Leitsatz (amtlich)

Bei der Beurteilung des tatsächlichen Zustands eines Grundstücks sind änderungen der baupolizeilichen Bestimmungen und änderungen der Verkehrsverhältnisse zu beachten.

Erstes Gesetz über die Neuordnung der Vermögensbesteuerung in Berlin vom 29. Dezember 1950

 

Normenkette

VBestG 4/2/2

 

Tatbestand

Streitig ist die berichtigte Fortschreibung des Einheitswertes für das Grundstück des Beschwerdeführers (Bf.) auf den 1. Januar 1946. Das auf dem Grundstück vorhanden gewesene Gebäude ist im Krieg völlig zerstört worden. Der Einheitswert 1935 für das bebaute Grundstück betrug 87.500 RM. Bei der Wertfortschreibung ist nur der Grund und Boden bewertet worden. Er wurde vom Finanzamt zunächst mit 48 RM je qm bewertet, wobei das Finanzamt mangels anderer Unterlagen von den Stoppreisen 1936 ausging. Danach fand das Finanzamt den Schätzungsbogen der ehemaligen Steuerdeputation des Magistrats für das Grundstück des Bf., aus dem sich ergab, daß der Vorkriegsbodenwert in der Veranlagungsperiode 1911 bis 1913 für die Ergänzungssteuer mit 360 Mark je qm angenommen worden war. Daraufhin berichtigte das Finanzamt den ersten, vom Bf. angefochtenen Fortschreibungsbescheid, wobei das Finanzamt einen Abschlag von 60 v. H. von 360 Mark zuließ, somit einen qm-Preis von rund 140 RM zugrunde legte. Der fortgeschriebene Einheitswert ergab danach bei einer Grundstücksfläche von 4,41 ar 61.700 RM für den 1. Januar 1946. Der Bf. bekämpft diesen Wert. Die Bodenwerte hätten in der betreffenden Gegend auch vor dem ersten Weltkrieg unter 360 Mark je qm gelegen. Außerdem seien sie in der Folgezeit, insbesondere unter den nach dem letzten Krieg bestehenden Verhältnissen, tiefer gesunken, als in dem zugelassenen Abschlag zum Ausdruck komme. Es sei auch zu berücksichtigen, daß das Grundstück nach den baupolizeilichen Bestimmungen nicht mehr mit einem so hohen Gebäude wie früher bebaut werden dürfe. Einspruch und Berufung sind erfolglos geblieben.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde (Rb.) ist begründet.

Die Zuständigkeit des Bundesfinanzhofs ergibt sich aus § 8 des Gesetzes über die Stellung des Landes Berlin im Finanzsystem des Bundes (III. überleitungsgesetz) vom 3. Januar 1952 (Bundesgesetzblatt - BGBl. - I S. 1, Gesetz- und Verordnungsblatt - GVBl. - für Berlin S. 394) in Verbindung mit Art. III des Gesetzes zur übernahme des III. überleitungsgesetzes vom 12. Juni 1952 (GVBl. für Berlin S. 393). Gegen die Berichtigung der Wertfortschreibung bestehen allerdings keine Bedenken. Die Auffindung des Schätzungsbogens (vgl. § 24 des Preußischen Ergänzungssteuergesetzes vom 14. Juli 1893, Gesetzsammlung S. 134, sowie Art. 32 der Anweisung des Finanzministers vom 6. Juli 1900 zur Ausführung des Ergänzungssteuergesetzes, Gesetzsammlung S. 134) stellt ein neues Beweismittel dar, das eine höhere Bewertung rechtfertigt. Zutreffend ist ferner, daß für die Wertfortschreibung die Wertverhältnisse vom 1. Januar 1935 und die tatsächlichen Verhältnisse des Grundstücks vom Fortschreibungszeitpunkt maßgebend sind (Art. IV § 2 Abs. 2 des Ersten Gesetzes über die Neuordnung der Vermögensbesteuerung in Berlin vom 29. Dezember 1950, Verordnungsblatt für Berlin 1951 Teil I S. 26 ff.). Schließlich ist auch die Ableitung des Bodenwertes aus den Vorkriegswerten 1913 und die Minderung dieser Werte im Verhältnis des Mietrückgangs nach ständiger Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (vgl. Urteil des Reichsfinanzhofs III 343/37 vom 13. Oktober 1938, Reichssteuerblatt - RStBl. - 1938 S. 1138) grundsätzlich anzuerkennen. Die zum Ausgleich der Wertminderung für Berlin zugelassenen Abschläge von den Vorkriegswerten beruhen auf Ermittlungen des Landesfinanzamts Berlin im Einvernehmen mit den Katasterämtern in Berlin und dem ehemaligen Zentralvermessungsamt der Stadt Berlin, die auf Grund zahlreicher Vergleichsfälle durchgeführt wurden. Danach ist der Bodenwert, wenn die Mietsenkungen nicht mehr als 30 v. H. der Friedensmiete betragen, mit 50 v. H. des Vorkriegsbodenwertes anzusetzen, bei Absinken der Friedensmieten um mehr als 30 v. H. ist der Bodenwert bis auf 30 v. H. des Vorkriegswertes zu ermäßigen. Das Finanzamt hat im Streitfall einen Abschlag von 60 v. H. des Friedensbodenwertes für das Grundstück des Bf. zugelassen. Es fragt sich, ob damit alle nach dem letzten Krieg gegebenen wertmindernden Umstände ausreichend berücksichtigt sind, wobei auch tatsächliche Umstände zu beachten sind, die gegebenenfalls im Mietrückgang nicht oder nicht ausreichend zum Ausdruck kommen. Das im Berufungsverfahren gehörte Landesfinanzamt hat hierzu ausgeführt: "Die Mietsenkung im vorliegenden Falle lag in der in Betracht kommenden Gegend unter 30 v. H., so daß der Grund- und Bodenwert mit 50 v. H. des Friedensbodenwertes anzusetzen wäre. Der Friedensbodenwert des Streitgrundstücks lag nach dem inzwischen aufgefundenen Schätzungsbogen bei 360 Mark je qm 50 v. H. dieses Wertes würden mithin 180 DM bzw. RM ergeben. Das Finanzamt hat jedoch der inzwischen eingetretenen änderung der allgemeinen tatsächlichen Verhältnisse in der hier in Betracht kommenden Gegend Rechnung getragen und zugunsten des Rechtsmittelführers einen angemessenen Abschlag von diesem Werte vorgenommen. Es hat den Fall so behandelt, als wäre eine Minderung der Friedensmiete um 50 v. H. anzunehmen, und ist somit zu einer Feststellung von rund 40 v. H. des Bodenwertes gelangt." Eine Begründung dafür, daß der erhöhte Abschlag von 60 v. H. anstatt 50 v. H. des Friedensbodenwertes eine angemessene Berücksichtigung der inzwischen, also auch nach dem letzten Krieg eingetretenen änderungen der tatsächlichen Grundstücksverhältnisse in der hier in Betracht kommenden Gegend darstellt, ist weder in der Stellungnahme des Landesfinanzamts noch in der angefochtenen Entscheidung enthalten. Das Verwaltungsgericht hat sich lediglich mit dem Einwand des Bf. auseinandergesetzt, daß nach den baupolizeilichen Bestimmungen auf dem Grund und Boden gegenwärtig (d. h. wohl auch nach den Verhältnissen vom 1. Januar 1946) nicht mehr ein so hohes Gebäude errichtet werden dürfe wie früher, und daß dieser Umstand als wertmindernd bei der Bewertung des Grund und Bodens angesehen werden müsse. Die angefochtene Entscheidung hat dies mit der Begründung verneint, daß änderungen der Bestimmungen über die Bebauung eines Grundstücks nichts mit dem tatsächlichen Zustand des Grundbesitzes (Bestand, bauliche Verhältnisse usw.) zu tun hätten, der gemäß Art. IV § 2 (2) des oben erwähnten Gesetzes vom 29. Dezember 1950 für die Wertfortschreibung maßgebend wäre. Die genannte Vorschrift müsse eng ausgelegt werden. Die Worte "bauliche Verhältnisse" bezögen sich nur auf den Grad der Zerstörung oder Abnutzung eines Gebäudes, nicht jedoch auf allgemeine Veränderungen wie eine neue Bauordnung oder Veränderung der Verkehrsverhältnisse. Würde man auch Veränderungen der allgemeinen Verhältnisse bei der Wertfortschreibung berücksichtigen, so würde sich die Wertfortschreibung kaum noch von einer Hauptfeststellung unterscheiden. Der Senat vermag diesen Ausführungen nicht beizutreten. Maßgebend für die Bewertung des Grund und Bodens sind dessen tatsächlicher Zustand am Wertfortschreibungszeitpunkt und die Wertverhältnisse vom 1. Januar 1935.

Wenn am 1. Januar 1935 der Grund und Boden z. B. mit einem sechsstöckigen Haus bebaut war oder bebaut werden durfte, am Fortschreibungszeitpunkt vom 1. Januar 1946 jedoch auf demselben Grund nur ein Gebäude von vier Stockwerken errichtet werden konnte, so ist dies ein Umstand, der die tatsächlichen Verhältnisse der zu bewertenden Parzelle berührt und insoweit als tatsächlicher Umstand anzusprechen ist. Nach der vom Verwaltungsgericht vertretenen Auffassung müßte auch ein absolutes Bauverbot unberücksichtigt bleiben, was offenbar nicht zutreffen könnte. Auch veränderte Verkehrsverhältnisse fallen unter änderungen der tatsächlichen Verhältnisse (zu vgl. aus Fortschreibungsgesetz vom 10. März 1949 § 2 Abs. 3 a, b und Erlaß des Direktors der Verwaltung für Finanzen des Vereinigten Wirtschaftsgebietes vom 5. September 1949 Ziff. 6 d Abs. 2, 3, Steuer- und Zollblatt - StuZBl. - 1949 S. 109 bzw. 359/360). Für eine die Berücksichtigung solcher Umstände ausschließende enge Auslegung des Art. IV § 2 (2) des Gesetzes vom 29. Dezember 1950 ist kein ausreichender Grund erkennbar.

Wegen dieser Mängel waren die angefochtene Entscheidung und die ihr zugrunde liegende Einspruchsentscheidung aufzuheben. Die Sache wird, und zwar zweckmäßig an das Finanzamt, zurückverwiesen. Dieses hat im Sinne der vorstehenden Ausführungen nochmals näher zu prüfen, ob die inzwischen besonders durch den letzten Krieg hervorgerufenen, am 1. Januar 1946 bestehenden tatsächlichen Verhältnisse durch den Ansatz von 40 v. H. anstatt 50 v. H. des Friedensbodenwertes ausreichend berücksichtigt worden sind. Zu den als wertmindernd zu berücksichtigenden Umständen tatsächlicher Art gehört auch die vom Bf. behauptete änderung der baupolizeilichen Vorschriften, sofern eine solche tatsächlich in der Zeit seit dem letzten Hauptfeststellungszeitpunkt eingetreten ist.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407531

BStBl III 1953, 5

BFHE 1954, 10

BFHE 57, 10

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