Entscheidungsstichwort (Thema)

(Investitionszulage: keine Ausnahme von dreijähriger Verbleibensfrist bei zu Testzwecken angeschafften Wirtschaftsgütern - Bindungsfristen im Zulagenrecht: zur Zulässigkeit von Ausnahmen)

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Anschaffung abnutzbarer beweglicher Wirtschaftsgüter kann nur dann eine Forschungszulage oder Entwicklungszulage nach§ 4 InvZulG 1986 gewährt werden, wenn diese Wirtschaftsgüter u.a. nach ihrer Anschaffung drei Jahre lang ununterbrochen im Betrieb des Investors ausschließlich zu Forschungszwecken oder Entwicklungszwecken genutzt werden.

2. Eine Ausnahme von dieser Verbleibregelung ist jedenfalls dann nicht gerechtfertigt, wenn die betreffenden Wirtschaftsgüter aus testspezifischen Gründen vor Ablauf des Drei-Jahres- Zeitraumes ihre Tauglichkeit verlieren und zu einem nicht zu vernachlässigendem Preis (im Streitfall 40 bis 50 v.H. der aufgewendeten Anschaffungskosten) veräußert werden.

 

Orientierungssatz

Ausnahmen von Regelungen in Zulagevorschriften, die eine Mindestverbleibdauer der begünstigten Wirtschaftsgüter im jeweiligen Betrieb, Ort etc. vorsehen (u.a. § 19 BHG, § 19 BFG, § 4 InvZulG), kommen grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Wirtschaftsgüter vor Ablauf der Bindungsfrist aufgrund technischen oder wirtschaftlichen Verbrauchs oder aufgrund eines Totalschadens auch für Dritte keinen oder nur noch einen sehr geringen Wert haben, nicht aber, wenn sie nur für spezielle betriebliche Zwecke nicht mehr geeignet sind. Der bloße Umstand, daß ein Mißbrauch durch den Zulageempfänger nicht vorliegt und die Bindungsfrist aufgrund eines betriebswirtschaftlich anerkennenswerten Grundes nicht eingehalten wird, rechtfertigt keine Ausnahme (vgl. BFH-Rechtsprechung; Ausführungen zur Gesetzesbegründung des § 2 InvZulG 1969 bzw. § 4 InvZulG 1986).

 

Normenkette

InvZulG 1986 § 4 Abs. 2 Nr. 1; BHG 1964 § 19; BerlinFG § 19; InvZulG 1969 § 2

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt eine Reifenfabrik.

Für die Entwicklung und Prüfung der Reifen setzt sie eigene, entgeltlich erworbene Testfahrzeuge (PKW) ein. Diese Fahrzeuge veräußert sie --nach ihrem eigenen Vortrag-- zum überwiegenden Teil bereits innerhalb eines Jahres, spätestens aber im zweiten Jahr nach der Anschaffung, wieder. Sie erzielt dabei Veräußerungserlöse von 40 bis 50 v.H. der Anschaffungskosten.

Nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin sind für die kurze Nutzungsdauer allein technische und wirtschaftliche Gründe maßgebend. Für Reifen seien Eigenschaftsuntersuchungen erforderlich, die mit der gebotenen Genauigkeit nur an Fahrzeugen mit einer Laufleistung von bis zu 40 000 bis 60 000 km durchgeführt werden könnten; für Abrieb- und Dauerversuche seien die Fahrzeuge (noch) bis zu Laufstrecken von 100 000 bis 120 000 km einsetzbar. Würden diese Fahrleistungen überschritten, befänden sich die Fahrwerke in einem Abnutzungszustand, der sinnvoll reproduzierbare Meßergebnisse nicht mehr zulasse. Eine zusätzliche Einschränkung der Einsatzmöglichkeiten für Forschung und Entwicklung resultiere aus den häufigen Fahrwerksänderungen seitens der Automobilhersteller.

In den Jahren 1986 bis 1988 (Streitjahre) wendete die Klägerin für die Anschaffung derartiger Testfahrzeuge ... DM (1986), ... DM (1987) und ... DM (1988) auf. Sie beantragte dafür Forschungs- und Entwicklungszulage nach § 4 des Investitionszulagengesetzes (InvZulG) 1986.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte die Zulagengewährung --nachdem dem Antrag für 1986 vorübergehend entsprochen worden war-- mit Bescheiden vom 29. Juni 1989 (für 1986 und 1987) sowie vom 8. Januar 1990 (für 1988) endgültig ab. Das FA war der Auffassung, daß die Verbleibvoraussetzungen des § 4 Abs.2 Nr.1 InvZulG 1986 nicht erfüllt worden seien und daß eine Ausnahme von der gesetzlichen Regelung im vorliegenden Fall nicht in Betracht komme.

Die nach insoweit erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hatte hingegen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hielt das vorzeitige Ausscheiden der Testfahrzeuge aus dem Anlagevermögen der Klägerin für ausnahmsweise zulagenunschädlich. Die Fahrzeuge hätten aus testspezifischen Gründen einem derartigen Verschleiß unterlegen, daß sie innerhalb der Bindungsfrist ihre Tauglichkeit als Testmittel verloren hätten und hierdurch bedingt aus der betrieblichen Verwendung ausgeschieden seien. Bei ihnen sei --ebenso wie bei Wirtschaftsgütern, die wegen vorzeitiger technischer oder wirtschaftlicher Abnutzung aus der Betriebsstätte ausschieden-- der mit § 4 InvZulG 1986 bezweckte Investitionserfolg erreicht, auch wenn die Verbleibensfrist nicht erfüllt worden sei. Denn Zweck der dreijährigen Bindungsfrist sei es, Mißbräuche zu verhindern. Im Streitfall liege jedoch kein Mißbrauch vor (Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. Juli 1977 III R 74/76, BFHE 123, 109, BStBl II 1977, 793).

Sinn und Zweck des § 4 InvZulG 1986 erforderten nicht, daß der Investor für Testzwecke unbrauchbar gewordene Wirtschaftsgüter bis zum Ablauf der Drei-Jahres-Frist ungenutzt lasse oder versuche, die Testeignung wiederherzustellen, zumal im Streitfall der für den Testzweck erforderliche fabrikneue Zustand --unbestritten-- auch durch eine Generalüberholung nicht wiederhergestellt werden könnte. Es komme hinzu, daß die Klägerin schon wegen der permanenten Modelländerungen auf dem Fahrzeugmarkt Reifentests nur an den neuesten Modellen vornehmen könne.

Dagegen wendet sich das FA mit der vom FG zugelassenen Revision.

Es rügt die Verletzung von § 4 Abs.2 Nr.1 InvZulG 1986 und führt dazu im wesentlichen aus: Die Testfahrzeuge seien technisch und wirtschaftlich noch nicht verbraucht gewesen; sie hätten losgelöst von ihrer testspezifischen Verwendung weiterhin genutzt werden können. Dies belegten die erzielten beachtlichen Veräußerungserlöse.

Weiter könne nicht anhand objektiver Umstände ausgeschlossen werden, daß dem vorzeitigen Ausscheiden der Fahrzeuge unter Umständen doch auch rentabilitätsbezogene unternehmerische Überlegungen zugrunde lagen, die keine Ausnahme von der gesetzlichen Verbleibregelung rechtfertigten.

Schließlich entzögen sich die testspezifischen Verhältnisse und der daraus folgende Zeitpunkt der Erfüllung des Verwendungszwecks der Fahrzeuge einer leichten und zumutbaren Nachprüfung durch die Finanzverwaltung. Bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des FG müßten Maßstäbe aufgestellt werden, zu deren Nachprüfung die Finanzverwaltung --wie im Streitfall-- nur eingeschränkt in der Lage wäre. Die Handhabung der Verbleibregelungen würde erheblich erschwert werden.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage.

Das FG hat im Streitfall zu Unrecht eine Ausnahme von der gesetzlichen Verbleibregelung des § 4 Abs.2 Nr.1 InvZulG 1986 zugelassen.

1. Nach dieser Vorschrift dürfen bei der Bemessung der Investitionszulage Anschaffungskosten von neuen abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens u.a. nur dann berücksichtigt werden, wenn diese Wirtschaftsgüter mindestens drei Jahre nach ihrer Anschaffung im Betrieb des Steuerpflichtigen ausschließlich der Forschung oder Entwicklung i.S. des § 51 Abs.1 Nr.2 Buchst.u Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) dienen.

Von vergleichbaren Verbleibregelungen in anderen Zulagevorschriften hat der BFH in eng begrenzten Fällen Ausnahmen zugelassen (s. insbesondere die Urteile vom 9. März 1967 IV R 149/66, BFHE 87, 589, BStBl III 1967, 238; vom 15. Oktober 1976 III R 139/74, BFHE 120, 317, BStBl II 1977, 59, sowie in BFHE 123, 109, BStBl II 1977, 793, zu § 19 des Berlinhilfegesetzes --BHG-- 1964 und § 19 des Berlinförderungsgesetzes --BerlinFG--). Gemeinsam ist all diesen Fällen, daß die betreffenden Wirtschaftsgüter auch für Dritte keinen oder nur noch einen sehr geringen Wert hatten, weil sie technisch oder wirtschaftlich verbraucht waren oder weil sie einen Totalschaden erlitten hatten (vgl. hierzu auch die Urteile des erkennenden Senats vom 2. Mai 1980 III R 12/79, BFHE 131, 419, BStBl II 1980, 758, und vom 5. Mai 1988 III R 181/83, BFH/NV 1988, 741, hier insbesondere Nr.5 der Entscheidungsgründe).

2. So liegen die Verhältnisse bei der Klägerin jedoch nicht. Die Testfahrzeuge waren --dem Vortrag der Klägerin nach-- lediglich für deren spezielle betriebliche Zwecke nicht mehr geeignet. Die späteren Abnehmer zahlten immerhin noch 40 bis 50 v.H. der von ihr aufgewendeten Anschaffungskosten. Anders als im Falle des Urteils in BFHE 123, 109, BStBl II 1977, 793 kommt dem Veräußerungserlös bei dieser Größenordnung und Fallgestaltung nach Auffassung des Senats durchaus Bedeutung zu.

Denn die Klägerin würde --folgte man ihrer und der Rechtsauffassung des FG-- Investitionszulage auf die vollen Anschaffungskosten erhalten, obwohl sie im Ergebnis nur 50 bis 60 v.H. davon für die Forschung und Entwicklung aufgewendet hat.

3. Entgegen der Auffassung des FG ist eine Ausdehnung der bisherigen Ausnahmen von den gesetzlichen Verbleibregelungen auf Fälle wie den vorliegenden auch nicht schon deshalb gerechtfertigt, weil keine Anhaltspunkte für eine mißbräuchliche Inanspruchnahme von Investitionszulage vorliegen.

Der erkennende Senat hat frühere Hinweise, die dreijährige Bindungsfrist in verschiedenen Zulagevorschriften diene der Verhütung von Mißbräuchen, inzwischen relativiert. Er hat im Urteil in BFH/NV 1988, 741 (zur Regionalzulage nach § 1 InvZulG 1975) ausgeführt, daß solche Hinweise nicht in dem Sinne verstanden werden dürften, daß damit jeder betriebswirtschaftlich anerkennenswerte Grund ausreiche, um von der Verbleibregelung eine Ausnahme zuzulassen. Der Gesetzgeber habe die Einhaltung der Drei-Jahres-Frist (vielmehr) als die maßgebliche Grundlage für die Erreichung des von ihm bezweckten Erfolges angesehen. Dabei sei er hinsichtlich dieser Frist von einer typisierten Regelung ausgegangen, die Ausnahmen nur in seltenen Fällen zulasse. Der Senat sieht keinen Grund, der für die Gewährung von Forschungs- und Entwicklungszulagen nach § 4 InvZulG 1986 eine andere Sicht gebieten könnte. Er ist im Gegenteil in seinem Urteil vom 24. Januar 1992 III R 24/89 (BFHE 167, 262, BStBl II 1992, 427) zu dem Ergebnis gelangt, daß ein Wirtschaftsgut --wie bei den vergleichbaren Vorschriften der §§ 19 und 14 BerlinFG-- nur dann der Forschung und Entwicklung i.S. des § 4 InvZulG diene, wenn es über den gesamten Drei-Jahres-Zeitraum tatsächlich zu diesen Zwecken genutzt werde.

4. Eine Erweiterung der Ausnahmen von der gesetzlichen Verbleibregelung ist --entgegen der Auffassung des FG-- auch nicht aus dem Wesen der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit der Klägerin und damit nach Sinn und Zweck des § 4 InvZulG 1986 geboten.

Wie bereits oben ausgeführt, hat der Gesetzgeber die Einhaltung der Drei-Jahres-Frist in den Fällen, in denen er sie ins Gesetz aufgenommen hat, als maßgebliche Grundlage für die Erreichung des mit der jeweiligen Zulage bezweckten Erfolges angesehen. Auf § 4 InvZulG 1986 bezogen bedeutet dies, daß hier nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich nur solche Wirtschaftsgüter begünstigt sein sollen, die wenigstens drei Jahre lang der Forschung und Entwicklung dienen. Für diese Auslegung sprechen nach Auffassung des Senats auch die Vorstellungen, die den Gesetzgeber zur (erstmaligen) Einführung einer Investitionszulage für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen (ab dem Jahre 1969) veranlaßt haben. Danach sollte diese Investitionszulage der deutschen Wirtschaft die Finanzierung der für eine Intensivierung ihrer Forschungs- und Entwicklungstätigkeit erforderlichen Investitionen erleichtern; es sollte das mit der betrieblichen Forschung und Entwicklung verbundene Risiko teilweise vom Staat mitgetragen werden (vgl. BRDrucks 23/69, S.19). Daraus folgert der Senat, daß durch § 2 InvZulG 1969 (später § 4 InvZulG) grundsätzlich nur besonders risikobehaftete Vorhaben gefördert werden sollten, zu denen in erster Linie die auf einen längeren Zeitraum angelegten Vorhaben gehören. Dieser Zielrichtung entspricht es, wenn das Gesetz nur solche beweglichen Wirtschaftsgüter als begünstigungsfähig ansieht, die mindestens drei Jahre nach ihrer Anschaffung oder Herstellung im Betrieb des Steuerpflichtigen ausschließlich der Forschung oder Entwicklung dienen.

Die Tätigkeit der Klägerin rechtfertigt keine Ausnahme von diesem Grundsatz. Zum einen widerspräche die Annahme einer derartigen Ausnahme dem oben dargestellten Sinn und Zweck der Zulage für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen sowie der typisierenden Regelung in § 4 Abs.2 Nr.1 InvZulG 1986. Zum anderen ergäben sich --worauf das FA zu Recht hingewiesen hat-- erhebliche Abgrenzungsprobleme im tatsächlichen Bereich. Denn selbst nach dem eigenen Vortrag der Klägerin läßt sich nur sehr grob angeben, ab welchem Zeitpunkt die Fahrzeuge nicht mehr zu Testzwecken eingesetzt werden können. Die von der Klägerin in diesem Zusammenhang genannten Fahrleistungen weisen eine Spannbreite von bis zu 20 000 km auf.

5. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war sein Urteil aufzuheben und die Klage der Klägerin abzuweisen (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

 

Fundstellen

Haufe-Index 65029

BFH/NV 1994, 73

BStBl II 1994, 711

BFHE 175, 173

BFHE 1995, 173

BB 1994, 1703

BB 1994, 1703 (L)

DB 1994, 1807 (L)

DStR 1994, 1375-1376 (KT)

DStZ 1995, 117-118 (KT)

HFR 1994, 669-670 (LT

StE 1994, 515 (K)

WPg 1994, 730 (L)

StRK, R.3 (LT)

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Steuer Office Excellence. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge