Leitsatz (amtlich)

Der Senat hält daran fest, daß der bewertungsrechtliche Einfamilienhausbegriff nicht ein von der allgemeinen Verkehrsauffassung bestimmter Begriff ist (so schon Urteil vom 5.Februar 1986 II R 31/85, BFHE 146, 167, BStBl II 1986, 448).

 

Orientierungssatz

1. Wohngrundstücke dienen Wohnzwecken. Die Grundstücksart wird ausgehend von der Anzahl der Wohnungen bestimmt. Ist ein Wohngrundstück weder ein Einfamilienhaus noch ein Zweifamilienhaus, so stellt sich erst die Frage, ob es ein Mietwohngrundstück oder ein gemischtgenutztes Grundstück ist (vgl. BFH-Rechtsprechung). Daraus folgt, daß eine Wohnung i.S. eines bewertungsrechtlichen Einfamilienhauses oder Zweifamilienhauses nur dann vorliegt, wenn die zu einer Wohnung zusammengefaßten Räume auch tatsächlich Wohnzwecken dienen.

2. Für die Einreihung eines Grundstücks mit nur einer Wohnung in die Grundstücksart Einfamilienhaus ist es ohne Bedeutung, ob sich die auf das Grundstück bezogene Mitbenutzung zu anderen als Wohnzwecken innerhalb der einen Wohnung des Einfamilienhauses oder in anderen Räumen vollzieht, die zu selbständigen Einheiten innerhalb des Baukörpers zusammengefaßt sind, ohne eine Wohnung zu sein (vgl. BFH-Urteil vom 2.7.1976 III R 54/75). Entsprechendes gilt für die Zweifamilienhäuser im Sinne des BewG.

 

Normenkette

BewG 1965 § 75 Abs. 5; BewG 1974 § 75 Abs. 5; BewG 1965 § 75 Abs. 6; BewG 1974 § 75 Abs. 6; BewG 1965 § 75 Abs. 2; BewG 1974 § 75 Abs. 2; BewG 1965 § 75 Abs. 4; BewG 1974 § 75 Abs. 4

 

Verfahrensgang

FG Hamburg (Entscheidung vom 09.11.1984; Aktenzeichen III 145/81)

 

Tatbestand

Der Kläger erwarb im Jahre 1977 ein bebautes Grundstück. Das Grundstück war zum 1.Januar 1974 als Zweifamilienhaus bewertet worden. Aufgrund einer Mitteilung der Bauprüfstelle des Bezirksamts vom 28.August 1978, aus der sich ergab, daß der Kläger mit seiner Familie das Erdgeschoß (145,77 qm) als Wohnung, das Dachgeschoß teilweise als Büro (54,68 qm) und im übrigen als Abstellraum (42,69 qm) nutze, führte das Finanzamt (FA) mit Bescheid vom 22.Oktober 1979 auf den 1.Januar 1978 u.a. eine Artfortschreibung durch. Es stellte dabei die Grundstücksart Einfamilienhaus fest.

Während des Einspruchsverfahrens führte das FA eine Ortsbesichtigung durch. Dabei stellte es fest, daß die ehemalige Wohnung im Dachgeschoß für eine Steuerberatungspraxis genutzt werde. Sowohl Küche wie voll nutzbares Bad mit WC seien vorhanden. Die Küche sei mit einer Spüle, einem Wasseranschluß, einem Kachelschild an der Wand hinter der Spüle, einer zweiflammigen Kochplatte und einem Kühlschrank eingerichtet. Zwar sei die Spüle nicht an das Abflußrohr angeschlossen, doch fehle lediglich ein kleines Zuleitungsstück.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Mit der Klage begehrt der Kläger, die Artfortschreibung ersatzlos aufzuheben, hilfsweise die Grundstücksart gemischtgenutztes Grundstück festzustellen. Das Finanzgericht (FG) hat der Klage im Hilfsantrag stattgegeben. Seine Entscheidung ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1985, 274 veröffentlicht.

Mit der Revision beantragt das FA, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen. Es rügt Verletzung von § 75 des Bewertungsgesetzes (BewG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage.

Das Wohngrundstück des Klägers ist zum 1.Januar 1978 im Wege der Artfortschreibung zutreffend vom FA als Einfamilienhaus bewertet worden, weil es an diesem Stichtag nur eine Wohnung enthielt und darüber hinaus die Eigenart als Einfamilienhaus durch die freiberufliche Mitbenutzung nicht wesentlich beeinträchtigt wurde.

I. In § 75 Abs.1 BewG werden die Arten der bebauten Grundstücke abschließend aufgezählt und in § 75 Abs.2 bis 6 BewG die für die Einreihung in eine der Arten maßgebenden Kriterien aufgeführt. Neben den hier nicht relevanten sonstigen bebauten Grundstücken enthält die Vorschrift eine grundsätzliche Einteilung in zwei Gruppen:

1. Die Geschäftsgrundstücke (§ 75 Abs.1 Nr.2, Abs.3 BewG). Das sind diejenigen bebauten Grundstücke, die zu mehr als 80 v.H. eigenen oder fremden gewerblichen oder öffentlichen Zwecken dienen. Bei dieser Grundstücksart wird lediglich nach der Art der Nutzung gefragt, die Anzahl der selbständigen in sich abgeschlossenen Raumeinheiten ist hier ohne Bedeutung.

2. Die Wohngrundstücke (§ 75 Abs.1 Nr.1, 3 bis 5, Abs.2, 4 bis 6 BewG). Sie sind dadurch gekennzeichnet, daß sie --wenn auch in unterschiedlichem Umfang-- Wohnzwecken dienen. Die Art der Wohngrundstücke wird ausgehend von der Anzahl der Wohnungen bestimmt. Wohngrundstücke mit nur einer Wohnung sind Einfamilienhäuser (§ 75 Abs.5 Satz 1 BewG), Wohngrundstücke mit zwei Wohnungen sind Zweifamilienhäuser (§ 75 Abs.6 Satz 1 BewG). Ist ein Wohngrundstück weder ein Einfamilien- noch ein Zweifamilienhaus, so stellt sich erst die Frage, ob es ein Mietwohngrundstück oder ein gemischtgenutztes Grundstück ist (so schon Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7.Dezember 1973 III R 158/72, BFHE 111, 264, 266, BStBl II 1974, 195, und auch Urteil vom 22.Februar 1985 III R 78/81, BFHE 142, 570, 572, BStBl II 1985, 284). Hieraus folgt, daß eine Wohnung im Sinne eines bewertungsrechtlichen Ein- oder Zweifamilienhauses nur dann vorliegt, wenn die zu einer Wohnung zusammengefaßten Räume auch tatsächlich Wohnzwecken dienen. Denn es wäre mit dem Aufbau von § 75 BewG nicht zu vereinbaren, daß die Gruppe der Wohngrundstücke einerseits dadurch gekennzeichnet ist, daß sie Wohnzwecken dienen, die Wohnung eines Einfamilienhauses bzw. die Wohnungen eines Zweifamilienhauses aber nicht Wohnzwecken zu dienen brauchten. Wäre dies so, dann müßte es auch innerhalb der Geschäftsgrundstücke Ein- und Zweifamilienhäuser geben, wenn die räumliche Einteilung des Grundstücks so gestaltet ist, daß (wie beispielsweise bei Bürohäusern möglich) Einheiten vorhanden sind, die als Wohnungen anzusehen wären, falls sie zu Wohnzwecken genutzt würden. Im Bereich der Geschäftsgrundstücke gibt es aber ungeachtet der räumlichen Gestaltung keine Ein- und Zweifamilienhäuser.

Die Grundstücksart Einfamilienhaus wird vom BewG dahin beschrieben, daß das Wohngrundstück nur eine Wohnung enthält (§ 75 Abs.5 Satz 1 BewG). Dabei zählen nach § 75 Abs.5 Satz 2 BewG Wohnungen des Hauspersonals nicht zu den für die bewertungsrechtliche Abgrenzung maßgebenden Wohnungen. Auch Raumeinheiten, die, zu Wohnzwecken genutzt, eine Wohnung darstellen, aber zu gewerblichen, freiberuflichen (vgl. § 96 BewG) oder öffentlichen Zwecken genutzt werden, sind nicht Wohnungen im Sinne der bewertungsrechtlichen Abgrenzung (s. oben). Stellt sich ein Wohngrundstück unter Berücksichtigung dieser Abgrenzungsmerkmale bewertungsrechtlich als Einfamilienhaus dar, so gilt es auch dann als Einfamilienhaus, wenn es zwar zu gewerblichen, freiberuflichen oder öffentlichen Zwecken mitbenutzt wird, diese Mitbenutzung die Eigenart als Einfamilienhaus aber nicht wesentlich beeinträchtigt (§ 75 Abs.5 Satz 4 BewG). Daraus folgt auch, daß es für die Einreihung eines Grundstücks mit nur einer Wohnung in die Grundstücksart Einfamilienhaus nach dem BewG ohne Bedeutung ist, ob sich die auf das Grundstück bezogene Mitbenutzung zu anderen als Wohnzwecken innerhalb der einen Wohnung des Einfamilienhauses oder in Räumen vollzieht, die zu selbständigen Einheiten innerhalb des Baukörpers zusammengefaßt sind (vgl. auch schon die Entscheidung des BFH vom 2.Juli 1976 III R 54/75, BFHE 119, 294, BStBl II 1976, 640; der gegenteiligen Auffassung von Schrimpf in Der Betrieb 1985, 2174 ff. vermag der Senat nicht zu folgen, weil sie der Systematik des BewG widerspricht). Entsprechendes gilt für die Zweifamilienhäuser im Sinne des BewG.

Mit der Begriffsbestimmung des bewertungsrechtlichen Einfamilienhauses in § 75 Abs.5 BewG gibt das Gesetz drei Entscheidungsmerkmale an die Hand, deren Vorliegen in folgender Reihenfolge zu prüfen ist:

a) Das Grundstück darf nur eine Wohnung enthalten.

b) Wohnungen des Hauspersonals und baulich als Wohnungen anzusehende Raumeinheiten, die zu öffentlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Zwecken benutzt werden, bleiben zunächst außer Betracht.

c) Wird ein Wohngrundstück, das nach den vorstehenden Kriterien als Einfamilienhaus i.S. des BewG zu beurteilen ist, zu öffentlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Zwecken mitbenutzt, so gilt es (auch dann) als Einfamilienhaus, wenn durch diese Mitbenutzung die Eigenart als Einfamilienhaus nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Das Gesetz bietet damit zwei Abgrenzungskriterien, einmal den Begriff "Mitbenutzung" und zum anderen die dadurch verursachte wesentliche Beeinträchtigung der Eigenart des (Wohn-)Grundstücks als Einfamilienhaus. Mitbenutzung i.S. des § 75 Abs.5 Satz 4 BewG kann nur dann vorliegen, wenn die Nutzung zu anderen als Wohnzwecken nicht gleichgewichtig ist bzw. überwiegt (vgl. BFH-Urteil vom 6.Juli 1979 III R 77/77, BFHE 128, 397, BStBl II 1979, 726). Der Begriff der Mitbenutzung bedeutet dagegen nicht eine Nutzung von untergeordneter Bedeutung, weil das Gesetz auch für die Grundstücksart gemischtgenutztes Grundstück nicht nur den Vorbehalt zugunsten des Mietwohngrundstückes mit einer zulässigen anderen Nutzung von weniger als 20 v.H., sondern auch den Vorbehalt zugunsten der Ein- und Zweifamilienhäuser enthält (vgl. § 75 Abs.4 BewG). Dabei ist auf den räumlichen Anteil, auf den sich die Mitbenutzung erstreckt, abzustellen und nicht auf das Verhältnis der Jahresrohmieten. Denn das Gesetz selbst knüpft an die tatsächliche Nutzung (und deren Umfang) an. Der Begriff der Mitbenutzung ragt auch in das weitere Kriterium hinein: ein Grundstück, das überwiegend zu anderen als Wohnzwecken genutzt wird, wird in seiner Eigenart als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigt. Darüber hinaus ist die Frage der wesentlichen Beeinträchtigung der Eigenart als Einfamilienhaus nach dem äußeren Erscheinungsbild des Grundstücks unter Berücksichtigung von bewertungsrechtlichen Einfamilienhäusern zu beantworten, die nicht zu öffentlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Zwecken mitbenutzt werden (so auch Senatsurteil vom 9.Oktober 1985 II R 249/81, BFHE 145, 232, BStBl II 1986, 172).

Dabei kann nicht von der Verkehrsanschauung, einer etwa bestehenden allgemeinen Vorstellung vom Erscheinungsbild eines Einfamilienhauses ausgegangen werden. Denn der Begriff des Einfamilienhauses im bewertungsrechtlichen Sinn ist nicht ein von der Verkehrsauffassung bestimmter Begriff, sondern ein durch die Umschreibung in § 75 Abs.5 BewG gekennzeichneter Rechtsbegriff, von dem ausgehend die Frage der wesentlichen Beeinträchtigung durch die Mitbenutzung zu anderen als Wohnzwecken zu beantworten ist (Senatsentscheidung vom 5.Februar 1986 II R 31/85, BFHE 146, 167, BStBl II 1986, 448). Daraus folgt, daß die Mitbenutzung zu anderen als Wohnzwecken nach außen in der Weise hervortreten muß, daß sie die Eigenart des Grundstücks deutlich prägt, also in den Vordergrund tritt (vgl. auch Senatsurteil vom 23.Oktober 1985 II R 250/81, BFHE 145, 92, BStBl II 1986, 173).

II. Im vorliegenden Fall enthielt das Wohngrundstück des Klägers am Stichtag nur eine Wohnung, denn die ursprünglich als zweite Wohnung qualifizierte Raumeinheit im Dachgeschoß wurde nicht ihrer Bestimmung gemäß zu Wohnzwecken genutzt. Zutreffend ist das FG deshalb zu der Abweisung der Klage im Hauptantrag gelangt.

Das FG ist der Auffassung, allein der Umstand, daß sich die Nutzung zu freiberuflichen Zwecken auf Räumlichkeiten beziehe, die bei bestimmungsgemäßer Nutzung als Wohnung das Grundstück der Art Zweifamilienhaus zuordne, beeinträchtige die Eigenart als Einfamilienhaus; dies ist jedoch angesichts der spezifischen bewertungsrechtlichen Zählung nicht zutreffend.

III. Die Artfortschreibung auf den 1.Januar 1978 erweist sich damit auch dem Grunde nach als rechtmäßig. Nach § 22 Abs.2 BewG wird eine neue Feststellung über die Art getroffen, wenn sie von der zuletzt getroffenen Feststellung abweicht und es für die Besteuerung von Bedeutung ist. Sofern eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eintritt, ist Fortschreibungszeitpunkt der Beginn des Kalenderjahres, das auf die Änderung folgt (§ 22 Abs.4 Satz 3 Nr.1 BewG). Die nach dem Erwerb des Grundstücks im Jahre 1977 vorgenommene Änderung der Nutzung der Räume im Dachgeschoß, welche vordem als zweite Wohnung qualifiziert worden waren, ist eine die Grundstücksart betreffende Änderung der tatsächlichen Verhältnisse.

 

Fundstellen

Haufe-Index 61192

BStBl II 1987, 104

BFHE 148, 76

BFHE 1987, 76

BB 1987, 324

BB 1987, 324-325 (ST)

DB 1987, 517-518 (ST)

DStR 1987, 94-95 (ST)

HFR 1987, 114-114 (ST)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge