Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindung an Zulassung der Revision; Erweiterung des Prüfungszeitraums bei Verdacht einer Steuerstraftat; Ermittlungszuständigkeit bei Verdacht einer Steuerstraftat

 

Leitsatz (NV)

1. Hat das FG die Revision zugelassen, so ist der BFH an diese Entscheidung grundsätzlich gebunden.

2. Es steht im Ermessen des FA, in welchem sachlichen und zeitlichen Umfang eine Außenprüfung angeordnet wird. Bei der Ausübung des Ermessens hat das FA die BpO (St) zu beachten. Über den hiernach geltenden zeitlichen Rahmen hinaus kann das FA den Prüfungszeitraum bei Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit auch auf weiter zurückliegende Abschnitte erstrecken.

3. Zur Ermittlung der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse eines Steuerpflichtigen, die für die Steuerpflicht und die Bemessung der Steuer maßgebend sind, ist auch bei Verdacht einer Steuerstraftat die Anordnung einer Außenprüfung zulässig; für Ermittlungen im Zusammenhang mit einer Steuerstraftat ist nicht ausschließlich die Steuerfahndung zuständig.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 1; AO 1977 § 173 Abs. 2, § 193 Abs. 1, § 199 Abs. 1, §§ 208, 386 Abs. 1; BpO (St) § 4 Abs. 2

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt ein Dentallabor. Durch Verfügung vom 9. Mai 1984 ordnete der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) eine steuerliche Betriebsprüfung bei der Klägerin für die Jahre 1980 bis 1982 an. Der Prüfer stellte fest, daß die Klägerin Edelmetallabfälle (Schleifstaub in Form von Spänen und Resten) an Scheidgut-Anstalten geliefert und hierfür Feingold eingetauscht hatte. Nach Ansicht des Prüfers wurden hierbei Erlöse aus den Goldabfällen nicht erfaßt und infolgedessen Steuern verkürzt.

Am 13. August 1984 wurde gegen die Klägerin wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung betreffend die Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer für die Jahre 1978 bis 1982 ein Steuerstrafverfahren eingeleitet. Zum gleichen Zeitpunkt erweiterte das FA bezüglich der Einkommensteuer, Umsatzsteuer, Vermögensteuer und Gewerbesteuer den Prüfungszeitraum auf die Jahre 1978 und 1979 und bezüglich der Feststellung der Einheitswerte des Betriebsvermögens auf die Stichtage 1. Januar 1979 und 1. Januar 1980.

Die Beschwerde gegen die Erweiterung des Prüfungszeitraums hatte teilweise Erfolg. Die Oberfinanzdirektion (OFD) führte aus, für die Jahre 1978 und 1979 habe bereits früher bei der Klägerin eine Betriebsprüfung stattgefunden. Die Bescheide, die aufgrund dieser Außenprüfung ergangen seien, unterlägen einer erhöhten Bestandskraft. § 173 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) lasse eine Änderung von Bescheiden, die aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind, nur insoweit zu, als eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliege. Demgemäß müsse in solchen Fällen der sachliche Umfang der Betriebsprüfung auf den steuerstrafrechtlich relevanten Bereich beschränkt werden. In die Prüfung könnten demnach im Streitfall nur solche Geschäftsvorfälle einbezogen werden, die mit dem An- und Verkauf von Edelmetallen und deren Verwertung bzw. Rückgewinnung in Zusammenhang stehen.

Das Finanzgericht (FG) hob die Anordnung der Erweiterung des Prüfungszeitraums durch das FA sowie die dazu ergangene Beschwerdeentscheidung der OFD ersatzlos auf. Nach Auffassung des FG hätte die Erweiterung des Prüfungszeitraums auf die Jahre 1978 und 1979 im Rahmen des allgemeinen Besteuerungsverfahrens nicht mehr angeordnet werden dürfen. Die Durchbrechung der Bestandskraft der für die Jahre 1978 und 1979 ergangenen Bescheide gemäß § 173 Abs. 2 AO 1977 setze das Vorliegen einer Steuerstraftat bzw. einer Steuerordnungswidrigkeit voraus. Die hierzu festzustellenden Besteuerungsgrundlagen könnten nur im Rahmen der Erforschung der Straftat bzw. der Steuerordnungswidrigkeit ermittelt werden. Dazu sei ausschließlich die Steuerfahndung berufen; die Anordnung einer ,,normalen Außenprüfung" gemäß §§ 193, 196 AO 1977 sei dagegen insoweit unzulässig (FG Nürnberg, Urteil vom 7. Februar 1985 IV 166 /83, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1985, 323).

Mit der - vom FG gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassenen - Revision rügt das FA die Verletzung der §§ 193 und 194 AO 1977.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig. Nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) findet die Revision abweichend von § 115 Abs. 1 FGO nur statt, wenn das FG oder der Bundesfinanzhof (BFH) - auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung - sie zugelassen hat. Hat das FG die Zulassung der Revision ausgesprochen, so ist der BFH - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht berechtigt, die Zulassungsentscheidung darauf zu überprüfen, ob das FG zu Recht das Vorliegen eines Zulassungsgrundes bejaht hat. Der BFH ist an die Zulassung selbst dann gebunden, wenn das FG eine sachlich falsche Entscheidung getroffen hat (BFH-Urteil vom 18. Oktober 1983 VI R 180/82, BFHE 139, 518, BStBl II 1984, 110). Diese Bindung entfällt nach der Rechtsprechung ausnahmsweise nur dann, wenn die Zulassung ,,offensichtlich gesetzeswidrig" ist (BFH-Urteil vom 22. Juni 1979 VI R 85 /76, BFHE 128, 236, BStBl II 1979, 660). Für die Annahme einer offensichtlich gesetzeswidrigen Zulassung haben im Streitfall indessen keine Anhaltspunkte vorgelegen.

Die Revision ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Dem FG kann nicht darin gefolgt werden, daß die Anordnung einer Prüfungserweiterung im Wege einer ,,normalen Außenprüfung" unter den gegebenen Umständen unzulässig ist. Die erweiternde Prüfungsanordnung vom 13. August 1984 ist vielmehr rechts- und ermessensfehlerfrei.

1. Gesetzliche Grundlage für die Anordnung einer Außenprüfung bei Steuerpflichtigen, die einen gewerblichen Betrieb unterhalten, ist die Vorschrift des § 193 Abs. 1 AO 1977. Bei dem dort genannten Personenkreis ist ,,eine Außenprüfung . . . zulässig", ohne daß das Gesetz deren Anordnung von weiteren Voraussetzungen abhängig macht (BFH-Urteil vom 2. September 1988 III R 280/84, BFHE 154, 425, BStBl II 1989, 4). Macht das FA von der Prüfungsmöglichkeit des § 193 Abs. 1 AO 1977 Gebrauch, so kann es in einer schriftlich zu erteilenden Prüfungsanordnung den (sachlichen und zeitlichen) Umfang der Außenprüfung bestimmen (§ 196 AO 1977).

In welchem Umfang im Einzelfall eine - gesetzlich zulässige - Prüfung anzuordnen ist, ist eine Ermessensfrage (BFH-Urteil vom 10. Februar 1983 IV R 104/79, BFHE 137, 404, BStBl II 1983, 286). Die Finanzverwaltung hat bei der Ausübung dieses Ermessens die Allgemeine Verwaltungsvorschrift für die Betriebsprüfung (Betriebsprüfungsordnung - Steuer -) - BpO (St) - (im Streitfall i. d. F. vom 27. April 1978, BStBl I 1978, 195) zu beachten. Hiernach soll der Prüfungszeitraum bei anderen Betrieben als Großbetrieben nicht über die letzten drei Besteuerungszeiträume, für die vor Bekanntgabe der Prüfungsanordnung Steuererklärungen abgegeben wurden, zurückreichen. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Verdacht einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit besteht - § 4 Abs. 2 BpO (St) -; in einem solchen Fall kann sich der Prüfungszeitraum auch auf weiter zurückliegende Abschnitte erstrecken.

Im Streitfall haben die Voraussetzungen für eine Erweiterung des Prüfungszeitraums nach § 4 Abs. 2 BpO (St) vorgelegen. Denn nach den in der Beschwerdeentscheidung der OFD wiedergegebenen Ermittlungsergebnissen besteht eine ausreichend große Wahrscheinlichkeit für die Möglichkeit, daß die Klägerin in den Jahren 1978 und 1979 durch das Nichterfassen von Erlösen aus Goldabfällen Steuerstraftaten begangen hat.

2. Die Auffassung des FG, zur Überprüfung der die Zeiträume 1978 und 1979 betreffenden Bescheide gegen die Klägerin sei im Rahmen einer ,,normalen Außenprüfung" nicht zulässig, ist unzutreffend.

a) Die Auffassung des FG läßt sich nicht damit begründen, daß für Ermittlungen im Zusammenhang mit einer Steuerstraftat ausschließlich die Steuerfahndung zuständig sei. Bei Verdacht einer Steuerstraftat ist es Aufgabe der Finanzbehörde, den Sachverhalt zu ermitteln (§ 386 Abs. 1 Satz 1 AO 1977); Finanzbehörde in diesem Sinne ist u. a. auch das FA (§ 386 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Mit welchen Mitteln und auf welche Weise das FA seiner Ermittlungspflicht in einem solchen Fall nachkommt, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit und der Praktikabilität. Dabei schließen sich die Zuständigkeiten für die Außenprüfung (§ 193 AO 1977) und für die Steuerfahndung (§ 208 AO 1977) nicht gegenseitig aus (BFH-Urteil vom 4. November 1987 II R 102/85, BFHE 151, 324, BStBl II 1988, 113). Der Außenprüfer hat einerseits die Aufgabe, die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen zu prüfen, die für die Steuerpflicht und die Bemessung der Steuer maßgebend sind (vgl. § 199 Abs. 1 AO 1977); andererseits hat er aber auch die Pflicht, bei Verdacht einer Steuerstraftat die Strafverfolgung aufzunehmen und ein Verfahren einzuleiten (vgl. §§ 386 Abs. 1 und 2, 385 AO 1977 i. V. m. § 152 der Strafprozeßordnung - StPO -). Zum Aufgabenbereich des Außenprüfers gehört deshalb auch die Ermittlung steuerstrafrechtlich relevanter Sachverhalte. Nach Einleitung des Steuerstrafverfahrens tritt lediglich insofern eine Änderung in den Befugnissen des Außenprüfers ein, als ihm die im Rahmen des Besteuerungsverfahrens eingeräumten Zwangsmittel (§§ 328 ff. AO 1977) nicht mehr zustehen (§ 393 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Außerdem hat der Außenprüfer § 9 BpO (St) zu beachten.

b) Hiernach hat das FG im Streitfall zu Unrecht angenommen, das FA habe eine Erweiterung der Außenprüfung nicht anordnen dürfen, weil sich die erweiternde Anordnung mit Sachverhalten befaßt, die nur Gegenstand einer Steuerfahndung hätten sein können. Es trifft zwar zu, daß die Bescheide, deren Überprüfung durch eine Erweiterung der Außenprüfung angeordnet wurde, aufgrund einer früheren Außenprüfung ergangen sind und deshalb gemäß § 173 Abs. 2 AO 1977 nur aufgehoben oder geändert werden können, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Die Ermittlung der sachverhaltsgemäßen Voraussetzungen derartiger Straftaten kann aber - entgegen der Auffassung des FG - auch im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung vorgenommen werden. Die Anordnung einer Außenprüfung zu diesem Zweck läßt sich deshalb nicht beanstanden.

Das FG ist von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen. Seine Entscheidung ist deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 62856

BFH/NV 1990, 347

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