Leitsatz (amtlich)

§ 57 Abs.1 ZG ist ein reiner Steuertatbestand ohne "strafähnlichen Charakter". Dies gilt auch, soweit durch Nichtbeachtung von Zollvorschriften die Zollschuld für Zollgut entsteht, das im Rahmen einer Verwahrung oder eines besonderen Zollverkehrs ohne Zollbelastung hätte verwahrt, gelagert, befördert oder verwendet werden können.

 

Orientierungssatz

Der Anwendungsbereich des § 57 Abs. 1 ZG wird durch die normative Erläuterung in § 133 AZO nicht ausgeweitet, sondern lediglich genauer bestimmt.

 

Normenkette

ZG § 57 Abs. 1; AZO § 133

 

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) reiste im November 1980 mit einem PKW über das Zollamt (ZA), eine Dienststelle des Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt --HZA--), aus der Schweiz in die Bundesrepublik Deutschland ein. Auf die Aufforderung des Abfertigungsbeamten, die mitgebrachten Waren anzumelden, erklärte der Kläger, er habe nichts. Bei der Überholung des PKW und des Reisegepäcks des Klägers fanden Beamte in einem Handkoffer, der zwischen dem Vordersitz und der Rücksitzbank abgelegt war, 500 Goldmünzen (1 Pfund Sovereign "King George") im Wert von 185 650 DM. Mit Steuerbescheid vom 9.Dezember 1980 forderte das HZA 24 134,50 DM Einfuhrumsatzsteuer an. Nach erfolglosem Einspruch erhob der Kläger Klage, die das Finanzgericht (FG) aus folgenden Gründen abwies:

Der Kläger habe die von ihm eingeführten Goldmünzen der zollamtlichen Überwachung vorenthalten, da er trotz der Aufforderung des Abfertigungsbeamten, die mitgebrachten Waren anzumelden, die Goldmünzen nicht angemeldet habe. Unbeachtlich sei der Einwand des Klägers, die Münzen gehörten nicht ihm, sondern seinem Vater. Der Kläger könne auch nicht mit Erfolg geltend machen, daß die Münzen für den Transit bestimmt gewesen seien. Eine Einfuhrumsatzsteuerschuld wäre für diesen Fall nicht entstanden, wenn der Kläger einen Antrag auf Abfertigung zu dem dafür vorgesehenen Versandverfahren gestellt hätte. Die Entstehung der Einfuhrumsatzsteuerschuld sei vom Verschulden des Klägers unabhängig. Die Unbeachtlichkeit subjektiver Vorstellungen (§ 133 der Allgemeinen Zollordnung --AZO--) führe nicht zu einer unzulässigen Erweiterung des Anwendungsbereichs des § 57 Abs.1 des Zollgesetzes (ZG). Für die Entstehung der Zollschuld sei ein bestimmter Erfolg und nicht die Schuld des jeweils Handelnden Voraussetzung. Auch bei einer Unterlassung sei unerheblich, ob der Gestellungspflichtige von seinen Zollpflichten wisse. Unbeachtlich sei auch die etwaige Vorstellung des Klägers, er habe nur Ordnungspflichten verletzt, welche die Entstehung von Eingangsabgaben nicht bewirkten.

Der Kläger stützt seine Revision auf folgende Gesichtspunkte: Mit dem Hinweis des FG auf das Urteil des erkennenden Senats vom 10.August 1977 VII R 25/74 (BFHE 123, 268) sei die Frage nicht hinreichend behandelt, ob die verfassungskonforme Auslegung des § 57 ZG die Einbeziehung des Verschuldens als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal erfordere. Sowohl die vom FG angeführte Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) als auch das dort erwähnte Urteil vom 13.Mai 1975 VII R 99/72 (BFHE 116, 235) beträfen Fälle, in welchen die Steuerschuld "jedenfalls auch bei Deklaration der Ware" entstanden wäre. Im Streitfall sei entscheidend, daß die Goldmünzen für den Transit bestimmt gewesen seien. § 57 ZG müsse wie § 80 Abs.1 Satz 3 AZO wegen seines steuerstrafähnlichen Charakters restriktiv ausgelegt werden. Das Verschulden sei ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 57 ZG. Dies gelte auch im Streitfall, wie sich aus dem Urteil in BFHE 116, 235 ergebe. Soweit § 133 AZO nicht lediglich eine Klarstellung für Fälle schuldhaften Handelns darstelle, sei diese Bestimmung als verfassungswidrig anzusehen. Der Anwendungsbereich des § 57 ZG und des § 80 AZO werde unerträglich ausgeweitet, wenn es nach § 133 AZO bei einer Entziehungshandlung nicht auf die Vorstellungen des Handelnden ankomme. Damit werde Art.80 Abs.1 des Grundgesetzes (GG) verletzt, weil eine Entscheidung des Gesetzgebers durch eine Verordnung korrigiert werde. § 40 ZG zeige, daß die Einbeziehung des Verschuldens in § 57 ZG geboten sei.

Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung abzuändern und den Steuerbescheid vom 9.Dezember 1980 sowie die Einspruchsentscheidung des HZA aufzuheben, hilfsweise Zurückverweisung der Sache an das FG.

Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. § 57 Abs.1 ZG enthalte keine subjektiven Momente. Wie sich aus der Gesetzgebungsgeschichte ergebe, widerspreche es dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, solche Momente in die Vorschrift hineinzulesen. § 133 AZO sei deshalb auch nicht unvereinbar mit dem Willen des Gesetzgebers. Auf § 80 AZO sei nicht einzugehen, da es an den Voraussetzungen des § 40 Nr.1 ZG fehle.

 

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden, daß der Kläger die von ihm eingeführten, nicht einfuhrumsatzsteuerfreien Goldmünzen durch Nichtabgabe der erforderlichen Gestellungsmitteilung nicht gestellt und sie damit mit der Wirkung der zollamtlichen Überwachung vorenthalten hat, daß er Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer wurde (§ 21 Abs.2 des Umsatzsteuergesetzes --UStG-- in Verbindung mit § 57 Abs.1 Satz 1 und 2, Abs.2 Satz 1 ZG).

Für die dem Kläger als Einführer von Zollgut (§ 5 Abs.1 ZG) obliegende Gestellung (§ 6 Abs.1 Satz 1 und 2 ZG, § 9 Abs.1 Nr.1 AZO) war es erforderlich, die Waren an den Gestellungsort zu bringen und der Zollstelle unaufgefordert mitzuteilen, daß die Waren sich am Gestellungsort --hier: dem Amtsplatz des ZA-- befinden (§ 6 Abs.4 Satz 1 ZG, § 12 Abs.2 Satz 1 AZO).

Diese Mitteilung hat der Kläger, wie vom FG festgestellt, nicht abgegeben, und zwar noch nicht einmal, nachdem er durch den Abfertigungsbeamten zur Zollanmeldung aufgefordert worden war (§ 13 ZG). Nur durch eine --formlose-- Gestellungsmitteilung konnte der Kläger die Gestellung der Münzen bewirken und damit seine zollrechtlichen Pflichten erfüllen, denen er indessen gebotswidrig nicht nachgekommen ist (vgl. auch § 133 Satz 2 AZO).

Ein Fall, in dem die Gestellung bereits durch bloßes Erscheinen mit nicht versteckten und auch nicht durch besonders angebrachte Vorrichtungen verheimlichten Waren am Gestellungsort bewirkt wird (vgl. § 12 Abs.2 Satz 2 AZO), war nicht gegeben. Dies ergibt sich schon daraus, daß der Kläger die Münzen, die nach der Art ihrer Unterbringung im PKW allerdings weder versteckt noch verheimlicht waren, nicht im Reiseverkehr im Rahmen des auf einer Reise Üblichen bloß "mitgeführt" (§ 5 AZO), sondern sie außerhalb des Reiseverkehrs eingeführt hat, wie schon den festgestellten Umständen --Menge und Wert der Goldmünzen-- zu entnehmen ist.

Im übrigen wäre die angegriffene Entscheidung selbst dann nicht zu beanstanden, wenn davon auszugehen wäre, daß der Kläger die Münzen im Reiseverkehr eingeführt (mitgeführt) hätte und diese auch nicht --weiteres Erfordernis für die Befreiung von der Pflicht zur Abgabe einer Gestellungsmitteilung-- zum Handel oder zur gewerblichen Verwendung bestimmt gewesen wären. Denn in diesem Falle hätte der Kläger jedenfalls dadurch Zollvorschriften nicht beachtet und damit die Abgabenschuld in seiner Person begründet, daß er die Waren trotz der an ihn gerichteten zollamtlichen Aufforderung zur Zollanmeldung nicht anmeldete und sie der durch Gestellung zunächst ermöglichten zollamtlichen Überwachung wieder entzog (vgl. Bail/Schädel/Hutter, Zollgesetz, Kommentar, B 57-58 Rdziff.6; Schwarz/Wockenfoth, Zollgesetz, § 57 Anm.11 e).

Die Angriffe der Revision gegen dieses abgabenrechtliche Ergebnis gehen fehl.

Unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt erheblich sind die Ausführungen des Klägers zu den Zollvorschriften über Erlaß oder Erstattung von Zoll aus besonderen Gründen (§ 40 ZG, § 80 AZO, letzterer eingeschränkt auf Erstattungsfälle für Verzollungen vor dem 1.Juli 1980 durch Art.1 Nr.13 der Dreißigsten Verordnung zur Änderung der Allgemeinen Zollordnung vom 6.Oktober 1980, BGBl I, 1930, und vollständig aufgehoben durch Art.1 Nr.6 der Verordnung zur Änderung von Vorschriften über außertarifliche Eingangsabgabenbefreiungen vom 5.Juni 1984, BGBl I, 747).

Aber auch die sonstigen Einwendungen des Klägers können nicht durchgreifen. Insbesondere trifft es nicht zu, daß Abgabenschulden wegen Nichtbeachtung von Zollvorschriften nur in Frage kämen, wenn sie "auch bei Deklaration" entständen. Für eine solche Auffassung, wie er sie in der Revision offenbar vertritt, kann der Kläger auch aus den von ihm angeführten Entscheidungen des BFH nichts herleiten. Zwar kann Zollgut, das nicht oder noch nicht in die Inlandswirtschaft übergehen soll, bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen, zu denen insbesondere ein dahingehender Zollantrag gehört, eingangsabgabenfrei gelagert, befördert oder verwendet werden. Doch tritt die Abgabenfreiheit nicht schon aufgrund einer entsprechenden --kaum je beweisbaren-- Absicht des Beteiligten ein, sondern eben erst nach Erfüllung der zollrechtlichen Voraussetzungen.

Von den Vorstellungen oder von einem Verschulden dessen, der Zollvorschriften nicht beachtet, ist die Entstehung der Abgabenschuld nach Wortlaut und Sinn des § 57 ZG entgegen der Ansicht des Klägers nicht abhängig. Vielmehr wird, wie das FG zutreffend erkannt hat, der Tatbestand des § 57 Abs.1 ZG durch reine Tathandlungen verwirklicht (Urteil des erkennenden Senats vom 30.Juni 1970 VII R 100/68, BFHE 99, 509, 512). Dies ergibt sich auch durch Gegenschluß aus § 57 Abs.2 Satz 2 ZG, nach dem in dem --hier nicht vorliegenden-- Fall der weiteren Zollschuldnerschaft bestimmte subjektive Voraussetzungen zum Tatbestand gehören.

Der zollschuldbegründende Tatbestand der Nichtbeachtung von Zollvorschriften, der im übrigen der gemeinschaftsrechtlichen Regelung (Richtlinie des Rates vom 25.Juni 1979 zur Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Zollschuld, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 179/31 vom 17.Juli 1979; vgl. hier besonders Art.2 Buchst.b, Art.3 Buchst.b) entspricht, hat auch keinerlei "steuerstrafähnlichen" Charakter, wie der Kläger zu Unrecht meint. Einen solchen Charakter hat noch nicht einmal der in § 57 Abs.7 Satz 2 ZG für Fälle der Nichtbeachtung von Zollvorschriften im Reiseverkehr vorgesehene Zollzuschlag (Urteil des erkennenden Senats vom 29.Juli 1981 VII R 27/79, BFHE 135, 95, 102). Erst recht ist § 57 Abs.1 ZG kein steuerstrafähnlicher Tatbestand. Dies liegt klar auf der Hand, soweit es sich um vorschriftswidrige Einfuhren handelt, die auch bei Erfüllung der Zollpflicht --"Deklaration"-- in jedem Fall zu Eingangsabgaben führen würden. Es gilt aber auch für andere Einfuhren, die nicht von vornherein abgabenfrei sind (vgl. § 57 Abs.1 Satz 1 letzter Satzteil ZG), die vielmehr, wie ausgeführt, nur unter bestimmten Voraussetzungen --besonderer, rechtzeitig gestellter Zollantrag durch die dazu aktiv legitimierte Person; gegebenenfalls vorausgehende Bewilligung; Sicherheitsleistung oder zollamtliche Sicherung in der in Betracht kommenden Weise-- durch Abgaben nicht belastet würden. Denn auch solche Einfuhren wären, wenn die erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, die Waren vielmehr zum freien Verkehr abgefertigt würden, mithin bei Beachtung der Zollvorschriften, mit den in Betracht kommenden Eingangsabgaben belastet. Nur dieser Rechtslage entspricht es, wenn § 57 ZG --auch insoweit als reiner Steuertatbestand-- die Entstehung der Abgabenschuld für vorschriftswidrig eingeführte, nicht von vornherein abgabenfreie Waren vorsieht, für die ebenfalls die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme eines Zollverkehrs, der zur Aussetzung der Eingangsabgaben führt, nicht erfüllt werden.

Soweit § 57 ZG ausnahmsweise zu wirtschaftszollfremden Ergebnissen führt, enthält der weitgehend auf Gemeinschaftsrecht beruhende § 57a Abs.1 bis 5 ZG (Erlöschen der Zollschuld) Korrekturmöglichkeiten, die jeden Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Abgabentatbestandes ausschließen. Eine Fallgestaltung dieser Art ist hier jedoch nicht gegeben. Insbesondere liegt mangels festgestellter Offensichtlichkeit der angeblichen Durchfuhrabsicht des Klägers auch kein Fall vor, der unter die --das HZA bindende-- Verwaltungsanweisung in Z 2201 Abs.4 der Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung (vgl. § 57a Abs.5 ZG) fiele.

Auf die Bedenken, die der Kläger gegen die Verfassungsmäßigkeit von § 133 AZO äußert, braucht schon deshalb nicht eingegangen zu werden, weil diese Vorschrift gegenüber dem Gesetz keine eigenständige Regelung enthält, die über den Wortlaut und Sinn des Gesetzes hinausginge. Vielmehr verdeutlicht § 133 AZO, der zur Erläuterung der in § 57 Abs.1 ZG verwendeten Begriffe (§ 78 Abs.1 Nr.2 ZG) erlassen worden ist, durch das Merkmal "Erfolg" lediglich, daß die Entstehung der Abgabenschuld nach § 57 ZG, die sich aus der gesetzlichen Vorschrift selbst ergibt, nur an objektive Merkmale geknüpft ist. Der Anwendungsbereich des Gesetzes wird durch die normative Erläuterung keineswegs, wie der Kläger meint, unzulässigerweise unerträglich ausgeweitet, sondern lediglich genauer bestimmt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 60686

BFHE 143, 477

BFHE 1985, 477

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