Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Feststellungsverjährung für Verlustfeststellungsbescheide nach § 10d EStG

 

Leitsatz (amtlich)

Dem Erlass eines Verlustfeststellungsbescheides nach § 10d EStG steht solange keine Feststellungsverjährung entgegen, als diese Feststellung für künftige Einkommensteuerfestsetzungen oder Verlustfeststellungen nach § 10d EStG von Bedeutung ist.

 

Normenkette

AO 1977 § 181 Abs. 1, 5, § 182 Abs. 2; EStG § 10d Abs. 3

 

Verfahrensgang

FG München (Urteil vom 24.05.2000; Aktenzeichen 9 K 3439/99; EFG 2001, 1532)

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betrieb von 1985 bis Oktober 1990 einen Gewerbebetrieb. Im Veranlagungszeitraum 1989 betrug der Gesamtbetrag der Einkünfte des Klägers ./. 625 974 DM, wovon der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) gemäß § 10d Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 77 474 DM auf die Veranlagungszeiträume 1987 und 1988 zurücktrug. Die Einkommensteuer 1989 wurde zuletzt mit Bescheid vom 21. November 1994 auf 0 DM festgesetzt.

Die Einkommensteuer 1990 wurde aufgrund geschätzter Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 1 000 DM auf 0 DM festgesetzt. Eine gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum 31. Dezember 1990 nach § 10d Abs. 3 EStG unterblieb. Für die Jahre 1991 bis 1996 wurden keine Einkommensteuerveranlagungen durchgeführt.

Am 12. März 1998 beantragte der Kläger Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 1990. Dies lehnte das FA unter Hinweis auf den Ablauf der Feststellungsfrist am 31. Dezember 1997 ab. Auch dem Antrag des Klägers vom 5. Mai 1998 auf Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 1991 entsprach es nicht; es fehle an einer Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum 31. Dezember 1990. Die gegen die Ablehnungsbescheide erhobenen Einsprüche blieben erfolglos.

Der auf Verlustfeststellung zum 31. Dezember 1990 und 31. Dezember 1991 gerichteten Klage gab das Finanzgericht (FG) statt (Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 2001, 1532).

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung der §§ 181 Abs. 5, 171 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) und beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage als unbegründet abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Das FG hat das FA zu Recht dazu verpflichtet, den verbleibenden Verlustabzug zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 1990 und 31. Dezember 1991 gesondert festzustellen.

1. Gemäß § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG in der in den Streitjahren 1990 und 1991 geltenden Fassung ist der am Schluss eines Veranlagungszeitraums verbleibende Verlustabzug i.S. des § 10d Abs. 3 Satz 2 EStG gesondert festzustellen. Hierzu ist das FA von Amts wegen verpflichtet (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 9. Mai 2001 XI R 25/99, BFHE 195, 545, BFH/NV 2001, 1627; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, Vor § 179 AO 1977 Tz. 6; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 179 AO 1977 Rdnr. 11). In die (erstmalige) Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum 31. Dezember 1990 ist auch der aus dem Veranlagungszeitraum 1989 verbliebene, wenn auch seinerzeit nicht festgestellte Verlustabzug, mit einzubeziehen (vgl. BFH-Urteil vom 31. Juli 1996 XI R 4/96, BFH/NV 1997, 180).

2. Der zum 31. Dezember 1990 verbliebene Verlustabzug kann trotz eines möglichen Ablaufs der gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 169 ff. AO 1977 geltenden Feststellungsfristen (vgl. z.B. Tipke/Kruse, a.a.O., § 181 AO 1977 Tz. 5 ff., 19) noch gesondert festgestellt werden.

a) Nach § 181 Abs. 5 AO 1977 kann eine gesonderte Feststellung auch nach Ablauf der für sie geltenden Feststellungsfrist insoweit erfolgen, als die gesonderte Feststellung für eine Steuerfestsetzung von Bedeutung ist, für die die Festsetzungsfrist im Zeitpunkt der gesonderten Feststellung noch nicht abgelaufen ist. Das Gleiche gilt, wenn die gesonderte Feststellung Grundlagenbescheid für einen weiteren Feststellungsbescheid ist. Denn gemäß § 181 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 gelten für die gesonderte Feststellung die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung und damit auch § 181 Abs. 5 AO 1977 sinngemäß (BFH-Urteil vom 13. Juli 1999 VIII R 76/97, BFHE 189, 309, BStBl II 1999, 747).

b) Gemäß § 181 Abs. 5 AO 1977 steht einer Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum 31. Dezember 1990 Feststellungsverjährung nicht entgegen.

aa) Die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum 31. Dezember 1990 ist ―zumindest― von Bedeutung i.S. des § 181 Abs. 5 AO 1977 für die gesonderten Feststellungen des verbleibenden Verlustabzugs zum 31. Dezember 1991 sowie der Folgejahre. Im Streitfall kann daher offen bleiben, ob, ggf. inwieweit die Verlustfeststellung zum 31. Dezember 1990 für die Festsetzung der Einkommensteuer 1991 ff. (hier: keine Veranlagungen für 1991 ff.) von Bedeutung ist.

Dass eine Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum 31. Dezember 1990 für spätere Verlustfeststellungsbescheide von Bedeutung ist, ergibt sich aus der Definition des verbleibenden Verlustabzugs in § 10d Abs. 3 Satz 2 EStG. Danach ist verbleibender Verlustabzug der bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichene Verlust, vermindert um die nach § 10d Abs. 1 und 2 EStG abgezogenen Beträge und vermehrt um den auf den Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums festgestellten verbleibenden Verlustabzug. Ein auf den Schluss eines Veranlagungszeitraums festgestellter verbleibender Verlustabzug ist damit von ―teils unmittelbarer, teils mittelbarer― Bedeutung für die Einkommensteuerfestsetzungen und Feststellungen des verbleibenden Verlustabzugs künftiger Veranlagungszeiträume i.S. des § 182 Abs. 1 Satz 1, § 181 Abs. 5 AO 1977.

bb) "Von Bedeutung" i.S. des § 181 Abs. 5 AO 1977 sind Feststellungsbescheide nicht nur für Steuerfestsetzungs- oder Feststellungsbescheide desselben oder des unmittelbar anschließenden Veranlagungszeitraums. Eine solche Einschränkung enthält weder § 181 Abs. 5 AO 1977 noch der die Bindungswirkung der Feststellungsbescheide umschreibende § 182 Abs. 1 Satz 1 AO 1977. In diesem Sinne ist für den vergleichbaren Fall eines nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 a AO 1977 einheitlich und gesondert festgestellten Verlusts ―jedenfalls für die Zeit vor Einführung der gesonderten Feststellung nach § 10d Abs. 3 EStG― die Verlustfeststellung nicht nur für das Jahr der Entstehung des Verlustes, sondern auch für die folgenden Jahre hinsichtlich des Verlustvortrags bindend (vgl. § 10d Satz 4 EStG a.F.; BFH-Urteile vom 17. März 1961 VI 67/60, BFHE 73, 441, BStBl III 1961, 427; vom 4. Juli 1989 VIII R 217/84, BFHE 157, 427, BStBl II 1989, 792; vom 27. Oktober 1989 III R 38/88, BFH/NV 1990, 369). Auch diese Bindung ist nur eine mittelbare, denn die Höhe des endgültigen Verlustvortrags bestimmt sich nicht unmittelbar aus der Verlustfeststellung, sondern danach, ob, ggf. inwieweit der festgestellte Verlust im Jahr der Feststellung bei der Veranlagung ausgeglichen oder in Vorjahren nach § 10d EStG abgezogen wurde. Eine entsprechende mittelbare Bindung entfaltet ein Verlustfeststellungsbescheid nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 ―auch nach Einführung des gesonderten Feststellungsverfahrens nach § 10d Abs. 3 EStG― für den zweijährigen Verlustrücktrag (BFH-Urteil vom 16. November 2000 XI R 31/00, BFH/NV 2001, 1026).

cc) Weder Sinn und Zweck des § 181 Abs. 5 AO 1977 noch des § 10d Abs. 3 EStG schließen es aus, die gleichermaßen mittelbare Bindung der Feststellung eines verbleibenden Verlustabzugs für spätere Veranlagungszeiträume unberücksichtigt zu lassen.

Feststellungsbescheide haben keinen Selbstzweck. § 181 Abs. 5 AO 1977 ist Ausfluss ihrer dienenden Funktion (vgl. Gesetzesbegründung BTDrucks VI/1982, S. 157; vgl. z.B. auch BFH-Urteil vom 31. Oktober 2000 VIII R 14/00, BFHE 193, 392, BStBl II 2001, 156). Nach § 181 Abs. 5 AO 1977 hat die verfahrensmäßige Verselbständigung des Feststellungsverfahrens hinter der materiellen Richtigkeit der Folgebescheide zurückzutreten, für die noch keine Festsetzungs- oder Feststellungsverjährung eingetreten ist. Durch die Technik der separaten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen dürfen dem Steuerpflichtigen weder Vorteile noch Nachteile entstehen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 10. Dezember 1992 IV R 118/90, BFHE 170, 336, BStBl II 1994, 381, m.w.N.; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 181 AO 1977 Rdnr. 39; Tipke/Kruse, a.a.O., § 181 AO 1977 Tz. 19, m.w.N.). Dieses gesetzliche Vorverständnis von Sinn und Zweck der Feststellungsbescheide verbietet es, die "Bedeutung" der gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs nach § 10d Abs. 3 EStG auf den folgenden Veranlagungszeitraum zu beschränken und auf diese Weise vortragsfähige Verluste allein wegen der Feststellungsverjährung untergehen zu lassen.

Wollte man ―wie das FA― dem Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs nur "Bedeutung" für die Bescheide des folgenden Veranlagungszeitraumes zukommen lassen, wäre zudem das mit der Änderung des § 10d EStG verfolgte gesetzgeberische Ziel ins Gegenteil verkehrt. Vor Einführung einer gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs entsprach es ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, über den Verlustabzug jeweils im Jahr des Verlustrück- oder -vortrags zu entscheiden (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 12. Dezember 2000 VIII R 34/94, BFH/NV 2001, 757, m.w.N.). Ab dem Veranlagungszeitraum 1990 sollte durch den Wegfall der zeitlichen Begrenzung des Verlustvortrages die Möglichkeit des Verlustabzugs mit dem Ziel der Verbesserung der Liquidität der Unternehmen erweitert werden (vgl. Bericht des Finanzausschusses BTDrucks 11/2536, S. 78). Mit diesem gesetzgeberischen Anliegen wäre es nicht zu vereinbaren, vortragsfähige Verluste bereits mit Ablauf der Verjährung des Feststellungsbescheides für den der Verlustentstehung folgenden Veranlagungszeitraum untergehen zu lassen.

Darin lag auch nicht Sinn und Zweck der Einführung der gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs ab 1990. Diese sollte lediglich den zeitlich unbegrenzten Verlustvortrag praktikabel machen. Dabei ist auch zu bedenken, dass die Finanzbehörden zur Feststellung nach § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG von Amts wegen verpflichtet sind und die Folgen einer pflichtwidrigen Unterlassung nicht den Steuerpflichtigen treffen dürfen. Mit einer pflichtgemäßen zeitnahen Nachholung der Feststellung nach § 10d Abs. 3 Satz 1 EStG hätte das FA zudem jederzeit den vom ihm befürchteten praktischen Schwierigkeiten begegnen können.

dd) Die Urteile des erkennenden Senats vom 9. Dezember 1998 XI R 62/97 (BFHE 187, 523, BStBl II 2000, 3) und in BFHE 195, 545, BFH/NV 2001, 1627 sind im Streitfall nicht einschlägig. Sie betrafen Fälle, in denen der Steuerpflichtige in Abweichung von dem im Einkommensteuerbescheid ermittelten positiven Gesamtbetrag der Einkünfte im gesonderten Feststellungsverfahren nach § 10d Abs. 3 EStG die Feststellung eines Verlustes begehrte.

3. Mit der Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum 31. Dezember 1990 steht auch der beantragten Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs zum 31. Dezember 1991 nichts mehr entgegen (vgl. auch § 56 Satz 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung).

 

Fundstellen

Haufe-Index 797068

BFH/NV 2002, 1506

BStBl II 2002, 681

BFHE 198, 395

BFHE 2003, 395

BB 2002, 2058

DB 2002, 2089

DStRE 2002, 1345

HFR 2003, 6

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