtung zur Entrichtung der Beiträge zur erweiterten Honorarverteilung durch Herrn Dr. C bestehen keine weiteren gegenseitigen Ansprüche und Verpflichtungen unter den Vertragsparteien." Dr. H sollte in dem Monat aus der Gesellschaft ausscheiden, in dem sie die kassenärztlichen Versorgungsbezüge aus der erweiterten Honorarverteilung erhält.

Diesem Vertrag entsprechend schied Frau Dr. H zum 31. Dezember 1981 aus der Praxis aus, die vom Kläger daraufhin allein weitergeführt wurde. Da jedoch auch im Jahre 1982 noch Honorare aus der Praxisgemeinschaft eingingen, fertigte die Bevollmächtigte des Klägers für das Streitjahr 1982 noch eine Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung, die dem hierfür zuständigen FA B (B. S.) Anfang 1982 zugesandt wurde. Mit Schreiben vom 10. März 1983 wies dieses FA die Bevollmächtigte auf das Ausscheiden von Dr. H aus der Gemeinschaftspraxis hin und forderte eine Übergangsbilanz zum 31. Dezember 1981 an. Dieses Schreiben wurde dem Bevollmächtigten von Dr. H übergeben, der die Frage begutachten sollte, ob die Praxisgemeinschaft auch steuerlich noch über den 31. Dezember 1981 hinaus bis zum Eintritt der Frau Dr. H in die erweiterte Honorarverteilung fortbestanden habe.

Für seine Umbaumaßnahmen und Anschaffungen beantragte der Kläger durch seine Bevollmächtigte am 30. September 1983 im Namen der Praxisgemeinschaft eine Investitionszulage nach § 4 b des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1982 (Beschäftigungszulage). Der Antrag ging bei dem für die Besteuerung der Praxisgemeinschaft zuständigen FA B. S. ein, das der Bevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 4. Oktober 1983 mitteilte, die BGB-Gesellschaft könne die Investitionszulage nicht mehr beanspruchen, weil die Praxis zum 1. Januar 1982 auf den Kläger übergegangen sei. Die Bevollmächtigte des Klägers antwortete darauf, die Zweifelsfrage zum Fortbestand der Praxisgemeinschaft sei zwar noch nicht geklärt, es werde jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Das FA B. S. wies die Bevollmächtigte nunmehr darauf hin, daß ein Wiedereinsetzungs- und ein Investitionszulagenantrag bei dem für die Einzelpraxis zuständigen FA - dem Beklagten - zu stellen seien.

Die Bevollmächtigte des Klägers verwies darauf in ihrem Schreiben vom 25. November 1983 an das für die gesonderte Feststellung der Praxiseinkünfte des Klägers zuständige beklagte FA auf die dem FA B. S. eingereichten Unterlagen. Mit Bescheid vom 9. April 1984 lehnte das FA einen ,,vermeintlichen Antrag" des Klägers auf Gewährung der Investitionszulage mit der Begründung ab, ein Antrag, der den formellen Anforderungen des InvZulG entspreche, liege ebensowenig vor wie ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Mit Schreiben vom 13. April 1984 beantragte der Kläger dann bei dem FA die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Nach erfolglosem Vorverfahren hatte die Klage zum Finanzgericht (FG) Erfolg. Das FG entschied, daß die Investitionszulage zu gewähren sei. Das Schreiben der Bevollmächtigten des Klägers vom 25. November 1983 erfülle die Voraussetzungen eines wirksamen Antrags auf Gewährung einer Investitionszulage; wegen der Versäumung der Antragsfrist sei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Bevollmächtigte sei dem für die Fristversäumnis ursächlichen Rechtsirrtum erlegen, der Antrag auf Gewährung einer Investitionszulage habe für die Gesellschaft gestellt werden müssen.

Dagegen richtet sich die Revision, mit der das FA die Verletzung materiellen Rechts rügt (§ 119 der Abgabenordnung - AO 1977 -, § 5 Abs. 3 InvZulG 1982). Es ist der Auffassung, die Bevollmächtigte des Klägers habe schuldhaft, zumindest fahrlässig, die Anspruchsberechtigung verkannt, so daß der Antrag auf Gewährung einer Investitionszulage verspätet eingereicht worden sei. Im übrigen genüge das Schreiben der Bevollmächtigten vom 25. November 1983 auch den formellen Anforderungen an einen Investitionszulagenantrag nicht.

Das FA beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

1. Nach § 5 Abs. 3 Sätze 1 und 3 InvZulG 1982 kann der Antrag auf eine Investitionszulage nur innerhalb von neun Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres gestellt werden, in dem das Wirtschaftsjahr der Anschaffung oder der Anzahlung oder Teilherstellung endet. In dem Antrag sind die begünstigten Investitionen so genau zu bezeichnen, daß ihre Feststellung bei einer Nachprüfung möglich ist (§ 5 Abs. 3 Satz 4 InvZulG 1982). Die Antragsfrist ist, wie der Senat zu dem insoweit gleichlautenden § 3 Abs. 3 InvZulG 1969 entschieden hat, eine Ausschlußfrist, bei deren Versäumung die Vorschriften des auch im Investitionszulagenrecht geltenden § 110 AO 1977 anzuwenden sind (Urteil vom 7. November 1975 III R 164/73, BFHE 117, 518, BStBl II 1976, 225).

2. Das FG ist danach zutreffend davon ausgegangen, daß der Kläger die Frist zur Antragstellung versäumt hat; es hat jedoch zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt, denn die Voraussetzungen des § 110 AO 1977 sind im Streitfall nicht erfüllt.

a) Der Kläger hat innerhalb der nach § 5 Abs. 3 InvZulG vorgesehenen Frist keinen wirksamen Antrag auf Gewährung einer Investitionszulage gestellt. Der am 30. September 1983 beim FA eingegangene Antrag ist unstreitig im Namen der Praxisgemeinschaft gestellt worden. Eine zulageberechtigte Mitunternehmerschaft i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 18 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes - EStG - (vgl. hierzu Senatsurteil vom 25. März 1988 III R 121/82, BFH/NV 1988, 668) hat jedoch nach dem 31. Dezember 1981 nicht mehr bestanden. Ungeachtet des ,,Vertrags über die Errichtung und spätere Übernahme einer Gemeinschaftspraxis" zwischen dem Kläger und Frau Dr. H, wonach diese erst in dem Monat aus der Gesellschaft ausscheidet, in dem sie die kassenärztlichen Versorgungsbezüge aus der erweiterten Honorarverteilung erhält, konnte Frau Dr. H im Streitjahr weder Mitunternehmerinitiative entfalten noch trug sie ein Mitunternehmerrisiko. Auch insoweit stimmen die Beteiligten überein.

b) Zu Unrecht hat das FG jedoch angenommen, die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO 1977) lägen im Streitfall vor. Dabei kann offenbleiben, ob das Schreiben des Klägers an das FA vom 25. November 1983 und die darin enthaltene Bezugnahme auf die dem FA B. S. eingereichten Unterlagen den formellen Anforderungen des § 5 Abs. 3 InvZulG entspricht und somit als Nachholung der versäumten Handlung i. S. des § 110 Abs. 2 Satz 3 AO 1977 angesehen werden könnte. Jedenfalls war die Bevollmächtigte des Klägers nicht ohne Verschulden verhindert, die Frist für den Antrag auf Gewährung einer Investitionszulage einzuhalten. Entgegen der Auffassung des FG ist der Rechtsirrtum der Bevollmächtigten des Klägers über die Zulageberechtigung nicht entschuldbar. Der Kläger muß sich dieses Verschulden seines Vertreters zurechnen lassen (§ 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977).

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kann ein Irrtum über die materielle Rechtslage eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand grundsätzlich nicht rechtfertigen (Beschlüsse vom 9. Mai 1967 II B 3/67, BFHE 88, 541, BStBl III 1967, 472, und vom 17. November 1970 II R 121/70, BFHE 100, 409, BStBl II 1971, 143, jeweils mit weiteren Nachweisen). Ein Rechtsirrtum und die dadurch bewirkte Fristversäumnis können jedoch ausnahmsweise unverschuldet sein, wenn die Rechtslage in hohem Maße unsicher ist und die Frist versäumt wird, weil es der Betroffene aufgrund rechtlich vertretbarer Erwägungen unterläßt, einen Rechtsbehelf fristgerecht einzulegen (BFH-Urteil vom 20. Juni 1985 IV R 17/83, BFH/NV 1987, 343).

bb) Eine solche Ausnahme liegt im Streitfall nicht vor. Der Kläger hat seinen antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Zweifeln zur Frage des Fortbestandes der BGB-Gesellschaft begründet. Die Bevollmächtigte des Klägers hat bei Beurteilung dieser Frage jedoch die nach den Umständen sowie den persönlichen Verhältnissen gebotene und ihr zuzumutende Sorgfalt außer acht gelassen. Dabei mag dahinstehen, ob von ihr als Steuerbevollmächtigter verlangt werden konnte, daß sie nach Prüfung des Gesellschaftsvertrags bereits vor Ablauf der Frist zur Stellung des Investitionszulagenantrags zu dem Ergebnis hätte gelangen können, daß im Streitjahr eine antragsberechtigte Mitunternehmerschaft nicht mehr bestanden hat. Jedenfalls hätten solche Zweifel spätestens im März 1983, nach dem Schreiben des FA B. S. vom 10. März 1983, einen Steuerbevollmächtigten dazu veranlassen müssen, den Antrag auf Gewährung einer Investitionszulage für den Kläger persönlich zu stellen, zumindest aber eine Auskunft der Finanzbehörde einzuholen oder aber - ohne zusätzliche Kosten zu verursachen und um sicherzugehen - den Antrag sowohl für die Gesellschaft als auch für den Kläger persönlich einzureichen.

cc) Der für die verspätete Antragstellung ursächliche Rechtsirrtum ist auch nicht deshalb entschuldbar, weil er durch ein Verhalten der Behörde veranlaßt worden sein könnte. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz haben das FA B. S. und das beklagte FA weder eine Unterlassung begangen, die den Kläger oder seine Bevollmächtigte in der Überzeugung stärken konnte, die Gesellschaft sei zulageberechtigt, noch haben sie durch ihre Äußerungen diesen Irrtum gefördert. Aus dem Schreiben des FA B. S. vom 10. März 1983, womit eine Übergangsbilanz auf den 31. Dezember 1981 angefordert wurde, und aus dem die neue Steuernummer mitteilenden Schreiben des beklagten FA vom 17. März 1983 konnte vielmehr nur der Schluß gezogen werden, daß jedenfalls die Finanzbehörde davon ausging, daß im Streitjahr eine investitionszulageberechtigte Mitunternehmerschaft nicht mehr bestanden hat.

3. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif, die Klage abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 416837

BFH/NV 1990, 530

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