Entscheidungsstichwort (Thema)

Ähnliche offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO 1977 - Änderung eines Steuerbescheids, wenn der Grundlagenbescheid bei Erlaß des früheren Steuerbescheids bereits vorlag

 

Leitsatz (amtlich)

1. Übersieht das FA beim Erlaß eines Steuerbescheids einen bei ihm bereits vorliegenden Grundlagenbescheid, so führt das nicht zur offenbaren Unrichtigkeit.

2. Die Eintragung einer falschen Kennziffer im Eingabewertbogen kann eine offenbare Unrichtigkeit sein.

 

Orientierungssatz

1. Ein Steuerbescheid kann auch dann nicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 geändert werden, wenn der Grundlagenbescheid bei Erlaß eines früheren Steuerbescheids bereits vorlag und deshalb hätte berücksichtigt werden können (vgl. BFH-Rechtsprechung). Dies ist aber nur in den Grenzen des § 171 Abs. 10 AO 1977 möglich.

2. Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten i.S. des § 129 AO 1977 sind mechanische Fehler. Sie müssen ebenso mechanisch wie Schreibfehler und Rechenfehler, also ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können. Bei der bloßen Möglichkeit eines Rechtsirrtums liegt kein mechanisches Versehen und daher keine offenbare Unrichtigkeit vor; ebenso nicht bei einer unrichtigen Tatsachenwürdigung, der unzutreffenden Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts oder bei Fehlern, die auf mangelnder Sachaufklärung beruhen (vgl. BFH-Rechtsprechung).

 

Normenkette

AO 1977 §§ 129, 171 Abs. 2, 4, 10, § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die im Streitjahr (1977) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Sie gaben die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr im Jahre 1978 ab. Darin waren Einkünfte des Klägers aus freiberuflicher Tätigkeit und Verluste des Klägers aus Beteiligungen als Mitunternehmer an den drei Gesellschaften "C", "A" und "B" erklärt.

In dem nach § 172 Abs.1 Nr.2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten und unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs.1 AO 1977) stehenden Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 20.August 1980 berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Verluste aus den Gesellschaftsbeteiligungen mit insgesamt 70 349 DM. Mit Bescheid vom 3.August 1981 änderte das FA den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr gemäß § 164 Abs.2 AO 1977. Nunmehr wurden die Verluste aus Gewerbebetrieb mit insgesamt 89 966 DM erfaßt, nachdem eine Mitteilung des Betriebs-FA über einen Verlust von 54 314 DM aus der B ergangen war. Mit Bescheid vom 12.Mai 1982 änderte das FA den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr erneut gemäß § 164 Abs.2 AO 1977. In diesem neuen Bescheid wurde ein Gesamtverlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 89 780 DM berücksichtigt. Grundlage dafür war eine Mitteilung des Betriebs-FA über einen Verlust an der Beteiligung der C in Höhe von 11 900 DM.

Im Jahre 1982 wurde mit einer Außenprüfung bei dem Kläger begonnen. Auf Grund dieser Außenprüfung erging ein Änderungsbescheid vom 3.Juni 1983.

Vorher, im Januar 1983, war beim FA bereits eine Mitteilung des zuständigen Betriebsstätten-FA eingegangen, wonach der dem Kläger zuzurechnende Verlust aus der A 9 750 DM betrug. Diese Mitteilung wurde bei dem auf Grund der Betriebsprüfung ergangenen Änderungsbescheid vom 3.Juni 1983 nicht berücksichtigt. Mit Bescheid vom 12.März 1984 änderte daher das FA den Bescheid erneut, um gemäß § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AO 1977 den vom Betriebsstätten-FA mitgeteilten Verlust aus der A zu berücksichtigen. Dieser neue Bescheid wies jedoch nicht den sich nunmehr ergebenden Gesamtverlust aus den Beteiligungen in Höhe von 75 965 DM aus, sondern einen Verlust von 165 745 DM. Hierzu kam es dadurch, daß der Sachbearbeiter den sich jetzt ergebenden Gesamtverlust von 75 965 DM fälschlich unter Kennziffer 10 des Eingabewertbogens eingetragen hatte. Das hatte zur Folge, daß er als "Verlust aus einem Einzelunternehmen" bei der maschinellen Veranlagung dem bisher gespeicherten Verlust von 89 780 DM hinzugerechnet wurde, statt diesen Betrag zu ersetzen. Dies führte zu einer Einkommensteuerschuld von ... DM statt der vorher (im Bescheid vom 3.Juni 1983) festgesetzten ... DM. Die Differenz wurde erstattet. In der Anlage zu diesem Bescheid heißt es: "Die negativen Einkünfte aus der Beteiligung an der A betragen laut Mitteilung des Finanzamts ... vom 12.1.1983 für 1977 ./. 9 750 DM."

Diesen Bescheid vom 12.März 1984 änderte das FA dann nochmals durch Bescheid vom 6.März 1985 nach § 129 AO 1977. Dabei wurde der Verlust aus den gewerblichen Beteiligungen mit 75 965 DM erfaßt und eine Einkommensteuer von ... DM festgesetzt.

Hiergegen legten die Kläger Einspruch u.a. mit der Begründung ein, daß Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Der Einspruch blieb erfolglos.

Die dagegen erhobene Klage hatte ebenfalls keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, daß der angefochtene Bescheid zu Recht auf § 129 AO 1977 gestützt worden sei. Die Eintragung unter einer falschen Kennziffer im Eingabewertbogen für den Bescheid vom 12.März 1984 sei eine offenbare Unrichtigkeit i.S. dieser Vorschrift gewesen, so daß die Voraussetzungen für die Berichtigung dieses Bescheides vorgelegen hätten. Die Festsetzungsfrist sei bei Erlaß des angefochtenen Berichtigungsbescheides noch nicht abgelaufen gewesen. Die vierjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs.2 Nr.2 AO 1977 habe zwar mit Ablauf des Jahres 1978, in welchem die Kläger die Steuererklärung abgegeben hätten, begonnen. Sie sei jedoch durch die Aufnahme der Außenprüfung im Jahre 1982 gemäß § 171 Abs.4 AO 1977 gehemmt worden. Der Änderungsbescheid vom 3.Juni 1983, der auf Grund dieser Außenprüfung ergangen sei, habe nicht zu einer Beendigung der Ablaufhemmung und damit zu einem Ablauf der Festsetzungsfrist geführt. Dieser Bescheid sei nämlich bereits offenbar unrichtig i.S. von § 129 AO 1977 gewesen, weil die seit Januar 1983 vorliegende Mitteilung des Betriebsstätten-FA über den Verlust aus der A übersehen worden sei. Diese offenbare Unrichtigkeit habe gemäß § 171 Abs.2 AO 1977 zu einer weiteren Ablaufhemmung bis ein Jahr nach Bekanntgabe des Bescheides geführt. Der Bescheid vom 12.März 1984, der dann die Berücksichtigung der Mitteilung über den Verlust aus der A habe nachholen sollen, sei innerhalb dieser Frist ergangen. Da nun aber dieser Bescheid wegen der Eintragung des Verlustes unter einer falschen Kennziffer im Eingabewertbogen wiederum i.S. von § 129 AO 1977 offenbar unrichtig gewesen sei, sei gemäß § 171 Abs.2 AO 1977 eine weitere Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist um ein Jahr eingetreten. Der angefochtene Bescheid vom 6.März 1985 sei dann rechtzeitig innerhalb dieser Frist ergangen.

Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Revision der Kläger, mit der die unrichtige Anwendung der §§ 129 und 175 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AO 1977 gerügt wird.

Die Kläger machen geltend, daß der dem angefochtenen Bescheid vorausgegangene Bescheid vom 12.März 1984 auf § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AO 1977 gestützt gewesen sei, um die Berücksichtigung des vom Betriebsstätten-FA mitgeteilten Verlustes aus der A nachzuholen. Nach § 171 Abs.10 AO 1977 habe die Frist für die Berücksichtigung des Verlustes aus der A ein Jahr nach Bekanntgabe des Feststellungsbescheides über den Verlust geendet. Da der Feststellungsbescheid bereits im Januar 1983 bekanntgegeben worden sei, habe der Bescheid vom 12.März 1984 wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr ergehen dürfen. Durch diesen Bescheid habe daher auch keine weitere Ablaufhemmung ausgelöst werden können, um den angefochtenen Bescheid vom 6.März 1985 zu rechtfertigen. Insoweit lasse der Umstand, daß der Bescheid vom 12.März 1984 erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist ergangen ist, seine eingetretene Bestandskraft unberührt. Dieser Bescheid vom 12.März 1984 müsse also für die Steuerfestsetzung maßgebend bleiben.

Eine Ablaufhemmung durch den Bescheid vom 12.März 1984 könne nicht damit begründet werden, daß dieser Bescheid statt auf § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AO 1977 nunmehr vom FA auf § 129 AO 1977 gestützt werde. Die beiden Vorschriften seien nicht wechselweise oder kumulativ nebeneinander anwendbar, sondern die Änderungsmöglichkeit eines Bescheides nach § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AO 1977 schließe die Berichtigungsmöglichkeit dieses Bescheids nach § 129 AO 1977 wegen Übersehens eines Grundlagenbescheides aus. Dies ergebe sich schon aus dem Erfordernis der Rechtsklarheit, weil für die Änderung des Bescheids nach § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AO 1977 eine andere Verjährung gelte als für eine Berichtigung nach § 129 AO 1977.

Im übrigen vertreten die Kläger die Auffassung, daß auch die nochmalige Anwendung des § 129 AO 1977 auf den Bescheid vom 12.März 1984 rechtswidrig sei. Die Eintragung des Verlustes unter einer falschen Kennziffer im Eingabewertbogen sei keine offenbare Unrichtigkeit.

Die Kläger beantragen, das Urteil des FG sowie den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 6.März 1985 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.September 1985 aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zum Teil begründet. Sie führt zur teilweisen Stattgabe der Klage.

1. Der Revision ist darin zu folgen, daß die Mitteilung des Betriebsstätten-FA über den (gegenüber den vorherigen Annahmen geringeren) Verlust aus der Beteiligung an der A nicht mehr zuungunsten der Kläger berücksichtigt werden kann. Insoweit war bereits vor dem Änderungsbescheid vom 12.März 1984, der durch den angefochtenen Bescheid vom 6.März 1985 berichtigt worden ist, Festsetzungsverjährung eingetreten.

a) Die Frist für die Festsetzung der Einkommensteuer für das Streitjahr begann gemäß § 170 Abs.2 Satz 1 Nr.1 AO 1977 mit Ablauf des Jahres 1978, da die Kläger in diesem Jahr ihre Einkommensteuererklärung für das Streitjahr abgegeben hatten. Der danach an sich mit Ende des Jahres 1982 erfolgende Ablauf der Festsetzungsfrist (s. § 169 Abs.2 Satz 1 Nr.2 AO 1977) wurde gemäß § 171 Abs.4 AO 1977 durch den Beginn der Außenprüfung beim Kläger im Jahre 1982 gehemmt. Diese Ablaufhemmung endete jedoch nach § 171 Abs.4 Satz 1 AO 1977 mit der Bestandskraft des auf Grund der Außenprüfung ergangenen Änderungsbescheides vom 3.Juni 1983. Da zwischenzeitlich ein Grundlagenbescheid über den Verlust aus der Beteiligung des Klägers an der A ergangen war, war für die aus diesem Grundlagenbescheid zu ziehenden Folgerungen gemäß § 171 Abs.10 AO 1977 eine weitere Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist eingetreten. Diese weitere Ablaufhemmung für die Berücksichtigung des Verlustes aus der A endete im Januar 1984, weil der maßgebende Grundlagenbescheid im Januar 1983 ergangen war.

Der Änderungsbescheid vom 12.März 1984, mit dem die Folgerungen aus dem Grundlagenbescheid über den Verlust aus der A gezogen werden sollten, ist folglich nach Ablauf der Festsetzungsfrist ergangen. Dieser Bescheid kann daher nicht als Grundlage dafür dienen, durch den angefochtenen Bescheid vom 6.März 1985 im Wege der Berichtigung nach § 129 AO 1977 doch noch eine Berücksichtigung des Grundlagenbescheides zuungunsten der Kläger vorzunehmen.

b) Entgegen der Auffassung des FG läßt sich der Bescheid vom 12.März 1984 nicht auf § 129 AO 1977 statt auf § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AO 1977 stützen, um auf diese Weise über § 171 Abs.2 AO 1977 eine weitere Ablaufhemmung der Festsetzungsfrist zu begründen. Der auf Grund der Außenprüfung ergangene Bescheid vom 3.Juni 1983, der durch den Bescheid vom 12.März 1984 geändert wurde, bietet keine Grundlage für die Anwendung des § 129 AO 1977, da er nicht offenbar unrichtig war.

Das Übersehen des Grundlagenbescheids über den Verlust aus der A bedeutet keine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO 1977. Dies folgt aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), wonach ein Steuerbescheid auch dann noch nach § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AO 1977 geändert werden kann, wenn der Grundlagenbescheid bei Erlaß eines früheren Steuerbescheids bereits vorlag und deshalb hätte berücksichtigt werden können (BFH-Urteile vom 9.August 1983 VIII R 55/82, BFHE 139, 341, BStBl II 1984, 86; vom 6.November 1985 II R 255/83, BFHE 145, 117, BStBl II 1986, 186; vom 4.Juli 1989 VIII R 217/84, BFHE 157, 427, BStBl II 1989, 792). Dieser Rechtsprechung hat sich auch der erkennende Senat angeschlossen (vgl. Urteil vom 9.September 1988 III R 253/84, BFH/NV 1989, 138). Maßgebend für diese Rechtsprechung ist u.a. der Gesichtspunkt, daß die Änderung eines Folgebescheids nach § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AO 1977 unabhängig von dem Vorliegen etwaiger anderer Änderungsmöglichkeiten ist. Das FA war im Streitfall also nicht verpflichtet, in dem auf Grund der Außenprüfung ergangenen Änderungsbescheid vom 3.Juni 1983 zugleich auch die seit Januar 1983 vorliegende Mitteilung des Betriebsstätten-FA über den Verlust aus der A zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 139, 341, BStBl II 1984, 86 und in BFHE 157, 427, BStBl II 1989, 792). Das Übersehen dieser Mitteilung machte den Bescheid vom 3.Juni 1983 also nicht fehlerhaft (a.A. Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, § 175 Rdnr.7; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 16.Aufl., § 175 AO 1977 Anm.2). Das FA blieb lediglich verpflichtet, die Berücksichtigung des Grundlagenbescheids gemäß § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AO 1977 durch einen erneuten Änderungsbescheid nachzuholen. Dies war aber nur in den Grenzen des § 171 Abs.10 AO 1977 möglich.

Im übrigen kann nicht bei Nichtbeachtung eines Grundlagenbescheids in einem Änderungsbescheid einerseits das Fortbestehen der Änderungsmöglichkeit nach § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AO 1977 und andererseits aus dem gleichen Grund eine Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO 1977 angenommen werden. Das Fortbestehen der Änderungsmöglichkeit nach § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AO 1977 bedeutet, daß der Grundlagenbescheid durch seine Nichtbeachtung in dem Änderungsbescheid nicht "verbraucht" wird (BFH-Urteil in BFHE 157, 427, BStBl II 1989, 792). Wenn der Änderungsbescheid, der den Grundlagenbescheid nicht beachtet, somit keinen Einfluß auf den Grundlagenbescheid hat, so kann er auch keine Wirkung auf den Ablauf der Frist nach § 171 Abs.10 AO 1977 für die Berücksichtigung des Grundlagenbescheides haben. Diese Frist läuft vielmehr unabhängig von dem Erlaß des Änderungsbescheids ab und kann nicht dadurch verlängert werden, daß der Änderungsbescheid wegen des Nichtbeachtens des Grundlagenbescheides als offenbar unrichtig angesehen wird.

c) Den Klägern kann nicht entgegengehalten werden, daß sie sich auf die Verjährung der Berücksichtigung des Grundlagenbescheids nicht mehr berufen können, weil der Bescheid vom 12.März 1984, der die Berücksichtigung nachholen sollte, bestandskräftig geworden ist. Die Kläger hatten keinen Anlaß, diesen Bescheid anzugreifen, denn er führte wegen der falschen Eintragung des neuen Verlustes in den Eingabewertbogen zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung. Es kann nicht verlangt werden, daß eine auf einer offenbaren Unrichtigkeit beruhende niedrigere Steuerfestsetzung (s. unten unter 2.) angegriffen werden muß, um eine etwaige spätere zu einer höheren Steuerfestsetzung führende Berichtigung gemäß § 129 AO 1977 zu verhindern.

2. Der Revision kann allerdings insoweit nicht gefolgt werden, als sie über die Berücksichtigung des Grundlagenbescheides über den Verlust aus der A hinaus auch die Berichtigung der durch den Bescheid vom 12.März 1984 erfolgten --gegenüber dem Bescheid vom 3.Juni 1983 niedrigeren-- Steuerfestsetzung verhindern will. Die Steuerfestsetzung in dem Bescheid vom 12.März 1984 beruhte nicht nur auf dem Rechtsirrtum, daß eine Berücksichtigung des Grundlagenbescheides über den Verlust aus der A noch möglich sei, sondern darüber hinaus auf der Eintragung des neuen Gesamtverlustes aus Beteiligungen unter einer falschen Kennziffer im Eingabewertbogen. Dieser zusätzliche Fehler führte dazu, daß nicht nur die nicht mehr zulässige höhere Steuerfestsetzung unterblieb, die sich aus dem Grundlagenbescheid über die A ergab, sondern daß sogar eine niedrigere Steuer festgesetzt wurde. Diese gegenüber dem vorangegangenen Bescheid niedrigere Steuerfestsetzung durch den Bescheid vom 12.März 1984 durfte das FA durch den angefochtenen Bescheid vom 6.März 1985 berichtigen.

a) Insoweit handelte es sich um eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO 1977. Nach dieser Vorschrift kann das FA nicht nur Schreib- und Rechenfehler, sondern auch ähnliche offenbare Unrichtigkeiten berichtigen, die beim Erlaß eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind. Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten sind mechanische Fehler. Sie müssen ebenso mechanisch wie Schreib- und Rechenfehler, also ohne weitere Prüfung erkannt und berichtigt werden können (vgl. u.a. BFH-Urteile vom 24.Juli 1984 VIII R 304/81, BFHE 141, 485, BStBl II 1984, 785, und vom 19.März 1985 VIII R 156/80, BFH/NV 1986, 2). Bei der bloßen Möglichkeit eines Rechtsirrtums liegt kein mechanisches Versehen und daher keine offenbare Unrichtigkeit vor; ebenso nicht bei einer unrichtigen Tatsachenwürdigung, der unzutreffenden Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts oder bei Fehlern, die auf mangelnder Sachaufklärung beruhen (vgl. u.a. BFH-Urteil vom 8.März 1989 X R 116/87, BFHE 156, 59, BStBl II 1989, 531, und Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 4.Aufl., § 129 Anm.2, m.w.N.).

Ein Rechtsfehler war im Streitfall in dem Bescheid vom 12.März 1984 die Berücksichtigung des Grundlagenbescheides über den Verlust aus der A. Dieser Rechtsfehler hätte aber zu einer höheren Steuer führen müssen, als sie in dem vorangegangenen Bescheid vom 3.Juni 1983 festgesetzt worden war.

Die Festsetzung einer niedrigeren Steuer als in dem vorangegangenen Bescheid beruht nicht auf diesem Rechtsfehler, sondern auf der Eintragung des neuen Gesamtverlustes aus den Beteiligungen unter einer falschen Kennziffer im Eingabewertbogen. Bei dieser falschen Eintragung ist die Möglichkeit eines Rechtsirrtums ausgeschlossen. Das FA hat den sich nach dem Grundlagenbescheid über die A ergebenden neuen Gesamtverlust aus Beteiligungen nicht rechtsirrtümlich als einen Verlust aus Einzelunternehmen gewürdigt. Es ist auch nicht von dem falschen Sachverhalt ausgegangen, daß ein Verlust aus Einzelunternehmen gegeben sei. Dies zeigt eindeutig die dem Bescheid vom 12.März 1984 beigegebene Erläuterung, daß der Verlust aus der "Beteiligung" an der A 9 750 DM betrage. Der erkennende Senat kann daher offenlassen, ob die Eintragung unter einer falschen Kennziffer im Eingabewertbogen immer eine offenbare Unrichtigkeit i.S. des § 129 AO 1977 ist (vgl. Urteil des FG Hamburg vom 29.Juni 1988 I 268/86, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1989, 209). Im Streitfall handelt es sich jedenfalls auf Grund der besonderen Umstände um ein rein mechanisches Versehen.

b) Entgegen der Auffassung der Kläger kann der Berichtigung des Bescheides vom 12.März 1984 bis zur Höhe der durch den vorangegangenen Bescheid vom 3.Juni 1983 festgesetzten Steuer nicht die Bestandskraft des Bescheides vom 12.März 1984 entgegenstehen. Die Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO 1977 durchbricht die Bestandskraft. Innerhalb der Frist des § 171 Abs.2 AO 1977 von einem Jahr nach Bekanntgabe des offenbar unrichtigen Steuerbescheides war daher im Streitfall noch eine Berichtigung möglich. Der angefochtene Bescheid vom 6.März 1985 ist innerhalb dieser Frist ergangen.

c) Schließlich läßt sich gegen die Berichtigung des Bescheides vom 12.März 1984 auch nicht einwenden, daß das FA durch die vorher eingetretene Festsetzungsverjährung nicht nur an der Festsetzung einer höheren Steuer, sondern auch an der Festsetzung einer niedrigeren Steuer gehindert war und daher der Bescheid vom 12.März 1984 auch insoweit keine Grundlage für eine Berichtigung bieten dürfe. Es kann nicht einerseits geltend gemacht werden, die niedrigere Steuerfestsetzung sei wegen Festsetzungsverjährung rechtswidrig und dürfe daher keine Bedeutung haben, andererseits aber verlangt werden, an der niedrigeren Steuerfestsetzung festzuhalten. Die gegenüber dem vorangegangenen Bescheid niedrigere Steuerfestsetzung beruht gerade auf der offenbaren Unrichtigkeit. Die durch diese offenbare Unrichtigkeit entstandene Rechtswidrigkeit kann demgemäß § 129 AO 1977 wieder berichtigt werden.

d) Der Gesichtspunkt, daß durch die Festsetzungsverjährung dem Rechtsfrieden der Vorrang gegenüber der Gleichmäßigkeit der Besteuerung eingeräumt werden soll, vermag ebenfalls eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Der mit den Verjährungsvorschriften bezweckte Rechtsfriede gebietet nur, daß die vor Ablauf der Festsetzungsfrist festgesetzte Steuer nicht mehr geändert werden darf. Die in dem Bescheid vom 3.Juni 1983 festgesetzte Steuer muß daher maßgebend bleiben. Die Berichtigung der in dem Bescheid vom 12.März 1984 festgesetzten gegenüber dem Bescheid vom 3.Juni 1983 geringeren Steuer bewirkt lediglich, daß die vor der Festsetzungsverjährung festgesetzte Steuerhöhe wieder maßgebend wird.

3. Die nur bis zur Höhe der Steuerfestsetzung vom 3.Juni 1983 gegebene Berichtigungsmöglichkeit des Bescheides vom 12.März 1984 hat zur Folge, daß das Urteil des FG und der angefochtene Bescheid vom 6.März 1985 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben sind und die Einkommensteuer durch den Senat mit dem gleichen Betrag wie in dem Bescheid vom 3.Juni 1983 festzusetzen ist (§ 100 Abs.2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

 

Fundstellen

Haufe-Index 63568

BFH/NV 1992, 9

BStBl II 1992, 52

BFHE 165, 438

BFHE 1992, 438

BB 1992, 848

BB 1992, 848-849 (LT)

DB 1992, 191 (L)

HFR 1992, 98 (LT)

StE 1992, 7 (K)

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