Leitsatz (amtlich)

Die in § 58 Nr.6 AO 1977 enthaltenen Grenzen unschädlicher Rücklagenbildung gelten auch für gemeinnützige Spendensammel- und Fördervereine im Sinne des § 58 Nr.1 AO 1977.

 

Orientierungssatz

Gemeinnützige Körperschaften sind grundsätzlich gehalten, ihre laufenden Einnahmen zeitnah für gemeinnützige Zwecke einzusetzen (vgl. RFH-Rechtsprechung und BFH-Rechtsprechung). Eine Rücklagenbildung ist nach § 58 Nr. 6 AO 1977 nur zulässig, soweit diese Rücklagen zur nachhaltigen Zweckerfüllung erforderlich sind. Die erstmalige Bildung einer ertragsbringenden Vermögenssubstanz aus laufenden Einnahmen ist zur nachhaltigen Zweckerfüllung nicht erforderlich.

 

Normenkette

AO 1977 § 58 Nrn. 1, 6

 

Tatbestand

I. Streitig ist, ob die Steuerbefreiung des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) wegen überhöhter Rücklagenbildung und wegen fehlender gemeinnütziger Tätigkeit entfiel.

Der Kläger ist ein eingetragener Verein. Er bezweckt die finanzielle Unterstützung bestimmter gemeinnütziger Verbände in einem Bundesland. Seine satzungsmäßige Aufgabe besteht darin, Geldmittel durch Spenden aufzubringen, diese Mittel zu verwalten und an die Verbände zur Durchführung ihrer satzungsmäßigen Aufgaben zu verteilen.

Mitglieder des Klägers sind die jeweiligen Mitglieder des geschäftsführenden Vorstandes des Landesverbands, je ein Vertreter der Bezirksarbeitsgemeinschaften dieses Landesverbandes und ebenso viele Vertreter von Landesgruppen.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) stellte den Kläger letztmals für die Zeit bis einschließlich 1977 durch Freistellungsbescheid vom 1.Dezember 1978 wegen Förderung der Fürsorge für ..... von der Körperschaftsteuer frei. In diesem Bescheid machte das FA darauf aufmerksam, daß eine Rücklagenbildung gemeinnütziger Körperschaften steuerlich nur dann unschädlich sei, wenn sie zur nachhaltigen Erfüllung der satzungsmäßigen Zwecke erforderlich sei. Das FA forderte den Kläger gleichzeitig auf, die Rücklagen in nächster Zeit abzubauen, falls die Mittel nicht für einen bestimmten Verwendungszweck angesammelt würden. Laut Jahresbericht 1977 wies der Kläger ein Anfangsvermögen von 213 932 DM aus, das sich im Jahre 1977 auf 226 596 DM erhöhte. Im Jahre 1977 hatte der Kläger dem Landesverband und anderen Verbänden ca. 63 500 DM zugewandt.

Die Jahresberichte für die Streitjahre 1978 bis 1980 zeigen folgende Entwicklung:

1977: Endvermögen 226 596 DM

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1978:

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Ausgaben: Landesverband 50 000 DM

Sonstiges 14 710 DM

./. 64 710 DM

Einnahmen: Beiträge + 70 697 DM

Zinsen + 10 739 DM

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Endvermögen 243 322 DM

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1979: Ausgaben: ./. 12 036 DM

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Einnahmen: Beiträge + 1 591 DM

Zinsen + 11 968 DM

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Endvermögen 244 846 DM

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1980: Ausgaben: ./. 11 556 DM

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Einnahmen: Zinsen + 16 848 DM

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Endvermögen 250 137 DM.

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Nach Eingang dieser Jahresberichte erließ das FA Körperschaftsteuerbescheide für die Streitjahre 1978 bis 1980, in denen es die Zinserträge des Klägers der Körperschaftsteuer unterwarf. Zur Begründung verwies das FA auf die vom Kläger angesammelten Rücklagen. Außerdem habe der Kläger nach seiner Geschäftsführung keine steuerbegünstigten Zwecke verfolgt.

Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruchsverfahren eingelegten Klage statt. Es führte aus, daß ein Spendensammel- oder Förderverein seine Mittel nicht nur aus Spenden, sondern auch aus seinem Vermögen beschaffen könne. Die Rücklagenbildung des Klägers schließe seine Gemeinnützigkeit nicht aus. Bei einem Spendensammel- oder Förderverein sei die Mittelbeschaffung das eigentlich begünstigte Ziel. Deshalb sei derartigen Körperschaften auch eine Rücklagenbildung und Thesaurierung zuzubilligen. Das müsse insbesondere gelten, wenn die Empfängerkörperschaft keine Mittel benötige. Der Spendensammel- oder Förderverein erfülle eine Funktion, die derjenigen eines Bankinstituts nicht unähnlich sei.

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 58 Nr.6 der Abgabenordnung (AO 1977).

Der Kläger habe sein Vermögen aus Spenden gleichartiger gemeinnütziger Verbände gebildet und daraus wieder Zuschüsse für den Landesverband und diese Verbände gewährt. Bei dieser Finanzierung sei kein Grund für eine Rücklagenbildung erkennbar. Wenn die Mittel einer Körperschaft den Spendern unmittelbar oder mittelbar wieder zuflössen, bestehe kein Grund für eine Liquiditätsreserve. Bereits im Jahre 1978 hätten die Bankguthaben das Dreifache der Ausgaben dieses Jahres betragen.

Das FA beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er schließt sich dem Urteil des FG an.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Der vom Kläger verfolgte Zweck, Mittel für die Verbände ..... im betreffenden Bundesland durch Spenden aufzubringen, diese Mittel zu verwalten und den Verbänden zur Verfügung zu stellen, kann ein gemeinnütziger Zweck im Sinne der §§ 51 bis 68 AO 1977 sein. Nach § 58 Nr.1 AO 1977 wird die Steuervergünstigung einer gemeinnützigen Körperschaft nicht dadurch ausgeschlossen, daß sie Mittel für die Verwirklichung der steuerbegünstigten Zwecke einer anderen Körperschaft beschafft. Das Gesetz hat damit für sog. Spendensammel- oder Fördervereine eine Ausnahme vom Grundsatz der Unmittelbarkeit (§ 57 AO 1977) geschaffen, der das übrige Gemeinnützigkeitsrecht beherrscht (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 58 AO 1977 Tz.2).

2. Das FG hat keine Feststellungen zu den Zwecken getroffen, die die vom Kläger begünstigten Körperschaften verfolgten. Diese Feststellungen wären erforderlich gewesen, da ein Spendensammel- oder Förderverein nur dann als gemeinnützig anerkannt werden kann, wenn er Mittel für die Verwirklichung steuerbegünstigter Zwecke einer anderen Körperschaft beschafft (§ 58 Nr.1 AO 1977). Diese Frage kann jedoch dahingestellt bleiben, da die Klage des Klägers wegen unzulässiger Rücklagenbildung abzuweisen war.

3. Die Klage ist unbegründet, weil der Kläger Rücklagen gebildet hat, die über die in den Streitjahren bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten hinausgingen. Die Ausführungen des FG sind insoweit nicht frei von Rechtsirrtum.

a) Das FG hat zwar zutreffend ausgeführt, daß die Funktion eines Spendensammel- oder Fördervereins eine gewisse Thesaurierung der beschafften Mittel voraussetzt. Wenn die zu fördernden gemeinnützigen Vorhaben der anderen Körperschaft nicht zeitgleich mit der Mittelbeschaffung durch den Förderverein verwirklicht werden können, muß der Förderverein die Möglichkeit vorübergehender Thesaurierung haben. Sonst wäre eine sinnvolle Funktion des Fördervereins nicht denkbar.

b) Das Gesetz gibt jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die Regelung über die Grenzen steuerunschädlicher Rücklagenbildung in § 58 Nr.6 AO 1977 nicht auch für Körperschaften im Sinne des § 58 Nr.1 AO 1977 gelten.

Nach § 58 Nr.6 AO 1977 können gemeinnützige Körperschaften ihre Mittel ganz oder teilweise einer Rücklage zuführen, soweit dies erforderlich ist, um ihre steuerbegünstigten und satzungsmäßigen Zwecke nachhaltig erfüllen zu können. Die Vorschrift ermöglicht auch Spendensammel- oder Fördervereinen eine sinnvolle, ihren individuellen Zwecken entsprechende Rücklagenbildung. Ist der Spendensammel- oder Förderverein wegen Verzögerung der von ihm zu finanzierenden gemeinnützigen Zwecke gezwungen, die beschafften Mittel zunächst zu thesaurieren, so ist die Rücklagenbildung zur nachhaltigen Erfüllung seiner Zwecke erforderlich und damit nach § 58 Nr.6 AO 1977 auch unschädlich. Der Förderverein kann somit im Rahmen der Möglichkeiten des § 58 Nr.6 AO 1977 seine Ziele sinnvoll und ohne Gefährdung seiner Funktion erfüllen. Das Gesetz enthält in der Kombination der Vorschriften des § 58 Nrn.1 und 6 AO 1977 Regelungen, die eine funktionsgerechte Verwirklichung der gesetzgeberischen Ziele ermöglichen. Nachdem auch der Wortlaut des Gesetzes keine Anhaltspunkte für eine Nichtanwendbarkeit des § 58 Nr.6 AO 1977 auf Körperschaften nach § 58 Nr.1 AO 1977 gibt, ist davon auszugehen, daß § 58 Nr.6 AO 1977 auch auf die in § 58 Nr.1 AO 1977 genannten Körperschaften anzuwenden ist.

c) § 58 Nr.6 AO 1977 ist als Konkretisierung des Gebots selbstlosen Handelns in § 55 Abs.1 Nr.1 AO 1977 zu verstehen (vgl. auch Tipke/Kruse, a.a.O., § 58 AO 1977 Tz.7). Die Vorschrift setzt die Voraussetzung selbstlosen Handelns nicht außer Kraft, sondern setzt den Rahmen, in dem die Bildung eigenes Vermögens noch mit den Zielen der Gemeinnützigkeit vereinbar ist. Grundsätzlich verstößt eine auf Bildung eigenen Vermögens gerichtete Tätigkeit gegen die Gemeinnützigkeit (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26.April 1989 I R 209/85, BFHE 157, 132, BStBl II 1989, 670). Dieser Grundsatz ist jedoch durchbrochen, wenn die Körperschaft Mittel ansammelt, die zur nachhaltigen Erfüllung ihrer gemeinnützigen Zwecke erforderlich sind. Das Merkmal der erforderlichen Rücklagenbildung ist dabei nach objektiven Kriterien des konkreten Falles zu überprüfen. Zielt die Tätigkeit einer Körperschaft nur auf die Beschaffung der Mittel für gemeinnützige Zwecke anderer Körperschaften, so muß die Rücklagenbildung diesem Zweck entsprechen. Sie muß dem Zweck nicht nur dienen, sondern zur Zweckerfüllung erforderlich sein (§ 58 Nr.6 AO 1977).

d) Im Streitfall ist eine Notwendigkeit zur Rücklagenbildung nicht zu erkennen. Der Kläger bezog seine Mittel im Streitjahr 1978 im wesentlichen aus Spenden oder Beiträgen seiner Mitglieder und in den Jahren 1979 und 1980 fast ausschließlich aus Vermögenserträgen. Im Streitjahr 1978 hatte der Kläger im wesentlichen die Funktion einer Clearing-Stelle der verschiedenen Verbands-Organisationen. Er vereinnahmte rund 71 000 DM Beiträge und Spenden von seinen Mitgliedsorganisationen und leitete einen erheblichen Teil dieser Beiträge an den Landesverband weiter. In den Folgejahren beschränkte sich die Mittelbeschaffung fast ausschließlich auf den Bezug von Vermögenserträgen und ihre partielle Weiterleitung an den Landesverband und andere Verbände. Die nicht weitergeleiteten Erträge verwandte der Kläger zu einer maßvollen, aber stetigen Mehrung seines Vermögens.

Die den Senat bindenden (§ 118 Abs.2 FGO) Feststellungen des FG lassen keine Gründe erkennen, die beim Kläger die Bildung einer Rücklage in Höhe von rund 250 000 DM als erforderlich erscheinen lassen. Der erkennende Senat schließt nicht aus, daß ein konkretes Investitionsvorhaben des Landesverbandes oder auch ein konkretisierter Liquiditätsbedarf aus anderen Gründen den Kläger zur Bildung einer für seine Zwecke "erforderlichen" und damit steuerunschädlichen Rücklage hätte veranlassen können. Im Streitfall sind jedoch keinerlei Anhaltspunkte für die Notwendigkeit erkennbar, über viele Jahre hinweg eine allmählich wachsende Rücklage zu bilden, die in den Jahren 1979 und 1980 mehr als das Zwanzigfache der jährlichen Ausgaben ausmachte. Die tatsächliche Geschäftsführung des Klägers stellte sich in den Streitjahren wie eine auf maßvollen Vermögenszuwachs gerichtete Geschäftspolitik dar.

e) Das FG hat zwar zutreffend darauf hingewiesen, daß die für gemeinnützige Zwecke zu beschaffenden Mittel auch aus Vermögenserträgen des Spendensammel- oder Fördervereins stammen können. Die Verwendung von Vermögenserträgen für gemeinnützige Zwecke ist jedoch von der Bildung eines Vermögens als Ertragsquelle zu unterscheiden. Eine Rücklagenbildung ist nach § 58 Nr.6 AO 1977 nur zulässig, soweit diese Rücklagen zur nachhaltigen Zweckerfüllung erforderlich sind. Die erstmalige Bildung einer ertragsbringenden Vermögenssubstanz aus laufenden Einnahmen ist zur nachhaltigen Zweckerfüllung nicht erforderlich. Gemeinnützige Körperschaften sind grundsätzlich gehalten, ihre laufenden Einnahmen zeitnah für gemeinnützige Zwecke einzusetzen (Urteil des Reichsfinanzhofs vom 22.März 1941 VIa 18/41, RFHE 50, 122, 124, RStBl 1941, 437; BFH-Urteil vom 20.Dezember 1978 I R 21/76, BFHE 127, 360, BStBl II 1979, 496). Steht der Körperschaft keine Vermögenssubstanz zur Verfügung, so können die laufenden Einnahmen nicht zur Bildung einer Vermögenssubstanz eingesetzt werden, deren Erträge dann in ungewisser Zukunft für Satzungszwecke verwendet werden sollen. Eine solche Mittelverwendung wäre nicht "erforderlich" für die nachhaltige Zweckerfüllung. Es kann nicht Sinn der Rücklagenbildung sein, zunächst das Vermögen anzusammeln, aus dem dann die Erträge für gemeinnützige Zwecke erzielt werden sollen. Das wäre eine vom Gesetz nicht begünstigte, gegen § 55 AO 1977 verstoßende Vermögensbildung im steuerfreien Bereich.

Diese Auslegung wird gestützt durch die in den Streitjahren noch nicht anwendbare ergänzende Vorschrift zur Rücklagenbildung in § 58 Nr.7 AO 1977 i.d.F. des Steuerbereinigungsgesetzes 1986 vom 19.Dezember 1985 (BGBl I 1985, 2436). In dieser erweiterten Ausnahme vom Verbot der Vermögensbildung hat der Gesetzgeber zwar die Bildung von Rücklagen ohne konkreten Anlaß für steuerunschädlich erklärt. Er hat jedoch die nicht durch konkreten Anlaß gebotene Rücklagenbildung auf ein Viertel der Überschüsse aus Vermögensverwaltung beschränkt. Im Streitfall hat der Kläger in den Streitjahren 1978 und 1980 erheblich mehr als ein Viertel seiner Vermögenserträge seinem Vermögen zugeführt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 62789

BFH/NV 1989, 49

BStBl II 1990, 28

BFHE 158, 333

BFHE 1990, 333

BB 1989, 2446-2446 (LT1)

DB 1990, 159 (S)

HFR 1990, 109 (LT)

StE 1990, 33 (K)

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