Leitsatz (amtlich)

Hat das Finanzamt einen verspäteten Einspruch zu Recht als unzulässig verworfen, so ist eine gegen den unanfechtbar gewordenen Steuerbescheid gerichtete Klage unzulässig, nicht unbegründet.

 

Normenkette

FGO §§ 44, 97

 

Tatbestand

Das Zollamt (ZA) fertigte am 21. September 1967 zwei Sendungen Wermutwein, welche die Klägerin eingeführt hatte, zum freien Verkehr ab. Die dafür geschuldeten Eingangsabgaben setzte es durch formlose Zollbescheide, welche der Steuerpflichtigen am gleichen Tage bekanntgegeben wurden, fest. Gegen diese beiden Bescheide erhob die Klägerin am 30. Oktober 1967 Einspruch.

Gleichzeitig stellte sie den Antrag, ihr wegen der Versäumung der Rechtsbehelfsfrist Nachsicht zu gewähren.

Das Hauptzollamt (HZA) verwarf den Einspruch als unzulässig.

Daraufhin erhob die Steuerpflichtige Klage.

Das FG erließ ein Zwischenurteil, in welchem es die Klage der Steuerpflichtigen für zulässig erklärte. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus, daß die Klage gegen einen Verwaltungsakt, für dessen Anfechtung das Gesetz einen außergerichtlichen Rechtsbehelf biete, nach § 44 Abs. 1 FGO nur zulässig sei, wenn das Verwaltungsvorverfahren erfolglos geblieben sei. Der Gesetzgeber verlange somit vom Kläger, daß er vor der Anrufung des Gerichts von dem ihm gebotenen außergerichtlichen Rechtsbehelf Gebrauch mache, also die Verwaltungsbehörde veranlasse, ihren Verwaltungsakt selbst zu überprüfen und ggf. durch Nachgeben die Anrufung des Gerichts zu vermeiden. Diesem Verlangen komme der Kläger nicht nach, wenn er bei der Einlegung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs die gesetzlich vorgeschriebene Frist schuldhaft versäume und damit eine materielle Überprüfung des Verwaltungsakts durch die Behörde verhindere. Ein Verwaltungsakt, gegen den wegen schuldhafter Fristversäumnis die Erhebung des gesetzlich vorgesehenen außergerichtlichen Rechtsbehelfs unzulässig geworden sei, könne somit auch durch Klage nicht angefochten werden.

Die Versäumung der Einspruchsfrist sei im Streitfall aber weder von einem Organ noch von einem zur Einlegung von Einsprüchen bestellten Vertreter der Steuerpflichtigen verschuldet worden.

Da somit ein Nachsichtsgrund vorgelegen habe und der Nachsichtsantrag innerhalb der in § 86 Abs. 2 AO vorgesehenen Frist gestellt worden sei, habe das HZA die erbetene Nachsicht gewähren müssen. Die Klägerin habe also Anspruch darauf, daß ihre Klage als zulässig behandelt werde.

Mit der gegen das Urteil des FG erhobenen Revision rügt das HZA die Verletzung von Bundesrecht.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision hat Erfolg.

1. Zutreffend hat das FG über die Frage, ob der Klägerin im Streitfall Nachsicht zu gewähren und infolgedessen ihr Einspruch als rechtzeitig anzusehen ist, durch Zwischenurteil entschieden. Denn die fristgerechte Einlegung dieses, vom Gesetz vorgesehenen außergerichtlichen Rechtsbehelfs bildet eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der gegen die Zollbescheide des HZA gerichteten Anfechtungsklage. Über die Zulässigkeit der Klage kann aber im finanzgerichtlichen Verfahren durch Zwischenurteil entschieden werden (§ 97 FGO).

a) Zwar macht § 44 Abs. 1 FGO in Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, die Zulässigkeit der Klage nur davon abhängig, daß "das Vorverfahren erfolglos geblieben ist". Aus diesem Wortlaut wird gefolgert, daß es genüge, wenn der Kläger den außergerichtlichen Rechtsbehelf eingelegt und die Behörde seiner Beschwer nicht abgeholfen habe, während es nicht darauf ankomme, ob der Rechtsbehelf form- und fristgerecht erhoben worden sei (vgl. Urteil des BVerwG VIII C 72.62 vom 16. Januar 1964, Deutsches Verwaltungsblatt 1965 S. 89; Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Anm. 1 Abs. 4 und 7 zu § 44 FGO).

Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

Zu den Prozeßvoraussetzungen des finanzgerichtlichen Verfahrens zählen nicht nur diejenigen Umstände, welche die FGO ausdrücklich als solche bezeichnet. Vielmehr gehören dazu alle Voraussetzungen, die nach dem Gesetz vorliegen müssen, damit das Gericht in die Lage versetzt wird, über das ihm unterbreitete Klagebegehren sachlich zu entscheiden. Eine derartige Sachurteilsvoraussetzung stellt aber auch die fristgerechte Einlegung des gegen Steuerbescheide gegebenen Rechtsbehelfs des Einspruchs dar.

Gegenstand des vom Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren mit der Anfechtungsklage verfolgten sachlichen Begehrens ist nämlich seine Rechtsbehauptung, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig sei und ihn in seinen Rechten verletze, im wesentlichen also die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes (Beschluß des BFH Gr. S. 1/66 vom 17. Juli 1967, BFH 91, 393, BStBl II 1968, 344). Das ergibt sich aus den §§ 40, 44 und 100 Abs. 1 FGO. Denn danach kann durch Klage die Aufhebung eines Verwaltungsaktes nur mit der Begründung begehrt werden, daß der Kläger durch ihn in seinen Rechten verletzt sei. Gegenstand der Klage ist dabei stets der ursprüngliche Verwaltungsakt, ggf. in der Gestalt, die er durch eine behördliche Rechtsbehelfsentscheidung gefunden hat. Ferner hebt das Gericht den angefochtenen Verwaltungsakt auf, soweit er rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist.

Das bedeutet, daß die gerichtliche Entscheidung über die gegen einen Steuerbescheid erhobene Anfechtungsklage ein Sachurteil ist, wenn sie darüber befindet, ob die Steuer in zutreffender Weise festgesetzt bzw. ob der Kläger durch eine fehlerhafte Steuerfestsetzung in seinen Rechten verletzt ist. Voraussetzung für eine solche Entscheidung und damit Sachurteilsvoraussetzung ist es deshalb, daß der den Gegenstand der Klage bildende Verwaltungsakt noch anfechtbar ist. Denn das FG kann die Rechtmäßigkeit einer Steuerfestsetzung nicht mehr prüfen, wenn diese unanfechtbar geworden ist.

Nun wird ein steuerrechtlicher Verwaltungsakt nicht nur dadurch unanfechtbar, daß der durch ihn Betroffene die Klagefrist versäumt, sondern die gleiche Wirkung tritt auch schon dadurch ein, daß er die Frist für die Einlegung eines dem gerichtlichen Verfahren vorgeschalteten außergerichtlichen Rechtsbehelfs verstreichen läßt. Denn die in der AO für Einspruch und Beschwerde bestimmten Fristen dienen demselben Zweck wie die Klagefrist nach der FGO. Sie sollen im Interesse der Rechtssicherheit einen festen Zeitpunkt bestimmen, zu dem die durch einen Verwaltungsakt getroffene hoheitliche Regelung zwischen den Beteiligten bestandskräftig wird, wenn und soweit der Steuerpflichtige bis dahin nicht von den ihm zu Gebote stehenden Rechtsbehelfen Gebrauch macht.

Infolgedessen hängt die Zulässigkeit der im Streitfall gegen die Zollbescheide des HZA erhobenen Klage davon ab, ob die Klägerin rechtzeitig Einspruch erhoben hatte bzw. ihr wegen der Fristversäumnis Nachsicht zu gewähren war.

b) An dieser rechtlichen Beurteilung ändert es nichts, daß § 44 Abs. 2 FGO als Gegenstand der Klage nach einem Vorverfahren den Verwaltungsakt in der Gestalt bezeichnet, die er durch die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gefunden hat.

Diese Regelung hat zwar zur Folge, daß ein Steuerbescheid trotz Versäumung der Einspruchsfrist insoweit durch Klage angegriffen werden kann, als dieser Verwaltungsakt durch die Einspruchsentscheidung inhaltlich geändert wird. Denn die Unanfechtbarkeit des ursprünglichen Bescheids hindert nur die gerichtliche Nachprüfung der in ihm unmittelbar getroffenen Regelung; dagegen kann sie nicht ausschließen, daß eine erst danach im Einspruchsverfahren abschließend vorgenommene Regelung des betreffenden Steueranspruchs von den Gerichten auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft wird.

Im Streitfall wurde jedoch den von der Klägerin angefochtenen Abgabenbescheiden durch die Einspruchsentscheidung des HZA keine neue Gestalt gegeben. Denn diese Entscheidung befaßt sich nicht mit dem Inhalt der genannten Verwaltungsakte, sondern beschränkt sich auf die Frage der Zulässigkeit des dagegen erhobenen außergerichtlichen Rechtsbehelfs.

Eine andere, hier nicht zu entscheidende Frage ist es, ob der Steuerpflichtige die seinen Einspruch als unzulässig verwerfende Rechtsbehelfsentscheidung - wie dies § 79 Abs. 2 VwGO für den Widerspruchbescheid vorsieht - selbständig anfechten könnte (bejahendenfalls wäre eine solche, gegen die Einspruchsentscheidung gerichtete Klage, wenn der Kläger die Einspruchsfrist schuldhaft versäumt hatte, nicht unzulässig, sondern unbegründet). Denn im Streitfall hat das FG, wie sich aus den Gründen seines Zwischenurteils ergibt, als Gegenstand der Klage die gegen die Steuerpflichtige ergangenen Zollbescheide angesehen, nicht aber die Einspruchsentscheidung als selbständigen Streitgegenstand betrachtet. Aus diesem Grunde bezieht sich sein Urteil nur auf die Zulässigkeit der gegen diese Verwaltungsakte gerichteten Klage und diese bildet deshalb auch den ausschließlichen Gegenstand des Revisionsverfahrens.

c) Daß die rechtzeitige Erhebung des Einspruchs eine Prozeßvoraussetzung für die gegen den Verwaltungsakt (in seiner durch das Vorverfahren unverändert gebliebenen Gestalt) gerichtete Klage bildet, ergibt schließlich auch die am Sinn des Gesetzes orientierte Auslegung des § 44 Abs. 1 FGO. Diese Vorschrift hat den Zweck, die FG zu entlasten. Der Steuerpflichtige soll deshalb gerichtlichen Rechtsschutz erst in Anspruch nehmen können, nachdem er eine Überprüfung des Verwaltungsaktes in dem dafür vorgesehenen außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren herbeigeführt hat. Diesem Erfordernis wird er aber nur gerecht, wenn er die für das Verwaltungsvorverfahren vorgeschriebenen Förmlichkeiten beachtet und dadurch die Voraussetzung für eine sachliche Prüfung seitens der Behörde schafft. Deshalb entspricht es dem Sinn des § 44 Abs. 1 FGO, wenn als Voraussetzung für die Klage gefordert wird, daß der Kläger von einem vorgesehenen außergerichtlichen Rechtsbehelf form- und fristgerecht Gebrauch gemacht hat.

d) Die Auffassung des erkennenden Senats stimmt überein mit der Rechtsprechung des I., II., IV. und VII. Senats des BVerwG zu den entsprechenden Vorschriften der VwGO (vgl. Urteile I C 113.63 vom 31. Januar 1967, NJW 1967, 1245; II C 128.64 vom 27. Oktober 1966, Deutsches Verwaltungsblatt 1967 S. 237; IV C 78.65 vom 7. Mai 1965, BVerwGE 21, 93, und VII B 106/67 vom 24. Mai 1969, HFR 1970, 131), sowie der überwiegenden Meinung im verwaltungsrechtlichen Schrifttum (vgl. dazu die Übersicht in Mutius, Das Widerspruchsverfahren der VwGO als Verwaltungsverfahren und Prozeßvoraussetzung, Dissertation Kiel 1969, S. 190/191).

Demgegenüber hat der VIII. Senat des BVerwG (Urteil C 72.62 vom 16. Januar 1964, a. a. O.) den Standpunkt vertreten, daß die Frage, ob der Klageberechtigte sich bei verspätet eingelegtem Einspruch die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes entgegenhalten lassen müsse, zur Sachprüfung gehöre. Ferner haben der IV. und V. Senat des BFH in Fällen, in denen das FG die Klage eines Steuerpflichtigen wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unbegründet abgewiesen hatte, die Vorentscheidungen im Ergebnis und in der Begründung bestätigt (Urteile IV R 104/68 vom 12. September 1968 und V R 19-20/68 vom 19. Dezember 1968, BFH 94, 563, BStBl II 1969, 272).

Jedoch nötigen diese Entscheidungen weder zur Anrufung des Großen Senats des BFH noch zur Anrufung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes. Allen drei erwähnten Entscheidungen liegt nämlich insofern ein anderer Sachverhalt zugrunde, als dort von den Vorinstanzen über die erhobenen Klagen durch Endurteil entschieden worden war. Für diesen Fall macht es aber keinen Unterschied, ob die rechtzeitige Erhebung des außergerichtlichen Rechtsbehelfs als Prozeßvoraussetzung oder als eine der Sachentscheidung zuzurechnende materiell-rechtliche Vorfrage angesehen wird. Beide Auffassungen führen nämlich zu dem Ergebnis, daß die Klage bei Versäumung der Widerspruchsfrist abzuweisen ist, ohne daß die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts nachgeprüft wird, und der tragende Grund für diese Entscheidung liegt auch nach der vom VIII. Senat des BVerwG vertretenen Ansicht (ebenso wie nach den vorgenannten Urteilen des IV. und V. Senats des BFH) darin, daß der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar geworden ist. Diese Feststellung bestimmt den Inhalt und die rechtliche Tragweite der Entscheidung und insbesondere auch den Umfang der Rechtskraftwirkung. Infolgedessen ist es für ein solches Endurteil rechtlich unerheblich und lediglich eine Frage der systematischen Zuordnung, ob die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes als Voraussetzung für die Zulässigkeit oder für die Begründetheit der Klage angesehen wird. Nichts anderes gilt auch für den Fall, daß die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes vom Gericht verneint und nach Prüfung seiner Rechtmäßigkeit durch Endurteil der Klage stattgegeben oder diese als unbegründet abgewiesen wird.

Demgegenüber ist es für ein Zwischenurteil, wie es die Vorinstanz im Streitfall erlassen hat, entscheidungserheblich, ob die Unanfechtbarkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes ein Prozeßhindernis darstellt. Denn § 97 FGO läßt ein solches Zwischenurteil nur über die Zulässigkeit der Klage, nicht dagegen hinsichtlich einzelner Vorfragen der Begründetheit zu. Wegen des darin liegenden Unterschieds zu den vom VIII. Senat des BVerwG und vom IV. und V. Senat des BFH entschiedenen Fällen kommt eine Abweichung von deren Entscheidungen nicht in Betracht.

2. Stellt sonach die fristgerechte Erhebung des Einspruchs eine Prozeßvoraussetzung dar, so ist ihr Vorliegen im Streitfall auch Gegenstand der auf die Zulässigkeit der erhobenen Anfechtungsklage beschränkten revisionsrichterlichen Prüfung. Sie ergibt, daß die Vorentscheidung der Klägerin zu Unrecht Nachsicht wegen der Versäumung der Einspruchsfrist gewährt hat.

 

Fundstellen

Haufe-Index 69040

BStBl II 1970, 548

BFHE 1970, 100

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