Entscheidungsstichwort (Thema)

Kosten medizinischer Hilfsmittel als außergewöhnliche Belastung -- Nachweisanforderungen

 

Leitsatz (NV)

1. Kosten für die Anschaffung von medizinischen Hilfsmitteln im weiteren Sinne sind nur dann außergewöhnliche Belastungen, wenn die medizinische Notwendigkeit ihrer Anschaffung durch eine vor der Anschaffung ausgestellte, Unvoreingenommenheit verbürgende sachverständige Stellungnahme nachgewiesen wird.

2. Medizinische Hilfsmittel in diesem weiteren Sinne sind solche Gegenstände, die nach der Lebenserfahrung nicht nur von Kranken zur Heilung ihrer Krankheit oder zur Linderung der durch ihre Krankheit verursachten Beschwerden, sondern mitunter auch von gesunden Menschen angeschafft werden (ständige Rechtsprechung).

3. Der krankheitsbedingte Bedarf für einen besonders gestalteten Gegenstand der allgemeinen Lebensführung und die Mehrkosten eines solchen Gegenstandes sind für die Abgrenzung einer außergewöhnlichen Belastung von den steuerlich irrelevanten sonstigen Kosten der Lebensführung ungeeignet.

 

Normenkette

EStG § 33

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) leidet an Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule und ist zu 50 % in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert. In seiner Einkommensteuererklärung 1992 (Streitjahr) machte er die Kosten für die Anschaffung einer Liege (229 DM) und eines mit einem elektrischen Steuergerät ausgestatteten Sessels (3 033 DM) als außergewöhnliche Belastungen nach §33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) erkannte die Aufwendungen jedoch nicht als steuermindernd an.

Das Finanzgericht (FG) hat der hiergegen erhobenen Klage durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte 1997, 1189 veröffentlichte Urteil stattgegeben. Hiergegen richtet sich die vom erkennenden Senat zugelassene Revision des FA.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision des FA zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet und führt zu Abweisung der Klage (§126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Das Urteil des FG verletzt §33 EStG.

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats sind Kosten für die Anschaffung von medizinischen Hilfsmitteln im weiteren Sinne nur dann als außergewöhnliche Belastung nach der vorgenannten Vorschrift zu berücksichtigen, wenn die medizinische Notwendigkeit ihrer Anschaffung durch ein vor der Anschaffung ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Gutachten, also eine Unvoreingenommenheit verbürgende sachverständige Stellungnahme (vgl. Urteil des Senats vom 14. August 1997 III R 67/96, BFHE 183, 561, BStBl II 1997, 732), nachgewiesen wird. Medizinische Hilfsmittel in diesem weiteren Sinne sind solche Gegenstände, die nach der Lebenserfahrung nicht nur von Kranken zur Heilung ihrer Krankheit oder zur Linderung der durch die Krankheit verursachten Beschwerden, sondern mitunter auch von gesunden Menschen angeschafft werden, um ihre Gesundheit zu erhalten oder ihren Lebenskomfort zu steigern. Nur bei der Anschaffung von Hilfsmitteln, die, wie Brillen, Hörapparate und Rollstühle, nach der Lebenserfahrung ausschließlich von Kranken angeschafft werden und bei denen häufig eine Anpassung an die individuellen Gebrechen des Steuerpflichtigen erforderlich ist (medizinische Hilfsmittel im engeren Sinne), kann typisierend davon ausgegangen werden, daß ihr Kauf medizinisch indiziert ist und deshalb auf eine Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde nach mit Hilfe der vorgenannten Aufklärungsmittel verzichtet werden kann (Urteil des Senats vom 9. August 1991 III R 54/90, BFHE 165, 272, BStBl II 1991, 920).

Bei dem vom Kläger angeschafften Sessel und bei der Liege handelt es sich nicht um solche medizinischen Hilfsmittel im engeren Sinne. Das FG hat den Sessel allerdings sinngemäß deshalb als medizinisches Hilfsmittel im engeren Sinne angesehen, weil der Kläger, nicht aber ein Gesunder einen solchen Sessel benötige und weil ein Gesunder die Mehrkosten für die Anschaffung eines Sessels daher nicht aufwenden würde. Diese vom FG für wesentlich und ausreichend erachteten Kriterien -- der krankheitsbedingte Bedarf für einen besonders gestalteten Gegenstand der allgemeinen Lebensführung und (von einem Gesunden angeblich gescheute) Mehrkosten eines solchen Gegenstandes -- sind indes für die Abgrenzung einer außergewöhnlichen Belastung von den steuerlich irrelevanten sonstigen Kosten der Lebensführung ungeeignet (zur Frage, ob solche Mehrkosten für sich genommen außergewöhnliche Belastungen sein könnten, vgl. Urteil des Senats vom 10. Oktober 1996 III R 209/94, BFHE 182, 333, BStBl II 1997, 491). Die vom FG zugrunde gelegten Abgrenzungsmerkmale entsprechen auch nicht der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats, von der abzuweichen um so weniger Anlaß besteht, als das FG keine Gründe angegeben hat, weshalb es meint, von anderen Rechtsgrundsätzen ausgehen zu müssen.

Das Urteil des FG ist mithin aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen. Die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen sind keine außergewöhnlichen Belastungen i. S. des §33 EStG.

Das FG hat keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, aus denen sich Anhaltspunkte dafür entnehmen ließen, daß es sich bei dem Sessel um einen Gegenstand handelt, bei dem nach der Lebenserfahrung auszuschließen ist, daß er auch von gesunden Menschen angeschafft wird, etwa weil er seiner objektiven Beschaffenheit nach nur von Kranken sinnvoll genutzt werden kann. Es gibt keinen Satz der Lebenserfahrung, daß nur Kranke einen relativ teuren und mit verstellbarer Lehne und verstellbarem Sitz ausgestatteten Sessel anschaffen. Entgegen der Auffassung des Klägers kommt es auf die tatsächliche Nutzung des betreffenden Gegenstandes nicht an. Denn abgesehen davon, daß diese vom FA nicht zuverlässig festgestellt werden könnte, besagt sie nichts darüber, ob es sich um einen Gegenstand handelt, den der Kläger allein aufgrund seiner Krankheit anzuschaffen genötigt war und dessen Kosten deshalb als zwangsläufige außergewöhnliche Aufwendungen berücksichtigt werden können, oder ob die Anschaffung des Sessels mehr als unwesentlich auch durch Erfordernisse seiner allgemeinen Lebensführung und seine diesbezüglichen Bedürfnisse und Wünsche veranlaßt ist. Für die Liege gilt das gleiche.

 

Fundstellen

Haufe-Index 66416

BFH/NV 1998, 571

HFR 1998, 462

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