Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Bewertung Bewertung/Vermögen-/Erbschaft-/Schenkungsteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Zustellung eines Enteignungsbescheides zur Beschaffung von Siedlungsland und zur Bodenreform - auf Grund des Bayerischen Gesetzes Nr. 92 zur beschleunigten Durchführung der Bodenreform vom 28. November 1947 (Bayer. GVBl. 1947 S. 215) - kann, schon vor Eintritt seiner Rechtskraft, das wirtschaftliche Eigentum des Landwirts an dem enteigneten Gelände aufheben und die Fortschreibung des Einheitswerts des landwirtschaftlichen Vermögens rechtfertigen.

 

Normenkette

StAnpG § 11 Ziff. 4; BewG § 22; AO § 225a

 

Tatbestand

Durch am 25. Dezember 1947 zugestellten Bescheid der Oberen Siedlungsbehörde vom 19. Dezember 1947 wurde auf Grund des Bayerischen Gesetzes Nr. 92 zur beschleunigten Durchführung der Bodenreform vom 28. November 1947 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt - Bay. GVBl. - 1947 S. 215) - vgl. Bayerisches Gesetz Nr. 48 zur Beschaffung von Siedlungsland und zur Bodenreform (GSB) vom 18. September 1946 (Bay. GVBl. 1946 S. 326) - eine größere Anzahl im einzelnen aufgeführter Grundstücke des Bf., eines landwirtschaftlichen Großgrundbesitzers, zugunsten der Siedlungsgesellschaft enteignet. Das vom Beschwerdeführer (Bf.) hiergegen in Lauf gesetzte Rechtsmittelverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Da gegen den Enteignungsbescheid noch ein Rechtsmittel schwebt, kann die Entscheidung über die Fortschreibung der Einheitswerte des landwirtschaftlichen Vermögens nach § 100 der Reichsabgabenordnung (AO) nur vorläufig und nur schätzungsweise erfolgen (vgl. die Schätzung des Bf. im Rahmen seiner Selbstberechnung der Soforthilfeabgabe).

Sobald über die Fortschreibung der Einheitswerte vorläufig entschieden ist, kann auf dieser Grundlage die Soforthilfeabgabe anderweit festgesetzt werden. Die Vorschriften des § 5 der Zweiten Durchführungsverordnung zum ersten Teil des Soforthilfegesetzes (2. StDVO-SHG) - Bundessteuerblatt 1951 Teil I S. 55 ff. - sind zu beachten.

Bei der Entscheidung über den Antrag auf Fortschreibung der einschlägigen Einheitswerte wird von folgendem auszugehen sein:

 

Entscheidungsgründe

Um die von dem Enteignungsbescheid vom 19. Dezember 1947 betroffenen Trennstücke mindern sich die beteiligten Einheitswerte im Rahmen des § 22 des Bewertungsgesetzes (BewG), wenn der Bf. zufolge des Enteignungsbescheids vom 1. Januar 1947 nicht mehr ihr wirtschaftlicher Eigentümer gewesen ist, obwohl er im Grundbuch noch als Eigentümer eingetragen war.

In dem Verfahren über die Festsetzung der Soforthilfeabgabe hat sich das Finanzgericht auf den Standpunkt gestellt, der Bf. sei am Währungsstichtage noch wirtschaftlicher Eigentümer des streitigen Grundbesitzers gewesen, weil nicht der Siedlungsgesellschaft, sondern ihm dessen Nutzung zugestanden habe.

Hierin liegt ein Verstoß gegen § 11 Ziff. 4 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG), auf den sich das Finanzgericht für seine Entscheidung bezogen hat. Nach dieser Vorschrift sind Wirtschaftsgüter demjenigen steuerlich zuzurechnen, der sie in Eigenbesitz hat. Als Eigenbesitzer ist anzusehen, wer ein Wirtschaftsgut als ihm gehörig besitzt. Dies ist dann der Fall, wenn jemand wie ein Eigentümer über ein Wirtschaftsgut verfügen kann und dessen Nutzungen und Lasten hat. So wird z. B. bei dem Verkauf eines Grundstücks, wenn sich die Vertragspartner über den übergang des Eigentums einig sind, wirtschaftliches Eigentum des Erwerbers von dem Zeitpunkt an anzunehmen sein, von dem an ihm auf Grund des Vertrages das Grundstück übergeben ist und er die Nutzungen zieht sowie Lasten trägt, auch wenn er noch nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen und demnach noch nicht bürgerlich-rechtlicher Eigentümer geworden ist.

Nach der mit dem Enteignungsbescheid verbundenen Anordnung ist der Bf. zur Bewirtschaftung und Nutznießung trotz der Enteignung weiterhin berechtigt und verpflichtet, bis die streitigen Grundstücke für die Zwecke des Bayerischen Gesetzes zur Beschaffung von Siedlungsland und zur Bodenreform vom 18. September 1946 in Anspruch genommen werden. Doch ist die Regelung des Besitz- und Bewirtschaftungsverhältnisses einer - bisher nicht ergangenen - gesonderten Entscheidung vorbehalten geblieben. Es läßt sich jedenfalls nicht sagen, daß dem Bf. noch am Währungsstichtage die Nutzungen des streitigen Grundbesitzes zugestanden hätten. Vielmehr hat er sie als Treuhänder für den, den es anging, gezogen.

Auch sonst konnte er am Währungsstichtage, nach Empfang des Enteignungsbescheids, die enteigneten Grundstücke nicht als ihm gehörig besitzen. Es war nicht nur der Landabgabebescheid ergangen, der sich über das Maß des abzugebenden Grundbesitzes verhielt, sondern es waren die einzelnen Grundstücke, die abgegeben werden sollten, genau bezeichnet und ihre Enteignung ausgesprochen worden. Damit war vor dem Währungsstichtage, vorbehaltlich des Eintritts der Rechtskraft der Enteignung, über den Eigentumsübergang die äußerste und letzte Entscheidung ergangen, die im Enteignungsverfahren getroffen werden konnte. Diese Entscheidung mochte im Rechtsmittelverfahren zwar noch abgeändert werden. Aber außerhalb des Enteignungsbescheids und des Rechtsmittelverfahrens über ihn konnte und kann der Bf. eine weitere Entscheidung nicht erwarten. Demzufolge hat der Enteignungsbescheid vom 19. Dezember 1947 nicht nur, wie es in seinen Gründen heißt, eine Anwartschaft oder einen - obligatorischen - Anspruch des Siedlungsunternehmens auf das Eigentum begründet und gesichert, sondern er ist unmittelbar auf die Enteignung, d. h. auf den Untergang des Eigentums des Bf., gerichtet, wie sich dies zwingend aus dem Wortlaut des Bescheides selbst ergibt:

"Die ... Grundstücke werden ... enteignet." Der Hinweis der Oberen Siedlungsbehörde, in dem auf § 3 des Beschleunigungsgesetzes vom 28. November 1947 Bezug genommen und von dem Erwerb nur einer Anwartschaft und der Sicherung des Eigentumsanspruchs die Rede ist, kann demnach nur als eine Erläuterung zu § 3 a. a. O. und als Belehrung darüber verstanden werden, daß der Enteignungsbescheid zwar mit der Zustellung wirksam, hinsichtlich der Enteignung seine Wirksamkeit aber durch Einlegung eines Rechtsmittels gehemmt wird (ß 30 Abs. 7 a. a. O.).

Seit Empfang des Enteignungsbescheids, daher auch an dem hier maßgebenden Währungsstichtage, hat indessen festgestanden, daß der Bf., wenn und soweit der Bescheid rechtskräftig werden sollte, das bürgerlich-rechtliche Eigentum an dem streitigen Grundbesitz verlieren wird. Auch wenn in diesem Falle der Enteignungsbescheid erst mit dem Eintritt der Rechtskraft ohne Rückwirkung auf den Tag der Zustellung des Enteignungsbescheids bürgerlich-rechtlich als wirksam anzusehen sein sollte, ist die steuerliche Betrachtungsweise hieran nicht gebunden. Vielmehr ist steuerrechtlich selbständig zu prüfen, ob unter den gegebenen Umständen der Bf. am Währungsstichtage (ß 11 Ziff. 4 StAnpG) die enteigneten Grundstücke als ihm gehörig besessen hat. Diese Frage ist unter der Voraussetzung, daß der Enteignungsbescheid rechtskräftig wird, aus folgenden Gründen zu verneinen:

Nach den gesetzmäßigen Bestimmungen des Enteignungsbescheids sind bereits mit seiner Zustellung folgende Wirkungen zu Ungunsten des Bf. eingetreten:

Die Siedlungsgesellschaft ist durch den Enteignungsbescheid mit Wirkung von seiner Zustellung an in den Besitz des streitigen Geländes eingewiesen worden, weil nach § 4 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 92 zur beschleunigten Durchführung der Bodenreform vom 28. November 1947 der Besitz an den im Bescheid bezeichneten Grundstücken kraft Gesetzes auf das Siedlungsunternehmen übergegangen ist.

Daß der Bf. berechtigt und verpflichtet worden ist, den streitigen Grundbesitz weiterhin zu bewirtschaften und zu nutzen, ist schon oben besprochen worden.

Die Tatsache allein, daß die Obere Siedlungsbehörde dem Bf., obwohl er im Grundbuch als Eigentümer eingetragen ist, ausdrücklich das Recht zuspricht, den streitigen Grundbesitz weiterhin zu bewirtschaften und zu nutzen, zeigt, daß er dieses Recht, um es zu besitzen, besonders gewährt erhalten muß. Wie die darüber hinaus ausgesprochene Verpflichtung zur Bewirtschaftung und Nutzung beweist, ist der Bf. mit der Zustellung des Enteignungsbescheids außer Stand gesetzt worden, über den der Enteignung unterworfenen Grundbesitz wie ein Eigentümer zu schalten und zu walten.

Das wirtschaftliche Gesamtbild, das sich aus diesen Maßnahmen ergibt, zeigt den Bf. als im Grundbuch eingetragenen bürgerlich-rechtlichen Eigentümer, der

den streitigen Grundbesitz nicht auf Grund seines Eigentums, sondern infolge der Anordnung der Oberen Siedlungsbehörde vom 19. Dezember 1947 und nur noch so lange und so weit besitzt, als es die Siedlungsgesellschaft zuläßt,

den Ertrag für den, den es angeht, zieht und ziehen muß,

über den streitigen Grundbesitz oder Teile davon nicht mehr frei verfügen darf und

einen Enteignungsbescheid hinsichtlich dieses Geländes empfangen hat, ohne auf die Aufhebung des Bescheids rechnen zu können.

Im einzelnen ist noch auf folgendes hinzuweisen: Im vorliegenden Falle ist der Besitz an den streitigen Grundstücken von dem Bf. auf die Siedlungsgesellschaft kraft Gesetzes übergegangen; der Enteignungsbescheid hat die gesetzliche Regelung mitgeteilt. Gemeinhin wird der Besitz einer Sache nach § 854 BGB durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über sie erworben. Diese Voraussetzung ist im Falle der vorliegenden Enteignung allerdings nicht erfüllt. Aber gerade deshalb ist der übergang des Besitzes durch Gesetz geregelt worden. Die übertragung des Besitzes durch Gesetz ist ein Sonderfall, jedoch nicht der einzige dieser Art. Erinnert sei z. B. an § 857 BGB, kraft dessen in Erbfällen der Besitz ohne Rücksicht auf die tatsächliche Sachherrschaft auf die Erben übergeht. Die Rechtsgültigkeit einer Gesetzesvorschrift über den Verlust des Besitzes im Enteignungsverfahren ist im Verhältnis zu der allgemeinen Regelung des BGB in jedem Falle nach a. 109 EGBGB bedenkenfrei.

Der Bf. übt zwar zur Zeit auf Grund der Zulassung durch die Siedlungsgesellschaft noch den Besitz aus, jedoch lediglich auf Grund des Treuhandverhältnisses, in dem er zu dieser steht, während sie den mittelbaren Besitz innehat (ß 868 BGB).

Die völlige Abhängigkeit des Bf. in seinen Verfügungen über den streitigen Grundbesitz oder Teile davon zufolge des Enteignungsbescheids zeigt sich auch darin, daß er den streitigen Grundbesitz nicht ohne Zustimmung der Siedlungsgesellschaft veräußern oder belasten darf. Nimmt man hinzu, daß die Siedlungsgesellschaft jederzeit selbst den unmittelbaren Besitz zu übernehmen berechtigt ist, und daß der Enteignungsbescheid dem Bf. bereits seit dem 25. Dezember 1947 vorliegt, so hat der Bf. seit der Zustellung des Enteignungsbescheids nicht mehr die Stellung eines wirtschaftlichen Eigentümers hinsichtlich des streitigen Geländes. Der Besitz, den er innehat, stellt seitdem nur ein von den Rechten der Siedlungsgesellschaft abgeleitetes Recht dar; dies ist kein Eigenbesitz (ß 11 Ziff. 4 StAnpG).

Wenngleich der Enteignungsbescheid noch nicht rechtskräftig geworden ist und in Einzelheiten noch abgeändert werden mag, so darf doch das Steuerrecht an der grundsätzlich durch ihn geschaffenen Lage nicht vorübergehen (ß 1 StAnpG). Der zu Beginn des Währungsstichtages vorliegende Enteignungsbescheid ist vielmehr bei der steuerlichen Beurteilung zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 309 AO.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407553

BStBl III 1953, 62

BFHE 1954, 157

BFHE 57, 157

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